Die Spinne und das Podagra
Die Spinne und das Podagra.
Das Podagra und eine Spinne,
Geführt von ihrem Eigensinne,
Entschlossen sich, die Welt zu seh’n,
Und Abenteuern nachzugeh’n.
Und grüssten sich, da sie sich sah’n,
So leicht, so artig und galant,
Als hätten sie sich längst gekannt.
Ich dächte, sprach das Podagra,
Zusammen unsre Reise fort.
Es scheint ein wohlgelegner Ort,
Und sind Madam so müd’ als ich,
So wird uns beiden, sicherlich!
Auf diese Nacht willkommen sein.
Der Spinne war das eben recht:
Sie kamen an das Dorf. Geschwächt,
Hinfällig, kraftlos und halb lahm
Sobald als möglich, voll Begier,
Beim ersten Bauer das Quartier.
Die Spinne hielt sich für gescheiter
Und nahm den Weg noch etwas weiter
Hier wählt sie einen Saal sich aus,
In welchem man mit grosser Pracht
Ein Gastmahl just zurecht gemacht.
Sogleich nahm sie nach ihrem Witz
Hub an, mit emsigem Bestreben
Viel ihrer Fäden anzukleben:
Doch eh’ ihr Netz noch fertig war,
Nimmt eine Stubenmagd es wahr,
Und unbarmherzig es zerstört.
Die Spinne hub von neuem an
Zu weben, wie sie erst gethan;
Da ward der Saal voll Herr’n und Damen,
Ein naseweiser Bursche sah
Der Spinne Netz und rief: »Sieh da!
Was machst du hier?« und stiess sogleich
Den Hut quer durch ihr Fadenreich.
Und heftete mit muntern Füssen
Ihr hangend halb zerstörtes Nest
Zum drittenmal am Fenster fest.
Da trat ein junges Fräulein her,
Die Spinne hangen und schrie laut:
»Ach! Herr Baron, mir graut, mir graut!«
Und wies mit Schrecken auf die Spinne.
Kaum ward der Herr Baron sie inne,
Fing an im Netz herum zu fegen,
So dass mit Not die Spinn’ entkam
Und aus dem Saal den Abschied nahm.
Dem Podagra ging’s auch fast so,
Nachdem es lang genug gesessen,
Sprach es: »Ich möcht’ ein wenig essen!«
Der Bauer brachte trocken Brot,
Zum Trunk dazu kalt Wasser bot;
Fürs Podagra sehr schlechte Speisen.
Es ass nicht viel, trank kaum dazu
Und sprach betrübt: »Bringt mich zur Ruh’.«
Da wies der Bauer ihm zum Bette
Worauf ein wenig Stroh nur lag.
Hier wälzte es sich, bis der Tag
Im Osten an zu grauen fing,
Und seufzend es von dannen ging.
Die auch kein Auge zugethan,
Und alle beide klagten sich,
Wie elend und wie jämmerlich
Sie beiderseits die vor’ge Nacht
Ich seh’ wohl, wo der Knoten sitzt,
Sprach drauf das Podagra. Dir nützt
Zum Aufenthalte kein Palast;
So wie ich niemals Ruh’ und Rast
Drum geh du zu dem armen Mann,
Und ich will deine Junker seh’n,
So soll das Ding wohl besser geh’n.
Dies waren beide wohl zufrieden,
Den Weg, so wie der Abend kam.
Das Podagra, voll Hoffnung, nahm
Zum Schloss des Junkers seinen Gang;
Und mit welch freudigem Empfang
Kaum sah er es gehinket kommen,
So nahm er’s höflich bei der Hand,
Führt’s in sein Zimmer; drinnen stand
Ein Sofa mit viel weichen Kissen,
Und sprach: »Ihr Gnaden fordern dreist,
Was Ihrem Gaum’ willkommen heisst.«
Drauf rief er seine Diener her;
Da ward der Tisch nicht einmal leer
Von Schokolad’ und Limonade.
Alsdann ward von der Schüsseln Menge
Die grosse Tafel fast zu enge;
Denn alles, was die Schmausewelt
War so im Ueberflusse da,
Als wär’ es in Hammonia.
Die Weine, ja wer kann die zählen?
Gewiss! hier durfte keiner fehlen,
Sodass das Podagra sogar
Satt bis zum höchsten Ekel war. –
Die Spinne trat zum armen Mann
Indes auch ihre Wallfahrt an.
Fing an zu haspeln zu weben
Nach Herzenslust mit Füssen, Händen
An Thüren Fenstern, Balken, Wänden,
Und machte sich manch schönes Netz
Rund, mit viel Strahlen, krumm und schief,
Gleich, ungleich, seltsam, flach und tief.
So herrschte sie im ganzen Haus,
Und niemand stört’ und trieb sie aus.
Nach kurzer Zeit von ungefahr
Sich wiedersah’n, da rühmten beide,
Mit welcher wahren Lust und Freude
Ihr Leben nun versüsset sei.
Vergnügen war auf beiden Seiten,
Und so wohnt noch zu unsern Zeiten
Die Spinne bei dem Armen gern,
Das Podagra bei grossen Herr’n.
(1736–1777.)