Die Spinne und das Podagra

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Textdaten
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Autor: Justus Friedrich Wilhelm Zachariae
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Titel: Die Spinne und das Podagra
Untertitel:
aus: Die zehnte Muse. Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl. S. 246–249
Herausgeber: Maximilian Bern
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Otto Eisner
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons = Google-USA*
Kurzbeschreibung:
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Die Spinne und das Podagra.

Das Podagra und eine Spinne,
Geführt von ihrem Eigensinne,
Entschlossen sich, die Welt zu seh’n,
Und Abenteuern nachzugeh’n.

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Sie trafen unterwegs sich an

Und grüssten sich, da sie sich sah’n,
So leicht, so artig und galant,
Als hätten sie sich längst gekannt.
Ich dächte, sprach das Podagra,

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Wir setzten nach dem Dorfe da

Zusammen unsre Reise fort.
Es scheint ein wohlgelegner Ort,
Und sind Madam so müd’ als ich,
So wird uns beiden, sicherlich!

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Jedwede Herberg’, gross und klein,

Auf diese Nacht willkommen sein.
Der Spinne war das eben recht:
Sie kamen an das Dorf. Geschwächt,
Hinfällig, kraftlos und halb lahm

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Erlag das Podagra und nahm

Sobald als möglich, voll Begier,
Beim ersten Bauer das Quartier.
Die Spinne hielt sich für gescheiter
Und nahm den Weg noch etwas weiter

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Bis zu des Edelmannes Haus;

Hier wählt sie einen Saal sich aus,
In welchem man mit grosser Pracht
Ein Gastmahl just zurecht gemacht.

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Sogleich nahm sie nach ihrem Witz

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Vom Fensterrahmen rasch Besitz;

Hub an, mit emsigem Bestreben
Viel ihrer Fäden anzukleben:
Doch eh’ ihr Netz noch fertig war,
Nimmt eine Stubenmagd es wahr,

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Die mit dem Besen drüber fährt

Und unbarmherzig es zerstört.
Die Spinne hub von neuem an
Zu weben, wie sie erst gethan;
Da ward der Saal voll Herr’n und Damen,

40
Mit denen viel Lakaien kamen.

Ein naseweiser Bursche sah
Der Spinne Netz und rief: »Sieh da!
Was machst du hier?« und stiess sogleich
Den Hut quer durch ihr Fadenreich.

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Die Spinne liess sich’s nicht verdriessen

Und heftete mit muntern Füssen
Ihr hangend halb zerstörtes Nest
Zum drittenmal am Fenster fest.
Da trat ein junges Fräulein her,

50
Das sah am Fenster ungefähr

Die Spinne hangen und schrie laut:
»Ach! Herr Baron, mir graut, mir graut!«
Und wies mit Schrecken auf die Spinne.
Kaum ward der Herr Baron sie inne,

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So zog er wie ein Held den Degen,

Fing an im Netz herum zu fegen,
So dass mit Not die Spinn’ entkam
Und aus dem Saal den Abschied nahm.

     Dem Podagra ging’s auch fast so,

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Es ward der Herberg’ wenig froh.

Nachdem es lang genug gesessen,
Sprach es: »Ich möcht’ ein wenig essen!«
Der Bauer brachte trocken Brot,
Zum Trunk dazu kalt Wasser bot;

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Dies waren nach so langen Reisen

Fürs Podagra sehr schlechte Speisen.
Es ass nicht viel, trank kaum dazu
Und sprach betrübt: »Bringt mich zur Ruh’.«
Da wies der Bauer ihm zum Bette

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Gar eine harte Lagerstätte,

Worauf ein wenig Stroh nur lag.
Hier wälzte es sich, bis der Tag

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Im Osten an zu grauen fing,
Und seufzend es von dannen ging.

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     Es traf die Spinne wieder an,

Die auch kein Auge zugethan,
Und alle beide klagten sich,
Wie elend und wie jämmerlich
Sie beiderseits die vor’ge Nacht

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In Furcht und Sorgen zugebracht.

Ich seh’ wohl, wo der Knoten sitzt,
Sprach drauf das Podagra. Dir nützt
Zum Aufenthalte kein Palast;
So wie ich niemals Ruh’ und Rast

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Bei schlechten Bauern finden kann.

Drum geh du zu dem armen Mann,
Und ich will deine Junker seh’n,
So soll das Ding wohl besser geh’n.

     Dies waren beide wohl zufrieden,

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Und beide gingen nun verschieden

Den Weg, so wie der Abend kam.
Das Podagra, voll Hoffnung, nahm
Zum Schloss des Junkers seinen Gang;
Und mit welch freudigem Empfang

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Ward es von ihm nicht aufgenommen!

Kaum sah er es gehinket kommen,
So nahm er’s höflich bei der Hand,
Führt’s in sein Zimmer; drinnen stand
Ein Sofa mit viel weichen Kissen,

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Davon legt er ihm drei zu Füssen

Und sprach: »Ihr Gnaden fordern dreist,
Was Ihrem Gaum’ willkommen heisst.«
Drauf rief er seine Diener her;
Da ward der Tisch nicht einmal leer

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Von Thee und Kaffee und Orsade,

Von Schokolad’ und Limonade.
Alsdann ward von der Schüsseln Menge
Die grosse Tafel fast zu enge;
Denn alles, was die Schmausewelt

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Für echte Leckerbissen hält,

War so im Ueberflusse da,
Als wär’ es in Hammonia.

     Die Weine, ja wer kann die zählen?
Gewiss! hier durfte keiner fehlen,

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Vom Franzwein bis zum Vin de Cap;

Sodass das Podagra sogar
Satt bis zum höchsten Ekel war. –
Die Spinne trat zum armen Mann
Indes auch ihre Wallfahrt an.

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Sie fand bei ihm ein freies Leben,

Fing an zu haspeln zu weben
Nach Herzenslust mit Füssen, Händen
An Thüren Fenstern, Balken, Wänden,
Und machte sich manch schönes Netz

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Nach ihres Eigensinns Gesetz:

Rund, mit viel Strahlen, krumm und schief,
Gleich, ungleich, seltsam, flach und tief.
So herrschte sie im ganzen Haus,
Und niemand stört’ und trieb sie aus.

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     Als drauf die beiden Wanderer

Nach kurzer Zeit von ungefahr
Sich wiedersah’n, da rühmten beide,
Mit welcher wahren Lust und Freude
Ihr Leben nun versüsset sei.

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Jedwedes blieb der Herberg’ treu;

Vergnügen war auf beiden Seiten,
Und so wohnt noch zu unsern Zeiten
Die Spinne bei dem Armen gern,
Das Podagra bei grossen Herr’n.


Fr. Wilh. Zachariä.
(1736–1777.)