Die Staßfurter Salzlager

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Autor: Karl Birnbaum
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Titel: Die Staßfurter Salzlager
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, 46, S. 711–713, 730–732
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Staßfurter Salzlager.

Von Professor Dr. K. Birnbaum.

Von Amerika weiß Jedermann, daß dort in wenigen Jahren aus den Ansiedelungen Weniger große Städte und wichtige Handelsplätze werden können; auch in Deutschland haben wir in unserem Jahrzehnt ein ehemals unbedeutendes Städtchen in Folge glücklicher bergmännischer Forschungen zu einer Industriestadt hohen Ranges heranwachsen sehen, zu einem Platze, welcher schon jetzt eine besondere Eisenbahnanlage nöthig machte, seine Exportartikel nach Millionen von Centnern zählt, Tausenden lohnende Beschäftigung giebt und dazu berufen zu sein scheint, einen sehr wichtigen Handelsartikel, das Kali, bisher größtentheils in den Händen der Engländer, Deutschland fast ausschließlich zuzuwenden.

Und neben diesem für die Technik wie für die Landwirthschaft so wichtigen Artikel sind es die unermeßlichen Steinsalzlager, welche alljährlich die Touristen zu Tausenden nach Staßfurt ziehen und, um der interessanten geologischen Bildungen willen, die Aufmerksamkeit der Gelehrten in hohem Grade in Anspruch nehmen, Lager, nach welchen man ursprünglich allein suchte und über welchen man die anfangs gar nicht beachteten Kalisalze entdeckte, ein glücklicher Fund von nicht minderem Werthe, wie die reichen Goldlager m Californien oder anderwärts.

Zu Pfingsten mache ich mit den Lehrern und Studirenden meiner landwirtschaftlichen Lehranstalt jedesmal eine größere wissenschaftliche Excursion; die diesjährige führte uns nach Magdeburg, Hundisburg, den Glanzpunkt der deutschen Viehzucht, nach Staßfurt, Quedlinburg und in den Harz.

An demselben Tage, welchen wir der Besichtigung von Staßfurt gewidmet hatten, waren wir früh am Morgen noch über dreihundert Fuß über der Erde auf der Thurmgalerie des in seiner Einfachheit so erhabenen Magdeburger Doms, Nachmittags über tausend Fuß unter der Erde in den prachtvoll ausgehauenen, großartigen Schachten der Preußischen Werke in Staßfurt. Von der Thurmgalerie in Magdeburg konnten wir unsere Reiseroute bis dorthin vollständig überblicken, eine an sich etwas einförmige Ebene, aber durchschnitten nach rechts und links von Schienenwegen, auf welchen im unnuterbrochenen Verkehr die gewaltigen Frachtzüge nach allen Himmelsgegenden dampfen, besäet mit stattlichen Oekonomiehöfen und großartigen Fabrikanlagen, überragt und umrahmt von einer Fülle rauchender Feueressen, den Denksteinen der modernen Industrie, die in Staßfurt selbst wie die Mastbäume im Hafen einer belebten Seestadt dicht gedrängt zusammenstehen. Ist doch die ganze Umgegend von Magdeburg als ein Glanzpunkt der deutschen Hochcultur ausgezeichnet und berühmt als Mittelpunkt der Rübenzuckerindustrie, der Cichorienfabrikation, wahrer Spiritusfabriken und anderer die intensivste Landwirthschaft kennzeichnender Anlagen, fast trostlos einförmig für Denjenigen, welcher nur an landschaftlichen Schönheiten Interesse findet, aber von höchstem Werthe für Jeden, welchen die Culturentwickelung seines Volkes interessirt.

Die Thurmgalerie eignet sich zugleich ganz vortrefflich dazu, die Bildungsgeschichte der so bedeutungsvollen Salzlager sich zu vergegenwärtigen. Man überblickt einen großen Theil der fruchtbaren, zwischen Thüringerwald und Harz liegenden Hochebene, welche die Geologen als zum großen norddeutschen Beckengebiet gehörend bezeichnen und dessen hier in Betracht kommenden Theil, den südlichen, in das Thüringer und das Magdeburg-Halberstädter Becken gliedern.

Man kann sich geistig jene Zeit vergegenwärtigen, in welcher das Ganze, mit oder ohne Zusammenhang mit dem das äußere Randgebirge, bunten Sandstein, umbrandenden Ocean, noch ein großartiger See oder Morast war; man kann sich denken, wie das Becken periodisch zu Zeiten gewaltiger Regen- oder Sturmfluthen mit Wasser sich füllte, wie dieses dann allmählich verdunstete und die vorher im Wasser gelöst gewesenen Salze sich zu Boden schlugen, Schichte auf Schichte bildend, deren letzte von einer verhärtenden Kruste schwerer löslichen Gypses (Anhydrit, wenn wasserfrei, genannt) bedeckt wurde und so eine Jahresbildung begrenzte. Man kann sich vergegenwärtigen, wie nach und nach Jahresschichte auf Jahresschichte zu Boden sank, oft in welligen Linien, bis schließlich die Salzquellen versiechten und mir noch eine Art Mutterlauge über dein Ganzen stand, welche dann ebenfalls ähnlichem Processe unterlag und Schichten unreineren Kochsalzes bildete, durchsetzt mit Salzen anderer Art. Man sieht dann im weiteren Verlaufe der Jahrhunderte das Ganze mit Thon, Sand, Mergel und Letten überdeckt werden, Schichten von Sandsteinen, Gyps und Kalksteinen sich bilden, und hört das Rauschen der verheerenden Fluthen in der Eiszeit, in welcher von Norden ganze Eisberge an die deutschen Gebirgsstöcke geführt wurden; man verfolgt den Gang dieser Fluthen, sieht, wie sie an den Gebirgen sich brechen, diese zerbröckeln und die Zeugen ihrer gräßlichen Wirkungen, große und kleine Felsblöcke aus den Gebirgen Scandinaviens, da und dort hinterlassen. Bis zur Höhe von über zweitausend Fuß findet man bei uns diese Fremdlinge, „erratische Blöcke“, von oft beträchtlicher Größe, meist aus Granit, Gneiß, Syenit bestehend; in Staßfurt selbst liegen sie in großer Menge und von bedeutendem Umfange. Wir sehen dann die Sonne wieder durch das düstere Gewölk scheinen, zunächst eine Stätte gräßlicher Verheerungen bescheinen, aber auch bald wieder neues Leben erwecken; ganze Thäler sind ausgefüllt mit Schlamm, Geröll, Erde und Sand, Berge verschwunden oder doch mächtig verändert; was früher zu Tage lag, ist begraben, oft tief unten, und unser ehemaliger Salzsee ist bedeckt mit wechselnden Schichten von verschiedener Mächtigkeit. Jahrhunderte lang lagen die Schätze begraben, bis der Mensch sie wieder zu Tage förderte, indem er seine Bohrlöcher oder Schachte in die Tiefe trieb.

In Staßfurt hatten wir uns angemeldet und trafen durch die Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit der Herren Alles vorbereitet. Freilich konnten wir nur einige der größeren Fabriken besehen, die der Herren Douglas und Vorster und Grüneberg.

Die Herren hatten uns in kleinere Abtheilungen getrennt und machten selber die kundigen und unermüdlichen Führer durch ihre Etablissements, bis wir uns auf der anhaltischen Saline wieder zusammenfanden, um dort zunächst die prachtvolle Sammlung der Staßfurter Vorkommnisse zu bewundern, eine sehr zweckmäßige, das Studium der Werke sehr erleichternde Anordnung.

Herr Douglas selbst besitzt ein zierlichst gearbeitetes Modell seiner großartigen Fabrikanlagen, aus dem reinsten krystallklaren Steinsalz gefertigt, ein Feenpalast im[WS 1] Kleinen, welcher zeigt, in welcher Reinheit das Salz hier gefunden wird. Der eigentliche Salzstock besteht jedoch aus mattem, minder reinem Steinsalz; nur jenes völlig glashelle wird zu Tafelsalz verarbeitet. Die über dem Steinsalz sich findenden, für die Industrie so wichtigen Salze sind zum Theil an der Luft in hohem Grade zerfließlich; um Cabinetstücke aufbewahren zu können, müssen sie luftdicht verschlossen werden. Herr Bergmeister Schöne, hochverdient um die [712] Werke, bewahrt seine gesammelten Prachtstücke in großen umgestülpten Glasglocken, deren Deckel angeschliffen werden und so hermetisch schließen. Er selbst erläuterte uns bereitwillig seine Sammlungen, der Hauptsache nach aus den nachbenannten Mineralien bestehend. Das prachtvolle, völlig durchsichtige Salzkrystalle in beträchtlicher Größe die Sammlung schmücken, versteht sich von selbst; Stücke in blauen und rothen Farben als Seltenheiten finden sich in allen Schattirungen.

Die prachtvollsten Stücke bildet der Carnallit (dem Bergdirector Carnall zu Ehren) aus der oberen Region der Lager; rein, wasserklar, findet er sich noch in milchweißen Varietäten (sehr selten) und schön roth gefärbt durch Schüppchen von Eisenrahm oder Eisenglimmer; ein wahres Prachtstück im viereckigen Glaskasten zeigt in der Mitte die schön rothen Farben und die weißen nach außen oder auch als Adern im rothen Material, so daß das Ganze wie ein aufgeschnittener, schön marmorirter und gut durchräucherter Schinken sich präsentirt; das Mineral besteht aus Chlorkalium, Chlormagnesium und Wasser.

Kieserit (zu Ehren des Geheimen Hofraths Kieser), weißlichgrau und bald an der Luft sich trübend, bildet den Hauptbestand der zweiten Abtheilung; er besteht aus schwefelsaurer Magnesia und Wasser. Polyhalit (aus dem Griechischen: viel und Salz), hellgrau, matt, findet sich in der unteren Abtheilung schon im Steinsalz in ähnlichen Schnüren, wie die Jahresringe aus Anhydrit und besteht aus schwefelsaurem Kalk (Gyps), schwefelsaurer Bittererde, schwefelsaurem Kali und Wasser. Zwischen diesen, mehr als Einschließungen, finden sich: Sylvin (dem alten Sylvius zu Ehren), bestehend aus reinem Chlorkalium, weiß, selten röthlich, noch seltener blau (neuerdings wird auch in Kalucz in Oesterreich reiner Sylvin gefördert); dann matt gelblicher Boracit, sehr werthvoll, bestehend aus borsaurer Magnesia und Chlormagnesium in von anderen Fundorten etwas abweichender Zusammensetzung, daher auch als Staßfurtit unterschieden, wird zu Borax verarbeitet und findet sich in faustgroßen Stücken, im Salz eingefügt; Tachhydrit (griechisch: aus schnell und Wasser), das zerfließlichste Mineral, bestehend aus Chlorcalcium, Chlormagnesium und Wasser, goldgelb von Farbe, und endlich der für die Landwirthschaft so wichtige Kainit, 1865 in Anhalt vom dortigen Bergmeister gefunden, bestehend aus schwefelsaurem Kali, schwefelsaurer Magnesia, Chlormagnesium und Wasser; neuerdings wird er auch im preußischen Schachte und zwar in gelblichen Krystallen gefunden. Der Kainit wurde zuerst der Fabrik des Herrn Douglas überlassen, und hat jetzt, zu Dünger verarbeitet, als sogenanntes Doppelsalz oder schwefelsaure Kali-Magnesia die weiteste Verbreitung gefunden. Für die Industrie ist das Chlorkalium der wichtigste Artikel; aus demselben werden auch die sogenannten concentrirten Salze für die Düngung präparirt; eine andere Art Dünger sind die schwefelsauren Kalisalze; die rohe schwefelsaure Kali-Magnesia und die rohen Abraumsalze kommen als solche ebenfalls zur Düngung in den Handel. Im Jahre 1867 wurden in Anhalt 1,600,000 Centner Rohkalisalze und 160,000 Centner Kainit gefördert, während die Steinsalzförderung auf den Bedarf im Lande, 26,000 Centner, beschränkt bleibt.

Nach der Besichtigung der schönen Sammlung, die ein vollständiges Bild der Zusammensetzung der so wichtigen Lager giebt, führte der Herr Bergmeister selbst uns in die Mahlmühlen, in welchen die rohen Salzstücke zu feinem Pulver gemahlen werden; aus dem Steinsalz wird mit Zusatz von Ocker Viehsalz gemacht, letzteres auch zu Lecksteinen geformt. Die Einfahrt in den Schacht wird als nicht ganz gefahrlos geschildert, weshalb Fremde besser im preußischen Schachte in die Tiefe fahren. Auch hier trafen wir Alles schon bestens vorbereitet und wurden von den Herren Bergbeamten sofort an die Garderobe gewiesen, wo bergmännische Kleidung für Herren und Damen in Bereitschaft ist. Die Einfahrt ist nämlich hier so gefahrlos, daß sie auch von Damen gewagt werden kann. Da jedesmal nur drei von uns mit einem Bergmann einfahren sollten, so brauchten wir geraume Zeit, während welcher Jeder Gelegenheit hatte, sich mit den Einrichtungen des Fahrschachtes und den zur Beförderung der Personen und Lasten erforderlichen Maschinen bekannt zu machen.

Auch hier wurde uns jede Auskunft und Unterweisung mit größter Zuvorkommenheit gegeben. Der Schacht mündet in einer großen hohen Halle und ist an der Ausmündung mit einem Verschlag umgeben; an diesem hält ein Steiger Wache und läßt durch besondere Thüren ein und aus. Die Fahrkörbe sind viereckig, mit hoher, geschlossener Brüstung umgeben und mit starkem Schutzdach versehen, so daß kein Unfall geschehen kann. Der Schacht selbst ist 600 Fuß tief von oben ausgezimmert. Die beiden Fahrkörbe, der auf- und der absteigende, werden durch eine zwölfpferdige Dampfmaschine mittelst starker geflochtener Drahtseile in der Art auf- und niedergewunden, daß diese auf zwei großen Radtrommeln sich auf- und abrollen. Der Fahrkorb selbst ist jedoch nicht direct mit dem Seile verbunden, sondern an einem Federsystem, ähnlich dem an Eisenbahnwaggons üblichen, aufgehängt. Die durch die Last des Fahrkorbes zusammengedrückte Feder schnellt beim etwaigen Reißen des Seiles entlastet auseinander und bewirkt dann durch einen Hebel die Umdrehung zweier Wellen mit gezahnten Scheiben. Die Zähne greifen mit Gewalt in die hölzernen Führungsbalken des Fahrstuhls ein und halten somit dessen fallende Bewegung auf; der Stuhl hängt dann in der Schwebe still, bis er aus seiner Lage befreit wird.

Aehnlich ist die Einrichtung in dem Förderungsschacht, nur mit dem Unterschiede, daß dort je zwei Körbe untereinander angebracht sind; zusammen fassen sie an 25 Centner Last. Die Fördermaschine hat hundertunddreißig Pferdekraft, ihre Seiltrommel siebenzehn Fuß Durchmesser. Das Einsteigen in den Fahrstuhl geschieht nach erhaltenem Signal von unten. Ein verkleinerter Apparat, welcher sich an einer an der Wand angebrachten Scala, auf welcher die zurückzulegenden Entfernungen mit den Mündungen der Querschläge und dergleichen genau verzeichnet sind, bewegt, zeigt dem Maschinisten eben so genau an, wo die abwärts- und aufwärtsgehenden Fahrstühle in jedem Augenblicke sich befinden, und legt es somit in seine Hand, bei der gewünschten Haltstelle ohne Stoß anhalten zu lassen. Die Fahrt abwärts geht ohne merkliche Erschütterung; das trübe Licht der mitgenommenen Lampe, wirft eilig gleitende Schatten auf die Wandungen, welche in etwa Handbreite von dem Fahrkörbe abstehen. Man fährt, freilich ohne viel davon zu sehen, 27 Fuß durch Schwemmland und Diluvialkies, dann 576 Fuß durch rothe Schieferletten mit Bänken von feinkörnigem Sandstein, Roggenstein und festem grauem Kalkstein, dann mit Aufhören der Verschalung 192 Fuß tief durch hellen strahligen, festen Gyps und Anhydrit und durch derben Gyps mit Mergel, dann 21 Fuß durch Salzthon (dunkelgrauen bituminösen Mergel mit Anhydrit und Steinsalz); dann folgt die Carnallit-Region, 135 Fuß mächtig, dieser die Kieserit-Region, 180 Fuß, dieser die Polyhalit-Region, 200 Fuß, und endlich die Anhydrit-Region, 685 Fuß mächtig; in den beiden letzteren ist das krystallinische Steinsalz mit den schon erwähnten Jahresringen. Rechnet man aus Allen das Vorkommniß im Einzelnen, so besteht das Ganze aus 989 Fuß Steinsalz, 36 Fuß Anhydrit, 18 Fuß Polyhalit, 51 Fuß Kieserit, 98 Fuß Carnallit und 13 Fuß Chlormagnesiumhydrat, und daraus ergiebt sich, daß das damalige Salzwasser eine vom heutigen Meerwasser etwas abweichende Zusammensetzung hatte.

Das Aufstoßen im Schachte unten geschieht in sehr sanfter Weise, wie denn überhaupt wohl nicht leicht eine Fahrt in die Tiefe mit so großer Annehmlichkeit und Sicherheit, wie dort in Staßfurt, gemacht werden kann. Gleiches gilt von der Besichtigung des Werkes selbst. Die ausgehauenen Gänge, „Strecken“, sind in ihrer Sohle vollkommen trocken, 27 Fuß hoch und 75 Fuß weit angelegt, so daß man mit großen Lastwagen in ihnen fahren könnte und nirgends durch die Arbeiter oder die hier überall angelegten Schienenstränge, resp. die auf denselben beförderten kleinen Frachtwagen, in der Besichtigung gestört wird. Große Gesellschaften können sich mit vollster Bequemlichkeit unten bewegen. Anfangs hatte man in den Strecken größere Pfeiler stehen lassen, das Steinsalz ist aber so fest, daß man einen Einsturz nicht zu befürchten hat. Nicht minder gut ist für die Lüftung durch besondere Ventilationsvorrichtungen gesorgt; die unten allmählich sich verschlechternde Luft wird durch den Fahrschacht nach oben, die frische Luft durch den Förderschacht in die Abbaustrecken und von da wieder durch besondere senkrechte Schlote in einen dazu angelegten wagrechten Gang, die Wettersohle, geleitet, von wo sie in den Fahrschacht zieht.

Brennbare Gase erzeugen sich nur selten und brennen ohne Explosion ruhig an den Wandungen weiter; man löscht sie mit alten Lumpen; Gefahr wäre nur dann vorhanden, wenn das an den Wänden ruhig brennende Gas vor gegebenem Warnungsruf eine Sprengstelle erreichte und das Pulver hier entzündete. Es [713] wird jedoch immer so rechtzeitig bemerkt, daß Zeit genug gegeben ist, sich auf den Ruf: „Hä brennt!“ oder auch nur „brennt, brennt!“ von der Sprengstelle in die erforderliche Sicherheitsentfernung zurückziehen zu können, nicht minder umsichtig sind die Pumpvorrichtungen zur Hinaufschaffung des Wassers angelegt; nur in den oberen Schichten quillt viel Wasser aus dem Gestein; besondere Querschläge zwischen Fahr- und Förderschacht sind zum Auffangen und Ansammeln bestimmt und in ihnen Wasserbehälter ausgehauen worden; durch Pumpen wird das Wasser von Etage zu Etage gehoben und während der Nacht mittelst einer zweihundert-pferdekräftigen Dampfmaschine zu Tage gefördert. Die unteren Strecken sind völlig wasserfrei; man hat Haupt und Parallelstrecken, Querschläge u. dgl. m.

Bis unsere Gesellschaft vollständig eingefahren war, hatten wir hinlänglich Zeit, auch unten uns über alle Einrichtungen orientiren zu können; die Einfahrt dauert drei bis fünf Minuten; es verging fast eine Stunde, bis wir Alle unten waren und die Wanderung antreten konnten. Der Eintritt in die großartigen Hallen ist überraschend durch ihre Höhe und Weite; das Salz erscheint in mattem Glanze, deutlich unterscheidet man aber die schwärzlichen dünnen Linien von Anhydrit, die Jahresringe, wie sie in welligen Biegungen die Steinsalzschichten trennen; ab und zu leuchtet ein gelblichweißer Knollen aus dem Gestein, Boracit.

Bei feierlichen Gelegenheiten werden die Strecken mit Lampen illuminirt, zu welchem Zwecke in das Salz Holzpflöcke in passenden Entfernungen eingetrieben sind; wir hatten Magnesiumdraht mitgenommen, welcher ein blendendes Licht beim Anzünden entwickelt und mehr als Tageshelle verbreitet. Zu einer so gewonnenen Beleuchtung ist der Anblick einzelner Partieen wahrhaft feenhaft, besonders im Kalisalzlager, in einer zu einer Art Grotte erweiterten Strecke, wo die prachtvollen Kalisalze am schönsten sich zeigen und gegen das mattere Steinsalz um so mehr hervorleuchten; hier in ebenfalls wellig sich biegenden Streifen, mit hell- und rosenroth glänzenden Farben, Carnallit, dort in weißen Streifen, Kieserit, dazwischen graue, Polyhalit, goldgelbe, Tachhydrit, zierliche schwarze Anhydritschnüre mitten durch, und unten und oben das mattere Steinsalz in dunklerer Färbung. Schöner noch sollen solche Partieen im anhaltischen Schachte sein, wo prachtvolle Stalaktiten von Carnallit, schöne Sylvinkrystalle, blaues Sylvin, blaues und rothes Steinsalz als weitere Zierden die Wandungen schmücken.

Im Steinsalz selbst kommen Farbenwechsel selten vor; man begeht aber mit dem Gefühl größter Sicherheit mit nicht minderer Bewunderung diese großartigen Anlagen, die vor uns durch unsere Lämpchen matt erleuchtet, dann etwas weiter in tiefes Dunkel gehüllt sind und im Hintergründe die kräftigen Gestalten der Arbeiter, beleuchtet von schwachem Lichte, zeigen. „Vorsicht!“ oder „Vorsehen!“ tönt ein Ruf; ein Salzkarren taucht auf, mit Licht versehen, und wird im raschen Laufe vorübergeschoben, wieder und wieder einer begegnet uns, um rasch dem Förderschachte zuzueilen; hier arbeitet eine Cameradschaft an einem Haufwerke losgesprengter Trümmer aus großen, centnerschweren Stücken bis zu faustgroßen hinunter; ein Arbeiter tritt vor und bietet in flachem Korbe die prachtvollen, wasserhellen Salzkrystalle in schönster Reinheit. Im Weitergehen durch plötzlich aufleuchtendes Magnesiumlicht blendendste Helle, den Bergleuten selbst ein ungewohnter Anblick, dann wieder um so empfindlichere Finsterniß vor und hinter uns. „Brennt, brennt!“ und rasch ziehen wir uns mit den davoneilenden Arbeitern zurück.

Einige Minuten erwartungsvoller Pause, dann kracht ein Schuß, noch einer und noch einer und wiederhallt in rollendem Donner an der majestätischen Wölbung; anderwärts hört man nur ein Knistern im Salze, die Wirkung eines weiter entfernt abgefeuerten Schusses. Der Dampf verzieht sich allmählich und wir gehen zur Stelle über die mächtigen losgesprengten Trümmerhaufen weiter und weiter vom Steinsalz in die Kalisalze bis zur oben beschriebenen herrlichen Grotte, dann wieder zurück bis an den Förderschacht, an welchen von vier Seiten die Strecken einmünden und das regste Leben mit den ab. und zukommenden Wagen, dem Einladen in die Fahrkörbe und den vielen hier beschäftigten Arbeitern herrscht, dann weiter zum Fahrschacht, welcher uns an die Oberfläche bringen soll. Hier ist eine Luftpumpe angebracht, durch deren Schwengel, wenn Alles zur Auffahrt fertig ist, die Luft in ein Bleirohr gepreßt wird und oben im Maschinenraume eine Trompete zum Tönen bringt; diese dient dein Maschinisten als Signal.

Die Auffahrt geschieht eben so leicht und sicher wie die Einfahrt. Nach so langer Wanderung in der Tiefe in einer denn doch immer mehr drückenden Luft bei achtzehn bis neunzehn Grad Wärme sehnt man sich, wieder in frischere Atmosphäre zu kommen und der salzgetränkten Kleider sich zu entledigen. In den Steinsalzstrecken ist die Luft reiner, in den Kalisalzorten dagegen mit ätzendem Staube gefüllt, so daß die Arbeiter hier durch Brillen gegen Entzündungen sich schützen müssen, besonders die, welche mit dem Zerkleinern der losgesprengten Stücke zu thun haben.

Oben angekommen, macht man zuerst wieder Toilette, um dann die oberen Werke noch in Augenschein zu nehmen. Mit doppeltem Interesse sieht man jetzt die für die Förderungs- und Einfahrtkörbe thätigen Maschinen und vergegenwärtigt sich die verschiedenen Sicherheitsvorrichtungen. Unglücksfälle sind noch gar nicht vorgekommen, seit die neuen Federvorrichtungen angebracht sind, wohl aber haben sie sich schon bewähren können, indem durch Zerreißen des Seiles die Einfahrenden einst in der Mitte des Schachtes hängen blieben und auf ihre Erlösung aus der so bedenklichen Lage harren mußten. Bevor diese Sicherung angebracht war, ist, so viel wir hörten, nur einmal ein Fahrkorb mit seinen Insassen in die Tiefe gestürzt und natürlich gänzlich zertrümmert worden. Beim Sprengen kommen hier und da kleinere Unglücksfälle vor, und durch die salzigen Staubmassen sind Augenentzündungen langwieriger Art nicht selten. Mit doppelter Freude giebt man seinen Beitrag zur Krankencasse, da anderweitige Trinkgelder nicht genommen werden, und trotz aller Sicherheit und Gefahrlosigkeit begreift man doch das Sinnige des bergmännischen Grußes „Glück auf“, mit welchem Jeder kommt und geht.

In den oberen Werken sind neun Dampfmaschinen von zusammen vierhundertfünfzig Pferdekraft thätig; auf besonderem kleinem Schienenstrang mit Kette ohne Ende werden die zu Tage geförderten Salze auf kleineren Karren befördert, und durch sinnige Vorrichtung hängen sie sich am Bestimmungsorte von selbst wieder aus. Der größte Theil der Salze wird im rohen Zustande an die Fabriken geliefert und sofort von oben herunter aus langen Galerien in Eisenbahnwaggons geschüttet. Der Schienenstrang umkreist den alten Festungsthurm, auf welchem Otto mit dem Pfeile gefallen ist und welchen man deshalb durch eine der Bahn gegebene Curve erhalten hat. Die Schienen führen dann an der ebenfalls sehr alten Kirche vorbei, in deren Thurm eine silberne Glocke ist. – Auch in den preußischen Werken wird das Steinsalz auf besonderen Mühlen, mit einer den Kaffeemühlen ähnlichen Construction, zu feinem Pulver gemahlen und sofort schon im gleichen Raume aus dem schlechten Material das Viehsalz bereitet und in großen Mengen auch zu Lecksteinen geformt; man verbraucht dazu an hunderttausend Centner Steinsalz; acht Mühlen sind für dieses, neun für die Kalisalze im Gange. Die fertig gemachten Salze werden durch Maschinen auf die Bodenräume gehoben und dort in Säcke gefüllt.

Die preußischen Werke förderten im Jahre 1867 im Ganzen eine Million zweihundertfünfzigtausend Centner Steinsalz und eine Million fünfhunderttausend Centner Kalisalze; bis dahin hatte man durchschnittlich per Jahr neunhunderttausend Centner Steinsalz gefördert, eine an sich großartige, gegenüber den vorhandenen Vorräthen aber verschwindend kleine Production. [730] Von weit höherem Werthe sind aber die Kalisalze und zwar einmal an sich selbst, zum anderen aber dadurch, daß Staßfurt in diesen Mineralien fast keine Concurrenz zu bestehen hat. Außer dem Lager von Sylvin in Kalucz in Oesterreich kennt man bis jetzt derartige Lager nicht. Ihre Bedeutung haben sie durch das in ihnen vorkommende Kali erlangt, und ehe man zur Besichtigung der Fabrikanlagen schreitet, ist es gerathen, sich über die Rolle des Kali in der Industrie und Landwirthschaft zu vergewissern.

Vom Kali wird in der Industrie sehr mannigfache Anwendung gemacht; man braucht:

Chlorkalium zur Darstellung von Salpeter, zur Alaunfabrikation, zu Kältemischungen; Jodkalium und Bromkalium in der Photographie, Cyankalium zur Bereitung von Metallauflösungen, zur galvanischen Versilberung und Vergoldung u. s. w.; kohlensaures Kali (Pottasche) zur Seifensiederei, Bleicherei, Färberei, Glasfabrikation und zu allerlei wichtigen Kalipräparaten; schwefelsaures Kali zur Alaun- und Glasfabrikation, zur Darstellung von Pottasche; salpetersaures Kali (Kalisalpeter) zu Schieß- und Sprengpulver, zum Conserviren und Einpökeln von Fleisch; chlorsaures Kali zur Erzeugung von Sauerstoff, zu Zündmassen, zu gefärbten Feuerwerken; chromsaures und blausaures Kali in der Färberei, letzteres zu Berliner- und Pariserblau; kieselsaures Kali ist bekannt als Wasserglas, und Aetzkali wird zum Bleichen, Färben und in der Seifensiederei gebraucht. In den Apotheken und Laboratorien werden außerdem noch alle diese und andere Kalipräparate in Mengen verbraucht.

Für die einzelnen Staaten war seit Erfindung des Pulvers die ausgiebige Beschaffung der dazu erforderlichen Rohmaterialien (Schwefel, Kohle, Salpeter) eine wahre Lebensfrage, und mancher blutige Krieg ist um ihretwillen schon geführt worden. Um der Schwefelzufuhren aus Sicilien und Neapel willen hat England von jeher in seiner italienischen Politik die der „freien Hand“ geliebt. In Ceylon und Bengalen wird Kalisalpeter in Menge gefunden; die Zufuhren nach England betrugen von 1858 bis 1863 jährlich von dreiundzwanzig bis vierundvierzig Millionen Pfund, wovon nur fünf bis zehn Millionen Pfund wieder direct ausgeführt wurden, ein anderer Theil in zehn bis vierzehn Millionen Pfund fertigem Pulver. Natürlichen Kalisalpeter findet man in beachtenswerther Menge nur noch in Spanien und vereinzelt in Ungarn, Frankreich, Italien, Nordamerika, Afrika. Andere Staaten mußten daher den zum Schießpulver brauchbaren Salpeter einführen (Deutschland jährlich 157,000 Centner) oder künstlich erzeugen. Dazu legte man entweder sogenannte Salpeterplantagen an oder mußte die Hülfe der Chemie, die Fabrikation, in Anspruch nehmen, um aus anderen kalihaltigen Materialien durch Umwandlung Kalisalpeter zu gewinnen.

Ein Franzose, Joulin, giebt in einer sehr interessanten [731] Schrift „Les Soudes et les Potases de Stassfurt“ ausführliche statistische Angaben über Produktion und Consumtion der hier in Betracht kommenden Präparate. Er berechnet, daß die heutige Industrie achtzig Millionen Pfund Chlorkalium brauche und inskünftige hundertachtzig Millionen Pfund brauchen werde; bis jetzt habe sie nur acht Millionen Pfund geliefert, welche größtentheils zu Pulver verarbeitet worden seien; außerdem hätten der Industrie zu Gebote gestanden: etwa 65,2 Millionen Pfund Pottasche (aus Rußland 18, Amerika 13,5, Ungarn 10 und den europäischen Zuckerfabriken 23,3 Millionen Pfund) und ferner 40,4 Millionen Pfund Salpeter aus Indien und anderen Ländern.

Seit 1863 trat Staßfurt mit seiner Production auf den Weltmarkt; die ersten Fabriken waren die der Herren Dr. Frank und Vorster und Grüneberg, jetzt giebt es deren schon zwanzig, von welchen nach Joulin die größeren täglich zwölf bis sechszehntausend Pfund liefern. Noch steht die derartige Production in keinem Verhältniß zu der, welche Joulin in Aussicht stellt, und doch hat Staßfurt schon die bisherigen Marktverhältnisse völlig umgekehrt. 1863 zahlte man in England noch für hundert Zollpfund Kalisalpeter 45 Francs, jetzt nur noch die Hälfte; für den aus Chilisalpeter bereiteten muß man, wenn dieser 8 bis 81/2 Francs kostete, 26 bis 271/2 Francs zahlen. 1863 verkaufte man in Staßfurt den Centner Chlorkalium von 80% noch mit 23 bis 271/2 Francs und schon 1866 lieferte man ihn, inclusive aller Unkosten, mit 81/2 bis 9 Francs nach England und Frankreich.

Unter solchen Umständen muß dieser Industriezweig ganz in deutsche Hände kommen, und Joulin stellt daher Staßfurt die oben angegebene Jahresproduction in Aussicht; dazu müßten freilich die vorhandenen Fabrik- und Capitalanlagen mindestens um das Vierfache erhöht werden. Er meint, daß es bei der Bedeutung dieser Industrie an dem Gelde nicht fehlen werde, und wir wollen hoffen, daß er hierin Recht behält.

Die für die Industrie in Aussicht genommene Production entspricht etwa der von 70 Millionen Pfund reinem Kali; die österreichische Bergwerksverwaltung in Kalucz hat contractlich die Lieferung von jährlich 200,000 Centner reinem Sylvin (Chlorkalium) zum Preise von 12 Kreuzer ö. W. übernommen; das entspricht 10,5 Millionen Pfund Kali. Im Jahre 1867 hatten die beiden Werke in Staßfurt schon über 300 Millionen Pfund Rohkalisalze geliefert, welche etwa 60 Millionen Pfund Chlorkalium entsprechen würden.

Es ist aber auch die Landwirtschaft in hohem Grade an den dortigen Vorkommnissen interessirt und mit der Zeit dürfte die Fabrikation von Kalidünger die der Kalipräparate für die Industrie weit überflügeln, Staßfurt also noch eine ganz andere Zukunft, als die von Joulin in Aussicht genommene, bevorstehen.

Seit J. Liebig die Ernährungsgesetze der Pflanzen außer Frage gestellt und bewiesen hatte, daß die bei dem Verbrennen einer Pflanze, des Holzes im Ofen z. B., zurückbleibende Asche dem Boden entstammt (daher der Name Aschenbestandtheile gleichbedeutend mit Bodenbestandtheilen oder mineralischen Nährstoffen ist), und ferner bewiesen hat, daß keine Pflanze ohne die sämmtlichen in dieser Asche enthaltenen Verbindungen zu wachsen vermag, seitdem hat bekanntlich das bisherige Düngungsverfahren der Landwirthe eine vollständige Reform erfahren, wenn schon nach wie vor der Stalldünger in Ehren bleibt.

In jeder Ernte entzieht der Landwirth seinem Boden einen Theil seines Bestandes, eine gewisse Quantität von Bodenbestandtheilen; giebt er dieselben seinem Felde nicht wieder oder nicht vollständig wieder zurück, so ist das Feld nicht mehr im Stande eine ähnliche Ernte wie bisher zu geben, wenn nicht der Vorrath an Mineralstoffen im Boden ein ungewöhnlich großer ist. Wird alljährlich immer mehr genommen, als gegeben, so muß einmal der Zeitpunkt kommen, wo der ursprünglich große Vorrath erschöpft ist und der Boden die Ernte versagt.

Die Bodenarten sind in ihrem Bestände sehr ungleich; es giebt solche, welche wir gegenwärtig noch geradezu unerschöpflich nennen können; auf ihnen ist also willkürliche Bewirthschaftung, bloßes Nehmen ohne Geben gestattet; es giebt aber sehr viel anderen Boden, auf welchem entweder von Haus aus nicht in Fülle das Erforderliche gegeben war, oder durch bisherige aus Unkenntniß befolgte Raubwirthschaft der ehemals vorhandene Ueberfluß ganz oder theilweise erschöpft ist.

Der in den Ställen erzeugte Dünger giebt dem Felde allerdings einen sehr großen Theil der in den Ernten entzogenen Bestandtheile wieder, aber nicht alle und manche nicht in genügender Menge. Jeder Landwirth spricht von „Kleemüdigkeit“, „Erbsenmüdigkeit“, Rübenmüdigkeit“ vieler Felder, weil sie Klee, Erbsen und Rüben nicht mehr in gewünschtem Grade hervorbringen, und er kennt jetzt die Ursache davon; sie besteht einfach darin, daß auf solchem Boden ein Theil der für die Pflanze wichtigen Mineralstoffe oder Bodenbestandtheile nicht mehr in genügender Menge vorhanden ist.

Seitdem man das weiß, hat man die Düngerfabrikate in den Handel gebracht; der Eine braucht für seine Verhältnisse vorzugsweise Kalk, der Andere Gyps, ein Dritter Phosphorsäure, ein Vierter Kali oder Magnesia und ein Fünfter zwei oder drei dieser Stoffe, ein Sechster alle zur Ergänzung seines Stalldüngers, – wenn er entsprechende Ernten haben will. – Es ist das Verdienst der Zuckerfabrikanten, zuerst die Lehren Liebig’s, die Andere mißachten und bekämpfen zu können glaubten, befolgt und durch beträchtliche Opfer mittelst oft sehr kostspieliger Versuche die schätzbarsten Beiträge zur Feststellung wissenschaftlicher Grundsätze rationelleren landwirthschaftlichen Betriebs geliefert zu haben. Ihnen folgten Andere, und jetzt hat der Handel mit Düngemitteln schon solche Dimensionen angenommen, daß in England jährlich an 70 Millionen Thaler darin umgesetzt werden.

Die Fabrikanten für Kalisalze in Staßfurt hatten anfangs bei noch nicht gesichertem Absätze zu viel producirt, und es erfolgte ein beträchtlicher Rückschlag der Preise. Man suchte in besserer Verwerthung der Nebenproducte schwefelsaures Kali, Bittersalz, Pottasche etc. – bessere Chancen zu gewinnen und kam, auf Grund der oben erörterten Thatsachen und der daraus gefolgerten Lehren, auf den Gedanken, der Landwirthschaft das ihr noch immer fehlende Kali zu liefern, das heißt die vorhandenen Kalisalze zur Düngung zu verwenden. Das ist der Ursprung der Staßfurter Fabrikation, bei welcher die localen Verhältnisse in außerordentlich günstiger Weise zusammenwirkten, um schließlich das Richtige zu finden. Hier, wo die Zuckerfabrikation so vollendet betrieben wird, war die Verwendung des Kali zu Dünger an sich nahe genug gelegt, aber auch, was noch weit bedeutungsvoller wurde, die Umwandlung der Rohkalisalze in brauchbaren Dünger. Gerade die Zuckerrübe kann nicht in jeder Form die ihr nothwendige Nahrung gebrauchen, wenn sie das Maximum des Zuckers mit dem Minimum des Nichtzuckers geben soll; letzterer erschwert die Fabrikation, und deßhalb muß jede Nahrung (Dünger) für die Zuckerrübe sorgsamst ausgewählt sein; ebenso für den Wein, Tabak, Hopfen u. s. w., kurz überall, wo es dem Landwirthe mehr um Güte, als um Menge bei seiner Production gilt. Man verwendete anfangs die rohen Salze zum Düngen und erhielt wenig oder gar keinen Erfolg, oft sogar nachteilige Wirkungen, die man jetzt sich zu erklären weiß. Die Rohsalze sind reich an Kochsalz und Chlormagnesium; jenes ist im Uebermaß, dieses auch schon in kleinen Mengen der Pflanze und besonders den jungen Keimen schädlich, selbst oft tödtlich. Man hatte ferner die Salze wie anderen Handelsdünger auf den Feldern obenauf gestreut und erst allmählich gelernt, daß das Kali in den Boden gebracht werden muß, wenn es tief wurzelnden Pflanzen zu Gute kommen soll; diejenigen Gewächse, welche Kali in höherem Grade gebrauchen, sind aber meistens gerade die tiefer wurzelnden.

Es war die Aufgabe der Fabrikanten, sich nicht abschrecken zu lassen und die passendsten Formen, in welchen das Kali den Pflanzen zugeführt werden konnte, zu suchen. Sie haben diese Aufgabe gelöst, soweit es bis jetzt möglich ist. Sie haben es verstanden, die übergroße Zahl der Beimengungen von minderem oder gar negativem Werthe zu verringern und das Kali selbst in passendere, den Pflanzen zuträglichere Verbindungen umzuwandeln.

Die Fabrikanten liefern nicht einerlei Producte, weil die Landwirthe nicht jedes Fabrikat zu jedem Zwecke brauchen können. Die sogenannten concentrirten Salze haben nämlich viel, die schwefelsauren Salze wenig Beimengungen außer dem Kali, auf welches es ankommt, diese wie jene aber sind je nach Verhältnissen (Boden, Culturzustand, Pflanze) empfehlenswerth. Für jene ist vornehmlich Dr. Frank, für diese Cordell eingetreten; beide haben verschiedene Schriften darüber veröffentlicht. Einig ist man darüber, daß das schwefelsaure Kali als Nahrungsmittel der Pflanze eine geeignete Form ist und daß die schwefelsaure Kali-Magnesia, die auch krystallisirt dargestellt wird (bis jetzt nur von Douglas-Leopoldshall), den Gyps [732] in seiner Wirkung für Klee übertrifft. Ueber die chlorhaltigen Verbindungen sind die Ansichten noch sehr getheilt und nur darin herrscht Uebereinstimmung, daß sie für Wiesen, besonders auf feuchtem Boden, den Vorzug verdienen. Dr. Frank hofft sogar mit ihnen auf Moorboden die gleiche Wirkung erzielen zu können, welche der Landwirth jetzt mit dem jährlichen Brennen des Bodens erreicht, und somit die Ursache des lästigen Höhenrauchs ganz oder doch zum Theil zu beseitigen. Sicheres kann darüber jedoch nicht mitgetheilt werden. Die Düngung mit Kalisalzen erfordert noch große Vorsicht, ihre Resultate bis jetzt sind aber, wo man rationell verfahren ist, schon in solchem Grade lohnende, daß ihr die weiteste Verbreitung sicher ist.

Mit dieser uns jetzt möglichen Vervollkommnung unseres Düngeverfahrens haben wir in Deutschland schon eine Superiorität erlangt, um welche Andere uns beneiden. Französische Urtheile haben es laut anerkannt, daß die auf der letzten Pariser Ausstellung erwiesene Ueberlegenheit des deutschen Rübenzuckers auf der besseren Düngung der Rüben beruhe; sie haben constatirt, daß es in Frankreich schon mehrere Fabriken giebt, welche ihren Bedarf aus der Nähe nicht mehr zu decken vermögen; der Boden ist „rübenmüde“ geworden.

Schlößinger hat bewiesen, daß Tabak, mit Kali gedüngt, gut verbrennlich wird und nicht knöllert, während er beim Mangel von Kali kohlt und das Feuer nicht hält; schon gehen ganze Schiffsladungen von Kalisalzen aus Staßfurt nach Amerika, um den durch verkehrten Anbau erschöpften Tabaksfeldern aufzuhelfen, schon hat man mit Kalidünger in der Leincultur die Erträgnisse in Güte und Menge verbessert, auf Wiesen die Heuernten verdoppelt und den dem Landwirthe so unentbehrlichen Kleebau mit der Kali-Magnesia da wieder gesichert, wo er anfing sehr unsicher zu werden. Nicht minder haben sich diese Dünger bei Kartoffeln bewährt und nach den neuesten über Kalidüngungsversuche gemachten Mittheilungen haben die Staßfurter Präparate in der Gemüsecultur die überraschendsten Erfolge gebracht. Spargel, Gurken, Kohlrüben und alle diesen ähnliche Gemüse erlangten mit größerem Wohlgeschmack bedeutendere Erträgnisse; Erdbeeren sind mit richtiger Düngermischung in Nußgröße gezogen worden und haben an Arom zugenommen.

Freilich werden alle diese schönen Resultate nicht mit Kali allein erzielt, dieses aber darf dem Dünger nicht fehlen, die mit der Zugabe von Kalidünger erhaltenen Mehrerträge sind die besten Beweise dafür, daß die gewöhnliche Düngung, selbst mit Phosphat, noch nicht ausreichend ist.

Für die Weincultur muß der Kalidünger ebenfalls von hoher Wichtigkeit werden; die besten Weinberge sind auf Gebirgsarten angelegt, in welchen von Hause aus Kali reichlich vorhanden war. Indem man aber seit der Anlage der Weinberge in dem ausgeschnittenen Holze und den ausgejäteten Unkräutern das Kali in höherem Grade ausgeführt, als mit dem verwendeten Dünger wieder gegeben hat, haben die Berge ihre frühere Tragfähigkeit zum Theil verloren. Während man an einzelnen Orten Weinstöcke von hundert und mehr Jahren sehen kann und früher in den Weinbergen am Rhein eine Umtriebszeit von fünfzig bis sechszig Jahren mit nur etwa fünfjähriger Zwischennutzung hatte, ist man jetzt vielfach schon genöthigt, die Umtriebszeit auf dreißig bis vierzig Jahre zu verkürzen und zehnjährige Zwischennutzung einzuhalten.

Man darf hoffen, mit dem Kalidünger (und anderem) die früheren Verhältnisse, wiederkehren zu sehen, muß jedoch hier mit äußerster Vorsicht verfahren, wie überhaupt überall da, wo es gilt, Producte mit bestimmten Eigenschaften zu erzielen. Noch weiß man nicht, wie diese Dünger auf Bouquet, Fruchtholz und Zuckergehalt beim Weine wirken und in wie fern sie die Bildung derjenigen Verbindungen, welche der Weinbauer nicht wünscht, begünstigen oder nicht; noch nicht, wie man sie auf den trocknen Berghängen zur sicheren Wirksamkeit bringen kann und welche Art von Kalidünger dem Weine am zuträglichsten ist. Gleiches gilt für den Hopfen, welcher ebenfalls Kali in großer Menge braucht; hier düngt man gerne mit Compost und diese Art der Düngungsverwendung ist vorderhand Jedem, auch in der Gartencultur, zu empfehlen, wenn er Kali und anderen Beidünger geben will.

Es erübrigt nur noch, zu zeigen, in welchem Grade das Kali mit unseren Ernten dem Boden entzogen wird und um welche Mengen es sich also für die Landwirthschaft handelt, wenn voller Ersatz stattfinden soll.

In speciellen Berechnungen habe ich ermittelt, daß befriedigende Mittelernten von Getreide, verschiedener Art etwa fünfzehn Pfund, von Klee und ähnlichen Futterpflanzen dreißig bis vierzig Pfund, von Gras auf Wiesen fünfzig Pfund, von Runkeln, Kartoffeln und ähnlichen Gewächsen etwa siebenzig Pfund und von verschiedenen Handelspflanzen, wie Tabak, Lein, Raps und dergleichen, von dreißig bis sechszig Pfund Kali pro Morgen dem Boden entziehen. (Näheres in meinem „Lehrbuch der Landwirthschaft“ Band III.)

Nach jetziger Bewirthschaftungsweise werden darnach auf Europa’s Feldern, und Wiesen alle Jahre vierhundert Millionen Centner Kali mit den Ernten entnommen, und wollte man auch noch die Wälder mit in Betracht ziehen, so würde die Gesammtsumme auf mindestens fünfhundert Millionen sich berechnen.

Aus weiterer Berechnung ergab sich, daß es sich bei dem heutigen Stalldüngerbetrieb im Durchschnitt pro Morgen Feld und Wiese nur etwa um eine Zugabe von elf Pfund Kali, so viel als etwa in einem Centner rohen Salzes enthalten ist, handelt, so daß, sollten andere Kaliquellen uns nicht eröffnet werden, die europäische Landwirthschaft aus Staßfurt immerhin einen Jahresbedarf von hundert Millionen Centner Kali oder etwa tausend Millionen Centner rohes Abraumsalz erforderte.

Wie groß bis jetzt schon der Verbrauch zum Zwecke der Landwirthschaft ist, konnte leider nicht ermittelt werden; man hat nach Dr. Frank schon bis fünfzehn Centner pro Morgen bei Zuckerrüben mit bestem Erfolg gegeben.

Daß eine rationellere Düngung der Felder dringend nöthig ist, zeigen uns die in England und bei uns im großen Durchschnitt gewonnenen Erträge, bei uns die auf rationell geführten Wirthschaften gegen die im Ganzen erhaltenen Ernten.

Die Größe der in irgend einem Lande gewonnenen Ertrage hängt bis zu gewissem Grade von der Menge des verwendbaren Stalldüngers und der demselben zugegebenen Ersatzmittel ab; Boden und Klima tragen das Ihrige mit dazu bei, doch nicht in dem Grade, daß sie bei Vergleichung großer Länder sehr wesentliche Aenderungen an obigem Satze bewirken könnten. Die Menge des verwendbaren Stalldüngers hängt von der Größe der Viehstände ab. Vergleicht man diese aus den einzelnen Ländern mit einander, so ergiebt sich, daß auf jeden Morgen des landwirtschaftlich verwendeten Areals pro Jahr entfallen könnten: in England 4849 Pfund, in Frankreich 2088 Pfund, in Preußen 2256 Pfund, in Oesterreich 2776 Pfund Stalldünger; man erntete in England 9,3 Centner Getreide aller Art und 36 Centner Heu, in Frankreich 5,3 Centner Getreide und 18,6 Centner Heu, in Preußen 4,5 Centner Getreide und .15,5 Centner Heu, in Oesterreich 5,0 Centner Getreide und 14,6 Centner Heu, giebt aber in England außer dem Stalldünger pro Morgen noch etwa für 1 Thaler und in Frankreich für 1,2 Thaler Beidünger aller Art, während in Oesterreich, Preußen und Deutschland überhaupt, mit Ausnahme einzelner Länder (Sachsen, die Rheinprovinzen), die für Beidüngung verwendeten Geldbeträge kaum erst in Silbergroschen sich ausdrücken ließen.

Die angeführten Daten werden genügen, um zu zeigen, daß Staßfurt eine großartige Zukunft hat; in welchem Grade sie sich verwirklichen wird, mag ferneren Zeiten zu erörtern vorbehalten bleiben. Joulin berechnete die bis jetzt untersuchten Kalischichten auf 21,120,000 metrische Tonnen à 20 Centner und ihren Gehalt auf 5,491,000 Tonnen Chlorkalium à 80%, entsprechend. Mit Recht dürfen wir nach alle dem die Staßfurter Lager an Werth den Goldlagern Californiens mindestens gleich achten; sie haben nach Deutschland schon Millionen gebracht und uns in einem so wesentlichen Artikel vom Auslande unabhängig gemacht.

Die Düngung mit künstlichen Fabrikaten will so gut wie Anderes gelernt sein, und das hält bekanntlich bei unserem Landmann etwas schwer; sie wäre jedoch längst mehr im Gebrauch, wenn nicht so viele verkehrt angestellte Versuche so Viele davon abschreckten, und wenn nicht von Unberufenen so viel Verkehrtes darüber geschrieben worden wäre. Mögen die landwirtschaftlichen Vereine hierin überall so segensreich wirken, wie in Sachsen, so wird bald für ganz Deutschland Staßfurt zu den Stätten gehören, wohin die Menschen wallfahrten, weil von ihnen eine große Wohlthat für Millionen ausgegangen ist.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: in