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Die Tiere im Volksglauben

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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Die Tiere im Volksglauben
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aus: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 7. Bd., S. 88–91
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Die Tiere im Volksglauben.

Wir leben in den Tagen gewaltigen Fortschritts auf allen Gebieten. Der Mensch, selbst nur ein Sandkorn im Weltgetriebe, vermag mit seinem Verstande die Höhen und Tiefen des weiten Alls zu ermessen. Er vermag der Sterne Lauf zu bezeichnen und in das Innere der Erde zu dringen, um dem Werdegang der Natur zu lauschen. Er hat sich die Elemente dienstbar gemacht und längst erkannt, daß der Glaube unserer Vorväter an übernatürliche Wesen einfach auf der Personifizierung der verschiedenen Naturerscheinungen beruht. Dessenungeachtet aber erhielt sich bis zum heutigen Tage, halb unbewußt, im Volke ein Rest jenes alten Heidenglaubens, u. a. retteten sich verschiedene Reminiszenzen an die früher so bedeutsame Tierverehrung der alten Germanen in die Neuzeit hinüber.

Selbst in der Großstadt findet sich dieser Aberglaube, der an längst entschwundene Zeiten anklingt. Wieviel mehr ist er auf dem Lande und in den kleinen, noch wenig von der Industrie und dem Bahnverkehr berührten Städten zu finden.

Der Hund, in der Vorzeit schon der ständige Begleiter der Hirten und Jäger, steht noch heute in enger Gemeinschaft mit den Menschen. Einst war er der deutsch-heidnischen Göttin Syrona ergeben und versinnbildlichte somit gewissermaßen die Treue und Häuslichkeit. Bei der engen Gemeinschaft zu einer Göttin mußte ihm natürlich die Gabe des Geistersehens eigen sein, die ihm von der Landbevölkerung noch heute zugeschrieben wird. Er sollte, selbst durch Mauern und Zäune, die „leichenwählenden Walküren“ nahen sehen und durch sein Heulen den bald daherziehenden Trauerzug ankünden. Wenn nun auch die Dorfbewohner vielleicht wenig genug von Walküren wissen, so glauben sie doch heut noch fest daran, daß der Hund den Tod vorhersieht.

[89] Als bei der Einführung des Christentums alles Heidnische als schlecht dargestellt wurde und sich im Volksglauben die ehedem gütig gesinnten Götter zu Schreckgestalten wandelten, erschien der Teufel in Begleitung eines Hundes oder – als zottiger, großer Hund selbst, der besonders beim Schatzgraben eine bedeutende Rolle spielt.

Auch das Pferd galt seiner nahen Beziehung zu Wotan wegen, als „weissagend“. Weiße Pferde wurden in jenen altersgrauen Tagen zum Dienste verschiedener Gottheiten auserlesen, wie das Pferd des Triglaff u. a. m., und von Priestern im „heiligen Hain“ gepflegt. – Diese Pferde zogen den heiligen Wagen und deuteten durch ihr Wiehern die Zukunft. Wie vor Jahrtausenden gilt noch heute vielen Menschen das mutige Gewieher eines Pferdes als glückbringende Vorbedeutung. Wurden Pferde den Göttern geopfert, dann verzehrte die Gemeinde gemeinsam das Fleisch. Den christlichen Bekehrern wurde es sehr schwer, den Altvordern diese heidnische Sitte des Pferdefleischessens abzugewöhnen. Vielleicht datiert hiervon der spätere Widerwille der christlichen Deutschen gegen Pferdefleisch. Die Häupter der Pferde steckt man auf dazu bestimmte Stangen, hoffend, daß dies Segen brächte. Ein Rest jenes alten Brauches erhielt sich in den Pferdeköpfen aus Holz, die man noch jetzt, besonders in Westfalen und Hannover, als Giebelbekleidung kennt. Pferdehufe und Hufeisen werden noch heute, nicht nur vom Landvolk, als „glückbringend“ angesehen. Der Glaube des Volkes läßt auch heute noch die Pferde „Geister sehen“. Die bekannte kölnische Sage von der Richmondis deutet darauf hin. Das Pferd soll ebenfalls fühlen, wenn jemand im Hause stirbt, und dies durch Zeichen andeuten. Auch bei ihm findet sich die heidnische Doppeleigenschaft von gut und böse, da man häufig den Teufel mit einem Pferdehuf darstellt.

Auch die Katzen und Mäuse spielen im Volksaberglauben ihre Rolle. Da die Katze der Freya, der Göttin der Wolken, geheiligt war, so mußte sie notwendig in Beziehung zum Wetter stehen. Sie gilt noch heute als Wetterprophetin. Streckt sie im Schlaf die Nase in die Höhe, behauptet das Landvolk, daß Sturm [90] im Anzuge sei. Eine Braut, die für ihren Hochzeitstag gutes Wetter ersehnt, soll die Katzen besonders gut füttern. An die von den Vorfahren so hochgehaltene Gastfreundschaft klingt der Glaube an, daß das „Putzen“ der Katze Gäste ankünde. Die Waldenser sollen einst eine Katze göttlich verehrt haben. Deshalb wurden Glaubensabtrünnige „Kätzer“ genannt, das zu „Ketzer“ wurde.

Die Mäuse gelten im Volksmunde als Rächer von Vergehen; wie in der Sage des Bischofs Hatto von Mainz, der des Kornwuchers halber von den Mäusen verfolgt wurde. Das Erscheinen vieler Mäuse soll Krieg, Wandermäuse nahende Heereshaufen verkünden. Da der Volksgeist in der Vorzeit Übernatürliches nicht begriff, wurde in jenen fernen Tagen vielfach in Symbolen gesprochen und die Mäuse häufig mit den Seelen der Verstorbenen verglichen. Die heilige Gertrud – die Schutzpatronin der Seelen – wird deshalb stets mit einer Maus in der Hand dargestellt. So ist auch der Rattenfänger von Hameln mit dem Gott der Unterwelt identisch, der, als er um seinen Lohn betrogen wurde, die Seelen der Kinder von dannen rief. Da im Mittelalter Maulwurf und Kaninchen mit den Mäusen identifiziert wurden, sind einzelne Sagen von diesen verschiedenen Tieren gleich.

Wie der Rabe, des nordischen Gottes Odin Begleiter, den Helden einst den Tod verkündete, sollen noch heute Raben das Gehöft dessen umflattern, dessen Lebenslicht am Erlöschen ist.

Die Elster gilt, wie einst, noch jetzt als wetterkundig. In einzelnen Gegenden herrscht der Glaube, daß, solange die Elster ihr dunkles Gewand trägt, alle Helden in der Unterwelt schlummern, wie Kaiser Rotbart, Kaiser Karl, der britische Sagenheld Artur usw. Dieser Glaube datiert daher, daß die dunkle Farbe Todesfarbe war. Erst wenn die Elster ein weißes Gefieder anlegt, ruft der Völkerfrühling die Helden zu neuem Leben.

Der Hahn war das gebräuchlichste Opfertier der Altvordern. Er wurde besonders in nördlichen Gegenden dem Gotte Donar geopfert, dem Blitz und Donner untertan waren. Scheinbar leitet sich hiervon die Redensart ab: „Jemand den roten Hahn aufs Dach setzen.“ Die Wenden bestätigten ihren Heidenglauben dadurch, [91] daß sie auf den von den christlichen Bekennern errichteten Kreuzstangen einen Hahn befestigten. Die Christen schoben diesem Zeichen die Deutung unter, daß der Hahn eine Erinnerung an jenen Hahn sei, der bei Petri Verleugnung gekräht habe.

Daß viele Menschen mechanisch die Eierschale nach dem Genusse des Eies zerbrechen, führt auf den Glauben der Vorzeit zurück, daß die Hexen Gift in die Schalen tröpfeln; und wie die Märchen von den goldenen Eiern das fernste Heidentum streifen, so erhielt sich das uralte Symbol des Eies als Zeichen der Fruchtbarkeit in den Ostereiern, die durch den Wechsel der Jahrhunderte hindurch sich bis heute erhielten.

Auch der Eber galt den heidnischen Germanen als Zeichen der Fruchtbarkeit. Er war der Hertha beigesellt und wurde am Tage der Sommerwende geopfert. Der Rest jenes Brauches erhielt sich in jenen Pfefferkuchen, die die Gestalt eines Ebers zeigen. Die Spinne, die dem Tierkreis der Frigga angehört, die als Beschützerin der Häuslichkeit galt, bringt noch immer Glück. Noch heute vermeiden es viele Menschen, eine Kreuzspinne zu zertreten, ganz mechanisch, ohne zu wissen, daß die Vorfahren die Spinne deshalb schonten, weil sie in Kreuzform das Abzeichen des Hammers Donars, das vor dem Blitzschlag schützen soll, auf dem Rücken trägt.

Der Volksglaube sagt auch, daß jedes Haus vor Feuer und Blitz verschont bleibe, auf dem ein Storch niste. Galt doch auch der Storch als Tier des Donar, als Frühlingsbote und Freudenspender.

Gewissermaßen haben alle diese alten Bräuche ihr Recht. Sie sind der letzte Niederschlag des uralten Gefühlslebens einer kulturgeschichtlich interessanten Vergangenheit. In ihnen spiegelt sich der Reichtum der Phantasie wider, den die Vorfahren besessen, mit denen sie manche Rätsel lösten, die die Natur ihnen gab.

Es ruht ein eigenartig poetischer Reiz auf den letzten Resten einer längst verwehten Vergangenheit, in dem Gedanken, daß auch wir noch heute manches in dem Lichte sehen, in dem unsere Vorfahren das Lehen der Tiere geschaut.

W. K.