Die Transport- und Communikationsmittel
Nirgends sind die Fortschritte unserer Kultur augenfälliger, als auf dem Gebiete des Transportwesens und der Communikationsmittel. Hier wenigstens dürfte es auch dem blindesten Bewunderer der „guten alten Zeit“ unmöglich sein, die Vorzüge des Jetzt vor dem Sonst in Abrede zu stellen, er müßte sich denn zu der Ansicht bekennen (die freilich die Autorität eines Friedrich des Großen für sich geltend machen kann, heutzutage aber doch eine gar zu arge volkswirthschaftliche Ketzerei ist, um von einem auf Bildung Anspruch machenden Menschen im Ernste vertreten zu werden): daß schlechte Straßen nützlich für ein Land seien, weil sie den Gastwirthen, Schmieden und Stellmachern viel zu verdienen gäben.
Es war gewiß ein großer und von dem correspondirenden Publikum jener Zeit dankbar begrüßter Fortschritt, als im Anfange des 16. Jahrhunderts Francesco von Taxis die erste regelmäßige Post im deutschen Reiche einrichtete. Bis dahin hatte man sich mit den „Botenfuhren“ begnügen müssen, die zwischen einzelnen größern Handelsstädten, wie Hamburg und Nürnberg, hin- und hergingen, und Briefe (selten wohl Personen) mitnahmen. Später entstanden neben der Reichspost auch in mehrern Einzelstaaten selbstständige Postanstalten. Die Benutzung dieser Anstalten zum Reisen mag indessen kaum 100 Jahre alt sein, indem his dahin wegen der bodenlosen Wege überhaupt jede Art von Fahrgelegenheit dermaßen unbequem und gefahrvoll war, daß man nur in der höchsten Noth davon Gebrauch machte. Wer reisen mußte, reiste damals zu Pferde; hohe Personen und Frauen ließen sich in Sänften tragen. Die erste Kunststraße (eine kleine Strecke) entstand 1753 zwischen Nördlingen und Oettingen. Noch vor 70, 80 Jahren gab es nur erst in einem kleinen Theile von Deutschland, und auch da natürlich nur auf den Hauptverkehrsstraßen, etwas leidlichere Wege, d. h. solche, auf denen man nicht bei jeder Umdrehung der Räder im Kothe zu versinken, in Löcher zu fallen, Wagen, Geschirr und Pferde, ja selbst die eigenen Gliedmaßen und das eigene Leben auf’s Spiel zu setzen befürchten mußte.
Die nachstehende Schilderung einer Reise aus dem Jahre 1721[1] malt die Gefahren und Beschwerlichkeiten einer solchen in der damaligen Zeit auf sehr anschauliche Weise. Und noch fünfzig Jahre später sah es in vielen Gegenden Deutschlands, besonders Norddeutschlands, damit nicht besser aus. Jene erwähnte Reise ging von Schwäbisch-Gmünd nach Ellwangen, zwei Orte, deren Entfernung von einander etwa acht Poststunden beträgt.
Der Reisende, ein wohlhabender Mann, ging in Gesellschaft seiner Frau und ihrer Magd am Montag Morgen, nachdem er am Tage zuvor in der Johanniskirche „für glückliche Erledigung vorhabender Reise“ eine Messe hatte lesen lassen, aus seiner Vaterstadt ab. Er bediente sich eines zweispännigen sogenannten „Plahnwägelchens.“ Noch bevor er eine Wegstunde zurückgelegt und das Dorf Hussenhofen erreicht hatte, blieb das Fuhrwerk im Kothe stecken, daß die ganze Gesellschaft aussteigen, und „bis über’s Knie im Dreck platschend“ den Wagen vorwärts schieben mußte. Mitten im Dorfe Böbingen fuhr der Knecht „mit dem linken Vorderrad unversehendlich in ein Mistloch, daß das Wägelchen überkippte und die Frau Eheliebste sich Nase und Backen an den Plahnreifen jämmerlich zerschund.“ Von Mögglingen aus bis Aalen mußte man drei Pferde Vorspann nehmen und dennoch brauchte man sechs volle Stunden, um letztgenannten Ort zu erreichen, wo übernachtet wurde. Am andern Morgen brachen die Reisenden in aller Frühe auf und langten gegen Mittag glücklich beim Dorfe Hofen an. Hier aber hatte die Reise einstweilen ein Ende, denn hundert Schritte vor dem Dorfe fiel der Wagen um und in einen „Gumpen“ (Pfütze), daß Alle garstig beschmutzt wurden, die Magd die rechte Achsel auseinanderbrach und der Knecht sich die Hand zerstauchte.“ Zugleich zeigte sich, daß eine Radachse zerbrochen, und das eine Pferd am linken Vorderfuße „vollständig gelähmt worden.“ Man mußte also zum zweiten Male unterwegs übernachten, in Hofen Pferde und Wagen, Knecht und Magd zurücklassen und einen Leiterwagen miethen, auf welchem die Reisenden endlich ganz erbärmlich zusammengeschüttelt, am Mittwoch „um’s Vesperläuten“ vor dem Thore von Ellwangen anlangten.
[499] Alte Leute werden aus eigenen Erinnerungen ihrer Kindheit oder aus Erzählungen ihrer Aeltern wissen, welche halsbrechende und zum Sterben langweilige Tour eine Reise von Dresden nach Leipzig noch gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts war. Ist es doch noch keine zwanzig Jahre her, daß in Preußen mehrere der wichtigsten Verkehrswege, z. B. die Straße von Magdeburg über Stendal nach Hamburg und manche Straßenzüge in den Ostprovinzen nur erst zum Theil chaussirt waren. Bis 1816 gab es in den sämmtlichen preußischen Landen diesseits der Elbe, mit Ausnahme Schlesiens und Sachsens, nicht mehr als 44,3 Meilen Staatschausseen, in Ost- und Westpreußen nebst Posen zusammen nur 1,2 Meilen!
Welcher ungeheure Fortschritt hat in dieser Hinsicht seit den letzten 30 bis 40 Jahren allerwärts in Deutschland stattgefunden! Nicht blos im Süden (wo man hierin schon weit früher vorgeschritten war), sondern auch in den meisten Gegenden Norddeutschlands (vor Allem in Sachsen, welches jetzt beinahe 11/2 Meile Staatsstraßen auf jede Quadratmeile seiner Bodenfläche besitzt), nicht blos in den Ebenen, sondern bis hinauf in die steilsten Gebirge, findet man entweder wirkliche Kunststraßen (Chausseen), oder wenigstens so fahrbare und wohlerhaltene Wege, wie man sie vor 100 Jahren nicht einmal in der unmittelbaren Nähe der Haupt- und Residenzstädte hatte.
Im Postwesen selbst ferner, welche Veränderungen! Die ehemalige „gelbe Kutsche“ mußte vor (etwa 30 Jahren) der „Diligence“, diese dem Eilwagen weichen, welcher letzte denselben Weg, zu welchem jene erste 11/2 Tage brauchte, in zehn, bisweilen in sieben oder acht Stunden zurücklegte. Der heutige Reisende, der sich behaglich auf den elastischen Polstern einer preußischen oder hannöverschen Schnellpost dehnt und, in weiche Kissen zurück gelehnt, von der federnden Bewegung des Wagens sich schaukeln läßt, wird sich nur schwer in die Lage eines jener unglücklichen Märtyrer des frühern Postwesens versetzen können, welcher auf einem Mark und Bein durchschütternden Leiter- oder Korbwagen, dem die wohlthätige Erfindung der Federn vollkommen fremd geblieben war, auf einem ungepolsterten, selten auch nur mit einer Rücklehne versehenen Sitze, ohne ein schützendes Obdach gegen Wetter und Wind wie gegen Sonnenschein im schneckengleichen Zuge der Gäule auf den holprigen Wegen fortgeschleppt und umhergeworfen ward. Die letzten lebendigen Traditionen jener Marterwerkzeuge, die man noch vor einem oder ein paar Jahrzehnten in gewissen stoßenden Rumpelwagen auf manchen Nebenpostcursen (z. B. in den höchsten Gegenden unsres Erzgebirges und Voigtlandes) antraf, sind nunmehr wohl auch allerorten vollends verschwunden.
Der Postdienst bewegte sich früher (wie sich ältere Reisende noch aus eigener Erfahrung erinnern werden), namentlich in unserm kaltblütigen Norden, mit einer Schwerfälligkeit und Langsamkeit, die den ohnehin so schwer geplagten Reisenden wohl der Verzweiflung nahe bringen konnte. Es galt für nichts Geringes, als Friedrich der Große durch eine neue Postordnung für seine Staaten (im Jahre 1784) einschärfte, daß die ordinäre Post auf jeder Station binnen einer Stunde abgefertigt sein müßte. Auf Extrapostpferde mußte man selbst auf den Hauptcursen mindestens eben so lange warten, auf Nebencursen oft viel länger. Was würde ein preußischer Postbeamter aus jener Zeit gesagt haben, wenn man ihm das Bild eines Schnellpostdienstes aus dem dritten Jahrzehent dieses Jahrhunderts (also nicht volle fünfzig Jahre später) im Spiegel der Zukunft hätte zeigen können? Er würde die Verwirklichung dieses Bildes ebenso für eine Unmöglichkeit erklärt haben, wie ein großer Theil unsrer heutigen Postbeamten vielleicht noch vor wenigen Jahren es für eine Unmöglichkeit gehalten hat, daß eine wohleingerichtete Briefbeförderung ohne specielle Kartirung bestehen könne. Mit dieser Briefbeförderung nahm man sich freilich in jenen frühern Tagen noch ganz anders Zeit. Gleich als ob man fürchtete, der Brief, welcher von Berlin bis Frankfurt neun Tage, von Paris bis Berlin 16 bis 18 Tage unterwegs sein mußte, möchte doch noch zu rasch an den Ort seiner Bestimmung gelangen, ließ man in der Regel die Posteingänge mindestens eines ganzen Tages, oft auch mehre Tage zusammenkommen, ehe man sich die Mühe nahm, dieselben an ihre Adressen zu vertheilen. Selbst in der königlichen Residenzstadt Berlin bedurfte es einer besondern königlichen Verordnung (1770), um die Briefträger dahin zu vermögen, daß sie die eingegangenen Briefe nicht blos einmal täglich, sondern zweimal abholten und austrugen.
Es ist das Verdienst des preußischen Generalpostmeisters v. Nagler, jenen Schlendrian aus dem Postdienste ausgetrieben und eine vorher nie gekannte Pünktlichkeit, Schnelligkeit und Beweglichkeit in denselben gebracht zu haben. Die Nachbarländer Preußens ahmten das dort gegebene Beispiel nach, und seit dieser Zeit hat das norddeutsche Postwesen das süddeutsche, hinter dem es ehemals bedeutend zurückstand, in manchen Beziehungen, namentlich was die vorgenannten Eigenschaften betrifft, überflügelt und sich dem französischen und englischen wenigstens einigermaßen ebenbürtig an die Seite gestellt.
Aber wer spricht denn heutzutage überhaupt noch von Postwagen und Poststraßen, wenn es gilt, die Leichtigkeit des Personentransportes oder die Schnelligkeit der Gedankenmittheilung, des Brief- und Zeitungsverkehrs, zu messen und mit den Einrichtungen früherer Perioden zu vergleichen? Die schnellste Schnellpost, ihrer Zeit als ein Wunder und Nonplusultra menschlichen Fortschrittstrebens auf diesem Gebiete angestaunt, muß beschämt vor dem Dampfwagen, die vollkommenste Kunststraße, demüthig vor der Eisenbahn sich verkriechen, und beide wiederum sinken, was die Gedankenmittheilung betrifft, in Nichts zusammen gegenüber den wahrhaft zauberartigen Wirkungen des elektrischen Telegraphen.
Wenn Chausseen und Posten die Entfernungen der Orte und Länder von einander bereits auf die Hälfte oder ein Drittheil herabgesetzt hatten, so haben der Dampf und die Eisenschiene im Bunde dieses Drittheil abermals um das Drei-, Vier-, ja Acht- und Zehnfache verkleinert. Auf den schlechten Wegen der frühern Zeit hatte ein Wagen Noth, die Wegstunde in einer Zeitstunde zurückzulegen, also mit einem Fußgänger Schritt zu halten. Mit Hülfe der Kunststraßen und eines wohleingerichteten Relaidienstes brachte man es dahin, zwei bis drei Wegstunden in einer Zeitstunde zu fahren (in England sogar vier). Der Dampfwagen dagegen auf seiner eisernen Bahn durchbraust in demselben Zeitraum eine Strecke von 8, 12, 16, 20, ja, wenn es darauf ankommt, 30 und noch mehr Stunden.
Der elektrische Telegraph endlich hat alle räumliche Entfernungen so gut wie gänzlich verschwinden gemacht, hat es ermöglicht, daß Mittheilungen von London nach Wien, von Paris nach Warschau, welche vor hundert Jahren mindestens drei bis vier Wochen unterwegs waren – jetzt in wenigen Stunden, ja, nach den neuesten Vervollkommnungen des Telegraphenwesens mit Hülfe des Translators) in vielleicht kaum einstündiger Frist an den Ort ihrer Bestimmung gelangen können, und wird sehr wahrscheinlicher Weise in nicht ferner Zeit diese wunderbare, aller Raum- und Zeitschranken schier entbundene Schnelligkeit der Gedankenmittheilung sich, selbst über den atlantischen Ocean hinüber, nach der neuen Welt erstrecken.
Wo die Natur selbst die Wege geebnet hatte – auf dem Wasser – da fuhr man auch in früherer Zeit schon leidlich bequem, ungleich bequemer wenigstens, als auf den von menschlicher Nachhülfe abhängigen Landstraßen. An Fährlichkeiten freilich fehlte es dabei ebenfalls nicht und die lässige Hand einer Staatswirthschaft, die ihren Vortheil weit häufiger auf die Erschwerung, als auf die Erleichterung des Verkehrs baute, half hier so wenig nach als auf dem Lande. Wenn der Schiffer auf dem Rhein, um das „Binger Loch“ oder das „Wilde Gefähr“ zu passiren, das Doppelte oder Dreifache der Pferdezahl brauchte, die er für gewöhnlich bei der Bergfahrt vorlegte, dazu wohl gar noch Lootsen an Bord nehmen mußte, so war dies ja (nach den damaligen volkswirthschaftlichen Begriffen) ein reiner Vortheil für die Bewohner der Uferlande und folglich auch für deren Regierungen, denn der Schiffer mußte ja um so mehr Geld aufwenden, was dem betreffendn Lande zu gute kam. Daß dieser Vortheil viel größer sein würde, wenn statt des einen Schiffes, bei erleichtertem Verkehr, zehn oder zwanzig in der gleichen Zeit den Strom passirten, obschon jedes einzelne davon nur die gewöhnliche Zahl Pferde und Führer brauchte und nur kürzere Zeit an den betreffenden Punkten anlegte, davon scheint man damals keinen Begriff gehabt zu haben, so wenig als davon überhaupt, daß durch Verwohlfeilerung der Gelegenheiten des Reisens und des Transportes von Sachen, der Reise- und Waarenverkehr sich in’s Außerordentliche steigern lasse. Friedrich der Große, der doch noch einer der bessern, wenigstens der eifrigeren und gemeinnützigeren Staatswirthe seiner Zeit war, [500] hatte auch hierüber so verkehrte und so kurzsichtige Ansichten, daß er z. B. für die Briefportoeinnahme in seinem Reich alljährlich eine gewisse, nothwendig zu erreichende Summe festsetzte und, wenn die wirkliche Einnahme hinter diesem Voranschlag zurückblieb, eine Erhöhung des Briefportos (statt einer Herabsetzung, was das Richtige gewesen wäre) verfügte. Das Allerverkehrteste aber in dieser Art, was der im Uebrigen so kluge König that, war eine Verordnung, die er als Herzog von Cleve erließ, wonach alle auf dem Rheine Reisende, sobald sie an’s Clevische kommen, den Strom verlassen und zu Lande weiter reisen mußten, um, wie in der Verordnung gesagt war, den königlichen Posten diesen Gewinnst nicht zu entziehen.
Wenn aber auch das Reisen zu Wasser, was die Fahrstraße selbst anbelangt, weit früher praktikabel wurde, als das zu Lande, so lag es doch in Bezug auf Bequemlichkeit, Behaglichkeit und Eleganz der Fahrzeuge, so wie auf Schnelligkeit des Fortkommens, die längste Zeit hindurch beinahe ebenso in der Kindheit, wie dieses letztere. Die mehr als einfache Einrichtung der offenen Nachen oder Marktschiffe, bis zur Einführung der Dampfschiffe, die einzigen regelmäßigen Transportmittel auf unsern Flüssen (und zwar nur auf den größten, wie Rhein, Donau, allenfalls einer kurzen Strecke des Untermain und dergleichen), der vollständige Mangel an Eleganz und Comfort, der darauf herrschte, wurde vielleicht nicht ganz so hart empfunden, wie die schlechte Beschaffenheit der Postwagen, weil das Element selbst dort die Wirkungen dieser Unvollkommenheit einigermaßen milderte, bildete aber jedenfalls einen ebenso starken, wenn nicht noch stärkeren Contrast zu der ausgesuchten Pracht und Bequemlichkeit der Reisegelegenheiten, welche heut zu Tage an deren Stelle getreten sind, zu den geräumigen, geschmackvoll gemalten und vergoldeten Salons, den luxuriösen Tables d’hôte, den wohlassortirten Sammlungen von Journalen, Büchern und Bilderwerken, womit unsere zahlreichen Dampfschiffe ihren Passagieren den verhältnißmäßig viel kürzeren Aufenthalt darauf angenehm und unterhaltend zu machen suchen.
Was die Schnelligkeit betrifft, so ist der Fortschritt, welchen die Anwendung des Dampfes auf die Flußschifffahrt hervorgebracht hat, zwar nicht ganz so groß wie der bei dem Landtransport, immerhin aber bedeutend genug. Stromabwärts, wo man durch die Strömung begünstigt war, fuhr man mit den blos durch Ruder, höchstens mit Hülfe von Segeln bewegten Schiffen etwa um das Drei- bis Vierfache langsamer, als jetzt; stromaufwärts dagegen, wo man sich der Pferde oder Menschen zum Ziehen bedienen mußte, mindestens um das Sechsfache. Und dabei durfte noch keine Verzögerung durch das Außenbleiben der nöthigen Zugkräfte, oder durch das nothgedrungene längere Anhalten an den zahlreichen Zollstätten (wenn das Schiff zugleich Waaren führte) eintreten. Denn dieser letztere Aufenthalt allein konnte unter Umständen eine solche Wasserreise z. B. zwischen Cöln und Mainz, um ganze Tage verlängern, da es auf dieser Strecke vielleicht zwanzig Zollstätten gab, die noch dazu häufig an den entgegengesetzten Ufern lagen, wo dann die Schiffe genöthigt waren, nicht nur selbst herüber- und hinüberzufahren, sondern auch die Pferde oder Menschen, welche sie zogen, abwechselnd von einem Ufer auf’s andere zu transportiren. Auf der Donau vollends war das Fahren zu Berge, wegen der hier befindlichen Stromschnellen, für deren Beseitigung nichts geschah, nahe zu einer völligen Unmöglichkeit, wenigstens eine Sache der höchsten Unbequemlichkeit und der tödlichsten Langweile. Eine Familie, welche die ganze Tour von Wien bis Ulm, wegen der Unsicherheit der Landstraßen, zu Wasser zurücklegte, brauchte dazu mehr Zeit, als heut zu Tage zu einer Reise nach Amerika und zurück erfordert wird.
Mit den Seereisen war es nicht anders. Regelmäßige Reisegelegenheiten gab es schon im vorigen Jahrhundert von Kuxhaven nach London, von Kiel nach Kopenhagen, von Lübeck nach Stockholm und nach Riga. Aber wie lange Zeit brauchte man zu jeder dieser Touren! Mindestens das Vierfache, bisweilen das Sechs- oder Achtfache der jetzigen.
Die Vermehrung, welche in Folge der so namhaften Erleichterung, Verwohlfeilerung und Vervielfältigung der Reisegelegenheiten aller Arten, während des letzten halben Jahrhunderts, der Reiseverkehr nothwendig erfahren mußte und auch wirklich erfahren hat, läßt sich in Zahlen zwar insofern nicht genau nachweisen, als uns über den Reiseverkehr der früheren Zeiten (ebenso wie über die Briefbeförderung) authentische statistische Angaben fehlen, indem man in Deutschland erst vom Jahre 1810 an solche amtlich zu sammeln und aufzubewahren angefangen hat. Allein man kann getrost behaupten, daß, wo vor 100 oder 150 Jahren vielleicht eine, vor 50 vielleicht 10 Personen reisten, gegenwärtig mindestens 10,000 sich auf Eisenbahnen, Poststraßen oder einer der jetzt so zahlreichen Dampfschiffrouten hin- und herbewegen. Die Seltenheit der regelmäßigen Verbindungen von Ort zu Ort noch zu Anfange dieses Jahrhunderts (worüber sichre Nachrichten vorliegen) beweist und erklärt die ungleich geringere Ausdehnung des Reise- und Briefverkehrs in der damaligen Zeit. Zwischen Leipzig und Dresden z. B. fuhr damals nur zweimal in der Woche eine Postkutsche, während jetzt täglich sechs Dampfwagenzüge von einem dieser Orte zum andern gehen, also wöchentlich zweiundvierzig d. i. 21 mal so viel, als damals. Nimmt man an, daß jene zwei Postkutschen jedesmal ganz besetzt waren und rechnet man jede zu 16 Plätzen, so gäbe dies in der Woche 12, also im Jahre ohngefähr 600 Hin- und eben so viel Herreisende, zusammen zwischen jenen beiden Hauptstädten 1200 Postreisende jährlich. Gegenwärtig befördert die Leipzig-Dresdner Eisenbahn im Jahre etwa 600,000 Personen, d. i. 500 mal so viel. Bedenkt man nun, daß die Route Leipzig-Dresden in jener Zeit eine der wenigen war, welche wenigstens einen regelmäßigen Postdienst und verhältnißmäßig noch leidliche Wege aufzuweisen hatte, während auf den Seitenrouten und in nur einiger Entfernung von den großen Städten ordentliche Postverbindungen und fahrbare Wege völlig aufhörten, so wird die oben gewagte Behauptung von einer tausendfachen Vermehrung des Reiseverkehrs innerhalb der letzten 50–70, und einer vielleicht zehntausendfachen innerhalb der letzten 100–150 Jahre sicherlich nicht übertrieben erscheinen. Auf dem Rheine – um noch ein Beispiel anzuführen – fuhr vor 60 Jahren täglich ein Marktschiff zwischen Mainz und Cöln, ebenso auf dem Maine zwischen Frankfurt und Mainz; auf der untern Donau, wohl nicht einmal alle Tage, eines. Oberhalb Mainz scheint der Rhein, oberhalb Frankfurt der Main, oberhalb Regensburg die Donau gar nicht (wenigstens nicht regelmäßig) mit Schiffen zu Personenbeförderung befahren worden zu sein, wie wir denn auch von geregelten Reisegelegenheiten auf Neckar, Mosel, Elbe, Weser und Oder in jener Zeit nichts lesen. Heut zu Tage gehen auf dem Rhein allein Tag für Tag 10–12 Dampfschiffe stromauf- und eben so viele stromabwärts und die Summe der auf sämmtlichen deutschen Flüssen täglich hin- und herfahrenden Dampfer beträgt mindestens ein halbes Hundert.
Um schließlich auch von der Verwohlfeilerung des Reisens gegen früher eine Vorstellung zu geben, sei nur das Eine bemerkt, daß, nach vorliegenden Berechnungen aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Jemand, der nur einigermaßen bequem und mit Behagen reisen wollte (so weit dies überhaupt bei dem damaligen Zustande der Straßen, der Gasthöfe und der Transportmittel möglich war), nicht unter einem Ducaten auf die Meile Reiseaufwand rechnen durfte. Das wäre auf eine Tour von 12 Meilen, also etwa von Leipzig bis Dresden oder von Mainz bis Coblenz ohngefähr 40 Thaler. Dafür konnte er freilich einen Bedienten mitnehmen und im eigenen Wagen mit Extrapostpferden reisen (Beides war aber auch unumgänglich nothwendig, wenn man sich das Reisen nur einigermaßen erträglich machen wollte) – aber er konnte sich weder vor dem halsbrechenden Bergauf Bergab und dem bodenlosen Moraste der Wege schützen, noch auch nur annähernd sich jenen Grad von Comfort verschaffen, welcher dermalen einem Reisenden im Coupe eines Eisenbahnwagens erster Klasse oder in der Hintercajüte eines Dampfschiffes, an der reichbesetzten Tafel und in den fürstlich eingerichteten Zimmern unserer großen Rheinhotels, Alles in Allem für den achten oder zehnten Theil jenes Aufwandes zu Gebote steht. Der Minderbemittelte konnte unter den geschilderten Umständen an eine Tour zu Wagen von nur einiger Ausdehnung gar nicht denken; wer aus dieser Klasse also zu Fuße zu reisen außer Stande war, wie Frauenzimmer, alte oder kränkliche Personen, der mußte überhaupt auf das Reisen verzichten, selbst wenn Gesundheitsrücksichten, Familien oder Geschäftsverhältnisse ihm dasselbe noch so wünschenswerth oder gar nothwendig erscheinen ließen. Denn selbst eine Reise mit der ordinären Post von Leipzig bis Dresden kostete zu jener Zeit, einschließlich des nothwendigen ein- oder auch zweimaligen Nachtlagers und der Zehrung für zwei bis drei Tage, allermindestens [501] 6 Thaler, (das Postgeld allein betrug auf 12 Meilen 4 Thaler), das ist viermal mehr als gegenwärtig – ungerechnet den mehr als sechsfach größern Zeitaufwand. Eine ähnliche, wenn auch nicht ganz so beträchtliche Verringerung haben die Kosten des Briefverkehrs erfahren. Durchschnittlich kann man annehmen, daß heut zu Tage ein Brief nur die Hälfte von dem kostet, was man ehemals dafür bezahlte.
Welch’ ungeheuere Vortheile sind aus diesen mannigfachen Verbesserungen unseres Transportwesens und unserer Mittel der Gedankenmittheilung für die Annehmlichkeit, Bequemlichkeit, ja Sicherheit des Lebens, für das materielle Wohlbefinden in jeder Beziehung, für den geschäftlichen Verkehr, endlich für die allgemeine Bildung der Menschen, für die Verbreitung und Verallgemeinerung von Ideen, Erfahrungen und Kenntnissen aller Art, für die Annäherung der verschiedenen Individuen und Volksstämme unter einander, für die Beseitigung localer Vorurtheile und nationaler Antipathien, kurz, für die immer vollkommenere Erreichung jenes großen Kulturzweckes hervorgegangen, welcher dem Menschen als das Ziel seiner irdischen Bestrebungen und Anstrengungen vorgesteckt ist!