Die Unglücksfälle in den Alpen

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Autor: Max Haushofer
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Titel: Die Unglücksfälle in den Alpen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 438–440
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Unglücksfälle in den Alpen.

Von Max Haushofer.


Jahr um Jahr mehren sich die Berichte von Unglücksfällen in den Alpen. Und es sind seltene Ausnahmen, wenn bei solchen Unglücksfällen der eine oder andere der Betroffenen nur über einen gebrochenen Arm oder Fuß zu klagen hat. Die meisten dieser Fälle enden mit todbringender Tragik.

Ihre zunehmende Häufigkeit erklärt sich leicht durch den steigenden Besuch der Alpen. Seit der Erbauung der in und durch die Alpen führenden Eisenbahnen mußte der Reisezug beständig zunehmen. Die Berge an sich sind nicht gefährlicher geworden. Im Gegenteile: durch die rastlose Thätigkeit der alpinen Vereine auf dem Gebiete des Weg- und Hüttenbaues und der Führerausbildung ist ein sehr erfolgreicher Kampf gegen die Gefahren der Hochalpennatur angebahnt worden. Aber stärker als diese Schutz- und Hilfsmaßregeln sind der wachsende Zudrang des Reisepublikums nach den landschaftlichen Schönheiten der Alpen, der Leichtsinn und die Unerfahrenheit der Einzelnen.

Will man gerecht gegen den Alpensport sein, so muß man zugeben, daß seine Opfer weniger zahlreich sind als die Opfer anderer Sportarten. Der Segel- und Rudersport fordert unzweifelhaft weit mehr Opfer als der Bergsport; und wenn man alle jene dummen Unfälle, die durch das unzeitige Losgehen von Jagdgewehren schon verursacht wurden, dem Jagdsport zur Last legen wollte, käme derselbe im Punkte der Gefahr kaum besser weg als der Bergsport. Und der harmlose Sport des Schlittschuhlaufens ist auch Ursache, daß während der winterlichen Frostzeit immer und immer wieder die Totenklage über blühendes junges Leben ausbricht, das unter der trügerischen Eisdecke versank. Wer da anfangen wollte, zu zählen, würde wahrscheinlich zu seinem großen Erstaunen gewahr werden, daß der Alpensport durchaus nicht bedenklicher ist als die meisten andern Sportarten. Was die alpinen Unfälle gegenüber andern so hervortreten läßt, ist der landschaftliche Reichtum der Verursachung; die [439] Möglichkeit, diese Ursachen später genau zu verfolgen; das häufig erkennbare Herannahen und Steigen der Gefahr und die erschütternde Gewalt der Katastrophen, denen oft ein verzweifelter Kampf ums Leben vorausgeht. Und nicht zum letzten das lebhafte touristische Interesse derjenigen, die den gleichen Weg gemacht oder eine ähnliche Situation durchgekämpft haben.

So kommt’s, daß die beim Alpensport sich ereignenden Unfälle meist besonders eingehend besprochen werden. Es ist übrigens etwas Eigenes um diese Besprechungen. Die nötige Erfahrung, um solche Unfälle richtig zu beurteilen, gewinnt nämlich immer nur, wer selber mit einer gewissen Vorliebe die Gefahren der Berge aufsucht oder wenigstens früher aufgesucht hat. Und darum werden die Warnungen, die aus solcher Quelle kommen, für den Laien immer nicht eindringlich genug sein, weil sie stets von der leidenschaftlichen Vorliebe des Warners für diese Gefahren beherrscht sind und oft genug auch diese Neigung deutlich durchblicken lassen.

Die Gefahren des Bergsports sind viel mannigfaltiger als die Gefahren anderer Sportarten. Sie gähnen unter den Füßen des Wanderers, hangen an Felsmauern und Eiswänden über ihm, umstürmen ihn aus den Lüften, bedräuen ihn aus seinem eigenen Organismus heraus. Und sie sind auch höchst wechselvoll, so daß ein Weg, der für gewöhnlich ein harmloser Spaziergang genannt werden muß, unter besonderen Umständen ein Todespfad werden kann. Und das moralische und physische Rüstzeug, dessen man zu ihrer Bewältigung bedarf, ist ein derartiges, daß man keineswegs von vornherein immer beurteilen kann, ob es ausreichen wird oder nicht.

Der Bewohner des Flachlandes glaubt wohl, daß die Gefahren der Berge erst dort beginnen, wo die gebahnten Wege zu Ende sind. Das gilt für günstige Jahreszeit und Witterung, aber nicht für die Zeit des Winters, nicht für die in den höheren Gebirgslagen auch während der wärmeren Jahreszeit vorkommenden Schneestürme. Da verwandeln sich auch gute Wege rasch in unwegsame Wildnis. Stundenlanges Vorwärtsstampfen in frischgefallenem Schnee ermüdet die Kräfte aufs äußerste. So kommt’s, daß alpine Unfälle mit schwerem, ja selbst mit todbringendem Ausgange bekannt sind, die auf gebahnten Wegen nach heftigen Schneefällen sich ereigneten. Die Betroffenen starben an Frost, an Erschöpfung während des Marsches.

Hierzu kommt, daß jede Verschneiung eines Weges ein unfreiwilliges Abweichen von demselben ungemein erleichtert. Auch die gebahnten Wege in den Alpen sind meistens derartig, daß selbst eine ganz geringe, nur fingerdicke Schneebedeckung den Weg als solchen schon unkenntlich macht. Eine solche geringfügige Verschneiung ist gefahrlos für den Ortskundigen, aber immer gefahrvoll für den, der, wenn einmal der eigentliche Pfad verschneit ist, keinerlei Wegmarken mehr kennt. Es giebt Pfade in den Alpen, und zwar sehr viele, die als Wege nur kennbar sind durch eine kaum merkliche Färbung, durch zusammengetretenes Gras, durch die von den Eisennägeln der Bergschuhe zerkratzten Steine. Derartige Zeichen werden beim geringsten Schneefall unsichtbar; sie werden auch unsichtbar bei eintretender Finsternis.

So ist die einbrechende Dunkelheit eine weitere sehr häufige Ursache des unfreiwilligen Abkommens vom rechten Wege. Der unerfahrene Bergwanderer, der sich auf ganze Tagesmärsche einläßt, weiß in der Regel die Zeitdauer, die für die Bewältigung der Strecken notwendig ist, nicht richtig zu berechnen. Er tritt die Wanderung über ein Bergjoch an, von der ihm ungefähr bekannt ist, wie lange sie währe. Unterwegs aber rastet er, hält sich an irgend einem Aussichtspunkte auf oder wartet in einem Unterkunftshause einen Regenguß ab. Die Zeit verstreicht rascher, als er denkt, und er ist noch weit von der nächsten Herberge entfernt, wenn das Dunkel schon hereinbricht. Eine Zeitlang unterscheidet er noch den Weg, der sich unter seinen Füßen heller von dem benachbarten Gelände abhebt. Aber in der purpurnen Finsternis des nächsten Bergwaldes, in einem Krummholzdickicht oder an einer von mächtigen Felsblöcken überstreuten Lehne mag es ihm leicht begegnen, daß er die schwache Wegspur völlig aus den Augen verliert. Er verfolgt instinktmäßig die bisher eingeschlagene Richtung, während der Fußsteig, den er zu suchen hat, vielleicht schon über ihm fortzieht oder gar sich rückwärts gewandt hat, um in Windungen nach der Thaltiefe hinunter zu führen. Und nun steht er plötzlich völlig pfadlos an der Bergwand; tief unter ihm gähnt noch der Thalgrund, in dem die nächste Ortschaft liegen muß. Mächtiger und mächtiger wird das Dunkel der unheimlichen Welt, die ihn fremdartig umgiebt. Jetzt fassen ihn die Schrecken der Finsternis und der Einsamkeit. Glücklich mag er sich preisen, wenn er nach stundenlangem Umhersuchen, schweißtriefend, mit pochendem Herzen und müden Füßen den alten Steig oder einen anderen wiederfindet. Aber es kann ihm auch begegnen, daß er nur immer tiefer in die Felsenwildnis gerät, an steilere Hänge, wo buschbewachsene Strecken oder Grasfleckchen mit schroff abfallenden Wänden abwechseln. Nun hängt das Leben des Unglücklichen an einem Faden. Vielleicht rettet er sich noch, wenn ihn der Zufall das ausgetrocknete Bett eines Wildbaches oder eine Zunge von Bergwald finden läßt, die bis zu sanfteren Hängen hinunterleitet. Da mag er dann stundenlang klettern, mit wunden Händen, um endlich in völliger Nacht einen Felsenwinkel oder ein verlassenes Heuhüttchen aufzufinden, wo er, fiebernd vor Frost und Müdigkeit, den Morgen abwarten kann. Aber manchen, der so seinen Weg verlor, fand man auch am nächsten Tage, oder auch Wochen und Monate später, mit zerschmettertem Haupt und gebrochenen Gliedern am Fuße einer lotrecht abfallenden Felswand liegen. Oder es fand ihn überhaupt niemand mehr, weil er in einen lichtlosen grauenhaften Felsenspalt gestürzt war, wo seine modernden Reste zwischen Steintrümmern liegen blieben oder von den tosenden Wassern des Gletscherbaches fortgerissen wurden in die dunkle Tiefe eines Bergsees oder in den großen Strom draußen, der sie auf seinem Grunde behielt.

Ein Abkommen vom rechten Wege kann auch, namentlich in der Almen- und Waldregion, veranlaßt werden durch alte verlassene und aufgegebene Seitenwege, die von einem begangenen Weg abzweigen, aber, wenn man sie einschlägt, nach einiger Zeit in eine Sackgasse auslaufen: zu einem verlassenen Holzschlag oder zu einem vereinzelten Weideplatz, oder an irgend einen jähen Abhang, wo ein älterer Wegbau verschüttet oder zerrissen ward. Wer einen solchen Weg genommen hat, steht dann plötzlich an seinem Ende vor irgend einem Steilabhang oder in völlig unwegsamer Trümmerwildnis. Hier mag er nun entweder zurückkehren bis zur nächsten Wegteilung, was jedenfalls das Weisere und Sichrere ist, oder er mag seinen Vermutungen über die Lage des rechten Weges folgen und ihn aufsuchen, indem er sich mitten in unwegsame Wildnis wirft. Das ist ein ebenso häufiges wie gefährliches und zeitraubendes Verfahren, das wohl schon manchen ins Verderben geführt hat.

Oft werden aber auch von unerfahrenen Bergwanderern die gebahnten Wege absichtlich verlassen. Das geschieht nicht selten um der Alpenblumen willen. Die Alpenblume ist die Trophäe, die der Neuling von seiner Bergwanderung mitnimmt; und die an den Wegen wachsenden Blüten sind meist schon abgepflückt, während über und unter dem Wege am Felsgehäng noch die bunten Sterne reizender Blumen winken. Der erfahrene Bergwanderer läßt diese schönen Kinder der Wildnis ruhig weiterblühen; der Unerfahrene klettert ihnen nach, läßt sich weiter und weiter verlocken, bis er zwischen Grausen und Verderben hängt. So haben die sammetweichen weißen Sterne der Edelweißblüte schon manchen jungen Wagehals in einen frühen Tod gelockt; abgestürzt von schroffer Wand, ward er von Jägern oder Sennen gefunden, mit einem Sträußchen in der Hand, das sein Verderben geworden war. Den Tod um eine Handvoll Blumen!

Sehr häufig wird auch vom rechten Wege abgewichen, um abzukürzen. Auf steilere Hänge führen ja alle guten Wege in Windungen hinan. Wenn man auch beim Bergansteigen gerne auf dem bequemeren gewundenen Wege bleibt: sobald es bergab geht, liebt es die Jugend, die kürzeste Richtung über den Hang hinunter einzuschlagen. Ein unbedenkliches Verfahren, solange man den Weg, den man abkürzt, stets im Auge behält; aber gefahrvoll, wenn man ihn aus dem Gesicht verliert und an Böschungen gerät, die immer steiler und steiler werden. Der gehoffte Gewinn einer halben Stunde Zeit hat bei solchen Abkürzungen schon manchem jungen Leben zu einem frühen und jähen Tode verholfen.

Wenn so schon das Wandern in den von gebahnten Wegen durchzogenen Regionen für den Unkundigen seine Gefahren birgt, [440] steigern sich dieselben natürlich ganz bedeutend in jenen Gegenden, wo die gebahnten Pfade ein Ende finden. Das ist im allgemeinen der Fall über jener Höhe, in der die letzten Sennhütten, die letzten Unterkunftshäuser der Alpenvereine liegen.

Zu allen Hochtouren gehört ein gewisses Durchschnittsmaß von körperlicher Kraft und Ausdauer, eine einigermaßen genügende Ausrüstung und entweder ein guter Führer oder ein hoher Grad von Erfahrung und Uebung. Wem eine dieser Eigenschaften fehlt, der spielt, wenn er dennoch Hochtouren unternehmen will, geradezu um sein Leben. Aber wie oft wird nicht gegen diesen Erfahrungssatz gesündigt! Wie oft begegnet man nicht jungen Leuten, die, ohne ihre Kraft und Ausdauer geprüft zu haben, mit mangelhafter Ausrüstung, ohne Führer und ohne ausreichende Erfahrung sich in die Schrecknisse des pfadlosen Hochgebirges wagen!

Es giebt ja manche, selbst vergletscherte Jochübergänge oder Gipfeltouren, die selbst von Ungeübten ohne Führer begangen werden können und doch mitten in die großartigste Hochalpenpracht führen. So etwa die vielgenannten Paßübergänge über die Pfandelscharte, über den Velber und Krimmler Tauern oder über das Venter Hochjoch, den Gemmipaß u. a. Aber selbst solche Wanderungen können bei bösartigen Unwettern geradezu todbringend werden.

Ueber das Maß der eigenen Kraft und Ausdauer muß sich jeder, der eine Bergwanderung antritt, selber im klaren sein. Einen Weg anzutreten, von dem man nicht sicher weiß, daß man die Ausdauer besitzt, die er erfordert, ist Vermessenheit. Die erste Bedingung für jeden, der eine Hochtour antritt, ist die, daß er weiß, wie lange Zeit die Tour durchschnittlich beansprucht und wie lange seine Kräfte reichen. Die Fälle, daß Bergwanderer lediglich an Erschöpfung zu Grunde gehen, selbst bei nicht ungünstiger Witterung, sind selten und treffen meist nur ältere Leute.

Schlechte Ausrüstung kann selbst bei genügender Körperkraft und Uebung die schwersten Gefahren bringen. Ein ungenagelter Schuh kann auf einer steilen Rasenböschung ein Ausgleiten und Fortrollen bis zum tödlichen Sturz über die nächste Felswand verursachen. Ein unentbehrlicher Ausrüstungsgegenstand ist bei allen Wanderungen über Gletscher und Firnfelder das Seil. Aber wirklich hilfreich ist dasselbe nur, wenn man auch seine Anwendung genau kennt. Jede Wanderung ohne Seil über ein zerklüftetes Eis- oder Firnfeld ist eine Wanderung auf Leben und Tod. Seit mehr als einem Menschenalter verzeichnet die Geschichte der Alpenwanderungen eine Reihe von tödlichen Unfällen, die im ewigen Eise durch Mangel eines Gletscherseiles herbeigeführt wurden. Auch die Eisaxt gehört zu jenen Ausrüstungsgegenständen, die ein einigermaßen erfahrener Bergwanderer nur höchst ungerne vermißt.

Bei weitem die häufigsten Unfälle werden durch den Mangel eines Führers verursacht. Gerade das führerlose Wandern aber hat einen ganz eigenartigen Reiz. Sich selber Pfadfinder zu sein –: das ist ja unvergleichlich schöner als das Hertraben hinter einem Führer. Selber die Zugänglichkeit einer Berglandschaft zu prüfen, in dem großartigen Aufbau ihrer Fels- und Eisgebilde, zwischen ihren drohenden Gefahren hindurch jene Gassen und Naturtreppen, Pforten und Rinnen, Gesimse und Schründe zu finden, die ein Weiterkommen gestatten: das ist eine Thätigkeit für den Wagemut, für den spürenden und entdeckenden Gedanken, wie sie kaum reicher gefunden werden kann.

Aber der Mangel eines Führers kann dabei nur ersetzt werden durch eine langjährige Erfahrung, verbunden mit überdurchschnittlicher Kraft und Ausdauer, mit voller Schwindelfreiheit und Klettergewandtheit, wozu auch noch eine gute Ausrüstung, namentlich tüchtige Spezialkarten gehören. Nur wer über alle diese Bedingungen verfügt, ist berechtigt, ohne sich dem Vorwurf groben Leichtsinns auszusetzen, in jene Hochgebirgsregionen einzudringen, wo die gebahnten Pfade enden, die Abgründe gähnen und in den Gletscherklüften das blaue Grausen dämmert.

Unter allen Berggruppen des großen Alpengebietes ist keine so reich an Unfällen wie die nordwestlich vom Semmeringpaß sich auftürmende Raxalpe, ein Hochplateau mit teilweise sehr steil abfallenden Wänden. Obwohl nur bis zur Höhe von 2009 m aufragend, ist sie doch von zahlreichen, mitunter recht schwierigen Kletterpfaden, die sich vielfach verzweigen, überdeckt. Ihre Lage in der Nähe von Wien und an der Semmeringbahn macht sie zum beliebtesten Ausflugsgebiet der Wiener Alpenfreunde, das von erfahrenen, aber auch von ganz unerfahrenen Bergwanderern zu jeder Jahreszeit stark besucht ist. Da die jungen Leute, die in Scharen nach der Raxalpe wandern, schon aus Sparsamkeit meist führerlos gehen, ist der schöne Berg im Laufe der Zeit zu einem großen Kirchhof geworden; Jahr um Jahr verzeichnet die Unfallschronik eine Anzahl von tragischen Ereignissen, die in den Schluchten und an den Wänden dieses Berges sich ereigneten. Und fast alle diese Ereignisse hängen irgendwie mit dem Leichtsinn und der Unerfahrenheit der Jugend zusammen.

Manche Arten von Unfällen, die bei eigentlichen Hochtouren sich ereignen und auch den umsichtigsten, gewandtesten und erfahrensten Alpenwanderer treffen können, werden nie zu vermeiden sein: unvorhergesehene Witterungsumschläge mit Schneestürmen, Schnee- und Eislawinen, Steinschläge und stürzende Schneewächten. Auch eine momentane körperliche Indisposition kann einem tüchtigen und kundigen Bergwanderer zur Ursache eines jähen Todes werden. In solchen Fällen wird aufrichtige Sympathie dem Verunglückten zu teil. Aber gerechte Mißbilligung auch begeisterter Alpenfreunde erregen jene Unfälle, die augenscheinlich nur durch Unerfahrenheit und grundlosen Leichtsinn herbeigeführt wurden.

Die Gefahren sind nicht da, um ängstlich geflohen, sondern um überwunden zu werden. Aber dieser Erfolg winkt nur dem, der seine eigene Leistungsfähigkeit und die Höhe der Gefahren richtig zu werten weiß. Wer sich sagen muß, daß er dazu nicht imstande ist, der bleibe auf den gebahnten Pfaden der Thäler und weiche von ihnen nur ab unter der Leitung erprobter Führer.

Die Zahl der alpinen Unfälle mit tödlichem Ausgange betrug 1898 im ganzen 59; 1897 hatte sie 54 betragen. Ausgleiten auf Fels, Schnee und Eis war in den meisten Fällen die unmittelbare Ursache; und die meisten der Touren, bei welchen diese Unfälle sich ereigneten, waren führerlos. Es braucht wohl nicht gesagt zu werden, daß die obigen Zeilen nicht für jene erfahrenen Touristen geschrieben sind, welche die Befähigung zu führerlosen Hochtouren sich erworben haben, sondern für die weitaus größere Zahl der Unerfahrenen.