Die Vemeprocesse gegen Herzog Heinrich den Reichen von Baiern-Landshut

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Autor: Theodor Lindner
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Titel: Die Vemeprocesse gegen Herzog Heinrich den Reichen von Baiern-Landshut.
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aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 3 (1890), S. 65–99.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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[65]
Die Vemeprocesse gegen Herzog Heinrich den Reichen von Baiern-Landshut.
Von
Theodor Lindner.


Die Blüthezeit der Westfälischen Vemegerichte beginnt erst mit der Regierung Kaiser Sigmund’s. Wenn sie auch schon vorher den Anspruch erhoben, Gerichtsbarkeit über das ganze Reich auszuüben, so gelang es ihnen doch erst damals, ihn in wirksamer Weise geltend zu machen. Sigmund hat persönlich zu ihren Erfolgen viel beigetragen. An sich nicht ohne Verständniss für die Bedeutung einer guten Rechtspflege mochte er diesen Gerichten besonders desswegen geneigt sein, weil sie dem kaiserlichen Ansehen zu dienen, die oberste Gerichtsbarkeit des Reichsregenten zu stärken schienen. Ausserdem hat unzweifelhaft der romantisch-phantastische Zug, der Sigmund eigen war, ihn bestimmt und bewogen, einer so merkwürdigen Einrichtung seine Gunst zuzuwenden. Die Hoffnungen, welche er auf die heimlichen Gerichte setzte, erfüllten sich allerdings nicht. Die Schwäche des Reiches und die Machtlosigkeit seines Oberhauptes, die allgemeine politische Auflösung machten auch hier ihre verderbliche Wirkung geltend, noch mehr aber die heillose Verwirrung, welcher seit längster Zeit Verfassung und Recht anheimgefallen waren. Das Vemerecht war ohnehin zum guten Theil lediglich eine Neubildung auf dem Grunde alter, theilweise abgestorbener Formen und trug den Keim zur Zersetzung in sich, so dass die Freistühle bald ihre schnell erworbene Macht wieder einbüssten. Auf Sigmund’s Anregung [66] machte man zwar den Versuch, auf den grossen Kapiteln zu Soest und Dortmund 1430 und durch die sogenannte Arnsberger Reformation von 1437 festere Grundlagen zu schaffen, aber die Zersplitterung der Freistühle, die Willkür der einzelnen Stuhlherren und Freigrafen und noch schlimmere Gründe verhinderten jeden dauernden Erfolg[1].

Immerhin nahmen die Westfälischen Gerichte für einige Zeit eine gewaltige Stellung ein. Es war für sie eine Lebensfrage, auch die fürstliche Welt ihren Sprüchen zu unterwerfen, und wenn anfangs die Auffassung galt, über Fürsten dürften sie nicht richten, nahmen sie nachher Anklagen gegen solche mit Vorliebe entgegen und verfolgten die Processe mit allem Nachdruck. Aber sie erreichten ihre Absicht nicht, die fürstliche Gewalt erwies sich wie überall als die stärkere.

Unter den zahlreichen Processen, welche gegen Hochgestellte geführt wurden, ist der bedeutendste der gegen Herzog Heinrich den Reichen von Baiern-Landshut. Die mannigfachen Wendungen, welche er genommen hat, geben ein treffliches Bild von dem Wesen der Westfälischen Gerichte, wie von dem Charakter der gesammten Zeit. Zum Glück sind wir über ihn gut unterrichtet. Eine Fülle von Urkunden veröffentlichte Freiherr von Freyberg in dem ersten Bande seiner „Sammlung historischer Schriften und Urkunden“ (Stuttgart und Tübingen 1827), dann gab Bernhard Thiersch in seiner Schrift: „Vervemung des Herzogs Heinrich des Reichen von Baiern durch die heimliche Acht in Westfalen“ (Essen 1835) werthvolle Nachträge; einiges theils Gedrucktes, theils bisher Nichtbekanntes findet sich anderweitig.




Im Juni 1416 schlossen fünfundzwanzig Baierische Ritter ein Bündniss zur Vertheidigung ihrer Freiheiten, selbst gegen ihre Landesherren. Unter ihnen befand sich Kaspar von Törring, dessen Stammschloss an der Baierischen Grenze im Salzburgischen lag. Die Familie war in Baiern hochangesehen und reichbegütert, sie besass seit längerer Zeit das Oberstjägermeisteramt des Herzogthums [67] und übte auch das Bannerrecht aus[2]. Mit ersterem waren mancherlei Vorrechte verbunden, welche zu Beschwerden und Streit führen konnten. Herzog Heinrich der Reiche von Landshut, selbst ein eifriger Jägersmann, bestritt Kaspar das erbliche Recht, und da dieser seiner Meinung nach Missbrauch getrieben, liess er 1413 einen Törring’schen Jäger fangen und Hunde wegnehmen. Vergebens suchte der Gekränkte auf mancherlei Wegen sein vermeintliches Recht zu erlangen, bis der Zwist zu gewaltsamem Ausbruch kam[3].

Zwischen Herzog Heinrich und seinem Vetter, dem Herzoge Ludwig dem Bärtigen von Ingolstadt, herrschte von jeher flammender Hass; schliesslich überfiel der gereizte Heinrich am 20. October 1417 zu Konstanz den Gegner in heimtückischer Weise und brachte ihm schwere Wunden bei. Im Sommer 1418 entbrannte daher ein wilder Krieg, in welchem Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg hilfreicher Bundesgenosse seines Schwagers Heinrich wurde, Ludwig dagegen benutzte die feindselige Stimmung, welche im Lande gegen Herzog Heinrich herrschte, und vereinigte sich mit dem 1416 geschlossenen Ritterbund, der inzwischen mächtig herangewachsen war. Kaspar von Törring wurde Hauptmann der Ritterschaft und erhielt von Ludwig die bündigsten Zusicherungen, seine Ansprüche an Heinrich durchfechten zu helfen. Der Landshuter Herzog behandelte nun den Ritter als offenen Feind, erstürmte und zerstörte dessen Burg, liess die Jagdhunde erschlagen und führte die Kleinodien der Gattin als gute Beute fort. Kaspar behauptete später, der Herzog habe ihm nicht in ehrlicher Weise abgesagt, während dieser das Gegentheil versicherte und bezeugte[4]. Der Krieg tobte noch fort, als König Sigmund Ende Juli 1422 nach Baiern kam, um in Nürnberg einen Reichstag zu halten. Er gebot den streitenden Parteien eine vierjährige Waffenruhe, aber es war eine für Heinrich bedenkliche Wendung, dass der König nunmehr entgegen seinem früheren Verbote der Deutschen Ritterschaft gestattete, sich zum Schutze ihrer Rechte zu verbünden[5]. Bald darauf befahl [68] Sigmund dem Herzog Heinrich, er solle dem Törringer nach Schiedsspruch gerecht werden, aber da erlitt Herzog Ludwig die entscheidende Niederlage bei Alling, welche ihn nöthigte, des Königs Vermittlung anzurufen.

Die Hoffnungen, welche der Törringer auf das Schwert gesetzt hatte, waren vereitelt, er selbst mit Schulden beladen. Er sann auf andere Mittel und Wege, sich zu rächen und seiner vermeintlichen Rechte theilhaftig zu werden, und verfiel auf die Westfälischen Gerichte. Vielleicht war er bereits Freischöffe oder er wurde es schnell, um die Vorrechte eines solchen zu erlangen. Auch sein Feind, Herzog Heinrich, muss, wie die Art der gegen ihn erlassenen Vorladungen bezeugt, damals bereits wissend gewesen sein[6].

Graf Heinrich V. von Waldeck gab, wie Kaspar später behauptete, gegen Geld und Gut die Zusage gerichtlichen Beistandes[7]. Kurt Rube, der Waldeck’sche Freigraf, erliess durch zwei Freischöffen die erste Vorladung vor den Stuhl zu Sachsenhausen, welcher die zweite durch vier Freischöffen an denselben Ort folgte.

Der Herzog nahm die Sache keineswegs leicht, sondern war auf seine Vertheidigung bedacht. Der gelehrte und des Vemewesens kundige Magister Heinrich Baruther, der Rath des Markgrafen Friedrich von Brandenburg, der ebenfalls Wissender war, besorgte von Baierischen Freischöffen und den Räthen der benachbarten Städte feierliche Erklärungen, dass bei der Einnahme jenes Schlosses das Fehderecht voll beachtet worden sei, der Törringer habe dagegen dem Herzoge nach seinem väterlichen Erbe gestanden[8]. Auch den König als obersten Richter rief der Herzog an, mit dem Erbieten, vor ihm zu Recht zu stehen. Sigmund befahl daher dem Freigrafen, die Sache nicht aufzunehmen, [69] weil er sie selbst entscheiden wolle, aber da er damals in Ungarn weilte, kann sein Schreiben erst eingetroffen sein, als die Dinge eine ganz andere Gestalt angenommen hatten[9].

Von Freischöffen begleitet zog Baruther nach Sachsenhausen, aber wie sie nachher protokollarisch erklärten, Zutritt und Gehör wurde ihnen verweigert[10], vielmehr die dritte Vorladung vor den Stuhl zu Fürstenberg erlassen, welche der Freigraf Heinrich Kerstian von Assinghausen und Norderna nebst sechs Freischöffen überbrachte[11].

Die Baierischen Boten suchten nun mächtige Hilfe und wandten sich nach Kassel an den Landgrafen Ludwig I. von Hessen, welchem Kurt Rube ebenfalls als Freigraf verpflichtet war und auf den der Waldecker gebührende Rücksicht zu nehmen hatte. Der Landgraf stand zudem in naher Verwandtschaft und Freundschaft zu Markgraf Friedrich von Brandenburg. So änderte sich alsbald die Sachlage für den bedrohten Baiernherzog in günstigster Weise.

Am angesetzten dritten Rechtstage, am 17. Juli 1424, erschienen zu Fürstenberg sowohl Kaspar Törring, als auch die herzoglichen Abgesandten, deren Vollmacht Anerkennung fand. Nach Spruch des Gerichtes erhob der Ritter seine Klage mündlich und begründete sie mit mancherlei Geschrift, aber Heinrichs Procuratoren erhoben lebhaften Einspruch, da er nur Abschriften vorlegte; man dürfe Niemandem Leib und Ehre auf Grund von „Vidimus“ absprechen. Kaspar begehrte desswegen ein gerichtliches Urtheil, aber als sich die Schöffen darüber nicht einigen konnten, vermittelten Graf Heinrich von Waldeck selbst und die Vertreter des Hessischen Landgrafen und vereinbarten, zu Martini sollten die Herren von Waldeck und Hessen in Kassel einen gütlichen Schiedsspruch zwischen beiden Parteien versuchen, und erst wenn dieser nicht glücke, gleich darauf ein neuer Rechtstag zu Sachsenhausen stattfinden[12].

Damit war des Ritters Sache verloren. Herzog Heinrich von Baiern und Markgraf Friedrich kamen persönlich nach Kassel, natürlich, dass der Törringer es für gerathen hielt, fernzubleiben. Darauf zogen die fürstlichen Herrschaften allesammt am 14. November [70] vor den Stuhl zu Sachsenhausen, damit Herzog Heinrich sich dem Gericht stelle und seinen Leib und seine höchste Ehre vor dem Ankläger verantworte. Da der Törringer natürlich auch hier weder anwesend war, noch einen Vertreter geschickt hatte, wurde der Verklagte quitt, ledig und los gesprochen, wie es dem Gerichtsgebrauch entsprach, und ihm zuerkannt, da er seiner Ehre genug gethan und sein Recht wohl verwahrt habe, sei er in seinen früheren Rechtsstand (als unbescholtener Mann) wieder eingesetzt. Darnach mussten, wenn wiederum gegen ihn an einem Freistuhl Klage erhoben wurde, erst neue Vorladungen ergehen, die früheren waren erledigt. Nun wandte sich das Blatt gegen den Kläger. Der Herzog liess sich die Befugniss zusprechen, gegen Kaspar, der ihn wider Ehre und Recht „umgetrieben und gemüht“ hätte, die Anklage zu erheben und liess sie sofort einbringen, indem ihm zugleich gestattet wurde, die Sache durch Procuratoren weiter zu verfolgen, ohne persönlich vor Gericht zu kommen[13]. Für diese Anklage war bereits neuer urkundlicher Stoff aus Baiern besorgt worden, welcher den Törringer des Raubes bezichtigte[14].

Dem äusseren Rechte nach war alles in Ordnung verlaufen, aber selbstverständlich wollte der Mann, welcher so plötzlich aus einem Kläger zum Verklagten geworden war, das erfolgte Urtheil nicht anerkennen. Er beschuldigte sogar Herzog Heinrich des Wortbruchs, da dieser sich dem von ihm selbst angerufenen Entscheide des Königs nicht gefügt, sondern die Sache am Freistuhl weiter verfolgt habe. Das Rechtsverfahren erschien ihm ungültig, da ihn Furcht vor drohender Gewalt verhindert habe, nach Sachsenhausen zu kommen[15]; er glaubte daher, seine Klage gegen den Herzog sei noch in der Schwebe, in demselben Stande, wie sie am 17. Juli zu Fürstenberg geblieben war.

Der rastlose Ritter scheute die weite Fahrt nach Ungarn nicht, um den König selbst zum Schutze seines verkürzten Rechtes anzurufen. Bei Hofe weilte damals Herzog Ludwig, und so fasste Törringer, gewiss im Einverständnisse mit diesem, den Plan, den treulosen Ueberfall, welchen Heinrich einst in Konstanz gegen den Vetter verübt, und das Unrecht, welches er diesem nachher angethan, zur Verstärkung seiner Sache ebenfalls vor dem heimlichen [71] Gerichte zu verwerthen. Daher versah er sich in Passau mit den nöthigen Beweisstücken[16].

Sigmund forderte in der That die Stadt Dortmund auf, die Sache zu untersuchen und der Ritter überbrachte dorthin selber das königliche Schreiben. Er erfuhr hier die willkommene Nachricht, Kurt Rube sei gar nicht mehr rechtmässiger Freigraf, sondern bereits 1418 seiner Würde entsetzt, weil er einem königlichen Befehl den Gehorsam versagte[17]. Freilich hatte sich Rube darum nie gekümmert, sondern ruhig sein Amt weiter verwaltet. Obgleich der Rath von Dortmund nicht verhehlte, dem Baiern sei Unrecht geschehen, ersuchte er doch den König, selbst das Urtheil zu sprechen: die Herren, welche die Sache betreffe, seien gross und fern gesessen, und da es sich um Reichsfürsten handle, komme der Spruch allein dem Könige zu[18].

Mit diesem Bescheide wenig zufrieden, suchte Törringer Rath bei anderen Freigrafen, an denen es ja in und um Dortmund nicht fehlte. Ob er ihnen den ganzen Hergang wahrheitsgetreu mittheilte, steht freilich dahin; die Anschauung, welche er sich selbst gebildet hatte, mochte für ihn allein massgebend sein. Jedenfalls bescheinigten vier der angesehensten, Heinrich Overberg von Bochum, Heinke von Voerde von Volmarstein, Albert Swinde von Limburg und Heinrich van dem Nienhus von Wesenfort, nach Einsicht seiner Schriftstücke, Herzog Heinrich habe gegen Gott, Ehre und alles Recht gehandelt, daher gehöre die Sache vor das heimliche Gericht, und der König oder gebührende Gerichtsstätte sollten über sie richten. Offenbar hatten sie jedoch keine Neigung, sich selber mit dem bedenklichen Handel zu befassen[19].

Dagegen liess Landgraf Ludwig von Hessen durch Kurt Rube die vom Herzoge erhobene Anklage weiter verfolgen. Törringer hat jedenfalls die ergangenen Vorladungen unbeachtet gelassen, so dass er schliesslich am 11. April 1426 von dem Hessisch-Waldeckischen Stuhl zu Freienhagen vervemt wurde. Als Waffe gegen ihn erhielt der Baierische Fürst darüber einen Gerichtsbrief[20]. Der nähere Hergang, die Gründe, auf welche sich das Urtheil stützte, sind nicht bekannt.

[72] Die letzte Hoffnung des so in seinen Erwartungen betrogenen Mannes war an den König geknüpft, den er nochmals um Recht anflehte[21], aber es war für ihn eine schwere Geduldprobe, auf dessen weitere Befehle aus Ungarn zu warten. Erst im October 1426 empfing der Kölner Erzbischof Dietrich die königliche Weisung, welche vier Monate lang aus Ungarn unterwegs war, die beiden Parteien zu verhören und mit Hinzuziehung der Dortmunder nach Minne oder Recht zu schlichten, inzwischen den Ritter zu schirmen. Ungern genug übernahm der Erzbischof den verdriesslichen Auftrag, aber er entschloss sich, die beiden Streitenden auf den 16. December vor sich nach Bonn zu laden, um eine Sühne zu versuchen. Törringer erbot sich sofort zu kommen, wohl im Voraus sicher, dass sein Gegner nicht erscheinen würde. Dann gewann er die Möglichkeit, während für ihn sein Gehorsam gegen den königlichen Befehl sprach, den Unbotmässigen aufs neue gerichtlich belangen zu können.

In der That lehnte der Baiernherzog auf Grund des über seinen Gegner erlangten Urtheils die Einladung des Erzbischofs ab und kam nicht[22]. Kaspar dagegen brachte zum festgesetzten Tage den Freigrafen Albert Swinde, den er offenbar ganz für seine Sache gewonnen hatte, und einige Freischöffen mit sich, und in ihrer und eines Notars Begleitung machte er in Bonn die Runde durch die Stätten, an denen sein Widerpart, wenn er erschienen wäre, sich hätte müssen treffen lassen, in den Kreuzgang von St. Cassius, in den erzbischöflichen Hof, die Remigiuskirche und zum Minoritenkloster. Ueberall wurde feierlich ein Gerichtsplatz abgesteckt und Heinrich’s Name viermal aufgerufen; jedesmal nahm der Notar ein Instrument über den Vorgang auf[23].

Es galt nun, den errungenen Vortheil gerichtlich zu verwerthen. Es war dem Ritter mittlerweile gelungen, ausser Albert Swinde den weiteren Kreis von Freigrafen, welche sich um Dortmund herum gruppirten, für seine Angelegenheit zu interessiren. Die Grösse und Bedeutung der Sache, welche Gelegenheit bot, die Gewalt des heimlichen Gerichtes vor aller Welt kund zu thun, mochte die Freigrafen reizen; ausserdem schien der König selbst für Törringer zu sein. Die Stadt Dortmund [73] hielt sich zwar, wie gewöhnlich, vorsichtig zurück, aber die benachbarten Herren Ernst von Bodelschwingh und Heinrich von Westhofen öffneten ihren Freistuhl zu Bodelschwingh, der für reiche Bezahlung oft grossen Vemeprocessen gedient hat. Der vornehmste aller Freigrafen, der junge Erbgraf von Dortmund, Konrad von Lindenhorst, übernahm am 4. Februar 1427 selbst den Vorsitz unter dem Beistande mehrerer Genossen. Nur drei, Kuno Vriman aus Bochum, Jakob Stoffregen aus Rheda und Heinrich van dem Nienhus aus Wesenfort werden ausdrücklich genannt, aber auch Albert Swinde und andere waren zugegen, wie spätere Beurkundungen bezeugen. Zahlreiche Freischöffen, meist ritterlichen Standes, umgaben den Stuhl. Da Kläger wie Angeklagter Freischöffen waren, begannen die Verhandlungen gleich im heimlichen Gerichte. Törringer bewies durch seine Schriftstücke, dass Herzog Heinrich dem königlichen Befehl zum Trotz in Bonn ausgeblieben sei, und brachte seine Klage aufs neue vor. Da er zugleich bezeugte, dass der Fürst dreimal ordnungsgemäss vorgeladen sei, war die Rechtsverweigerung festgestellt, und Törringer begehrte daher den letzten Spruch, das Schlussurtheil. Wie das üblich war, bewirkte Konrad von Lindenhorst einen Aufschub bis nach Pfingsten. Um jeden Einspruch und jedes Widerspiel abzuschneiden, erwarb sich der Kläger die nöthigen Urtheile: die Vertagung solle sein Recht auf das Vollgericht, das er an jedem Freistuhl begehren könne, nicht hindern; wenn er von einem Freistuhl mit Gewalt gedrungen würde, dürfe er sich an jeden andern wenden, und wenn ihn inzwischen Leibesnoth oder Krankheit befiele, stehe ihm zu, durch einen Vertreter seine Sache weiter zu führen[24].

Den Rechtsgrund zu diesem Spruch bildete die Annahme, Heinrich habe sich geweigert, dem Ritter zu Recht zu stehen. Dies belegte Törringer zunächst durch seine auf die letzte durch den Erzbischof versuchte Schlichtung bezüglichen Briefe, welche allerdings für ihn sprachen, wenn der Grund von Heinrichs Nichterscheinen nicht bekannt war oder nicht für triftig anerkannt wurde. Nun lag gegen den Ritter die von Kurt Rube ausgesprochene Vervemung vor, welche ihn unfähig gemacht hätte, vor dem heimlichen Gerichte überhaupt zu erscheinen. Aber [74] die Freigrafen betrachteten sie für ungültig, da jener seines Amtes verlustig gesprochen war. In der Urkunde, welche den Hergang zu Bodelschwingh berichtet, ist von Rube’s Spruch gar nicht die Rede, doch veranlasste Kaspar zur grösseren Sicherheit bald darauf, am 25. Februar, acht Freigrafen zu der schriftlichen Erklärung, der Waldeckische Freigraf sei seiner Würde beraubt und daher sein Urtheil ohne Kraft[25].

Trotzdem erkannte man einen Theil der von Kurt Rube vollzogenen Rechtshandlungen für gültig an, nämlich die von ihm erlassenen Ladungen an Heinrich. Das geschah offenbar desswegen, weil die Sache als vemewrogig erkannt war und Freigraf und Freischöffen, welche die Heischung gethan hatten, durch den über Rube verhängten Spruch nicht berührt waren. Hier lag nun der entscheidende Schwerpunkt des Verfahrens. Waren einmal die Ladungen ergangen, so blieben sie in dauernder Kraft, und ein Process konnte jeder Zeit, auch nach jahrelanger Unterbrechung, wieder aufgenommen werden, wenn der Beklagte sie verachtet hatte. Der Herzog hatte auf die dritte Forderung nach Fürstenberg seine Boten gesandt, welche das Gericht anerkannte. Aber dort war die Sache nicht zum Austrag gekommen, sondern eine Vermittlung in Aussicht genommen worden. Dieser hatte sich Törringer entzogen, aber er stellte seinen Richtern die Sache so dar, als sei der Tag zu Bonn für diese bestimmt gewesen, sich darauf stützend, dass er damals Gewalt habe befürchten müssen. Dann konnte allerdings die Meinung entstehen, Heinrich habe das Recht geweigert, er konnte als nicht erschienen, als der dritten Vorladung unfolgsam gelten. Törringer wird ohnehin die Dinge in einem ihm noch günstigeren Lichte dargestellt haben, und für die Freigrafen musste durchschlagend sein, dass Heinrich Kerstian, welcher einst die dritte Vorladung überbracht, ihm zur Seite stand und eidlich bekundete, dass Heinrich richtig geladen, aber nicht erschienen sei[26]. Er, der sicherlich genau wusste, wie alles stand, hat die Freigrafen irre geführt, und mag man auch die eigenthümliche Verwicklung der Umstände als mildernden Umstand betrachten, im Grunde genommen schwur er nichts anderes als einen Meineid. Für den [75] Kläger kam alles darauf an, möglichst gleich das Urtheil zu erreichen. Neue Vorladungen konnten nicht erfolgen, da die Sache bereits früher angehoben war und die drei gesetzmässigen ja wirklich ergangen waren. Die Verdunkelung der Thatsachen lag eben in der Behauptung, der Herzog habe der dritten nicht Folge geleistet.

Indessen wurde, wie das gewöhnlich zu geschehen pflegte, der von dem Vollgericht Bedrohte nicht ganz in Unkenntniss gelassen, sondern ihm eine Warnung ertheilt. Am 12. März richteten acht Freigrafen auf Grund der in Bodelschwingh gewiesenen Urtheile eine ernstliche Mahnung an Herzog Heinrich, in der Zwischenzeit dem Törringer Recht zu gewähren[27].

Nach langem Harren sah sich der leidenschaftliche Mann endlich dicht vor dem ersehnten Ziel, alles schien im besten Fluss zu sein. Wenigstens fünfzehn Freigrafen hatte er auf seiner Seite. Hauptsächlich waren es solche, welche im Dienste der Herren der Grafschaft Mark, des Herzogs Adolf I. von Kleve und seines Bruders, des Junkers Gerhard von der Mark, standen, dann ausser den Dortmunder Erbgrafen die Limburgischen Freigrafen, daneben andere, wie der Städte Münster und Soest und kleinerer Stuhlherren. Gleichwohl trat plötzlich eine Verzögerung ein, veranlasst durch Herzog Heinrich, welcher Aufschub zu erlangen suchte, bis er des Königs Einfluss für sich in Bewegung setzen konnte. Er ersuchte daher den Pfalzgrafen Ludwig III., einen Schiedsspruch zu fällen, nach welchem er Törringer Recht gewähren wolle. Der Pfalzgraf schrieb alsbald an Erbgraf Konrad, der auch bereit war, einen glimpflichen Ausgang zu fördern, nachdem Heinrich sich nachgiebig gezeigt. Er benachrichtigte den Ritter und hielt zwar den einmal angesetzten Gerichtstag zu Bodelschwingh ab, aber wohl oder übel musste Kaspar darauf eingehen, die Sache bis zum 15. August hinauszuschieben, vorbehaltlich natürlich seiner bereits gewonnenen Urtheile[28]. Es mag ihm dabei nicht wohl ums Herz gewesen sein; unmittelbar darauf eilte er zu Herzog Adolf von Jülich-Berg und erwarb sich von ihm einen Empfehlungsbrief an den Dortmunder Bürgermeister Johann von Wicke, welchen er diesem persönlich überbrachte[29]. Indessen nahm der Jülicher Herzog [76] zusammen mit dem Bruder Ludwig’s, Pfalzgraf Otto von Mosbach, die Sache in die Hand. Törringer selbst erschien darauf in Heidelberg und stellte seine Angelegenheit vertrauensvoll dem Pfalzgrafen Ludwig anheim, der ihm die besten Verheissungen machte. Aber Herzog Heinrich erwies sich unzugänglich und suchte vielmehr den König gegen seinen Widersacher einzunehmen[30].

Nochmals enttäuscht sah sich Törringer wieder genöthigt, auf den Process vor dem Vemegericht zurückzugreifen. Er führte jetzt den bereits früher gefassten Plan aus, gegen Heinrich auch die Frevel geltend zu machen, welche dieser gegen seinen Vetter Ludwig den Bärtigen von Ingolstadt verübt, und letzterer versah ihn mit den nöthigen Schriftstücken. Sie bezeugten, wie König Sigmund, das Concil selbst und der Französische König allen in Konstanz Anwesenden Sicherheit verbürgt, dass also Heinrich durch seinen Mordversuch den öffentlichen Frieden brach; sie enthielten ferner die Verhandlungen, welche wegen dieser Missethat vor dem Könige gepflogen wurden. Andere Acten betrafen den Krieg zwischen Ludwig und Heinrich, in welchem des Törringers Feste fiel, und wiesen nach, dass der Bund vom Könige gestattet, also der Kampf von Heinrich mit Unrecht geführt wurde. Da die Hoffnung auf einen gütlichen Ausgleich durch Herzog Heinrich vereitelt war, trug Konrad von Lindenhorst kein Bedenken mehr, die Sache zum endlichen Ziele zu führen. Zusammen mit Albert Swinde hegte er am 31. Januar 1429 wiederum zu Bodelschwingh die heimliche Acht, um das Verfahren aufs neue in Gang zu bringen. Das Gericht beschloss, die Klage Herzogs Ludwig in die Törringer’s aufzunehmen, da dieser jenes Hauptmann in dem Streite gegen Heinrich gewesen war, so dass der zu fällende Spruch auch Ludwig zu gute kommen sollte. Die Verhandlung hatte hauptsächlich den Zweck, an das Erkenntniss vom 4. Februar 1427 anzuknüpfen, das damals von Törringer erstrittene Recht auf Vollgericht zu erneuern und zu bekräftigen. Eine wiederholte Warnung an Heinrich scheint nicht ergangen zu sein, sie war auch nicht mehr erforderlich[31].

Um die letzte und höchste Sentenz, das Todesurtheil, zu [77] erzielen, musste Kaspar nochmals den Beweis führen, dass Heinrich dreimal vorgeladen, aber nicht erschienen sei. Die früher gethane Aussage war auch vor dem neuen Gerichte zu wiederholen. Daher liess er den Freigrafen Kerstian nach Dortmund kommen, welcher eine eidliche Erklärung abgab, wie sie der Törringer nur wünschen konnte. Freilich war sie falsch; abgesehen davon, dass der Freigraf irrthümlich alle drei Ladungen als nach Fürstenberg ergangen bezeichnete, bekundete er ausdrücklich: weder Heinrich noch „Jemand von seiner wegen“ habe sich gestellt, um Leib und Ehre zu verantworten[32]!

So kam denn endlich der Tag heran, welcher den so lange quälenden Rachedurst des Baierischen Ritters stillen sollte. Vor dem Schlosse von Limburg an der Lenne, ausserhalb der Umzäunung, stand der Freistuhl, welchen der zuständige Freigraf Albert Swinde am 20. Juni 1429 bestieg. Zur Seite traten ihm Erbgraf Konrad von Dortmund, Johann von Essen, Freigraf Gerhards von der Mark zu Bochum und Iserlohn, und Lambert Nedendicke, der zweite Limburgische Freigraf. Zahlreiche ritterbürtige und andere Schöffen bildeten Gericht und Umstand. Wie es Brauch war, stellte der Kläger durch den ihm zugewiesenen Vorsprecher in seinem eigenen Namen, wie in dem Herzog Ludwig’s und der Verbündeten die umfangreiche Sache mit Vorlegung der schriftlichen Beweisstücke dar, und berichtete, wie alle Bemühungen, Recht zu erlangen, vergeblich gewesen seien. Den ganzen Verlauf des Processes seit jenem erfolglosen Tage zu Bonn setzte er dem Gericht auseinander und forderte gemäss dem Spruche von Bodelschwingh das so lange hinausgeschobene Vollgericht. Der Sitte entsprechend baten ihn die Versammelten, sein Begehren zurückzunehmen, aber er mahnte sie an ihre dem heiligen Reiche geschworenen Eide, ihm sein Recht zu thun.

So nahm das Gericht seinen weiteren Lauf. Zunächst wurde angesichts des von dem Freigrafen Kerstian ausgestellten Scheines als Recht gewiesen, die Vorladungen seien ordnungsgemäss geschehen und daher Vollgericht zu gewähren. Albert Swinde fragte, um der Form zu genügen, dreimal und zum vierten Male, [78] ob Jemand da wäre, der Herzog Heinrich zu seinem höchsten Recht verantworten wollte, und da Niemand antwortete, bat Törringer um den letzten Spruch. Er hatte nun noch den Beweis für seine Klage zu erbringen nach dem Rechte der heimlichen Acht, nämlich mit sechs echten unbescholtenen Freischöffen eidlich zu erhärten, dass Heinrich jene Verbrechen begangen. So erschien er mit sechs Freischöffen an der Hand, welche ihm „zu seinem Rechte und Zeugniss helfen wollten“, und nachdem ein Urtheil deren Unbescholtenheit festgestellt, leisteten sie alle knieend den erforderlichen Schwur. Die Formen waren erfüllt, dem Rechte genug gethan, und der Freigraf verkündete nun das Urtheil.

„So habe ich Freigraf Albert zusammen mit den Freigrafen, welche den Stuhl mit mir besessen haben, den Heinrich, welcher sich schreibt Herzog in Baiern und Pfalzgraf bei Rhein, aus königlicher Gewalt genommen, vervemt und verführt aus der rechten Zahl in die unrechte Zahl, aus der echten Zahl in die unechte Zahl, aus der oberen Zahl in die niedere Zahl, ihn von allen Rechten abgeschieden und ihn gewiesen von den vier Elementen, welche Gott dem Menschen zum Troste gegeben hat, dass sein Leichnam nimmer mit ihnen vermischt werden soll, er werde denn dazu gebracht als ein missthätiger Mensch. Sein Hab und Gut und seine Reichslehen sind dem Könige und dem heiligen Reiche verfallen. Und ich habe ihn von Rechts wegen gewiesen als echtlos, rechtlos, friedlos, ehrlos, sicherlos, als missthätig, vemepflichtig, lieblos, und dass man mit ihm thun und verfahren mag wie mit anderen missthätigen, vervemten Männern und ihn noch schärfer und schimpflicher richten soll nach dem Gesetze des Rechtes, denn wie die Stellung höher ist, ist auch der Fall tiefer und schwerer. Er soll fortan für unwürdig gehalten werden und Fürst weder sein noch heissen, weder Gericht noch Recht besitzen. Und wir Freigrafen gebieten allen Königen, Fürsten, Herren, Edeln, Rittern, Knechten und allen denen, welche zum Reiche gehören und Freischöffen sind, und überhaupt allen Freischöffen in der heimlichen Acht bei ihren Ehren, Treuen und Eiden, welche sie dem heiligen Reich und der heimlichen Acht gethan haben, dass sie dazu helfen und beistehen mit all’ ihrer Macht und Vermögen und lassen das nicht um Verwandtschaft oder Schwagerschaft, um Leib, um Leid, um Gold, um Silber, um [79] Angst für Leben oder Gut, dass über Heinrich, seinen Leib und sein Gut gerichtet werde und Correction geschehe, wie des heiligen Reiches heimlicher Acht Recht ist, und dass sie dazu helfen, dass dem Kaspar Törring, seiner Hausfrau und seinen Erben Genugthuung geschehe“.

An die darüber ausgestellte Urkunde hingen die Freigrafen und sieben Schöffen ihre Siegel[33].

Unmittelbar darauf am 1. Juli erstattete Erbgraf Konrad von Lindenhorst dem Könige Sigmund Bericht über das Geschehene. Da Herzog Heinrich dem Törringer auch vor dem Erzbischof Dietrich keine Sühne für seine Gewaltthat geleistet und den Herzog Ludwig in Konstanz gegen das vom König und Concil gegebene Geleit mörderisch verwundet, so habe ihn nunmehr Freigraf Albert Swinde zu Limburg „verwunnen, vervemt, friedlos und ehrlos gewiesen“. „Da dies heilige Recht das höchste Recht in dem heiligen Römischen Reiche ist, so wollte ich, Euer Gnaden möge bestellen, dass namentlich die Fürsten des heiligen Reiches Jedem zu Ehren bescheidenlich antworten und sich über dies Recht dem heiligen Reiche zur Schmach nicht übermüthig hinwegsetzen, damit es nicht nöthig ist, dass so schwere Sachen über sie ergehen. Hierin wolle Eure Königliche Gnaden sich beweisen, wie es sich gebührt[34]“.

Die Bereitwilligkeit des Grafen Wilhelm von Limburg, seinen Stuhl einem Processe von solcher Tragweite zu leihen, mochte, abgesehen von dem natürlichen Triebe der immer mehr sich erhebenden Vemegerichte, der Welt ihre Macht zu zeigen, noch einen andern weniger ehrenvollen Grund haben. Unzweifelhaft wirkte, wie damals leider in fast allen Fällen, die Rücksicht auf Gewinn mit. Hinter dem Törringer, dessen Mittel schon stark erschöpft sein mochten, stand Herzog Ludwig von Ingolstadt. Der Urtheilsspruch gegen den verhassten Vetter gereichte ihm gleichfalls zum Vortheil, und ein gefügiger Freistuhl liess sich auch sonst verwerthen. Am 20. September verpflichtete sich der Limburger auf sechs Jahre, dem Herzog Ludwig, seinen Landen, Leuten, Ritterschaft, Städten und Verbündeten in Baiern den Freistuhl zu Limburg zu ihrem Willen zu öffnen und ihnen Gericht geschehen zu lassen, „wenn wir ihrer mächtig sind zu [80] Ehren und zu Recht“, gegen alle Herren, Fürsten, Ritter, Knechte, Städte, Lande und Leute, und gegen Jedermann, ausgenommen den König, die drei geistlichen Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln, den Bischof von Münster, die Herzöge von Jülich, Berg, Geldern, Kleve, den Junker Gerhard von Kleve, die Grafen von der Mark und Ravensberg und die Stadt Köln. Wenn der Herzog es begehrt und es dem Amtmann schreibt, können er und seine Erben „mit unseren Freigrafen und mit unseren Freischöffen“ Ladungen thun, Urtheile fragen und finden und Vollgericht fordern, ergehen und geschehen lassen nach Satzung der heimlichen Acht. Der Graf von Limburg, sein Amtmann, Freischöffen und Untersassen sollen dazu Beistand leisten. Angefangene Sachen können noch weitere sechs Jahre weiter fortgeführt werden. Dafür zahlt der Herzog jährlich 50 Gulden. Werden Ludwig oder seine Verbündeten an dem Freistuhl „gekrodet“ oder mit Gewalt davon gedrungen, so wird der Graf mit 200 Bewaffneten Hilfe leisten. Dafür erhält er noch weitere 50 Gulden, Stoss und Abenteuer übernimmt Baiern[35].

In Folge dessen trat nun Herzog Ludwig in den Vordergrund, während bis dahin seine Sache gegen Heinrich nur zur Verstärkung von Törringer’s Klage diente. Konrad von Lindenhorst und Albert Swinde richteten am 5. October ein neues Schreiben an den König, welches eine noch dringendere Sprache führte, als das frühere. In erste Stelle rücken sie den Konstanzer Mordanfall, die Verunrechtung Törringer’s tritt dagegen zurück. „Da es einem Fürsten des heiligen Reiches nicht geziemt, sich gegen das höchste Recht des heiligen Reiches zu sträuben und es so freventlich über sich ergehen zu lassen, so dünket uns recht und billig, dass Eure Königliche Gnaden Euerem und des heiligen Reiches heimlichen Rechte beiständig sei und ihm vollkommenen Verfolg gebe, also dass Eure Gnaden den verurtheilten Herzog Heinrich züchtige und strafe, damit ein Anderer daran denke und dem Rechte gehorsam sei, auf dass sie nicht dem heiligen Reiche zu Schmach und Hohn das heimliche Recht und das Recht unterdrücken, sobald sie wissen, dass es Eurer Königlichen Ehre befohlen ist. Denn ein jeder Mann, der unter dem heiligen Römischen Reich gesessen ist, er sei [81] gross oder klein, edel, wohlgeboren oder unedel, soll solche grosse schwere Urtheile billig fürchten[36].

Da man sich grössere Wirkung in Baiern versprach, wenn Herzog Ludwig als der Hauptkläger gegen Heinrich erschien, so wurde durch Albert Swinde die Vervemungsurkunde vom 20. Juni umgearbeitet und in eine neue Gestalt gebracht, damit sie diesem Zwecke besser entspräche. Wenn auch die Theile, welche das gerichtliche Verfahren schilderten, fast unverändert blieben, so wurden jetzt die Klagen, welche der Törringer als Vertreter des Herzogs Ludwig erhob, weitläufig angeführt und überhaupt des letztern Persönlichkeit in den Vordergrund gestellt[37].

Das Urtheil zu vollziehen, überliessen die Westfalen klüglich Anderen; sie forderten die Baierischen Freischöffen dazu auf. Es liegt ein Schreiben vor, am 28. November an den Rath Herzog Ludwigs, Ritter Wilhelm Wolfsteiner gerichtet. Die Freigrafen Konrad und Albert theilen ihm das gefällte Urtheil mit und, „da wir selber dort zu Lande augenblicklich nicht sein können“, erinnern sie ihn an die durch den Schöffeneid übernommene Verpflichtung, dazu zu helfen, dass dem Vervemten sein Recht geschehe. Mit ihm dürfen selbst Unwissende keine Gemeinschaft haben und kein Bündniss schliessen oder halten, Niemand soll ihm gehorchen. Auch an andere Persönlichkeiten ergingen entsprechende Weisungen, mit der Drohung, sie würden sonst selber dem heimlichen Gerichte verfallen[38].

Natürlich fand sich Niemand bereit, diesem bedenklichen Befehle Folge zu leisten. So musste Kaspar von Törring den Kummer ins Grab mitnehmen, dass alle seine jahrelangen heissen [82] Bemühungen keine Frucht getragen hatten. Er ist damals gestorben, unter welchen Verhältnissen und wo, ist unbekannt. Im März 1430 wird von ihm als von einem Verstorbenen gesprochen[39].

So gleichgültig war doch aber auch dem Herzog Heinrich die Sache nicht, dass er sie unbeachtet gelassen hätte. Er wählte zunächst den richtigsten Ausweg, Vemerecht durch Vemerecht zu bekämpfen. Durch seine Baierischen Freischöffen liess er das freisprechende Urtheil, welches er am 14. November 1424 zu Sachsenhausen unter Kurt Rube’s Vorsitz errungen, und die durch denselben Freigrafen am 11. April 1426 zu Freienhagen über Törringer verhängte Vervemung beglaubigen und durch Abschriften verbreiten. Die Betheiligten und Mitwissenden jener Vorgänge erliessen ähnliche Erklärungen, welche an den König, dessen Kanzler und Räthe, an sämmtliche süddeutschen Fürsten und Herren versandt wurden. Namentlich wurde die von Törringer aufgestellte Behauptung, mit welcher er die Rechtmässigkeit des Sachsenhausener Spruches bestritt, er habe wegen drohender Gewalt nicht vor den Stuhl kommen können, durch die damals anwesenden Fürsten, den Hessischen Landgrafen, den Brandenburgischen Kurfürsten und andere als falsch bezeichnet[40].

Auch an König Sigmund wandte sich der Herzog und erhob Einspruch gegen die ihm widerfahrene Behandlung. Der König beauftragte zuerst den Herzog Adolf von Jülich-Berg mit der Untersuchung, doch nahm er dann den Befehl zurück, da er, wie es scheint, selber die Sache entscheiden wollte[41]. Inzwischen hatte jedoch der Herzog gehandelt und zwar hauptsächlich unter dem Einflusse des Wittelsbacher Hauses. Denn auch Pfalzgraf Ludwig rief Rath und Beistand des Jülicher Herzogs für Heinrich an, selbst Herzog Ernst von München trat für den Vetter ein, und Ludwigs Bruder Otto übernahm es, persönlich die Dinge zu ordnen, dazu von Heinrich mit Vollmacht versehen[42]. Er liess [83] Kurt Rube nach Köln kommen und der Herzog selbst geleitete die beiden nach seinem Freistuhl zu Halver „an der Kirslede“.

Dort trat am 2. Mai 1430 ein grosses Gericht zusammen; nicht weniger als zehn Freigrafen waren zugegen. Der grösste Theil von ihnen war an den früheren Processen gegen Herzog Heinrich nicht betheiligt, nur zwei, Heinrich de Sure von Soest und Heinrich von Voerde von Volmarstein hatten bei einzelnen Handlungen dem Törringer zur Seite gestanden. Wenn früher Freigrafen aus dem Dortmundisch-Märkischen Kreise die hauptsächliche Rolle spielten, so gehörten jetzt fast alle der Jülisch-Bergischen und Kölnischen Herrschaft an, darunter mehrere berühmte Namen, wie Gerhard Seiner aus Arnsberg und Heinrich Vischmeister von Eversberg. Aber merkwürdig, von den vier Freigrafen, welche vor einem Jahr Heinrich verurtheilten, war gerade derjenige, welcher den Stuhl besessen und den Spruch verkündet hatte, Albert Swinde von Limburg, erschienen. Was mag ihn dazu bewogen haben? Die ehrliche Erkenntniss gethanen Unrechts gewiss nicht, denn er erscheint späterhin wieder als Gegner des Herzogs. Furcht oder Bestechung liessen ihn die Hand dazu bieten, das von ihm selbst bewirkte Erkenntniss umzustossen. Doch that er es mit innerlichem Vorbehalt. Kurt Rube nahm unter den Genossen unangefochten seinen Sitz ein; daran, dass er einst aus ihrem Kreise ausgestossen worden, erinnerte unter diesen Umständen Niemand. Der Herzog Adolf mit seinem Sohne Ruprecht, Pfalzgraf Otto, die Grafen von Waldeck und Thierstein, über vierzig Ritter und Edle aus dem Süden und dem Westen Deutschlands gaben der Versammlung besonderen Glanz. Den Vorsitz führte Heinrich von Valbrecht, Freigraf im Suderland.

Pfalzgraf Otto nebst fünf Rittern trat als Bevollmächtigter des Herzogs Heinrich auf, liess die früheren sich widersprechenden Vemeurtheile verlesen und an Albert Swinde die Frage richten, „wie sich die Sache gehandelt und gemacht habe“, da doch der Herzog nicht vorgeladen worden sei. Wurde nämlich, wie es hier von vornherein geschah, der Sachsenhausener Spruch vom November 1424 für rechtskräftig betrachtet, so hätten neue Verbotungen ergehen müssen. Swinde antwortete: er habe gerichtet auf den Schein, welchen ihm der Freigraf Kerstian geschickt habe, aber gleich den Vorbehalt gemacht, wenn der Schein nicht [84] gültig sei, sei das Gericht es auch nicht. Seine Antwort war ausweichend und liess alle Hinterthüren offen, aber sie reichte hier übergenug aus, um das beabsichtigte Urtheil finden zu lassen: das Limburger Gericht sei ein Ungericht und dem Herzoge unschädlich, da er nicht verbotet worden, wie es einem Freischöffen gebühre. Widerspruch gegen das Urtheil wurde nicht erhoben[43].

Obgleich hier in Halver das wohl eingefädelte Spiel glatt ablief, sollte Heinrich doch nicht aus der Unruhe herauskommen, denn Herzog Ludwig von Ingolstadt gab die Verfolgung nicht auf. Durch den Tod Törringer’s hatte er das Werkzeug verloren, dessen er sich gegen den Vetter bediente, und es ist kein Zweifel, dass er sofort für Ersatz sorgte, indem er zwei andere seiner Diener nach Westfalen schickte, um die dortigen Angelegenheiten weiter zu betreiben, nämlich Leonhard Sandizeller, Pfleger und Landrichter in Aichach, und Konrad Zeller, Richter zu Wasserburg, natürlich Freischöffen. Noch immer hatte er keine Sühne für den an ihm in Konstanz verübten Frevel erhalten können. Er hoffte mit Hilfe der Veme den Vetter dazu zwingen und ihm als Vervemten die Gunst des Königs, wie den Beistand seiner Verbündeten, namentlich des Brandenburger Kurfürsten, abschneiden zu können[44]. Die Ungültigkeitserklärung des Limburger Spruches, wie sie eben zu Halver erfolgte, machte durch die bisherige Rechnung einen argen Strich, aber die beiden Männer liessen sich nicht entmuthigen. Sie mochten wohl mit den verzwickten Irrgängen des Vemerechtes vertraut sein und daher wissen, dass ein findiger Kopf dank der herrschenden Rechtsverwirrung immer noch seinen Zweck erreichen konnte. Gewiss sind sie die „zwei echten Freischöffen“, welche alsbald gegen die Lossprechung Heinrich’s Verwahrung und Appellation einlegten und sie durch die Räthe Herzog Ludwig’s dem Könige überreichen liessen[45]. Indessen schien es nicht rathsam, allein auf dem alten Processe gegen Heinrich zu verharren, einmal, weil der Kläger Törringer todt war, dann weil es nach dem Gange, den die Dinge genommen hatten, nicht mehr möglich war, nochmals auf jene Vorladungen zurückzugreifen. Besser, man strengte ein neues Verfahren an. Vom Stuhle zu Bodelschwingh aus erliess schon am 11. Mai Bernt [85] Duker, der Freigraf der Herren von Heiden im Stifte Münster, auf ihrer beider Veranlassung die erste Vorladung an Herzog Heinrich, ohne den Grund der Anklage zu bezeichnen[46]. Indessen erfahren wir anderweitig, dass wieder der Konstanzer Angriff auf Ludwig und die an Törringer verübten Gewaltthaten hervorgeholt wurden[47].

Als Duker jedoch ebendort am 4. Juli die zweite Vorladung erlassen wollte, wurde er verhindert, das Gericht abzuhalten. Von wem, sagt sein Bericht leider nicht; vielleicht dass der Stuhlherr selber die Sache hintertrieb. Er erliess daher von dem Stuhle seiner eigenen Freigrafschaft zu Haselhofen am 27. Juli die Verbotung an den Stuhl zu Wettringen, doch kam sie nicht zur Absendung; möglich dass auch hier der Stuhlherr von dem gefährlichen Treiben nichts wissen wollte. Da fand sich Junker Gerhard von der Mark, der schon die erste Vervemung Heinrich’s ermöglicht hatte, wieder bereit, seine Stühle herzuleihen, und so konnte Bernt Duker zu Hemelinghofen bei Kamen am 26. September die zweite Vorladung für den 14. November aussprechen[48]. Nicht genug damit; an demselben Gericht meldete sich noch ein dritter Kläger gegen Heinrich, Wilhelm Huttinger, ebenfalls ein Rath Herzog Ludwig’s. Auf seine Anklage, deren Inhalt auch nicht angegeben wird, erfolgte eine erste Vorladung für acht Tage später, den 21. November[49].

Gleich auf die erste Vorladung hin bat Pfalzgraf Otto den Herzog Adolf von Jülich-Berg, da sein Bruder Pfalzgraf Ludwig und er die Sache mit Heinrich ins Reine bringen wollten, möge er helfen, den Gerichtsgang abzuschliessen[50]. Indessen betrieb jetzt Herzog Ludwig der Bärtige energisch die Angelegenheit in der Hoffnung, auch den König dafür zu gewinnen. Aber dieser antwortete auf die ihm zugesandte Appellation gegen den Halverer Spruch ausweichend: er wolle bei seiner Ankunft im Reiche in Straubing die schwierige Frage untersuchen[51]. Herzog Ludwig verlangte daher eilig von Albert Swinde und anderen [86] Dortmunder Herren, die alle in seine Dienste getreten waren und mit dem Titel „Rath“ geehrt wurden, sie möchten eiligst auf seine Kosten nach Straubing kommen[52]. Als sich zeigte, wie wenig der König geneigt war, den Herzog Heinrich preiszugeben, ergingen von Ludwig’s Hof und ihm selbst immer dringendere Schreiben nach Westfalen: er vertraue auf das heimliche Recht mehr, als auf die ganze Welt. Sein Wunsch war, möglichst bald selber nach Westfalen zu kommen, um Wissender zu werden[53]. Dem Erbgrafen Konrad setzte der Herzog das stattliche Jahresgehalt von 20 Rheinischen Gulden für den zu leistenden Beistand aus, auch Huttinger versah er mit Geld[54].

Die Freigrafen Konrad von Lindenhorst und Albert Swinde – denn nur sie können die nicht genannten Verfasser sein – erliessen ein Rundschreiben an die Herren, welche Freischöffen waren, in dem sie die Rechtmässigkeit der in Halver erfolgten „Verklärung“ bestritten; Heinrich, einmal vervemt, könne nicht wieder in sein Recht eingesetzt werden und sei als ein rechtloser Mensch zu behandeln[55]. Aber das half ihnen nichts. Mit aller Entschiedenheit verbot der König am 24. October von Nürnberg aus dem Freigrafen Bernt Duker, den Process weiter zu führen, und beschied ihn und andere Freigrafen zu sich[56]. Seine Absicht war, auf dem Reichstage die gesammte Vemegerichtsbarkeit, welche bereits zu den lautesten und gerechtesten Klagen Anlass bot, gründlich zu ordnen und zu bessern.

Magister Heinrich Baruther, der schon 1424 Heinrich’s Sache vor dem Waldeckischen Stuhle vertreten hatte und jetzt ganz in dessen Dienste übergetreten war, ging zu Herzog Adolf von Jülich-Berg, um diesen zu vermögen, dass er Bernt Duker von weiteren Schritten abhalte, und nahm zugleich ein Exemplar des königlichen Schreibens an den Freigrafen mit, welches der Herzog zu grösserem Nachdruck diesem zustellen lassen sollte. Aber Adolf zeigte diesmal keine Neigung, sich damit zu befassen, da er nähere Beziehungen mit Herzog Wilhelm von München angeknüpft hatte, der Heinrich auch feindlich gesinnt war. Vergeblich wartete der Bote in Köln lange Tage auf seine Antwort. So verfloss der 14. November, auf welchen die zweite Vorladung [87] von wegen Sandizeller’s und Zeller’s lautete, und es kam der 21. November, der Termin der ersten Vorladung in der Sache Huttinger’s. Daher legte Baruther, um wenigstens den Rechtsstandpunkt zu wahren, an diesem Tage in Köln vor einem Notar feierlichen Protest gegen alle etwaigen Schritte des Freigrafen ein. Er ist recht geschickt abgefasst. Der Herzog könne nicht mit Sicherheit vor den Freistuhl kommen, überhaupt hätte Huttinger nicht, wie er thun musste, erst vor dem zuständigen Richter geklagt. Die Richter, sowie der Stuhlherr Junker Gerhard seien von der Partei Ludwig’s und von ihm bezahlt, überhaupt sei Huttinger, wie man sage, nur von dem Herzoge vorgeschoben. Die Ladung enthalte ferner keinen Klagegrund, wie das Recht geböte, und schliesslich habe Huttinger nicht selbst, sondern durch einen Procurator die Anklage vorgebracht, während doch nach heimlichem Rechte, wer eines Andern Leib gewinnen wolle, den eigenen beisetzen müsse. Ausserdem hätten die Herzöge einen Vertrag geschlossen, vor dem Könige über ihren Streit Recht zu nehmen, und da Huttinger’s Klage von Ludwig herrühre, sei sie demnach mit eingeschlossen. Niemand aber dürfe mit zwei Gerichten gedrungen werden[57].

Darüber dass Herzog Ludwig selbst die Kläger vorgeschoben hatte, kann kein Zweifel bestehen. Herzog Heinrich hat es ihm auch vor dem Kaiser ins Gesicht gesagt, dass er den Sandizeller, den Huttinger und Andere „auf ihn gehetzt habe“, aber Ludwig versuchte Ausflüchte. Sigmund verlangte daher von ihm einen Eid, dass die Klage ohne sein Zuthun eingebracht sei[58].

Bernt Duker erhielt Baruther’s Protest zugestellt. Er wollte die angeführten Gründe freilich nicht gelten lassen und auch abgesehen davon fiel es ihm nicht ein, dem Schriftstück Beachtung zu schenken. Er hatte richtig an den bestimmten Tagen die dritte Verbotung auf den 9. Januar und auch die zweite erlassen[59]. Ihm sei, behauptete er, der königliche Brief erst am 6. December zugegangen; er nahm sich dann noch acht Tage Zeit, ehe er ihn beantwortete, und zwar geschah das in trotzigster Weise. Der König als [88] Freischöffe wisse selber, was Rechtens sei; er habe mit der Annahme der Anklage nur seine Pflicht erfüllt, und diese gebiete ihm, weiter zu richten. Da Sigmund schrieb, Heinrich habe sich vor ihm zu Recht erboten, so entgegnete er ihm, es gebühre sich nicht, vemewrogige Sachen vor offene Gerichte oder in gemeine Tage zu ziehen; übrigens sei der Zeitpunkt, zu welchem ihn der König vorgefordert, schon vorbei, und er könne daher nicht nach Nürnberg kommen[60].

Der König erliess, als er vergeblich auf den Freigrafen gewartet hatte, am 15. November einen neuen scharfen Brief und befahl auch den Stuhlherren, ihm kein Gericht zu gestatten[61]. Statt jeder Antwort liefen inzwischen nur die neuen Vorladungen vom November ein. Nochmals, am 8. Januar 1431, sandte er die bündigsten Anweisungen an Duker und dessen Stuhlherrn, auch an Junker Gerhard von der Mark. Da gegen die Vemegerichte der Einfluss grosser Stuhlherren besser wirkte als das königliche Ansehen, wandte sich Sigmund zugleich an Erzbischof Dietrich von Köln, dessen Amtmann in Arnsberg, Friedrich von Saarwerden, bei ihm weilte und den Auftrag erhielt, dem widerspenstigen Freigrafen selber das königliche Gebot zu übermitteln und ihn zur Ruhe zu bringen[62]. Am königlichen Hofe war zufällig eine Gesandtschaft der Stadt Dortmund anwesend. Auch sie wurde um ihre Meinung angegangen, ob die Appellation, welche die beiden Baiern gegen die Halverer Erklärung eingereicht hatten, letztere aufheben könne. Die Befragten scheinen einen günstigen Bescheid gegeben zu haben, aber verwahrten sich gleich, da sie dazu keine Vollmacht hätten, sei er nicht verbindlich, und verlangten, der König möge sich an die Stadt selber wenden, was auch geschah[63]. Heinrich von Valbrecht, der in Halver das Gericht geleitet, erhielt gleichfalls eine Vorladung an den Hof, der er Folge leistete. Er erklärte, von einer Appellation nichts zu wissen, sie sei ihm nicht verkündigt worden. Das erforderte allerdings der Rechtsgebrauch, wenn eine Berufung Kraft haben sollte[64]. Da auch der Nächstbetheiligte, der Sohn Törringer’s, feierlich schwur, von ihm sei eine solche nicht ausgegangen, [89] trug Sigmund kein Bedenken, in Gegenwart zahlreicher Fürsten am 18. März in Nürnberg jene Berufung für ungültig und machtlos zu erklären, „weil sie nicht verkündigt worden sei in rechten gesetzten Zeiten des Rechts“[65]

Man sieht, welche Mühe der König sich gab, wie er, der bis dahin immer die Vemegerichte gepflegt, zwar darauf bedacht war, ihre Auswüchse zu beschneiden, aber doch sorgfältigst den Rechtsstandpunkt zu wahren suchte. Zugleich strebte er eifrig darnach, jedem Verfahren gegen Herzog Heinrich den Boden zu entziehen. Da der junge Törringer darauf verzichtete, in die Fussstapfen seines Vaters zu treten, und gern bereit war, sich dem Herzoge zu unterwerfen, wenn dieser ihm nur einigermassen Gerechtigkeit widerfahren liess, blieb nur noch jener dunkelste Punkt in Heinrichs Leben, der Konstanzer Mordanfall, übrig. Auch diese Sache suchte Sigmund beizulegen, und am 22. März brachte er eine Sühne zu Stande, welche allerdings Ludwig’s Wünschen wenig entsprach.

Bernt Duker hatte doch nicht gewagt, am 9. Januar, auf welchen die dritte Vorladung lautete, Gericht zu halten. Erst vierzehn Tage später fand die Sitzung statt, aber Gerhard von der Mark bewirkte einen Aufschub bis zum 10. April[66]. Beiden war offenbar der kühne Muth etwas gesunken. Der Freigraf hielt zwar dem Könige brieflich eine Vorlesung über das Recht, welches der grosse Kaiser Karl und die Kaiser Heinrich und Friedrich gesetzt und bisher alle Kaiser beschworen und bestätigt hätten, und versicherte, alle verständigen Freigrafen, die er um Rath gefragt, seien seiner Meinung, dass man die Sache nicht aus der heimlichen Acht ziehen könne, aber um seinen Gehorsam zu beweisen, habe er sie bis nach Ostern zurückgestellt[67]. Ungebärdiger zeigten sich die drei Kläger, welche nur nothgedrungen den Aufschub über sich ergehen liessen. Sie richteten an Sigmund einen höhnischen und groben Brief. Dem Befehl, an den Hof zu kommen, hielten sie entgegen, wie einst Herzog Heinrich trotz allen Geleites seinen Vetter ermorden wollte. Wenn der König auch die Weisheit alles weltlichen Rechtes klärlich in seiner Brust trage, so hätten doch alle Freischöffen, denen sie seinen Brief gewiesen, erklärt, und sie selber wüssten [90] es nicht anders, dass eine Vemesache auch durchgeführt werden müsse. Der Schöffeneid verpflichtet, so führten sie aus, zur Verfolgung der Missethäter; kein Kaiser, noch König, noch Fürst, am wenigsten wenn sie Freischöffen sind, kann vorgeladene Verbrecher vor sein Gericht ziehen, wenn er nicht seinen Eid brechen und ein Zerstörer der heimlichen Acht und des Reiches sein will. Wohl ist der Römische König der oberste Richter auch im heimlichen Gericht und jeder Freigraf muss ihm den Stuhl räumen, aber er darf nur richten auf einem Freistuhl. Daher möge der König entweder die Freigrafen und Freischöffen ihres Amtes walten lassen oder, wenn er selbst richten wolle, nach Westfalen kommen[68].

Hinter dem Schreiben steckten wohl die Freigrafen im Solde Herzog Ludwig’s, Konrad von Lindenhorst und Albert Swinde. Offenbar riefen die Vorgänge in Westfalen eine gewaltige Aufregung hervor; das Verlangen des Kaisers, das Verfahren ganz einzustellen und die Sache bei Hofe entscheiden zu lassen, erschien den betheiligten Kreisen unerhört. Selbst der Rath von Dortmund ertheilte auf die Anfrage Sigmund’s das Weisthum: „Wenn in Angelegenheiten, welche vor dem heimlichen Gerichte verhandelt sind, an den König Berufung eingelegt wird, wie es rechtmässig geschehen kann, so mag der König oder der, welchem er sie überträgt, die Sache klären und richten an einem Freistuhle in gehegtem Gericht der heimlichen Acht an gebührenden Stätten[69]“. Das hiess einfach die königliche Gerichtsbarkeit in Vemesachen aufheben.

Herzog Heinrich traute offenbar dem Könige nicht die Macht zu, den Handel, der ihn schon so lange belästigte, ganz aus der Welt zu schaffen, und zog es vor, wiederum Gericht durch Gericht zu bekämpfen. Am besten schien es, sich ein neues Erkenntniss zu verschaffen, welches allen Widerspruch verstummen machte. Was ihm früher Herzog Adolf von Jülich-Berg nicht zur Genüge hatte leisten können, erwartete er jetzt von dem obersten aller Westfälischen Gerichtsherren, dem Erzbischof Dietrich von Köln selbst. Unmittelbar nachdem in Nürnberg die Sühne zwischen ihm und Ludwig geschlossen worden, brach er von dort auf, ohne den Abschluss der geplanten Aussöhnung [91] mit den Herzögen Wilhelm und Ernst von München abzuwarten[70]. Unter dem erzbischöflichen Schirm und Schutz wollte er sich am 10. April, bis zu welchem Bernt Duker das Urtheil aufgeschoben hatte, in Hemelinghofen persönlich stellen.

An diesem Tage erschien eine stattliche Schaar daselbst. Der Erzbischof Dietrich von Köln selbst, dessen Bruder Bischof Heinrich von Münster und Pfalzgraf Otto geleiteten den Herzog Heinrich. Sie umgaben achtzehn Ritter aus Rheinland und Westfalen, natürlich alle Wissende, die Bürgermeister von Recklinghausen und Dorsten, elf Freigrafen, von denen sechs dem Kölnischen, zwei dem Münster’sehen Gerichtsbezirk angehörten, und gegen vierhundert Freischöffen. Der Sachwalter des Herzogs sollte Friedrich von Saarwerden sein. Als man sich dem Freistuhl näherte, fand man ihn wie eine Festung umzogen mit Wall und Graben, hinter denen Ritter und Amtleute des Junker Gerhard standen unter aufgerichteten Bannern, mit Büchsen, Armbrüsten und anderen Gewaffen, um den Zutritt zu verwehren. Die beiden Bischöfe vereinbarten jedoch mit den Anführern, Heinrich dürfe an den Freistuhl herantreten, um sich zu überzeugen, dass kein Gericht gehalten werde, indessen verpflichteten sie sich, selber keines zu halten. Heinrich mit seiner Begleitung sah, dass weder Freigraf noch Kläger anwesend waren und, obgleich es die Märker nicht zugeben wollten, liess er ausrufen: Er sei da, um sich dem Gericht zu stellen, und ob Jemand Ansprache gegen ihn erheben wolle.

So hatte er, wenn auch in sehr eigenthümlicher Weise, dem Rechte genug gethan; in Person war er zur rechten Zeit und am rechten Dingort erschienen, aber nicht auch Richter und Kläger. Damit galt dem Rechte gemäss der Process für beendigt, der Angeschuldigte für ledig und frei. Um dem Ergebniss den rechten Ausdruck zu geben, trat die ganze Gesellschaft am folgenden Tage an dem benachbarten Freistuhl zu Oespel wieder zusammen, wo unter dem Vorsitz des Freigrafen Gerhard Seiner von Arnsberg Gericht gehalten wurde. Friedrich von Saarwerden trug umständlich den ganzen Verhalt vor; natürlich folgte das Urtheil, Heinrich habe dem Rechte genügt und sei in seinen früheren Stand wieder eingesetzt[71].

[92] Sonderbarerweise meldete sich bald darauf Gerhard von der Mark bei Heinrich mit der Forderung: er solle die Busse bezahlen, in welche er verfallen wäre, weil er die bis dahin ergangenen Ladungen nicht befolgt habe, widrigenfalls gegen ihn eingeschritten würde[72]. Es war ein Versuch, durch die Drohung eines neuen Processes Geld zu erpressen. Aber kurz und bündig wies ihn Heinrich unter Berufung auf das erlangte Urtheil ab; er möge ihm und sich weitere Mühe sparen[73].

Die Kosten, welche der Herzog sich verursacht hatte, um jenes Pergament zu erringen, sind unzweifelhaft sehr bedeutend gewesen, und dennoch war er der Belästigung durch die Freigerichte damit nicht auf die Dauer überhoben. Im Gegentheil, obgleich man meinen sollte, der ganze Verlauf hätte genügend gezeigt, wie wenig doch im Grunde die Vemegerichte bedeuteten, und wie leicht ein von ihnen gefälltes Todesurtheil wog, diese Gerichte waren einmal plötzlich Mode geworden, und es musste noch einige Zeit vergehen, ehe die Aufregung über sie sich legte und ruhiger Erwägung Platz machte. In dem Wittelsbachischen Hause hatten sich Hass und rücksichtslose Zwietracht so tief eingefressen, dass die Mitglieder jedes Mittel ergriffen, um sich gegenseitig zu verderben, und da Herzog Ludwig mit jenen Anklagen seinem Vetter wenigstens Mühe und Aufwand genug gemacht hatte, so kamen auch andere Familienangehörige auf den Gedanken, es ihm zum Verdruss und Schaden der Verwandten nachzuahmen.

Das nächste Opfer war Ludwig selbst. Er kam nicht zum ersten Male als Angeklagter mit der Veme in Berührung. Eben jener Gerhard von der Mark, der ihm dann gegen Herzog Heinrich diente, liess ihn 1427 durch seinen Freigrafen Johann von Essen in Bochum vorladen um eine Erbschaftsstreitigkeit; Ludwig’s Stiefmutter Margaretha war nämlich die Schwester Gerhard’s. Pfalzgraf Ludwig als Reichsvicar und später der König selbst legten sich ins Mittel; die Angelegenheit, über welche bis 1430 Nachrichten vorliegen, scheint dann beglichen oder hinter dem bedeutsameren Angriff gegen Herzog Heinrich zurückgetreten zu sein[74].

[93] Gegen Ludwig den Bärtigen traten die Münchener Vettern mit neuen Forderungen auf, und seine Lage wurde dadurch bedenklich, dass er auf die Beschwerden von Klöstern hin dem Kirchenbann verfiel[75]. Jetzt kam noch eine Anklage vor den Westfälischen Gerichten dazu. Am 29. Mai meldete sein Sohn, Herzog Ludwig der Bucklige, entrüstet dem Herzog Adolf von Jülich-Berg, er habe von seinen Dienern in Westfalen Nachricht erhalten, wie Georg Frauenhofer, Ulrich Kagrer und Erasmus Haslanger seinen Vater unbillig um Sachen, welche dorthin nicht gehörten, und gegen das offenbare Recht mit den heimlichen Gerichten umtrieben und bekümmerten. Er bittet daher den Herzog um gefällige Unterstützung, „damit solcher unerhörte Missbrauch abgethan werde“[76].

Die drei, zu denen noch ein Wilhelm Turner gehörte, hatten zusammen an den Herzog Geldforderungen in der Höhe von 11 000 Gulden, welche, wie es scheint, schon aus den Zeiten seines Vaters Stephan herrührten. Sie brachten ihre Klage an König Sigmund, welcher zu Augsburg im September 1431 die Ansprüche gerichtlich anerkannte und zu ihrer Beitreibung ermächtigte[77]. Da dies wahrscheinlich ohne Erfolg blieb, entschlossen sich die Gläubiger, die heimlichen Gerichte anzurufen. Ob sie dies aus eigenem Antriebe oder unter anderer Einwirkung thaten, steht dahin. Georg Frauenhofer war auch Gläubiger des Herzogs Wilhelm, der ihm regelmässige Abzahlungen machte[78], Erasmus Haslanger stand mit Herzog Heinrich in Geldgeschäften[79]. Aber da sie ihre Klage nicht an einem Freistuhl der grossen Rheinischen Fürsten, mit welchen jene Wittelsbacher in Verbindung standen, anbrachten, sondern einen der weniger bedeutenden und entlegeneren wählten, ist zu vermuthen, dass sie auf eigene Hand vorgingen.

Sie wandten sich an den Lippischen Freistuhl Bist und den dortigen Freigrafen Johann Sperwer. Herzog Ludwig rief durch Leonhard Sandizeller und Matthias Richter, welche den Process gegen Heinrich betrieben hatten, seine alten Freunde unter den Freigrafen zur Hilfe. In der That legten im Januar 1433 Bernt [94] Duker und Johann von Wullen vor Albert Swinde und Ludwig Schumeketel am Stuhl zu Brünninghausen Berufung an den König ein, weil die Anklage nicht in den Bereich des Vemerechtes falle[80]. Ob über Geldschuld gerichtet werden dürfe, war ein streitiger Fall; nach der älteren Anschauung war sie ausgeschlossen, späterhin bildete sie jedoch den Vorwurf der meisten Processe[81]. Jedenfalls kümmerte sich der Lippische Freigraf um ihre Einsprache nicht, ebensowenig wie um die des Erzbischofs von Köln und des Jülicher Herzogs<[82], sondern vervemte Ludwig. Die bedrängte Lage, in welcher sich dieser befand, nöthigte ihn zu dem Versuche, sich jener Gegner zu entledigen, und er beauftragte daher im März 1433 seinen Sohn Ludwig, mit den vier Gläubigern zu verhandeln[83]. Aber aus der Acht kam er nicht, und König Sigmund bemühte sich seinetwegen nicht, wie einst für Herzog Heinrich; im Gegentheil, als er im November 1433 Herzog Wilhelm mit den Landen des gebannten Ludwig belehnte, hob er nachdrücklich hervor, dieser sei auch von dem Vemegericht verführt und Leibes und Lehen verlustig gesprochen[84]. Lange dauerte freilich der Zorn des Kaisers nicht, und Albert Swinde sorgte dafür, dass die Vervemung für kraftlos erklärt wurde[85].

Vielleicht war dieser gegen Ludwig angestrengte Process die Ursache, dass er sofort wieder den alten gegen Herzog Heinrich in Betrieb setzte. Es ging wieder dasselbe Spiel los, welches einst Törringer nach der ersten Freisprechung seines herzoglichen Feindes getrieben hatte, indem er sie als gewaltsam durchgesetzt für unverbindlich erachtete. Leonhard Sandizeller und Wilhelm Huttinger mit ihrem freigräflichen Anhang erklärten die Handlung in Oespel für ungültig, betrachteten sie als nicht geschehen und knüpften wieder da an, wo die Sache vorher gestanden hatte. Heinrich war dreimal vorgeladen worden, dann war der Aufschub bis zum 10. April 1431 eingetreten, seitdem hatte er sich nach ihrer Auffassung nicht gestellt. Freigraf Ludwig Schumeketel versammelte an dem Freistuhl zu Villigst bei Schwerte, welcher dem Junker Gerhard von der Mark, dem alten Feinde Heinrich’s, gehörte, ein grosses Gericht, zu welchem, wie er wenigstens behauptete, achtzehn Freigrafen, Ritterschaft und gegen achthundert [95] Freischöffen erschienen. Die Kläger beschwerten sich, dass ihre Sache mehr als ein ganzes Jahr geruht habe, und begehrten endliches Vollgericht. Ihr Wunsch fand Erfüllung: der Herzog wurde wiederum für ehrlos, rechtlos und friedlos erklärt und seiner Fürstenthümer ledig gesprochen[86].

Das geschah Ende 1432. Herzog Heinrich versammelte sofort, als er in Landshut den neuen Vorgang erfuhr, am 10. Januar 1433 um sich Freischöffen, soviel er haben konnte, legte die Verhältnisse dar und erliess feierliche Berufung an den König, der sich damals in Italien befand[87].

Diese wiederholte Vervemung schien seinen Gegnern noch nicht genügend. Herzog Wilhelm von München, jetzt der erklärte Günstling des Königs, der ihn zum Protector des Baseler Concils ernannt hatte, ging nun auch daran, gegen Herzog Heinrich die heimlichen Gerichte anzustrengen. Ihm galt es, mancherlei Ansprüche auf Land und Gut, welche er schon lange gegen den Vetter erhob, durchzusetzen. Mit dem Besitzer so vieler Freistühle, dem Herzoge Adolf von Jülich-Berg, war er im Begriff, verwandtschaftliche Beziehungen anzuknüpfen, da er um dessen Tochter Margaretha warb, und Adolf selbst gab ihm den Rath, sich der Veme zu bedienen. Wilhelm entschloss sich daher, selber Freischöffe zu werden, wie es König Sigmund schon früher von ihm gewünscht hatte, und eilte im Sommer 1433 von Basel nach Westfalen, wo er an demselben Stuhle zu Halver, welchen Herzog Adolf vor drei Jahren Heinrich zur Verfügung gestellt hatte, in die Zahl der Wissenden aufgenommen wurde[88]. Und derselbe Freigraf, welcher damals das Gericht geleitet, Heinrich von Valbrecht, nahm jetzt auf dem Freistuhl zu Lüdenscheid die von Wilhelm eingereichte Klage gegen den Landshuter Herzog an.

Pfalzgraf Ludwig in seiner Eigenschaft als Reichsvicar trat wie vordem so auch jetzt für den Angeschuldigten ein. Am 8. Juni 1433 theilte er von Heidelberg aus dem Freigrafen mit, Herzog Heinrich sei erbötig, das, was ihm Ehre und Pflicht gebiete, vor König Sigmund oder vor dem Reichsverweser oder vor Markgraf Friedrich von Brandenburg zu leisten, und verbot ihm weiteres Gericht[89]. Heinrich selbst sandte Bevollmächtigte [96] nach Köln, wo sie am 17. Juni mit Freigraf Heinrich von Valbrecht, der wohl nur zufällig dort war, verhandelten. Sie überreichten ihm mancherlei Sicherheitsbriefe, dass Heinrich Wilhelm gebührend Recht thun wolle, er aber erklärte, ohne Wissen und Willen des Herzogs Adolf, dessen Knecht und Richter er sei, könne er keine Antwort geben, doch wolle er ihm schreiben. Da er hartnäckig dabei blieb und allem Zureden nicht nachgab, fassten die Beauftragten Heinrichs das als Ausflucht und Rechtsverweigerung und erliessen alsbald die übliche Appellation an den Kaiser gegen das Verfahren, welches sie auch aus anderen Gründen für unrechtmässig erklärten[90].

Das Gericht nahm seinen Fortgang, und die zweite Vorladung gelangte an Heinrich. Vier Baierische Freischöffen aus Wilhelm’s Gebiet, darunter der Richter der Stadt München, brachten sie nach Erding, der nächsten Stadt im Landshuter Fürstenthum. Am Thore übergaben sie den Brief dem Schulmeister, legten ihm seinen Lohn hinein[91] und befahlen ihm, das Schreiben den herzoglichen Amtleuten zu übergeben. Zum Wahrzeichen des vollzogenen Auftrages schnitten sie einen Span aus dem Thore und nahmen ihn mit; offenbar waren sie froh, glücklich davon zu kommen.

Auch die dritte Ladung wurde ausgesprochen für den 14. Januar 1434. Inzwischen gelang es jedoch dem Kaiser, die beiden Herzöge miteinander zu versöhnen, und sogleich erklärte er am 19. Februar 1434 die drei Verbotungen für aufgehoben. Heinrich solle, auch ohne persönlich zu erscheinen, von dem Gericht ledig gesprochen werden[92]. Der Herzog beauftragte daher am 7. März seinen Sekretär Andreas Loder, den Freigrafen von dem Geschehenen zu benachrichtigen und Wiedereinsetzung zu fordern; auch Pfalzgraf Ludwig und Herzog Wilhelm gaben ihre Briefe dazu[93]. Loder führte den erhaltenen Befehl schnell genug aus, denn nachdem er noch den Stuhlherrn Herzog Adolf unterrichtet, stand er bereits am 6. April zu Lüdenscheid vor dem Freistuhl. Heinrich von Valbrecht hatte noch sieben Freigrafen [97] darunter auch Albert Swinde und Gerhard Seiner, dazu zahlreiche Freischöffen berufen. Der Procurator forderte zunächst ein Weisthum, ob ein Freischöffe, der dreimal vorgeladen in der Zwischenzeit sich mit seinem Widersacher einige, wieder in Friede und Recht gesetzt werden solle. Nachdem es natürlich bejahend ausgefallen, berichtete er unter Vorlage der Schreiben die gesammten Umstände und der Spruch fiel sogar dahin aus: Heinrich brauche nicht erst wiedereingesetzt zu werden, sondern solle für ewige Zeiten der Klage Wilhelm’s wegen unbelästigt bleiben[94].

Der Herzog hatte jedoch die Ränke und Schliche, welche von den heimlichen Gerichten ausgehen konnten, genügend kennen gelernt, als dass er sich nicht der äussersten Vorsicht bedient hätte. Er wünschte ein gerichtliches Schriftstück in der Hand zu haben, welches ausdrücklich seine Wiederherstellung in den Stand der Unbescholtenheit aussprach, da sich die Rechtsgültigkeit des eben erreichten Urtheils bestreiten liess. Deswegen sandte er nochmals Procuratoren für sich und Wilhelm. Heinrich von Valbrecht hielt am 15. Juni zusammen mit Albert Swinde, Lambert Nedendicke, Ludwig Schumeketel und Heinke von Voerde in Lüdenscheid die Sitzung, aber ganz erreichte der Herzog seine Absicht nicht; wahrscheinlich wollten die Freigrafen sich noch einen Vortheil für die Zukunft aufbewahren. Eine Wiedereinsetzung könne eigentlich nur erfolgen, wenn der Herzog in eigener Person vor dem Freistuhl stünde, aber „auf sonderlichen Befehl und Geheisch des Stuhlherrn“ stellte ihn der Freigraf für zwei Jahre in seine Ehre, so dass ihn Niemand in dieser Zeit der betreffenden Sache wegen belangen dürfe. Nachher sollte Heinrich selbst erscheinen, aber für den Fall, dass er dann noch abgehalten sei, wurde ihm gleich für ein weiteres Jahr Urlaub gewährt[95].

Immerhin konnte sich der Herzog damit vorläufig beruhigen, und[WS 1] in der That hat er, soweit wir wissen, wegen der Klage Wilhelm’s keine Belästigung mehr erfahren. Aber noch schwebte gegen ihn die andere Sandizeller’s und Huttinger’s, derentwegen [98] er vervemt war. Noch am 19. Januar 1434 ermahnte Freigraf Ludwig Schumeketel von Villigst aus die Herzöge Wilhelm und Albrecht von Baiern, für den Vollzug des Urtheils zu sorgen und dem Gerichteten keinerlei Förderung zu gewähren[96]. Huttinger, der nach wie vor unter den vornehmsten Räthen Herzog Ludwigs auftritt, zog sich von dem Handel zurück, wenigstens wird sein Name nicht mehr erwähnt. Dagegen beharrte Sandizeller dabei. Seine Beweggründe sind nicht erkennbar. Hatte er vorher sicherlich im Auftrage Ludwig’s gehandelt, so trieb er jetzt allein sein vermeintliches Recht weiter, vielleicht aus persönlichem Hass gegen Heinrich, vielleicht um von ihm eine Abfindung zu erpressen. Törringer’s Sohn hatte von Anfang an darauf verzichtet, den Feind seines Vaters zu verfolgen, und begnügte sich nun mit dem, was ihm Herzog Heinrich auf Fürsprache mehrerer Fürsten endlich gewährte[97]. Der Kaiser befahl auf die Vorstellungen des Herzogs hin Anfang 1434 von Basel aus dem Erzbischofe Dietrich von Köln, die Sache zu untersuchen[98]. Dieser that, wie es scheint, nichts, und Leonhard Sandizeller, hartnäckig auf seinem Vorhaben beharrend, ging selber im Herbst 1434 nach Regensburg zu Sigmund und legte ihm seine Briefschaften vor. Letzterer befahl daher, die Stadt Dortmund sollte vor ihrem Stuhl zum Spiegel im Mai 1435 beide Parteien verhören. Herzog Heinrich, der sicherlich keine Lust hatte, sich dieser längst abgethanen Sachen wegen noch einmal mit dem Freigrafenthum einzulassen, um so mehr, da sein alter Gegner Konrad von Lindenhorst dort wieder das Wort geführt haben würde, erinnerte den bereits nach Ungarn zurückgekehrten Herrscher an seinen früheren Befehl, und so wies dieser aufs neue den Erzbischof an, beide Parteien nach Dortmund zu berufen und dort mit Bürgermeister, Rath und Schöffen zu entscheiden[99]. Sandizeller erschien zum angesetzten Termin und ging auch nach Brünninghausen zu Albert Swinde, aber der Herzog meldete sich nicht und schickte auch keinen Vertreter[100]. Der Kläger konnte [99] offenbar bei dem Freigerichte keine weiteren Massnahmen durchsetzen. Er suchte sogar mit Drohungen den Herzog Ludwig zu bestimmen, dass er aufs neue mit Heinrich brechen sollte, aber schliesslich legte er Ende 1436 wegen Geldmangel und aus Furcht vor Heinrich Briefe und Sache in die Hände Herzog Ludwigs des Buckligen nieder, doch mit dem Versprechen, wenn dieser es verlange, den Rechtsgang wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen. Dazu ist es unseres Wissens nicht gekommen und der zweimal vervemte Herzog Heinrich schloss erst lange Jahre später ruhig sein Leben.



Anmerkungen

  1. Ich habe alle diese Dinge eingehend behandelt in meinem Buch: Die Veme. Münster und Paderborn 1888.
  2. (Töpfer), Das Oberstjägermeister- und Banneramt – – im Besitze des Hauses Törring. München 1842.
  3. Freyberg a. a. O. 206 ff., 314 ff.
  4. Freyberg 234 ff.
  5. Ueber die baierischen Verhältnisse handelt ausführlich S. Riezler in dem vor kurzem erschienenen dritten Bande seiner „Geschichte Baierns“.
  6. Thiersch 23 will bestreiten, dass Heinrich Freischöffe war. Aber der Brief, aus welchem er das schliesst und den er 60 ff. mittheilt, ist gar nicht an Heinrich, sondern an Herzog Wilhelm von Baiern-München gerichtet und betrifft eine Privatklage Sandizeller’s gegen das Landgericht in Vohburg. Da Aposteltheilung 1431 auf einen Sonntag fiel, gehört das Schreiben zum 22. Mai dieses Jahres.
  7. Freyberg 246.
  8. Fr. 234 ff.
  9. Fr. 252. 267. 275.
  10. Fr. 237.
  11. Ueber die Vorladungen unten S. 74.
  12. Fr. 240.
  13. Fr. 240, vergl. 297 ff.
  14. Fr. 239 f.
  15. Fr. 267. 287.
  16. Fr. 270. 246.
  17. Vgl. meine Veme 493.
  18. Schreiben vom 20. Juni 1425, Fr. 245.
  19. Fr. 247.
  20. Fr. 249. 295. 299. 301. 307.
  21. Fr. 267.
  22. Fr. 267 ff.
  23. Fr. 256. 275 f.
  24. Fr. 258.
  25. Fr. 262.
  26. Das geht aus späteren Verhandlungen hervor, Fr. 266; vgl.Thiersch 70.
  27. Fr 266.
  28. Fr. 264, 277.
  29. Staatsarchiv Düsseldorf.
  30. Fr. 278
  31. Fr. 269.
  32. Fr. 285. Eine andere Formulirung bei Thiersch 78. Wahrscheinlich ist dies der von dem Dortmunder Freigrafen an Kerstian und dessen Stuhlherrn Hermann Gogreve zur Ausfertigung gesandte Entwurf, welcher durch des Ersteren persönliches Erscheinen überflüssig wurde.
  33. Fr. 272.
  34. Staatsarchiv Düsseldorf.
  35. Abschrift in Dortmund.
  36. Thiersch 85.
  37. Thiersch 65 ff. Dieser Sachverhalt ergibt sich namentlich aus der Besiegelung. An die erste Urkunde hingen die drei Freigrafen Albert Swinde, Johann von Essen und Lambert Nedendicke ihre Siegel, während Konrad von Lindenhorst erklärt, er habe das seine nicht bei sich. Die zweite aber trägt sein Siegel, während das des Johann von Essen fehlt. Auch unter den sieben Freischöffen sind zwei andere Besiegeler. Nicht ohne Absicht wird ferner sein, wenn Konrad von Lindenhorst in der späteren Urkunde an erster Stelle genannt wird, während er in der früheren an zweiter steht. Ein Concept in Dortmund lässt annehmen, dass die Umgestaltung Ende November geschah.
  38. Thiersch 79. 83.
  39. Fr. 298. – Aventin (Sämmtliche Werke V, 551) sagt nicht, dass T. gehängt wurde, sondern nur, dass Heinrich und Markgraf Friedrich das Recht erhalten hätten, ihn zu richten.
  40. Urkunden vom 25. Nov. 1429 bis 7. April 1430 bei Fr. 286 ff.
  41. Thiersch 97.
  42. Fr. 305, ausserdem mehrere Schreiben in Düsseldorf.
  43. Fr. 290.
  44. Thiersch 87.
  45. Thiersch 92. 97.
  46. Thiersch 101.
  47. Fr. 352; Reg. Bo. XIII, 184; doch gehört dieses Stück nicht ins Jahr 1430, sondern zum 19. Januar 1434; vgl. unten.
  48. Thiersch 105. 103.
  49. Thiersch 110.
  50. Staatsarchiv Düsseldorf, 21. Juni 1430 Heidelberg.
  51. Thiersch 92.
  52. Thiersch 90.
  53. Thiersch 87.
  54. Thiersch 89–95.
  55. Thiersch 96.
  56. Thiersch 108.
  57. Thiersch 133.
  58. Fr. 317; Reichstagsacten IX, 594.
  59. Thiersch 115. Dass auch die zweite Vorladung in Sachen Huttinger’s erging, folgt aus den späteren Acten, Thiersch 117; Fr. 328.
  60. 13. Dec. 1430, Thiersch 121.
  61. Thiersch 112. 114.
  62. Thiersch 117. 119. Fr. 355.
  63. Fahne II, 1. 282. Thiersch 126.
  64. Vgl. meine Veme 585 ff.
  65. Fr. 308.
  66. Fr. 327.
  67. Thiersch 123.
  68. Thiersch 129.
  69. Thiersch 126. 26. Feb. 1431
  70. Forschungen II, 530; Oberbaier. Archiv XII, 185.
  71. Fr. 354.
  72. Ueber diese Bussen vgl. meine Veme 611 ff.
  73. Fr. 328 f.; Reg. Bo. XIII, 208.
  74. Reg. Bo. XIII, 111; Fr. 325 f.
  75. Reg. Bo. XIII, 219.
  76. Staatsarchiv Düsseldorf.
  77. Reg. Bo. XIII, 217; 218; vgl. 308.
  78. Reg. Bo. XIII, 162; 186; 265; 295; 308.
  79. Reg. Bo. XIII, 267.
  80. Thiersch 58.
  81. Vgl. meine Veme 561 ff.
  82. Lang 252.
  83. Reg. Bo. XIII, 253.
  84. Fr. 374.
  85. Vgl. Lang 252.
  86. Fr. 353.
  87. Fr. 360.
  88. Forschungen II, 575–583.
  89. Fr. 342.
  90. Fr. 329.
  91. So erklären die Freischöffen bei Freyberg 336 selber. Sie wussten also nicht, welchen Sinn die Beifügung der Königsmünze hatte; vgl. meine Veme 614.
  92. Fr. 348. 351.
  93. Fr. 342. 344. 348.
  94. Fr. 345.
  95. Fr. 336. Der Tag des beatus Anthonius confessor im Datum kann nicht der 17. Januar, sondern nur der 13. Juni sein. Denn die Aussöhnung zwischen den beiden Herzögen erfolgte erst im Februar.
  96. Fr. 352; Lang 164; Reg. Bo. XIII, 184 mit falschem Datum.
  97. Fr. 311.
  98. Fr. 340 u. 364; Thiersch, Der Hauptstuhl 101; Fahne II, 2, 266; Originale in Münster und Dortmund. Nach der Berechnung der ungarischen Königsjahre ist das Schreiben vor dem 31. März gegeben.
  99. Fr. 365 ff.; Reg. Bo. XIII, 317.
  100. Fr. 370.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: uud