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Die Verläumdung

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Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Die Verläumdung
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Zwölftes Bändchen, Seite 1441–1459
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Περὶ τοῦ μὴ ῥᾳδίως πιστεύειν Διαβολῇ
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
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Kurzbeschreibung:
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[1441]
Die Verläumdung.

1. Ein großes Uebel und die Quelle vielen Unheils für die Menschen ist unstreitig die Unwissenheit. Sie hüllt die Gegenstände gleichsam in Nebel, verbirgt uns die Wahrheit und verdüstert unser Leben dergestalt, daß es uns ergeht, wie Denen, die im Finstern tappen, oder vielmehr wie Blinden, die, weil sie nicht sehen, was vor ihren Füßen liegt, bald an Etwas anstoßen, bald weiter gehen, als sie sollten, bald aber auch ein beschwerliches Hinderniß als naheliegend fürchten, das weit von ihnen weg liegt. Da begehen wir denn in Allem, was wir thun, unaufhörlich Fehltritte; und eben dieß ist es, was den Tragödiendichtern schon tausendfältigen Stoff für ihre Dramen geliefert hat, wie die Geschichte der Labdaciden, der Pelopiden[1] und Anderer beweist. Man wird finden, daß fast alles Unglück, das uns auf der Schaubühne zur Erscheinung kommt, von der Unwissenheit, als einem wahren tragischen Dämon, herbeigeschafft wird. Dieß gilt ganz besonders von den unwahrhaften Angebereien [1442] gegen die nächsten Angehörigen und Freunde, wodurch schon ganze Familien zu Grunde gerichtet, Städte und Staaten gänzlich zerrüttet, Aeltern und Kinder, Geschwister, Liebende und Geliebte gegen einander bis zur Wuth erbittert worden sind. Wie oft haben sich nicht schon Freunde für immer entzweit, wie viele häusliche Verhältnisse die größten Störungen erlitten, bloß wegen Verläumdungen, die man glaubwürdig zu machen wußte?

2. Damit wir nun wo möglich nie in solche Unfälle gerathen möchten, habe ich mir vorgenommen, in dieser Schrift wie in einem Gemälde, die Verläumdung nach ihrem Wesen, nach ihrem Ursprung und ihren Wirkungen darzustellen: wiewohl Apelles aus Ephesus mir längst schon mit einem solchen Gemälde zuvorgekommen ist. Dieser Apelles war bei Ptolemäus verläumdet worden, als hätte er Theil an der Verrätherei des Theodotas zu Tyrus gehabt; und doch hatte Apelles eben so wenig die Stadt Tyrus je gesehen, als er den Theodotas kannte, von welchem er nur gehört hatte, daß er von Ptolemäus zum Statthalter von Phönicien ernannt worden war. Gleichwohl hatte Einer seiner Kunstgenossen, Antiphilus mit Namen, der ihm seine Meisterschaft und die Achtung mißgönnte, welche er von Ptolemäus genossen, bei diesem über ihn ausgesagt, er hätte um alle Anschläge des Theodotas gewußt, und man hätte ihn in Phönicien an der Tafel desselben gesehen, wie er während der ganzen Mahlzeit ihm in’s Ohr geflüstert habe: kurz, den Abfall von Tyrus und die Uebergabe von Pelusium [an Antiochus] wußte er so darzustellen, als wäre Beides aus der Berathung mit Apelles hervorgegangen.

[1443] 3. Ptolemäus, der überhaupt kein Mann von starkem Geiste und unter knechtischen Schmeichlern aufgewachsen war, ließ sich durch diese gänzlich unwahrscheinliche Verläumdung dergestalt in Hitze jagen und außer aller Fassung bringen, daß er keinen der Umstände in Betracht zog, die vor allem zu berücksichtigen gewesen wären: einmal, daß der Angeber ein Kunstnebenbuhler war; sodann, daß die Person des Malers zu unbedeutend war, um einem verrätherischen Unternehmen von solcher Wichtigkeit gewachsen zu seyn; zudem, daß er so viele Wohlthaten von ihm genossen und mehr als alle seine Kunstverwandten in seiner Gunst gestanden hatte. Nicht einmal zu fragen fiel ihm ein, ob Apelles denn wirklich einmal nach Tyrus gereist sey; sondern er überließ sich seinem augenblicklichen Zorne, und erfüllte seine Residenz mit Geschrei und Toben über den Undankbaren, den Verräther, den Schurken. Und hätte nicht Einer der Gefangenen, empört über die Schändlichkeit des Antiphilus und aus Mitleid mit dem unglücklichen Apelles, die Erklärung abgelegt, daß dieser Mann durchaus keinen Antheil an dem ganzen Plane hatte, so hätte er, so unschuldig er war, den Verlust von Tyrus mit seinem Kopfe bezahlen müssen.

4. Ptolemäus schämte sich nun des Vorfalls, so daß er, wie man erzählt, dem Apelles ein Geschenk von hundert Talenten machte, den Antiphilus hingegen zu dessen Leibeigenen erklärte. Allein Apelles konnte die Gefahr, in welcher er geschwebt, so wenig vergessen, daß er sich für jene Verläumdung durch folgendes Gemälde schadlos hielt.

5. Auf der rechten Seite sitzt ein Mann mit langen Ohren, denen wenig fehlt, um für Midasohren gelten zu [1444] können: seine Hand ist nach der von ferne auf ihn zukommenden Verläumdung ausgestreckt. Neben ihm stehen zwei weibliche Gestalten, die ich für die Unwissenheit und das Mißtrauen halte. Von der linken Seite her nähert sich ihm die Verläumdung in Gestalt eines ungemein reizenden, aber erhitzten und aufgeregten Mädchens, deren Züge und Geberden Wuth und Zorn verrathen: in der linken hält sie eine brennende Fackel; mit der rechten schleppt sie einen jungen Mann bei den Haaren herbei, der die Hände gen Himmel emporhält und die Götter zu Zeugen anruft. Vor ihr her geht ein bleicher, häßlicher Mann mit scharfem Blicke, der ganz aussieht, als ob ihn eine lange Krankheit abgezehrt hätte, und den wohl Jeder für den Neid erkennen wird. Hinter her gehen zwei weibliche Gestalten, welche der Verläumdung zuzusprechen, und sie herauszuputzen und zu schmücken scheinen: diese sind, wie mir der Ausleger des Gemäldes sagte, die Arglist und die Täuschung. Ganz hinten folgt eine trauernde Gestalt in schwarzem zerrissenem Gewande, die Reue nämlich, die sich weinend rückwärts wendet, und verschämte Blicke auf die herannahende Wahrheit wirft. So hat Apelles seine eigene mißliche Erfahrung auf dem Gemälde dargestellt.

6. Machen wir den Versuch, mit einem ähnlichen kunstmäßigen Verfahren, wie der Ephesische Maler, die Verläumdung nach allen ihr zukommenden Merkmalen zu schildern, indem wir zuerst, um das Bild um so anschaulicher zu machen, die Begriffsbestimmung derselben, gleichsam den Umriß, voranschicken: „die Verläumdung ist also eine Art von Anklage, von welcher der Angeklagte, weil sie hinter [1445] seinem Rücken gemacht wird, gar Nichts weiß, und welche dem Einen Theile, ohne den Widerspruch des Andern zu vernehmen, geglaubt wird.“ Dieser Satz mache den Gegenstand unserer Erörterung aus. Und da, wie in einem Drama, drei verschiedene Personen in’s Spiel kommen, der Verläumder, der Verläumdete, und Der, bei welchem die Verläumdung angebracht wird, so nehmen wir dieselben einzeln vor, um zu sehen, was bei jeder derselben der Fall zu seyn pflege.

7. Zuerst also lassen wir die Hauptperson, den Erdichter der verläumderischen Angabe, auftreten. Daß nun Dieser kein sittlich guter Mensch seyn kann, ist, denke ich, eine ausgemachte Sache: ein solcher wird nie seinem Nächsten absichtlich Böses zufügen, sondern sich dadurch, daß er seinen Freunden Gutes erweist, nicht aber dadurch, daß er ungerechte Beschuldigungen gegen Andere vorbringt und ihnen den Haß der Leute zuzieht, Ansehen und Wohlwollen bei Andern sich zu erwerben suchen.

8. Es ist im Gegentheile sehr leicht ersichtlich, wie ungerecht, gesetzwidrig und gottlos der Verläumder handle, und wie sehr er Denen zum Schaden sey, die mit ihm verkehren. Wenn es unbestritten ist, daß die Gerechtigkeit völlige Gleichheit erfordere, so daß Keiner vor dem Andern Etwas voraus habe, daß hingegen die Ungerechtigkeit in irgend einer Uebervortheilung des Andern bestehe; wie sollte Derjenige nicht ungerecht handeln, der gegen einen Abwesenden sich heimlich der Verläumdung bedient, da er sich ja des Zuhörers zum Nachtheil des Andern völlig bemächtigt, seine Ohren gleichsam voraus in Beschlag nimmt, und, indem er [1446] sie mit seinem schlimmen Gerede anfüllt, der Gegenrede des Andern den Zugang gänzlich versperrt? Daß dieß der höchste Grad von Ungerechtigkeit sey, erklärten auch wohl die vorzüglichsten Gesetzgeber, ein Solon und Dracon, indem sie die Richter eidlich verpflichteten, beiden Theilen gleiches Gehör zu schenken, und keinem Theile weniger wohl zu wollen, als dem andern, bis sie die eine Rede gegen die andere gehalten, und gefunden hätten, Wessen Sache die bessere oder die schlimmere sey. Sie sprachen damit aus, daß, ehe jene prüfende Vergleichung der Rechtfertigung mit der Anklage stattgefunden, alles Aburtheilen über die Sache gewissenlos und eine Versündigung gegen die Götter sey. Denn mit Recht können wir behaupten, daß auch die Götter tiefen Unwillen darüber empfinden, wenn wir dem Ankläger gestatten, sonder Scheu alles ihm Beliebige vorzubringen, während wir gegen den Beklagten unsere Ohren verstopfen, oder ihn, ohne daß er auch nur zum Worte gekommen ist,[2] befangen von der Rede des Ersten, verurtheilen. So ist also die Verläumdung eben sowohl eine Verletzung des Rechts überhaupt, als auch Dessen, was die Gesetze und der richterliche Eid vorschreiben. Und wenn je das Ansehen der Gesetzgeber, welche zur Rechtlichkeit und zur Vermeidung einseitigen Urtheilens aufforderten, nicht gewichtig genug erscheinen sollte, so will ich einen der trefflichsten Dichter[3] aufstellen, der sich in folgendem Spruche, oder vielmehr Gesetze, sehr bestimmt hierüber ausgedrückt hat. Er sagt nämlich:

Richte nicht eher, bevor auch den anderen Theil du gehört hast.

[1447] Ohne Zweifel war auch dieser Dichter überzeugt, daß es unter den vielerlei Arten von Ungerechtigkeiten, welche in dem menschlichen Leben begangen werden, keine größere geben könne, als einen Menschen zu verdammen, ohne ihm das Wort gegönnt, und seine Sache erwogen zu haben. Und eben dieß ist es ja, was der Verläumder beabsichtigt, indem der Verläumdete dem Hasse des Dritten ohne weitere Untersuchung anheimfällt, und durch die Heimlichkeit der Anklage der Möglichkeit beraubt ist, sich zu rechtfertigen.

9. Menschen dieser Art sind zu feige, um frei und offen zu Werke zu gehen. Sie lauern, wie Wegelagerer, auf eine Gelegenheit, ihre Pfeile aus dem Verborgenen abzuschießen, so daß man seinen Feind nicht kennt, sondern sich, ohne sich zur Wehre setzen zu können, zu Grunde richten lassen muß. Gerade dieses Verfahren aber beweist, wie unhaltbar die Aussagen des Verläumders sind. Denn Wer sich bewußt ist, daß er die Wahrheit sagt, spricht sie auch offen aus, und beweist dem Gegner geradezu in’s Gesicht, daß es die Wahrheit sey. Keiner, der stark genug ist, einen offenen Sieg zu erfechten, wird Schleichwege und Betrug gegen seinen Feind gebrauchen.

10. Am häufigsten findet man Leute dieses Schlags an den Höfen der Fürsten und unter den Günstlingen der Mächtigen und Großen, wo Neid und Argwohn aller Art, und tausendfältiger Anlaß zu Schmeichelei und Verläumdung sich findet. Denn wo die größten Hoffnungen genährt werden, da ist immer auch der Neid um so erbitterter, der Haß um so gefährlicher, die Eifersucht um so arglistiger. Man beobachtet sich gegenseitig mit scharfem Auge, und lauert, wie im [1448] Zweikampf, wo etwa eine Blöße an dem Gegner zu erspähen seyn möchte. Jeder will hier der Erste seyn, und drängt und stößt seinen Nebenmann auf die Seite, Dem aber, der vor ihm ist, sucht er wo möglich ein Bein zu unterschlagen, um ihn zu Fall zu bringen. Der Rechtschaffene ist hier meist rettungslos verloren: er wird gestürzt, und am Ende mit Schimpf und Schande fortgejagt. Wer am besten schmeicheln kann, und dessen arglistige Kniffe den meisten Eingang finden, der steht in höchsten Ehren. Ueberhaupt gewinnt hier nur Der, welcher Andere verdrängt; aber oft bewährt sich auch das Wort Homers [Il. XVIII, 309.]:

Gleich ist Ares gesinnt, und oft auch den Schlagenden schlägt er.

Und als ob der Gegenstand ihres Streitens von der größten Wichtigkeit wäre, so ersinnen diese Menschen die verschiedensten Mittel und Wege, um einander beizukommen. Das kürzeste und sicherste Mittel zum Verderben des Andern aber ist die Verläumdung. Ihr Ursprung ist Neid, Haß und die Hoffnung auf Vortheil; ihre Wirkungen aber sind die verderblichsten und traurigsten, und reich an dem mannigfaltigsten Ungemach.

11. Uebrigens ist es keine so leichte und einfache Sache um die Verläumdung, wie vielleicht Mancher sich einbildet; sondern sie erfordert ein sehr künstliches, besonnenes und behutsames Verfahren. Denn sie wäre nicht vermögend, so großen Schaden anzurichten, wenn sie sich nicht Zutrauen zu verschaffen wüßte; sie würde nie die allgewaltige Wahrheit überwältigen, wenn sie nicht das Einschmeichelnde und Ueberredende und tausend andere Reize gegen ihren Zuhörer in Bereitschaft hätte.

[1449] 12. Der Verläumdung ist gewöhnlich Derjenige am meisten ausgesetzt, welcher in hohen Ehren bei einem Großen steht, was ihn eben zu einem Gegenstande der Mißgunst für Alle macht, die er hinter sich läßt. Alle Diese drücken auf ihn, in welchem sie das einzige Hinderniß ihres Emporkommens vor sich sehen, ihre Geschoße ab: denn Jeder glaubt unfehlbar der Erste zu seyn, wenn er nur erst diesen Vormann aus dem Felde geschlagen, und ihn aus der Gunst des Großen verdrängt haben würde. Es geht hier zu, wie gewöhnlich bei den Wettläufen in den gymnischen Spielen. Der gute Läufer rennt, sobald das Schrankenseil gefallen ist, gerade vorwärts, mit seinen Gedanken nur auf das Ziel gerichtet; und weil er alle Hoffnung des Sieges nur auf seine Füße gesetzt hat, so thut er seinem Nebenmann Nichts zu Leide, und versucht keine Kunstgriffe, um die Mitkämpfer zu übervortheilen. Der schlechte, zum Siege nicht berufene Mitbewerber aber, der von seiner Schnelligkeit sich nichts versprechen darf, nimmt seine Zuflucht zu schlechten Mitteln, und ist nur darauf bedacht, wie er den Andern zurückhalten und in seinem Laufe hemmen möge, weil er denken muß, daß er, wenn dieses Mittel ihm fehl schlüge, den Preis unmöglich erhalten würde. Eben so pflegt es mit der Gunst der Mächtigen und Reichen zu gehen. Auch hier ist der Vorderste sogleich den Nachstellungen der Uebrigen ausgesetzt, und läßt er sich Einmal in Mitten seiner Widersacher über einer Unvorsichtigkeit betreffen, so ist er verloren; und Diese gelten nun zum Danke dafür, daß sie Jenem zu schaden gewußt, für treue Freunde, und sind von nun an die Begünstigten.

[1450] 13. Ob man ihre Verläumdung glaubwürdig finde, überlassen sie natürlich nicht dem Zufalle; sondern ihr ganzes Dichten und Trachten muß darauf gerichtet seyn, ihrem Opfer Etwas anzuhängen, was nicht ungereimt und widersprechend erscheinen könnte. Am meisten wissen sie daher ihren Beschuldigungen dadurch Wahrscheinlichkeit zu geben, daß sie die Eigenschaften des Verläumdeten in’s Schlimmere verdrehen, indem sie z. B. einen Arzt der Giftmischerei, einen Reichen herrschsüchtiger Absichten, einen Diener des Alleinherrschers der Verrätherei beschuldigen.

14. Nicht selten gibt der Mann selbst, bei welchem die Verläumdung angebracht werden soll, den Anlaß[4] dazu an die Hand; und je besser sich solche Schlechtdenkende nach dem Charakter desselben zu richten wissen, desto glücklicher treffen sie zum Ziele. Wissen sie z. B., daß er eifersüchtig ist, so sagen sie: „Der und Der hat deiner Gemahlin über der Tafel zugewinkt, und seine Blicke mit Seufzern begleitet. Auch schien es, als ob Stratonice ihn gar nicht finster, sondern mit recht verliebten Augen ansähe.“ Und nun folgen einige Geschichtchen zum Beweise, daß er auch sonst ein Ehebrecher sey. Oder der Mann ist ein Dichterling, und weiß sich viel mit seinen Versen; gleich heißt es: „es ist doch himmelschreiend: Philoxenus hat lachend deine Gedichte durchgehechelt und behauptet, sie seyen zusammengestoppeltes Zeug ohne Rhythmus und Wohlklang.“ Ist er aber ein frommer und gottesfürchtiger Mann, so wird sein Günstling, bei ihm als Atheist und Religionsverächter angeschwärzt, der von [1451] nichts Göttlichem wissen wolle, und die Vorsehung läugne. Diese Worte treffen Jenen wie einen Bremsenstich in die Ohren: augenblicklich steht er in Feuer und Flammen, und wendet sich mit Abscheu von seinem Freunde, ohne sich zu gedulden, bis er die Sache genauer untersucht hätte.

15. Kurz – immer sinnen sie auf solche Aussagen, von welchen sie wissen, daß sie am meisten geeignet sind, Widerwillen gegen den Verläumdeten bei ihrem Zuhörer hervorzubringen: immer zielen sie mit ihren Geschossen auf den verwundbarsten Punkt desselben, damit er, durch die erste Hitze ausser Fassung gesetzt, sich nicht Zeit nehmen möge, die Wahrheit zu erforschen, und, in Beschlag genommen durch das Ueberraschende der vermeintlich wahren Aussage, einer etwaigen Rechtfertigung nicht einmal Gehör schenke.

16. Die wirksamste Art der Verläumdung ist nämlich immer, Etwas anzubringen, was der Neigung des Hörers zuwiderläuft. So brachte z. B. einmal Einer bei Ptolemäus, der den Beinamen Bacchus führte, an, der Platoniker Demetrius sey ein Wassertrinker, und sey der Einzige, der am Bacchusfeste keine Weiberkleider anziehe; und hätte Dieser nicht, da er vor den König gerufen ward, am frühen Morgen schon in Aller Gegenwart Wein getrunken und in einem Tarentinischen Weiberrock zu der Schellentrommel getanzt, so würde sein Mißfallen an der üppigen Lebensart des Ptolemäus und sein Philosophiren dagegen ihm das Verderben bereitet haben.

17. Bei Alexander gab es keine schwerere Anklage, als wenn man Einem nachsagte, er habe keine Lust, den Hephästion anzubeten, und vor seinem Bilde zu knieen. Nach [1452] dem Tode des Hephästion wollte nämlich Alexander zu seinen übrigen Großthaten auch diese hinzufügen, daß er den verstorbenen Liebling zu einem Gotte ernannte. Unverzüglich erbauten die Städte diesem neuen Gotte Tempel, weiheten ihm heilige Bezirke, errichteten Altäre, stifteten Opfer und Feste, und der höchste Schwur in Aller Mund war jetzt Hephästion. Lächelte nun Einer über dieses Treiben, oder erschien er auch nur nicht andächtig genug dabei, so hatte er seinen Kopf verwirkt. Diese kindische Liebhaberei des Alexander wußten seine Schmeichler zu benützen; und sie unterließen nicht, ihn immer mehr zu erhitzen, indem sie von Träumen und Erscheinungen des Hephästion erzählten, und wunderbare Heilungen und Orakel ihm zuschrieben. Am Ende opferten sie ihm gar als „dem hülfreichen, Unheil abwendenden Gotte.“ Alexander hatte seine Freude daran, glaubte es am Ende selbst und wußte sich nicht wenig damit, daß er nicht bloß des höchsten Gottes Sohn, sondern auch im Stande sey, selbst Götter zu schaffen. Es läßt sich denken, daß um jene Zeit Manche aus Alexanders Umgebungen schlechten Vortheil von der Göttlichkeit Hephästion’s hatten, indem sie auf die Beschuldigung hin, daß sie der allgemein anerkannten Gottheit ihre Verehrung versagten, der Gnade des Königs für verlustig erklärt und fortgejagt wurden.

18. So fehlte z. B. nicht viel, daß Agathocles aus Samos, einer der Unterfeldherrn des Alexander, bei welchem er sehr viel gegolten, zu einem Löwen eingesperrt worden wäre, weil man über ihn ausgesagt hatte, er hätte im Vorbeigehen an des Hephästion Grab Thränen vergossen. Zum Glücke kam ihm noch Perdikkas mit der bei allen Göttern [1453] und bei Hephästion selbst eidlich betheuerten, Versicherung zu Hülfe, daß ihm auf der Jagd Gott Hephästion sichtbarlich erschienen sey und ihm befohlen habe, Alexandern zu sagen, er solle des Agathocles schonen: denn er habe nicht aus Unglauben, und als ob er ihn für todt hielte, geweint, sondern weil er seiner ehemaligen Freundschaft mit ihm gedacht habe.

19. Schmeichelei und Verläumdung hatte also in dieser Schwachheit Alexanders einen trefflichen Spielraum gefunden. Gerade wie der Feind bei einer Belagerung nicht die hohen, steilen und sichern Punkte der Festung angreift, sondern wo er eine niedrige, oder schlecht verwahrte und baufällige Stelle gewahr wird, gegen diese mit aller seiner Macht anrückt in der sichern Erwartung, von hier aus am leichtesten in die Stadt eindringen und sie nehmen zu können: so richten auch die Verläumder ihre Maschinen immer gegen die schwache, mürbe und zugängliche Seite des Gemüths und erstürmen es, ohne daß sich dasselbe zur Wehre setzt, ja, ohne daß es den Angriff auch nur gewahr wird. Sind sie aber einmal eingedrungen, so hausen sie darin wie in einer eroberten und unterjochten Stadt, sengen und brennen, morden und jagen hinaus, was ihnen beliebt.

20. Ihre Maschinen aber sind Lug und Trug, Meineid, unabläßiges Zusetzen, Unverschämtheit und Schurkerei tausendfältiger Art, und vor allen die Schmeichelei, die Verwandte oder vielmehr die leibliche Schwester der Verläumdung. Und wirklich ist kein Mensch so edelgesinnt, und hat einen so diamantenen Wall um die Brust, der nicht bisweilen [1454] den Angriffen der Schmeichelei nachgäbe, während die Verläumdung in aller Stille die Grundmauern untergräbt.

21. Aber auch im Innern des Hörers selbst gibt es Verräther, welche dem Belagerer hülfreiche Hand bieten, den Zugang ihm öffnen und auf alle Weise die Eroberung befördern. Da ist zuerst das allen Menschen natürliche Verlangen nach Neuem, und der Ueberdruß an Dem, was man hat: sodann die Neigung, mit besonderer Aufmerksamkeit solche Aussagen Anderer zu vernehmen, die etwas Auffallendes haben. Denn es ist in der That ein ganz eigenes Vergnügen, das wir Alle daran finden, heimliche Zuflüsterungen, wodurch Andere verdächtig werden, anzuhören; und ich kenne Leute, deren Ohren durch eine Verläumdung eben so angenehm gekitzelt werden, als ob sie sich mit einer Feder darin krauten.

22. Beginnt also der Gegner seinen Angriff, unterstützt von solchen Verbündeten, so erfolgt die Einnahme im Sturme: und könnte der Sieg schwer seyn, wo kein Widerstand und keine Abwehr solcher Anfälle stattfindet, sondern der Hörer sich gutwillig ausliefert, der Verläumdete selbst aber von dem feindlichen Anschlage Nichts weiß? Denn Dieser wird, wie die Einwohner einer bei Nacht eroberten Stadt, gleichsam im Schlafe todtgeschlagen.

23. Und nun wie schmerzlich, wenn der Eine, gänzlich unwissend, was vorgegangen, dem Freunde heiter, und harmlos, und nichts Arges sich bewußt, entgegentritt, und, während man ihn von allen Seiten belauert, spricht und handelt wie gewöhnlich – und wenn denn der Andere, wofern [1455] er einige Redlichkeit und Offenheit in seinem Charakter besitzt, seinen Zorn sogleich ausbrechen läßt, und seine ganze Galle gegen ihn ausschüttet, am Ende aber, wenn er des Erstern Rechtfertigung vernommen, zur Einsicht kommt, daß er sich ohne allen Grund gegen seinen Freund hat erbittern lassen!

24. Ist er aber ein Mann von unedler und kleinlicher Denkungsart, so empfängt er den Freund mit freundlichem Lächeln auf den Lippen, während er im Stillen die Zähne knirscht vor Haß, und, wie der Dichter sagt, im Herzen über Rache brütet. Wahrlich ich kenne nichts Schlechteres, nichts Niederträchtigeres, als mit verbissenen Lippen Galle zu kochen und den verschlossenen Haß zu nähren, Anderes im Herzen zu bergen, Anderes zu reden, und unter heiterer und lustiger Maske eine höchst leidenschaftliche und unheilvolle Tragödie zu spielen! Dieß geschieht dann zumal, wann Derjenige, welcher einen Andern verläumdet, für eine alten Freund von Diesem gilt. In diesem Falle will man gar kein Wort zur Rechtfertigung des Angeschuldigten weder von diesem selbst, noch von einem Anderen anhören, indem man im Voraus annimmt, eine Anklage, wenn sie sogar von einem vieljährigen Freunde herrühre[WS 1], könne gar nicht anders als glaubwürdig seyn, ohne zu bedenken, daß auch unter den Vertrautesten vielfältige Veranlassungen des Hasses eintreten können, wovon Andere nichts ahnen. Nicht selten beeilt man sich auch, dem Andern zur Last zu legen, wessen man selbst schuldig ist, um dem Verdachte gegen sich selbst zuvorzukommen. Ueberhaupt wird sich wohl Niemand [1456] getrauen, einen offenbaren Feind zu verläumden, weil eine gehässige Aussage, deren Ursache zu Tage läge, schwerlich Glauben fände; sondern am liebsten verläumden die Leute Solche, die man für ihre Freunde hält, indem sie dadurch den hohen Grad ihrer Anhänglichkeit gegen den Dritten zu erkennen geben wollen, als ob sie um seines Besten willen auch ihrer Busenfreunde nicht verschonten.

25. Auch fehlt es nicht an Leuten, die, wiewohl sie in der Folge eingesehen haben, daß man ihre Freunde mit Unrecht bei ihnen angeschwärzt hat, gleichwohl aus Schamgefühl über ihre Leichtgläubigkeit es nicht von sich erhalten können, sie an sich kommen zu lassen oder sie auch nur eines Blickes zu würdigen, als hätten sie selbst Unrecht dadurch erlitten, daß sie nichts Unrechtes an ihnen entdeckten.

26. So ist das menschliche Leben voll von dem Unheil, welches leichthin geglaubte und ohne Prüfung angenommene Verläumdungen stiften. Antîa bei Homer [Il. VI, 164.] sagt:[5]

Tod dir, oder, o Prötus, erschlage du Bellerophontes,
Welcher frech zu Liebe mir nahete, wider mein Wollen;

da doch sie es gewesen war, welche den Jüngling zum Bösen versuchte, aber von ihm abgewiesen wurde. Und wie wenig fehlte, so wäre der Schuldlose im Kampfe mit der Chimära umgekommen, und, zum Lohne für seine Sittsamkeit und seine Achtung vor den Rechten des Gastfreundes, [1457] den Ränken eines verbuhlten Weibes unterlegen? Durch eine ganz ähnliche Aussage gegen ihren Stiefsohn Hippolytus brachte es Phädra dahin, daß der Vater dem Sohne fluchte, der Nichts, auch nicht das Geringste, verbrochen hatte.

27. „Sehr wahr,“ hör’ ich sagen: „allein bisweilen kann doch ein Angeber sehr glaubwürdig erscheinen, und alle Aufmerksamkeit verdienen, wenn er sonst für einen rechtlichen und verständigen Mann gilt, und noch nie eine Schlechtigkeit dieser Art begangen hat.“ Gab es je, frage ich, einen rechtlicheren Mann als Aristides? Und doch verband er sich mit einigen Andern zu des Themistokles Sturz und hetzte das Volk wider ihn auf, weil ihn derselbe politische Ehrgeiz, wie Jenen, stachelte. Aristides war also, im Vergleich mit Andern, allerdings ein rechtlicher Mann; allein er war ein Mensch, der Galle hatte, wie jeder Andere, und dem Einen zugethan war, einen Andern haßte.

28. Und wenn der Sage von Palamedes zu glauben ist, so hat der verständigste aller Achäer [Ulysses], so rechtschaffen er in allen anderen Stücken war, dennoch aus Neid gegen seinen Freund und Blutsverwandten, der mit ihm zu derselben Unternehmung ausgezogen war, Ränke zu dessen Untergang geschmiedet. So allgemein und den Menschen angeboren ist also die Schwachheit, dergleichen Fehler zu begehen.

29. Brauche ich noch des Socrates zu erwähnen, der mit so großem Unrecht bei den Athenern als ein gottloser und gefährlicher Mann verläumdet wurde? Oder des Themistocles und Miltiades, die man nach so großen Siegesthaten der Verrätherei an Griechenland verdächtigte? Ich hätte [1458] Beispiele zu Tausenden, wenn sie nicht schon größtentheils allbekannt wären.

30. Was hat nun der vernünftige Mann zu thun, wenn er entweder an der Wahrhaftigkeit [des Verläumders] oder an der Tugend [des Verläumdeten] zweifeln soll? Ich denke dasselbe, was schon Homer in seiner Dichtung von den Sirenen angedeutet hat, wenn er räth, an jenen süßlockenden aber verderblichen Tonen vorüberzusegeln, und sich die Ohren zu verstopfen; also sein Gehör nicht Leuten zu öffnen, die von Leidenschaft eingenommen sind, sondern die Vernunft gleichsam als scharfprüfenden Thürhüter an den Eingang zu stellen, und nur das Würdige an sich kommen und sich anvertrauen zu lassen, alles Schlechte hingegen abzuweisen und auszuschließen. Es wäre doch wohl ungereimt, da wir Thürhüter an unsere Häuser stellen, wenn wir die Ohren und das Gemüth offen stehen ließen.

31. Naht sich also Einer mit einer solchen nachtheiligen Aussage, so untersuche man die Sache an und für sich selbst, und lasse sich weder von des Redenden Alter, noch von seinem sonstigen Charakter, noch auch von seiner geschickten Art der Darstellung irre machen. Denn gerade je mehr Ueberredungskunst er besitzt, desto sorgfältigere Prüfung ist nöthig. Man traue also nicht dem Urtheile oder vielmehr der Leidenschaft des Anklägers, sondern behalte sich die Untersuchung der Wahrheit selbst vor, rechne ab, was Jener etwa aus Haß gesagt haben könnte, suche sich auf’s Klarste von den Gesinnungen beider Theile zu unterrichten, und entschließe sich erst nach solcher Prüfung zur Abneigung gegen den Einen und zur Liebe gegen den Andern. Allein vor [1459] derselben es zu thun, und von dem ersten nachtheiligen Worte schon sich in Bewegung setzen zu lassen, wie unmännlich wäre Dieß, wie niedrig, wie so gänzlich widerrechtlich!

32. Uebrigens ist die Ursache von allem Diesem, wie ich im Eingange sagte, die Unwissenheit und das Dunkel, in welches der wahre Charakter des Einzelnen gehüllt ist. Wollte ein Gott unsere Herzen einander offenbaren, o wie schnell würde die Verläumdung in den Abgrund entfliehen, da sie vor der Wahrheit, von deren Lichte dann alle Dinge erhellt wären, nicht bestehen könnte!



  1. D. i. die an tragischen Begebenheiten reichen Königshäuser von Theben und Mycene.
  2. Σιωπὢντος, wie ich vermuthe, statt σιωπὢντες.
  3. Ohne Zweifel einen der alten Gnomiker.
  4. Nach der Vermuthung ἀφορμάς.
  5. Man s. zum näheren Verständniß dieser Stelle den Mythus des Bellerophon bei Apollodor II, 2. 1. (Bd. 1. p. 83. dieser Samml.).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: herrühe