Die Waldhexe

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Julius Lohmeyer
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Waldhexe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 771
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[769]

Die Waldhexe.
Originalzeichnung von Herm. Vogel.

[771]
Die Waldhexe.
(Mit Illustration S. 769.)

„Die Hexe kommt!“ Voll Schrecken, bang und bleich
Duckt sich die Schar der Kleinen ins Gesträuch,
Wenn sie im Walde naht die finstre Alte. –
Ihr kennt das Hüttlein an der Rothwandspalte,
Das wie ein morsches Nest am Abgrund schwebt,
Von Waldgerank und Tobeldunst umwebt,
Dort haust sie, einsam wie ein Uhu haust,
Vom Volk gemieden. Selbst den Förster graust,
Wenn er des Nachts am Kreuzpfad ihr begegnet,
Daß er, ein Sprüchlein murmelnd, fromm sich segnet:
Denn schier unhörbar, meint er, schritt ihr Fuß. –
Wohl dreizehn Jahre hat sie Dank und Gruß
Nicht einem mehr gegönnt; seit man im Tann
Am Hochstein fand erschlagen ihren Mann,
Den Waldwart, hingestreckt in blut’ge Lache –
Es war ein Graus! Noch schreit das Blut um Rache!

Den rothen Berndt sprach der Gerichtshof frei
Ob mangelnder Beweise. Keck vorbei
An ihrem Zeugenstuhl mit Hohngelächter
Schritt er zum Saal hinaus, der reiche Pächter.
Fest, aufrecht hinter ihren Gitterstäben
Stand sie, die Faust geballt in Wuth und Beben,
Den Blick gewandt nach ihm voll Hassesflammen –
„Frei war er! Frei!“ Erschöpft brach sie zusammen.

Dann schritt sie heim, starr, wortlos, ohne Klage.
Vom Leben aber wandt’ seit jenem Tage
Ihr Herz sich ab und schloß der Welt die Thür –
Wohl zahlt den Zins, den Schoß sie nach Gebühr –
Doch nie mehr sah man sie im Kirchlein knie’n
Und nie hat sie den Spruch der Welt verzieh’n.

Der Pfarrherr sprach: „Die Rache steht bei Gott!“
„Nein, Herr!“ rief sie, „hier muß er aufs Schafott!“
Und als der Graf das Gnadenbrot ihr bot,
Sprach sie: „Herr Graf, mir thut nur eines Noth -
So lang' die Blutthat nicht an ihm gerächt,
Will ich nicht Gnade, Herr – ich will mein Recht!“

Dann ging sie. Nur das Hüttlein nahm sie an,
Das einst aus Trümmern hier erbaut ihr Mann;
Drin lebt sie dorffern, freundlos, winterhart,
Vom Schnee umbaut, in Grimm und Gram erstarrt.

Der Amtmann meint, daß Wahn ihr Hirn umstrickt;
Doch wer ins strenge Auge ihr geblickt,
In ihres Antlitz’ Runen las, der weiß,
Daß hier ein Geist noch lodert hell und heiß.

Der Wald nur ist ihr Freund. Sein fromm’ Gethier,
Selbst Reh und Häslein flieh’n nicht mehr vor ihr;
Oft dünkt ihr fast, als lausche er vertraut,
Spricht sie mit ihrem Gott geheim und laut.
Kaum von der Kreatur des Wald’s geschieden,
Lebt sie dahin in seinem Bann und Frieden,
Verwittert selbst schon wie ein greiser Baum –
O spinne um sie deinen stillen Traum,
Gieb ihr ein Grab, o Wald, in kühler Erde,
Daß endlich Ruh’ auch diesem Herzen werde!

Julius Lohmeyer.