Die Wolga und ihre Schifffahrt

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Autor: O. Behring
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Titel: Die Wolga und ihre Schifffahrt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 391–394
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Wolga und ihre Schifffahrt.

Die Wolga, unter dem Namen „Matuschka Wolga“ (Mütterchen Wolga) von den Russen geradezu göttlich verehrt, hat von Rybinsk bis hinunter zur Mündung in’s Kaspische Meer beim niedrigsten Wasserstande eine durchschnittliche Breite von circa 1/5 deutsche Meile. Im Frühjahr und Herbst, wenn dieselbe um 10 bis 15 Meter über den normalen Wasserstand hinaussteigt, erreicht sie eine circa dreimal so breite Ausdehnung, die an vielen Stellen sogar mehr als eine deutsche Meile beträgt.

Wie groß der Schade ist, der durch diese furchtbaren Wassermassen den in der Nähe des Flusses wohnenden Menschen zugefügt wird, kann man sich denken. Es ist Thatsache, daß viele Einwohner ihr Hab und Gut im Frühjahr und Herbst verlassen, um sich den stets drohenden Gefahren der Ueberschwemmung zu entziehen. Jedoch trifft das bis auf wenige Ausnahmen nur das linke Wolga-Ufer, welches durchweg flach zu nennen ist; nur an einigen Stellen, besonders in den Gegenden zwischen Simbirsk und Samara, befinden sich enge, von hohen Felsenbergen gebildete Durchgänge, die den Strom des Wassers bedeutend hemmen und so ein furchtbares Steigen des Flusses verursachen. Die Stromschnellen dieser Gegend bieten der Schifffahrt eine stets gefährliche Passage, und im Frühjahr wird die Gefahr noch durch die vom starken Strom ausgerissenen Bäume und durch zerstückelte Flöße, welche diese Stellen verstopfen, in bedeutendem Maße vergrößert. An dem rechten Ufer zwischen Simbirsk und Samara, der schönsten Gegend an der Wolga, erheben sich kolossale Felsmassen, ja es giebt dort Schluchten, Thäler und Berge, wie man sie wohl am alten deutschen Rhein nicht schöner zu finden vermag. Jeder Reisende, der dort vorbeifährt, wird mit Bewunderung auf die stellenweise geradezu romantisch gelegenen Dörfer schauen, die, auf drei Seiten von hohen und steilen Felsmassen umgeben, an der vierten von der Wolga umspült, wie in einem natürlichen Gefängniß eingeschlossen liegen. Hier findet man auch hohe Kalksteinbrüche, die in ihren Formen zuweilen lebhaft an die zerfallenen Burgruinen des Rheins erinnern. Als besonders schön ist ein hoher Bergrücken bei dem Dorfe Schiguli zu erwähnen. Eine Anzahl ganz steil nach der Wolga abfallender Berge bildet hier eine lange Bergwand, die abwechselnd bald mit Bäumen bedeckt ist, bald unerschöpfliche Steinbrüche bietet. Von diesen Bergen aus hat man bei Hochwasser einen geradezu imposanten Anblick. Wie ein endloses Meer breitet sich von dem Fuße der Berge eine Wassermenge aus, deren Grenzen dem Auge kaum erreichbar sind. Auf einem der höchsten Berge in dieser Gegend, den einst Peter der Große bestiegen, erblickt man noch heutigen Tages die Trümmer einer zerfallenen Burg. Dieser Berg wird seither unter dem Namen „Kaiserberg“ von den Russen sehr hoch geehrt.

Beim Beginn des Sommers, wenn die starre Eisdecke geschwunden ist, die fünf bis sechs Monate die Landschaft verödet und fast jeden Verkehr abgeschnitten hat, gewährt diese Gegend dem Auge andere Reize. Dann beginnt der Handel. Dampfschiffe jeder Gattung und Transportschiffe, das heißt Barken, der größten Dimensionen nehmen hauptsächlich das im Winter aufgespeicherte Getreide ein, welches von Tausenden von Menschen eingeladen wird. Endlos scheinende Holzflöße ziehen sich gleich Schlangen den Strom entlang, und die Fischereien beginnen jetzt ihre hauptsächlichste Thätigkeit. Das frische, dem Auge wohlthuende Grün, die unabsehbaren Schaaren wilden Wassergeflügels rufen Bewunderung und Staunen hervor; mit einem Worte: um diese Zeit, wo die Wolga sich sozusagen im Hochzeitsschmucke befindet, ist es geradezu paradiesisch hier.

Von dem Verkehr auf der Wolga kann sich nur der einen Begriff machen, der ihn mit Augen gesehen hat. Man kann wohl [392] mit Recht behaupten, daß in ganz Europa kein Fluß so viel befahren wird, wie gerade die Wolga. Mehr als siebenhundert, theils Passagier-, theils Bugsirdampfer unterhalten den für Europa so wichtigen Handel und Verkehr zwischen Rybinsk und Astrachan. Viele dieser Schiffe gehen sogar hinauf bis nach Twer, von wo aus der Fluß eigentlich erst schiffbar genannt werden kann. Und der ungeheure Handel auf der Wolga vermehrt sich von Jahr zu Jahr um ein Bedeutendes. Noch gar nicht sehr lange, vielleicht seit vierzig Jahren, benutzt man zum Fortschaffen der Frachten und Passagiere die Dampfkraft. Wie schwierig und kostspielig früher der Transport bewerkstelligt wurde, kann man schon daraus schließen, daß man Monate dazu brauchte, um eine Ladung von Astrachan bis Nischni-Nowgorod oder Rybinsk heraufzuschaffen. Es wurden in erster Linie Segelboote verwandt, die jedoch bei den sehr verschiedenen Biegungen des Stromes nur mangelhaft

Die neue Riesenbrücke über die Wolga zwischen Sysran und Samara während des Baues. Nach einer photographischen Aufnahme auf Holz übertragen.

fahren konnten. Bei widrigen Winden oder bei Windstille benutzte man das alte Treidelsystem. Mehr als 150 Menschen zogen dann an einer einzigen solchen Barke.

Nachdem man endlich solcher kostspieligen Beförderung von Frachtgütern müde war, versuchte man ein anderes System, das dem ebengenannten gerade nicht um Vieles voransteht. Man brachte nämlich auf dem Schiffe große Winden an, mit denen man sich durch das Aufwickeln eines Taues bis zu einem in einiger Entfernung vor dem Schiffe ausgeworfenen Anker hinwand. Ehe man damit zu Ende war, wurde ein zweiter Anker ausgeworfen, und auf diese Weise quälte[WS 1] man sich monatelang, bevor man das festgesetzte Ziel erreichte. Die erwähnten Anker wurden anfangs von Menschen immer weiter getragen; später wandte man zu ihrem Transport Ruderboote an.

Auch diese Beförderungsart konnte bei weitem dem sich immer rascher mehrenden Handel nicht genügen. Man wagte es endlich mit der Dampfkraft. Im Jahre 1842 fand sich eine Gesellschaft von Kaufleuten zusammen, die es unternahm, einige Bugsirdampfer anzuschaffen. Mit fast abergläubischer Bewunderung wurden diese Schiffe bei ihren ersten Fahrten von den Uferbewohnern betrachtet, von denen Mancher sich hierdurch seines bisherigen Erwerbes für künftige Zeiten beraubt sah. Der Nutzen jedoch, den die Dampfer in kurzer Zeit einbrachten, wurde bald allgemein bekannt, und in größter Eile entstanden darauf immer mehr und mehr derartige Unternehmungen. So bildeten sich die Gesellschaften: Polsa im Jahre 1842, Wolga 1843, Kama-Wolga 1854, Kawkas und Merkurij 1855, Samolott 1856, Neptun 1859, Lebed 1868 und noch mehrere andere. Unter diesen sind natürlich auch viele, die den Passagiertransport in ihren Geschäftsbereich ziehen.

Von nun an begann eine ganz neue Periode im Handel und Verkehr auf der Wolga, und bald wandte sich auch der Handel vom südlichen und östlichen Rußland dorthin, was zur Folge hatte, daß viele bisher nur wenig bekannte Städte zu den blühendsten Handelspunkten heranwuchsen. Dieses ging so bis zum Jahre 1870.

Da sollte die Schifffahrt durch Anschaffung ganz neuer, kolossaler Passagier- und Frachtschiffe einen großen Umschwung erleiden. Ein gewisser Alphons Seveke, in Riga geboren, früher Schiffscapitain und darauf Verwalter der Kama-Wolga-Gesellschaft, überhaupt ein mit den ganzen Verhältnissen der Wolgaschifffahrt sowie der Schiffsbaukunst vertrauter Mann, gewann einige sehr reiche Kaufleute, darunter Russen und Engländer, zur Ausführung seiner Ideen und leitete selbst in der Benardacki’schen Fabrik in Sormowa die Erbauung eines gewaltigen Dampfers. Nach langer und mühevoller Arbeit und einem Kostenaufwand von 200,000 Rubel wurde im Juli 1871 dieses erste Riesenschiff, benannt „Pereworod“, das heißt Umwälzung, vom Stapel gelassen. Es war ganz nach amerikanischem System, mit mehreren Etagen und in kolossalen Dimensionen erbaut.

[393] Die Theilnehmer, auf deren Kosten der Bau vor sich gegangen war, nannten sich: „Gesellschaft der Dampfschiffe amerikanischen Systems“.

Mit großem Jubel wurde der Koloß auf seiner ersten Fahrt von den Wolga-Anwohnern begrüßt; er trug seinem Erbauer von Seiten der handeltreibenden sowie der technischen Welt die allgemeinste Verehrung ein, und sein Name wird noch lange im Volksmunde leben.

Bald nach dem Stapellaufe des ersten Schiffes ging man, nachdem man sich von der Vorzüglichkeit desselben überzeugt hatte, daran, ein zweites ähnliches zu erbauen. So entstanden nach und nach bis zum Jahre 1875 fünf solcher Schiffe, und zwar „Colorado“ (früher „Pereworod“), „Mississippi“, „Missouri“, „Benardacki“ und „Niagara“, deren ungeheuere Einnahmen die Gesellschaft für ihr gewagtes Unternehmen reichlich entschädigten. Der Erbauer der Schiffe, Herr Seveke, übernahm dieselben in Pacht und ist auch im Augenblick noch Pächter derselben.

Versuchen wir es, uns ein Bild von der Größe und der Einrichtung dieser Kolosse zu machen!

Der eigentliche Schiffskörper hat eine Länge von fünfundachtzig, eine Breite von zwölf Meter. Ueber demselben erhebt sich der kolossale dreistöckige Oberbau, der jedoch eine Breite von einundzwanzig Meter hat, während seine Länge um acht bis neun Meter geringer, als die des unteren Schiffskörpers ist. Die Gesammthöhe des Schiffes beträgt achtzehn Meter. Der untere Schiffskörper, der zur Aufnahme der Frachten bestimmt ist, enthält außerdem die sechs großen Dampfkessel. Ueber diesen, in der unteren Etage des Oberbaues, befinden sich die zwei resp. vier riesenhaften Dampfmaschinen, deren Leistungsfähigkeit 450 bis 500 Pferdekraft beträgt und welche Schaufelräder von sieben bis acht Meter Durchmesser bewegen. In derselben Etage mit den Dampfmaschinen liegen am Vorder- und Hintertheile große Räumlichkeiten, die besonders zur Aufnahme sehr großer Frachtstücke, auch von Wagen, Pferden etc. bestimmt sind. Jeder dieser beiden Räume enthält zugleich eine Dampfwinde, vermittelst deren das Ein- und Ausladen von den großen unteren Räumen schnell und bequem bewerkstelligt werden kann. Endlich birgt diese Etage die vielen Cabinen für die Passagiere vierter Classe.

Zwei sehr breite Treppen führen in das obere Stockwerk, in welchem sich die Kajüten erster, zweiter und dritter Classe (bis 300!) nebst luxuriös ausgestatteten Speise- und Gesellschaftssalons befinden. Um diese ganze Etage läuft ein drittehalb Meter breiter Balkonvorbau.

Als drittes Stockwerk mag man das mächtige, mit einem Geländer umgebene Verdeck über dem Ganzen betrachten; es ist fast immer von Spaziergängern gefüllt, welche die freie Aussicht auf die Wolga und ihre Umgebung genießen. Hier oben befindet sich auch das Steuerhäuschen, von dem aus der Capitain seine Befehle nach allen Richtungen auf dem Schiffe mit Hilfe von Sprachrohren ertheilen kann. Die beiden Steuerräder selbst werden von vier Steuerleuten gehandhabt, welche bei heftigen Stürmen oder sehr scharfen Biegungen noch durch Hülfsmannschaften verstärkt werden müssen. Ueber die obere Fläche ragen noch die beiden kolossalen Schornsteine von fast 2 Meter Durchmesser empor, die den Eindruck kleiner schwarzer Thürme machen.

Alle Einrichtungen, welche aus diesen Schiffen den Passagieren geboten werden, sind so bequem wie sauber, für die höheren Kajüten von äußerster Eleganz. Eine reichhaltige Bibliothek aus russischen, deutschen, französischen und englischen Büchern, eine kleine Bade-Anstalt mit Douchen etc., Wäscherei und noch andere Bequemlichkeiten stehen jederzeit zur Verfügung. Eine Besonderheit dieser Schiffe ist, daß sie nicht an allen, sondern nur den größeren Stationen anlegen und hier einige Stunden liegen bleiben, sodaß es den Mitreisenden vergönnt ist, die betreffenden Orte, sei es zum Vergnügen, sei es Geschäfte halber, zu besuchen.

[394] Zum Schluß bleibt noch zu erwähnen, daß jedes dieser fünf Schiffe, deren vollständige Bemannung etwa siebenzig Mann erfordert, circa 2000 Passagiere und 465,000 Kilogramm Lasten aufnehmen kann. Ihre Fahrgeschwindigkeit beträgt stromaufwärts zwölf, dagegen stromabwärts zwanzig Werst oder circa drei deutsche Meilen pro Stunde; dabei verbrauchen die Dampfkessel zu ihrer Heizung pro Tag circa 145 Kubikmeter Holz.

Außer diesen Dampfern amerikanischen Systems verdienen die der Gesellschaft „Wolga“ erwähnt zu werden. Durch die auf diesen Schiffen herrschende Ordnung und Sauberkeit stehen sie denen der Gesellschaften „Samolott“, „Kawkas“ und „Merkurij“ etc. um Vieles voran.

Die Anzahl der auf dem Wolgagebiete existirenden Dampfer beträgt über siebenhundert, zu annähernd 87,500 Pferdekraft und mit einem Holzbedarf – bei einer jährlichen Fahrzeit von sechs Monaten – von circa 7,300,000 Cubikmeter im Werthe von 13,000,000 Rubel, ein Bedarf, wie ihn die für unerschöpflich geltenden russischen Wälder wohl nicht mehr sehr lange aushalten werden. Die Gesellschaft „Kawkas und Merkurij“ hat bereits damit den Anfang gemacht, ihre Schiffe mit den hier so wohlfeilen Naphtharückständen zu heizen. Auf dem Wolgagebiete existiren außerdem noch circa 5000 Barken, welche, der Länge nach hinter einander gestellt, eine Gesammtlänge von mehr als fünfzig deutschen Meilen und mit den Dampfern zusammen eine solche von über sechszig deutschen Meilen ergeben. Wenn man annimmt, daß mindestens drei Viertel dieser Schiffe immer unterwegs sind, so wird man sich einen annähernden Begriff von dem einzig dastehenden Handel und dem belebten Passagierverkehre auf der Wolga machen können.

Zu diesen gewaltigen Mitteln des Verkehrs flußauf- und flußabwärts standen seither diejenigen, welche die Verbindung von Ufer zu Ufer vermittelten, nicht entfernt im Verhältniß. Es ist unglaublich, aber wahr, daß auf der ganzen Strecke von 385 deutschen Meilen eine kleine bei der Stadt Twer befindliche Brücke die einzige feste Verbindung der beiden Wolga-Ufer bildete.

Ende vorigen Jahres ist nun aber eine zweite Wolga-Brücke dem Verkehr übergeben worden, und die kolossalen Dimensionen dieses Baues lassen sie als würdiges Seitenstück zu den geschilderten Riesendampfern erscheinen. Dieselbe ist auf der Sysran-Orenburger Eisenbahn zwischen den zwei bedeutenden Städten Sysran und Samara gelegen und verbindet mithin das Gouvernement Simbirsk mit dem Gouvernement Samara.

Durch zwölf Strom- und zwei Uferpfeiler getragen, hat diese Brücke eine Länge von circa 1/5 deutsche Meile, sodaß also die Entfernung von Pfeiler zu Pfeiler über hundert Meter beträgt. Wegen des im Frühjahre sehr hohen Steigens der Wolga war man gezwungen, den Pfeilern eine solche Höhe zu geben, daß selbst beim höchsten Wasserstande zum Passiren der Schiffe noch ungefähr siebenzehn Meter Raum zwischen Wasserniveau und Brücke blieb. Trotzdem müssen noch, im Falle eines sehr hohen Steigens der Wolga, die größten Dampfer ihre Schornsteine herunterlassen, um diese Stelle passiren zu können. Die Höhe der Pfeiler über dem Wasserniveau beträgt bei gewöhnlichem Wasserstande etwa dreißig Meter, neben siebenzehn Meter unter dem Wasser.

Der Bau der Pfeiler unter Wasser wurde, wie schon früher bei derartigen Brückenbanten, mittelst Caissons bewerkstelligt. Das Princip dieser Art Pfeilerbau kennen die Leser aus einem frühern Artikel („Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?“ vergl. Nr. 18 d. Jahrg.).

Ein Caisson ist ein aus Tafelblech von drei bis zehn Millimeter Stärke zusammengenieteter unten offener Cylinder, dessen Länge, Breite und Form ganz den Dimensionen des zu erbauenden Pfeilers, dessen Höhe jedoch der auf der bestimmten Stelle vorhandenen Tiefe des Wassers angemessen sein muß. Oben auf diesem Cylinder, also in dem Deckel desselben, befinden sich mehrere Oeffnungen mit Doppelthüren, die zum Hinein- und Herausschaffen von Baumaterialen etc. sowie zum Ein- und Ausgang für die darin beschäftigten Arbeiter bestimmt sind.

Hat man nun die Stelle für den zu erbauenden Pfeiler festgesetzt, so versenkt man den Caisson auf der betreffenden Stelle bis auf den Grund und pumpt dann mittelst Luftpumpen soviel Luft hinein, daß das darin befindliche Wasser nach unten herausgedrängt wird. Erst dann, wenn letzteres vollkommen geschehen, kann die Arbeit in dem Caisson beginnen. Der Pfeiler wird nun darin in der Weise aufgemauert, daß noch ein kleiner Raum zwischen Caisson und Pfeiler rund herum bleibt, um später das Herausnehmen des Caissons besser bewerkstelligen zu können. Die Leistungfähigkeit der fortwährend arbeitenden Luftpumpen muß natürlich sehr genau regulirt werden, damit nicht etwa zeitweise zu wenig oder auch wieder zu viel Luft hineinkommt. Im ersteren Falle würde das Wasser bei einem geschwächten Gegendrucke von unten hereinfließen, im letzteren die zu stark comprimirte Luft auf die Gesundheit der darin beschäftigten Arbeiter schädlich einwirken. Diese Arbeiter müssen vollkommen gesund und kräftig sein und werden zudem der anstrengenden Arbeit halber öfters während des Tages gewechselt. Trotzdem kommen Todesfälle in Folge dieser Arbeit nicht selten vor.

Was bei diesem Brückenbau ganz besonders neu war, das war die Heraufschaffung der einzelnen schmiedeeisernen, vorher fix und fertig genieteten Gitterwerke, von welcher das beigegebene Bild der im Entstehen begriffenen Brücke eine Anschauung giebt. Man stellte nämlich sieben große Barken neben einander, verband dieselben sehr fest und erbaute auf der so gebildeten Fläche ein hohes Gestell von Balken. Alsdann wurde das erste der dreizehn fertigen Gitterwerke, welche auf dem sehr hohen rechten Ufer der Wolga des Transports harrten, auf das Gestell geschafft und der ganze Koloß durch drei starke Bugsirdampfer stromaufwärts zwischen zwei fertige Pfeiler gezogen. Dort angelangt, regulirte man genau den Stand mittelst ausgeworfener Anker, ließ dann gleichmäßig in alle Barken Wasser hinein und senkte so das Ganze, bis das Gitterwerk fest an Ort und Stelle auf den Pfeilern lag. Für den Fall jedoch, daß etwa durch irgend welchen Zufall die Lage des bereits niedergelassenen Gitters eine nicht ganz erwünschte sei, war auf jeder der Barken eine Pumpe angebracht worden, mittelst deren eine große Locomobile das in die Barken hineingelassene Wasser wieder gleichmäßig herauszupumpen im Stande war. Es würde sich in Folge dessen der ganze Koloß langsam wieder gehoben haben. Erfreulicher Weise ist der Verwerthungsfall für die Vorsichtsmaßregel nicht eingetreten. Diese ganze Erleichterung einer sonst so schwierigen Arbeit durch eine höchst einfache Vorrichtung ist der glückliche Gedanke des Ober-Ingenieurs Beresin, welcher den Bau der Brücke leitete.

Nebenher sei noch bemerkt, daß der ganze Bau von einem Bau-Unternehmer aus St. Petersburg, Michailow, für die Summe von sieben Millionen Rubel Silber übernommen wurde. Das Totalgewicht des ganzen Eisenwerks stellt sich auf 6,930,000 Kilogramm.

O. Behring.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: qäulte