Die beiden feindlichen Apfelbäume und die fetten und mageren Schafe

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Autor: Fr. Richter
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Titel: Die beiden feindlichen Apfelbäume und die fetten und mageren Schafe
Untertitel:
aus: Lithauische Märchen IV, in: Zeitschrift für Volkskunde, 1. Jahrgang, S. 356–358
Herausgeber: Edmund Veckenstedt
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Alfred Dörffel
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA*, Commons
Kurzbeschreibung:
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1. Die beiden feindlichen Apfelbäume und die fetten und mageren Schafe.


Einstmals zog ein junger Mann in die Fremde, um zu sehen, wie es dort zugehe. Da der junge Mann gutmütig und dazu reich war, so lud er unterwegs oftmals, wenn er in ein gutes Wirtshaus gekommen war, Leute zu sich und bewirtete sie reichlich. So war denn auch eines Tages ein alter Bettler, welcher ihm wegen seines freundlichen Aussehens gefallen hatte, sein Gast gewesen.

Nach der Mahlzeit bedankte sich der alte Bettler freundlich bei seinem Gastgeber und nahm demselben das Versprechen ab, wenn er ihn einmal einladen würde, dass er der Einladung folgen wolle. Die Botschaft werde er schon verstehen, wenn sie auch ein anderer Bote, als die gewöhnlichen wären, überbringe.

Seit der Zeit waren zwei Jahre vergangen, der junge Mann hatte viel gesehen und erfahren und war dadurch sehr klug geworden. Da kam eines Tages ein Hündchen gelaufen, welches gar zutraulich und lieb zu ihm war. Es beleckte ihm die Hände und sah ihn mit klugen Augen an. Der junge Mann merkte daran, dass der Hund der Botschafter des Bettlers sei. Deshalb machte er sich sogleich auf, demselben zu folgen. Der Hund lief zunächst auf dem Wege eine Strecke geradeaus, dann bog er in einen Wald ein. Im Walde sah der junge Mann zwei Obstbäume, welche sich gegenüberstanden und wütend aufeinander losschlugen; Blätter und Blüten, junge Früchte und losgerissene Zweige stoben nur so zur Erde nieder.

Nachdem beide den Wald hinter sich hatten, führte der Hund seinen Begleiter an einen steilen Felsen vorbei. Oben auf dem kahlen Felsen weidete eine Herde von Schafen, welche lustig und guter Dinge waren, trotzdem sie ganz mager aussahen und kärgliches Futter fanden. Unfern von dem Felsen sah der junge Mann eine Wiese, auf welcher das schönste Futter von der Welt stand. Die Schafe auf derselben waren dick und fett und doch sahen sie traurig aus und liessen die Köpfe hängen Darauf führte das Hündchen den jungen Mann zu einer Hütte neben der Wiese. Aus der Hütte trat der Bettler seinem früheren Gastgeber entgegen und empfing denselben mit herzlichem Danke, dass er seiner Einladung gefolgt sei.

[356] Nachdem er den jungen Mann reichlich bewirtet hatte, fragte er ihn: „Hast Du nicht am Wege gesehen, was Dir aufgefallen ist“ „Das wohl“, erwiderte der junge Mann: „ich sah zwei Obstbäume, die aufeinander losschlugen, dass Blätter und Blüten, Früchte und Zweige zur Erde fielen. Dann sah ich Schafe auf einem Felsen, welche lustig und guter Dinge waren, trotz ihrer mageren Weide, und andere Schafe auf einer Wiese voll des besten Futters; diese liessen aber die Köpfe hängen.“

Da nahm der Alte das Wort und sprach: „Die zwei Obstbäume, das sind zwei angesehene Gastwirte in Deinem Dorfe. Sie hadern und streiten unausgesetzt miteinander und verlieren dabei das Ihre. Die fetten Schafe auf der guten Weide, welche traurig sind, das sind die Reichen, die alles im Überfluss haben und doch ihres Lebens nicht froh werden. Die mageren Schafe auf den kahlen Felsen, die so fröhlich sind, das sind wir Armen. Wir haben wenig und bedürfen wenig, aber Gott hat uns Gesundheit und ein fröhliches Herz geschenkt. Wenn du heim kommst, so bewahre alles, was Du geschen hast, in treuem Herzen und es wird Dir auf Erden und im Himmel wohler ergehen als manchem Könige “

Der junge Mann zog nun wieder in seine Heimat zurück. Er hatte Lust an der Arbeit: alles, was er anfing, gedieh ihm so, dass er bald steinreich hätte werden können. Aber er beachtete das, was er gesehen und erfahren hatte. Von seinem Überfluss schenkte er den Armen und ward von den Menschen geliebt, bis ihn ein sanfter Tod in den Himmel führte.