Die bewachte Rose

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: St.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die bewachte Rose
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 150-151
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[149]

Ein Stoff für Dichter.

Die bewachte Rose.

[150]
Die bewachte Rose.
(Mit Abbildung.)

Als ich in Petersburg den General Klinger besuchte, der bekanntlich Goethe’s Jugendfreund war, erzählte mir der greise Dichter folgende liebliche Anekdote, die den Stoff zu einem schönen Gedicht abgeben könnte.

Ich war noch nicht lange in Petersburg, hub der General an, als ich eines Tages die Kaiserin Mutter nach Zarskoi-Selo begleiten mußte. Indem ich auf einem einsamen Spaziergange die weitläufigen Gärten durchstrich, gewahrte ich an einer Stelle einen Wachtposten aufgestellt, und ich konnte nicht entdecken, welchen Gegenstand dieser Posten bewachte. Es befand sich kein Gebäude in der Nähe, auch war die Stelle des Gartens nicht so gelegen, daß man glauben konnte, irgend ein frequenter Spaziergang des Hofes führe hier vorbei; es war ein Stück grünen Rasenplatzes und eine überall angebrachte Einfassung. Ich blieb stehen und sah mir dieses Räthsel an. Der Soldat, schweigend und ernst, ging in seinem Diensteifer immer auf derselben unerklärlichen Stelle seine vorgeschriebenen zehn Schritte auf und ab. Endlich entschloß ich mich, ihn zu fragen, und brachte mit einigem Zögern die Worte hervor:

„Brüderchen, warum stehst Du hier?“

Er blieb stehen, sah mich an, und da er einen Orden an meinem Halse erblickte, glaubte er, daß es seine Pflicht sei, mir zu antworten, er stellte sich gerade und antwortete in einem respectvollen Tone: „Väterchen, weil es mir so befohlen worden ist.“

Ich wußte, daß eine zweite Frage unbeantwortet bleiben würde, ich mühete mich daher von Neuem, zu entdecken, wo der Gegenstand und welcher Art er sei, der hier bewacht wurde. Ich fand nichts. Zuletzt wurde mir der stumme Soldat und das Stück Rasen ordentlich unheimlich. An der Mittagstafel sah ich den wachthabenden Lieutenant, und während ich unterdessen an tausend andere Dinge gedacht hatte, kam mir, als ich die Epaulettes erblickte, doch rasch wieder der Soldat und seine räthselhafte Bestimmung in’s Gedächtniß. Ich fragte und erhielt dieselbe Antwort: „Er ist an die Stelle commandirt worden.“

„Wer hat ihn commandirt?“

„Das Wachreglement.“

„Weshalb?“

„Da müssen Sie den General fragen, der die Ordres vertheilt.“

„Offenbar ist doch an jener Stelle nichts zu bewachen!“

„So scheint’s.“

„Und dennoch!“

Der junge Mann sagte jetzt mit einem etwas impertinenten Accent:

„Excellenz sind ja selbst Militair, werden wissen, daß wir niemals erfahren, weshalb wir etwas thun, genug, wir müssen es thun.“

Mit diesem Satze hatte es allerdings seine Richtigkeit, und ich mußte nun warten, bis ich nach Petersburg zurückkehrte, um dem fraglichen General, der mir näher befreundet war, mein Anliegen vorzutragen. Es fand sich bald dazu eine Gelegenheit; aber auch hier erfuhr ich nichts.

„Wir stellen diesen Posten schon über fünfzig Jahre aus, und immer steht nur in den Büchern: der Posten, fünfhundert Schritte vom östlichen Pavillon.“

„Ach,“ rief ich, „was sind das für sonderbare Dinge! Wer läßt denn ein Stück freies Feld bewachen? Die Sache muß eine andere Bewandtniß haben. Geben Sie doch Befehl, daß der unnütze Posten eingezogen wird.“

„Das darf ich nicht. Der Befehl muß von Oben kommen; geschieht dies nicht, so wandert der Soldat noch nach hundert Jahren an dieser Stelle.“

Mein Eifer, dem Geheimniß auf den Grund zu kommen, wurde jetzt fast ein nervöser. Ich träumte von Schätzen, die dort begraben lagen, und von denen Niemand als die höchste Person des Staates und ich Kenntniß hatten; dann fand ich’s wieder ergötzlich, daß man die Natur als Natur bewachte, gleichsam der freien Wolkenbildung, dem üppigen, ungezwungenen Wehen der Winde einen Wink ertheilte, der ihnen Kunde gab, daß sie bewacht seien, also daß sie vorsichtig zu sein hätten. Ich kam öfters nach Zarskoi-Selo, lediglich um meinen geheimnißvollen Wachtposten zu sehen. Endlich wurde meine ungestillte Wißbegier auch in weiteren Kreisen bekannt. Ein Umstand, der Niemand bis jetzt aufgefallen war, bekam plötzlich eine Wichtigkeit, und sehr Viele bei Hof und in der Stadt fragten jetzt, wie ich gefragt hatte.

[151] Eines Abends winkte mich die Kaiserin Mutter bei Seite und sagte lächelnd:

„Wissen Sie, weshalb der Soldat dort steht?“

„Nein, Majestät – in der That –“

„Nun, so hören Sie; man hat mir Bericht erstattet und ich will Ihnen diesen Bericht nicht vorenthalten. Die Kaiserin Katharina ging eines Tages in ihren Gärten spazieren, und entdeckte eine frühzeitig aufgeblühte, besonders schöne Moosrose. Da den Morgen darauf der Geburtstag eines ihrer Enkel fiel, so wollte sie diesem die Rose geben, und gab darum Befehl, daß, damit die Rose nicht unterdessen gepflückt werde, man eine Wache dabei stelle. Der Morgen des nächsten Tages kam, aber die Kaiserin vergaß ihre Rose. Die Wache blieb; man wagte nicht, ohne ausdrücklichen Befehl diesen Posten wieder einzuziehen. Die Rose war längst dahin – die Wache blieb, und so ist sie geblieben, ohne daß Jemand gefragt hat, weshalb sie da war.“

In Rußland fragt man überhaupt nicht. So wußte ich denn Bescheid über das Geheimniß des Wachtpostens, setzte Klinger hinzu.

Es war die erste, mit militairischer Macht bewachte Rose, von der ich gehört. – Der Posten wurde jetzt eingezogen.
St.