| §. 25. Betrachtung von Stromringen, welche behaftet sind mit sogenannten Gleitstellen.
Es seien gegeben zwei mit Gleitstellen behaftete Ringe und , die in irgend welchen Bewegungen begriffen und von elektrischen Strömen durchflossen sind. Doch mögen die Ströme als gleichförmig vorausgesetzt werden.
Die zur Zeit im Ringe vorhandenen Elemente mögen mit benannt sein, und andererseits mögen diejenigen Elemente, welche während des Zeitelementes in den Ring eintreten oder aus ihm ausscheiden, in dem früher angegebenen collectiven Sinne (pag. 65) mit bezeichnet sein. Analoge Bedeutungen mögen und besitzen für den Ring .
Zur Vereinfachung wollen wir vorläufig annehmen, dass die Elemente und sämmtlich positiv sind, dass also während der Zeit in beiden Ringen nur eintretende, nicht aber ausscheidende Elemente vorhanden sind.
Die elektromotorische Kraft eldy. Us: , welche während der Zeit in irgend einem Puncte von , in der Richtung von , hervorruft, hat (pag. 148) den Werth:
(1.)
|
|
wo
den der Zeit
entsprechenden Zuwachs der Stromstärke vorstellt.
| Die rechter Hand beigefügte Signatur
mag dienen, um diejenigen Elemente im Auge zu behalten, auf welche die Formel sich bezieht.
Die analoge Formel für die Einwirkung von auf lautet:
(2.)
|
|
Dass im letzten Gliede zu setzen ist, unterliegt keinem Zweifel. Denn ist ein während der Zeit neu eintretendes Element; seine Stromstärke wächst also während dieser Zeit von 0 auf an. Fraglich aber erscheint, welcher Werth im ersten Gliede dem beizulegen ist.
In der früheren Formel (1.) ist es mit Bezug auf jenes erste Glied einerlei, ob dort selber, oder statt dessen gesetzt wird, also einerlei, ob daselbst der Werth der Stromstärke zu Anfang oder zu Ende der Zeit genommen wird; denn der Unterschied zwischen und ist unendlich klein. In der Formel (2.) hingegen scheint eine solche Verwechselung nicht gestattet, weil die Stromstärke in zu Anfang und zu Ende der Zeit die sehr verschiedenen Werthe 0 und besitzt. Es fragt sich also, ob in der Formel (2.) für der Werth 0, oder , oder vielleicht ein gewisser Mittelwerth zu nehmen ist. Um rationell zu verfahren, würde die Zeit von Neuem in unendlich viele, etwa Zeitelemente, und die Drahtlänge in die correspondirenden Elemente zu zerlegen sein, u. s. w.
Glücklicherweise sind indessen solche Erörterungen nicht erforderlich. Man bemerkt sofort, dass das erste Glied der Formel (2.) verschwindend klein ist gegen das zweite, dass nämlich letzteres (in Folge des ) unendlich klein erster Ordnung, ersteres hingegen (in Folge von und ) unendlich klein zweiter Ordnung ist. Somit reducirt sich die Formel (2.) auf:
(3.)
|
|
Denkt man sich die Formel (1.) für sämmtliche , und die Formel (3.) für sämmtliche der Reihe nach hingestellt, so gelangt man durch Addition all’ dieser Formeln zu dem Ergebniss:
(4.)
|
|
dies also ist diejenige elektromotorische Kraft eldy. Us, welche der
| ganze Ring
während der gegebenen Zeit
hervorbringt in irgend einem Puncte von
, die Kraft gerechnet in der Richtung von
.
Aus (4.) folgt durch Multiplication mit und Summation über sämmtliche sofort:
(5.)
|
|
dies ist diejenige elektromotorische Kraft eldy. Us, welche der ganze Ring im ganzen Ringe während der Zeit hervorbringt. Allerdings scheinen hiebei die Elemente noch nicht berücksichtigt zu sein. Wollte man aber diese Elemente mit in Rechnung ziehen, so würde, weil die Anzahl der endlich (nämlich entsprechend der Anzahl der in vorhandenen Gleitstellen), die Anzahl der hingegen unendlich gross ist, zu dem in (5.) angegebenem Ausdruck nur noch ein Glied hinzutreten, welches diesem Ausdruck gegenüber verschwindend klein ist.
Nur der Bequemlichkeit willen war bisher vorausgesetzt, die und seien sämmtlich positiv. Nachträglich übersieht man leicht, dass die erhaltene Formel (5.) auch dann noch gültig sein wird, wenn die und theils positiv theils negativ sind, also gültig sein wird, einerlei ob während der Zeit in jedem der beiden Ringe nur eintretende, oder gleichzeitig auch ausscheidende Elemente vorhanden sind.
Um den Ausdruck (5.) zu vereinfachen, sei bemerkt, dass das elektrodynamische Potential (vergl. pag. 146) der beiden Ringe auf einander sich darstellen lässt durch
(6.)
|
|
woraus mit Bezug auf die Zeit sich ergiebt:
(7.)
|
|
Andererseits sei bemerkt, dass nach einem früher gefundenem Satz [(52.g), pag. 55] die Formel stattfindet:
(8.)
|
|
wo
diejenige ponderomotorische Kraft eldy. Us bezeichnet, welche zwei Elemente
und
(nach dem
Ampère’schen
| Gesetz) auf einander ausüben. Durch Addition der beiderlei Werthe von
, in (7.) und (8.), erhält man:
(9.)
|
|
oder anders geschrieben:
(10.)
|
|
oder falls auf beiden Seiten addirt wird:
(11.)
|
|
Soviel in Betreff des Gliedes erster Zeile in (5.).
Es handelt sich nun ferner um eine gewisse Umgestaltung des dortigen Gliedes zweiter Zeile. Aehnlich wie früher (pag. 58, 59) mag die Entfernung zweier Elemente der Ringe und aufgefasst werden als eine Function von vier Argumenten
der Art, dass die Zeit, je nachdem sie in den Coordinaten des zu oder zu gehörigen Elements enthalten ist, mit oder bezeichnet, und die Bogenlänge oder jedesmal längs desjenigen speciellen Bahnstückes gerechnet wird, dem das Element angehört. Alsdann ist , mithin:
(12.)
|
|
wo offenbar . Setzt man nun zur Abkürzung:
(13.)
|
|
so ergiebt sich weiter:
(14.)
|
|
und folglich:
(15.)
|
|
| Die Integration rechter Hand kann weiter ausgeführt werden mit Hülfe von früher [(74. p,q) pag. 64] gefundenen Formeln; aus denselben ergiebt sich nämlich sofort:
woraus durch Addition folgt:
(16.a)
|
|
In gleicher Weise ergiebt sich die analoge Formel:
(16.b)
|
|
Nun ist und [nach (13.)] . Die Formeln (16.a,b) können daher auch so geschrieben werden:
(17.a)
|
|
(17.b)
|
|
Durch (17. a,b) gewinnt der Ausdruck (15.) folgende Gestalt:
(18.)
|
|
Endlich kann das Glied dritter Zeile in (5.), mit Rücksicht auf (6.), sofort in die Form gebracht werden:
(19.)
|
|
Substituirt man nun in (5.) für die einzelnen Glieder die gefundenen Werthe (11.), (18.), (19.), so folgt:
(20.a)
|
|
wo
die Bedeutung hat:
|
(20.b)
|
|
denn hat den Werth , (vergl. pag. 133).
Das von meinem Vater (auch für den Fall von Gleitstellen) proponirte Integralgesetz drückt sich aus durch die Formel (pag. 113):
(21.)
|
|
Soll zwischen dieser und der hier gefundenen Formel (20.a) Uebereinstimmung vorhanden sein, so müsste für je zwei mit Gleitstellen behaftete Ringe, wie dieselben auch beschaffen sein mögen, immer die Gleichung stattfinden:
(.)
|
|
Zur Erfüllung dieser Gleichung aber ist, weil die und ihrer Anzahl und Lage nach willkührlich sind, erforderlich und ausreichend, dass für eine beliebig gegebene geschlossene Curve und für ein beliebig gegebenes einzelnes Linienelement immer die Gleichung stattfindet:
(.)
|
|
das bezogen gedacht einerseits auf die Elemente der Curve, andererseits auf jenes einzelne Element .
(22.), ... „Die Gleichung (.) ist also die nothwendige und ausreichende Bedingung dafür, dass zwischen den beiderlei Gesetzen (20.a,b) und (21.) Uebereinstimmung stattfindet.“
Es sind die Consequenzen zu untersuchen, welche aus dieser Bedingung für die Beschaffenheit von resultiren. — Findet die Gleichung (.) statt für jede geschlossene Curve und jedes daneben gegebene einzelne Element, so wird auch für je zwei geschlossene Curven und beständig die Gleichung stattfinden:
(.)
|
|
und es wird folglich [nach einem früher gefundenen Satz (pag. 95)] der Ausdruck oder der Relation entsprechen müssen:
(.)
|
|
Es ist also (.) eine Folge von (.). Auch das Umgekehrte ist der Fall. Denn aus (
.) würde zunächst folgen, dass der Ausdruck
sich darstellen lässt in der Form:
|
(.)
|
|
und hieraus würde weiter folgen, dass der Bedingung (.) Genüge leistet. Somit ist also in der That dargethan, dass auch umgekehrt (.) eine Folge von (.) ist.
Die beiden Bedingungen (.) und (.) sind mithin untereinander äquivalent; und das Ergebniss (22.) kann daher auch so ausgesprochen werden:
(23.) .... „Die Relation (.) ist die nothwendige und ausreichende Bedingung dafür, dass die beiderlei Gesetze (20.a,b) und (21.) mit einander in Einklang sind.“
Jene Relation (.) gewinnt aber durch Vergleichung mit einer früher (pag. 148) erhaltenen Relation:
(.)
|
|
die einfachere Gestalt:
(.)
|
|
Somit kann das Ergebniss (23.) schliesslich so ausgesprochen werden:
Soll das von mir für die elektromotorischen Kräfte eldy. Us entwickelte Elementargesetz (pag. 148) auch für solche Stromringe, die mit Gleitstellen behaftet sind, in Uebereinstimmung sich befinden mit dem von meinem Vater aufgestellten Integralgesetz, so ist erforderlich und ausreichend, dass die in jenem Elementargesetz auftretende Function den Werth besitze:
(24.)
|
|
wo die in dem Ampère’schen Gesetz (pag. 44) enthaltene Function, und die daselbst enthaltene Constante repräsentiren.
Indessen fragt es sich wohl, ob das in Rede stehende Integralgesetz für den Fall von
Gleitstellen als hinlänglich constatirt betrachtet
| werden darf; und es soll daher vorläufig von dem für
erhaltenem Werthe (24.) im Folgenden
kein Gebrauch gemacht werden.
Schliesslich mögen in Betracht gezogen werden diejenigen Quantitäten von lebendiger Kraft und Wärme, welche sich in den beiden mit Gleitstellen behafteten Ringen und während des Zeitelementes entwickeln in Folge ihrer gegenseitigen Kräfte eldy. Us. Wir bedienen uns dabei der früher (pag. 67 und 105) gefundenen Formeln[1]:
(25.)
|
|
(26.)
|
|
Substituirt man in letzterer für die rechte Seite den gefundenen Werth (20.a), so ergiebt sich:
(27.a)
|
|
In gleicher Weise gilt offenbar umgekehrt für die Wirkung von auf die analoge Formel:
(27.)
|
|
und durch Addition von (27.a), (27.b) folgt sofort:
(28.)
|
|
Endlich folgt aus (25.) und (28.):
(29.)
|
|
oder, indem man für den Werth (6.) substituirt:
(30.)
|
|
Diese Formel (30.) enthält nichts Neues; sie hätte bequemer erhalten werden können direct auf Grund der Bedeutung von . Denn der Ausdruck
repräsentirt das elektrodynamische Postulat zweier Stromelemente und (vergl. pag. 147). — In der That sind die Rechnungen (25.) bis (30.) nur angestellt worden, um eine gewisse Controle zu erhalten für die früheren Formeln dieses §.
- ↑ Dass die erste dieser Formeln auch für den Fall von Gleitstellen gültig ist, geht aus den betreffenden Erörterungen (pag. 67) deutlich hervor. Andererseits aber erkennt man leicht in directer Weise, dass Gleiches auch gilt von der zweiten Formel.