Die elektrischen Kräfte/Zusammenstellung:§32

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§. 32. Definitive Gestaltung des den elektromotorischen Kräften eldy. Us zuzuschreibenden Elementargesetzes.


Die im Innern eines ponderablen Körpers an irgend einer Stelle vorhandene elektrische Strömung kann ihre Richtung in zwiefacher Weise ändern, entweder für sich allein, oder mitsammt des Körpers. Ist z. B. der Körper durch zwei Drähte verbunden mit den Polen einer Galvanischen Batterie, so wird ersteres eintreten, wenn wir den Körper in eine feste Aufstellung versetzen, und die Einmündungsstellen jener Drähte längs seiner Oberfläche verschieben, hingegen letzteres eintreten, wenn wir jene Drähte an ihren Einmündungsstellen mit dem Körper starr verbinden (zusammenlöthen), sodann aber den Körper selbst in irgend welche Drehung versetzen.

Es erscheint im höchsten Grade wahrscheinlich, dass die von einer elektrischen Strömung vermöge ihrer Richtungsänderung hervorgerufene elektromotorische Kraft lediglich abhängt von der relativen Beschaffenheit dieser Richtungsänderung in Bezug auf den inducirten Körper, einerlei ob der ponderable Träger der Strömung an dieser Richtungsänderung Theil nimmt oder nicht, dass also z. B. jene elektromotorische Kraft immer Null ist, sobald die relative Beschaffenheit der elektrischen Strömung in Bezug auf den inducirten Körper während der betrachteten Zeit keine Aenderung erleidet. — Um diese Hypothese möglichst präcise auszusprechen, geben wir ihr folgende Fassung.

(1.).... Sechste Hypothese. Bezeichnet ein unendlich kleines genau kugelförmiges Volumelement eines Körpers , in welchem beliebige elektrische Vorgänge stattfinden, und steht der Mittelpunct von in starrer Verbindung mit einem gegebenen Körper , während selber um diesen Mittelpunct in irgend welcher Drehung begriffen ist, so soll angenommen werden, dass die von in irgend einem Puncte von hervorgebrachte elektromotorische Kraft eldy. Us immer Null ist, sobald die in vorhandene elektrische Strömung, beurtheilt mit Bezug auf , ihrer Richtung und Stärke nach constant bleibt.

Der Körper und das rechtwinklige Axensystem () mögen in absolut unbeweglicher Aufstellung gedacht werden; ebenso die Galvanische Batterie , und die von ihren Polen nach dem Körper hinlaufenden beiden Drähte (Fig. 10); ebenso endlich die zur -Axe parallele Axe , um welche der Körper in Rotation begriffen ist.

Dieser Körper sei ein homogener Metallcylinder, dessen geometrische Axe mit seiner Rotationsaxe zusammenfällt. Während| der Rotation werden die Einmündungsstellen jener beiden (absolut unbeweglich gedachten) Drähte dahinschleifen auf der Oberfläche von . — Endlich sei ein unendlich kleines, genau kugelförmiges Volumelement von , dessen Mittelpunct in der Axe liegt.

Fig. 10

Die Stärke der Batterie constant vorausgesetzt, und die Rotationsgeschwindigkeit des Cylinders ebenfalls als constant vorausgesetzt, muss nach einiger Zeit im Innern des Cylinders ein elektrischer Strömungszustand sich etabliren, dessen Beschaffenheit (mit Bezug auf fortwährend sich ändernd) constant bleibt mit Bezug auf den absoluten Raum, oder (was dasselbe ist) mit Bezug auf . Sind also die Componenten der in oder vorhandenen elektrischen Strömung, bezogen auf die absolut unbeweglichen Axen , so werden nach Eintritt des genannten Zustandes, die Zuwüchse fortdauernd Null sein[1].

Zufolge unserer Hypothese (1.) muss daher während dieses Zustandes die von in irgend einem Puncte des Körpers hervorgebrachte elektromotorische Kraft eldy. Us ebenfalls fortdauernd Null sein.

| Im Allgemeinen lassen sich jene Zuwüchse (vergl. pag. 178) darstellen durch die Formeln:

In dem hier betrachteten speciellen Falle ergeben sich daher, weil , und die Rotationsaxe parallel der -Axe ist, folgende Gleichungen:

(2.)

wo die Rotationsgeschwindigkeit des Cylinders bezeichnet.

Bezeichnet man nun die vom Elemente während der Zeit in irgend einem Puncte des Körpers hervorgebrachte elektromotorische Kraft eldy. Us mit

(3.)

so ist, zufolge früherer Ergebnisse (pag. 181):

(4.)

denn es ist zu beachten, dass im vorliegenden Falle nicht nur , sondern auch sämmtlich verschwinden, weil die Linie , die Verbindungslinie von und dem Mittelpunct des Volumens , ihrer Länge und Richtung nach unveränderlich ist. In der Formel (4.) haben und die Bedeutungen (vergl. pag. 181):

(5.)

Hieraus folgt, wiederum mit Rücksicht darauf, dass unveränderlich gegeben sind:

(6.)

Durch Substitution dieser Werthe (6.) in die Formel (4.) folgt:

(7.)
Beachtet man nun, dass im hier betrachteten Fall [nach (2.)] ist, so ergiebt sich:|
(8.)

oder weil [ebenfalls nach (2.)] ist:

(9.)

Zufolge der vorhin angestellten Ueberlegungen muss aber die Kraft verschwinden für jeden beliebigen Punct des Körpers , d. h. für beliebige Werthe von . Somit folgt aus (9.), dass

(10.)

sein muss.

Die von uns eingeführte Hypothese (1.) bringt also mit sich, dass die Functionen die durch (10.) ausgedrückte Beschaffenheit besitzen. In jedenfalls nicht minder zuverlässiger Weise ist früher bereits (pag. 145) gefunden, dass zwischen und die Relation stattfindet:

(11.)

Aus (10.) und (11.) aber ergiebt sich sofort:

(12.)

Höchst überraschender Weise sind wir hiermit[2] zu genau demselben Werthe der Function gelangt, zu welchem eine frühere, von völlig andern Gesichtspuncten ausgehende Betrachtung bereits hindrängte. Denn der in (12.) für gefundene Werth stimmt vollständig überein mit demjenigen, der dieser Function zuertheilt werden musste, um das für die elektromotorischen Kräfte eldy. Us entwickelte Elementargesetz auch für solche Ströme, die mit Gleitstellen behaftet sind, in Einklang zu bringen mit dem von meinem Vater aufgestellten Integralgesetz (vergl. pag. 155).

Diese Uebereinstimmung aber dürfte, weil jenes Integralgesetz auch für den Fall von Gleitstellen experimentell geprüft und bestätigt| worden ist, als ein gewichtiges Indicium anzusehen sein für die Zuverlässigkeit der von uns angestellten Betrachtungen.

Um sämmtliche Functionen von , mit denen wir es zu thun haben, zusammenzustellen, sind zu (12.) noch hinzuzufügen die Formeln (pag. 44):

(13.)

Vermittelst (12.) und (13.) können sämmtliche Functionen ausgedrückt werden durch . Bequemer aber wird es offenbar sein, die Function

(14.)

in den Vordergrund zu bringen, und durch diese die übrigen auszudrücken. Man erhält alsdann:

(15.)

Durch Substitution dieser Werthe in das für die elektromotorischen Kräfte entwickelte Elementargesetz, gewinnt jenes Gesetz (pag. 180) folgende einfachere Gestalt:

„Sind und irgend zwei in Bewegung begriffene Körper, ferner irgend ein Punct von , und irgend ein Volumelement von , und sollen in Bezug auf ein ebenfalls in beliebiger Bewegung begriffenes Axensystem () die Componenten

derjenigen elektromotorischen Kraft eldy. Us angegeben werden, welche während der Zeit in hervorbringt, so bilde man zunächst die Richtungscosinus

(16.a)

wo die Coordinaten von , ferner diejenigen von und die Entfernung zwischen und vorstellen;“

„sodann bilde man mit Bezug auf die in vorhandenen Strömungscomponenten die Ausdrücke:|
(16.b)


von jenen gesuchten Componenten wird alsdann die erste folgenden Werth besitzen:

(16.c)

wo die Drehungen des Körpers während der Zeit bezeichnen respective um die Axen .“

Beachtet man nun aber die aus (16.b) entspringenden Relationen:

so reducirt sich die Formel (16.c) auf:

oder (was dasselbe) auf:

Hiefür aber kann, weil und ist, auch geschrieben werden:

oder auch:

oder mit Rücksicht auf (16.a):

(17.a)
| Hier kann bezeichnet werden als die Componente der in vorhandenen elektrischen Strömung , genommen nach ; denn es ist nach (16.a,b):
(17.b)

Diese Formeln (17.a,b) repräsentiren das Elementargesetz der elektromotorischen Kräfte elektrodynamischen Ursprungs in seiner definitiven Gestaltung, und zwar für den allgemeinsten Fall, dass beide Körper, der inducirende wie der inducirte, von beliebiger Gestalt und Grösse sind. Dabei ist von Neuem zu bemerken, dass das den Formeln zu Grunde gelegte rechtwinklige Axensystem (), ebenso wie in (16.a,b,c), weder absolut fest, noch auch starr verbunden zu sein braucht mit einem der beiden Körper, sondern vielmehr begriffen gedacht werden kann in irgend welcher eigenen Bewegung. Diese definitiven Formeln (17.a,b) zeichnen sich gegenüber den frühern Formeln (16.a,b,c) in vortheilhafter Weise dadurch aus, dass sie nur mit den wirklichen oder totalen Aenderungen nicht aber mit den partiellen Aenderungen behaftet sind. Versuchen wir das in diesen Formeln (17.a,b) enthaltene Resultat möglichst einfach und übersichtlich darzulegen, so werden wir uns etwa in folgender Weise auszudrücken haben:

Das Elementargesetz für die elektromotorischen Kräfte elektrodynamischen Ursprungs[3]. Sind zwei Körper und in beliebigen Bewegungen begriffen, während gleichzeitig im Innern eines jeden irgend welche elektrische Vorgänge stattfinden, und bezeichnet einen Punct des Körpers , ferner ein Volumelement von , so wird die von im Puncte während der Zeit hervorgebrachte elektromotorische| Kraft eldy. Us im Allgemeinen immer zusammengesetzt sein aus zwei Kräften. Die eine derselben fällt in die Richtung der gegenseitigen Entfernung , und besitzt die Stärke:
(18.a)

wo die Componente der in vorhandenen elektrischen Strömung bezeichnet, genommen nach , und zwar nach derjenigen Richtung von , in welcher die Kraft gerechnet ist. Die andere ist parallel mit der Strömung , und besitzt, in der Richtung von gerechnet, die Stärke:

(18.b)

Dabei ist unter die Function zu verstehen

(18.c)

so dass also dieses für beträchtliche Entfernungen identisch ist mit .

Gehören und ein und demselben Körper an, und bedient man sich eines Axensystemes (), welches mit diesem Körper starr verbunden ist, so sind unveränderlich; so dass man also in diesem Falle aus (17.a,b) erhält:

folglich:

(19.)

Diese Formeln stimmen für beträchtliche Entfernungen, weil für solche ist, vollkommen überein mit den von Kirchhoff für eben denselben Fall aufgestellten[4].


  1. Ist z. B. in irgend einem Augenblick des in Rede stehenden Zustandes die in vorhandene elektrische Strömung parallel mit einer der drei Axen , so wird sie während jenes Zustandes mit dieser Axe fortdauernd parallel bleiben.
  2. Durch (12.) ist zugleich der früher (Note, pag. 183) in Aussicht gestellte Nachweis dafür geliefert, dass identisch mit Null, folglich die Helmholtz’sche Constante identisch mit −1 sein muss.
  3. In ungefähr derselben Form habe ich das Gesetz bereits am 3. August 1872 der Kgl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften mitgetheilt. Vergl. die betreffenden Berichte, pag. 21, 22; ferner auch eine Notiz in den Mathematischen Annalen, Bd. V, pag. 619. — Für den Fall beträchtlicher Entfernung wird ; so dass also in diesem Fall die Kräfte (18.a, b) die Werthe an nehmen:

    Diese Formeln aber sind es, welche ich der Kgl. Ges. d. Wissensch. damals mittheilte. Absichtlich hatte ich mich nämlich damals, um einen vorläufigen Ueberblick meiner Untersuchungen möglichst zu erleichtern, beschränkt auf den Fall einer beträchtlichen Entfernung.

  4. Für erhält man nämlich:

    [195] ähnliche Werthe für . Diese aber sind, falls man die Constante mit bezeichnet, identisch mit den von Kirchhoff angegebenen (Poggendorff’s Annalen, Bd. 102, pag. 530).