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Die enthüllte Bastille

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Textdaten
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Autor: Louis de Flue
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Titel: Die enthüllte Bastille
Untertitel: oder Sammlung glaubwürdiger Aufsätze zum Behuf ihrer Geschichte.
aus: Thalia. 1785–1791. Dritter Band, 10. Heft, 1790, S. 38–57
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1790
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[38]

II.

Die enthüllte Bastille

oder Sammlung glaubwürdiger Aufsätze zum Behuf ihrer Geschichte.

(aus dem Französischen)


Im zweyten Stück dieser periodisch erscheinenden Schrift befindet sich eine ausführliche Erzählung von der Eroberung der Bastille, in der die verschiedenen Berichte, welche man davon hatte, zusammengestellt und berichtigt sind. Zu dem Ende ließ man diejenigen, welche hievon Wissenschaft hatten, zusammenkommen, und hörte ihre Zeugnisse ab. Nachstehender Bericht ist die Aussage des Schweizeroffiziers.


Die Garnison bestand aus 32 Soldaten vom Regiment Salis Samade, unter dem Commando des Grenadier Lieutenants M. Louis de Flue, und 82 Invaliden, unter denen zwey Canoniere von der Compagnie de Monsigni waren.

[39] Die genannten Schweizer von Salis Samade versicherten uns in Gegenwart des Herrn de la Roziere, daß ihr Offizier sie gefragt, ob sie entschlossen wären, auf die Invaliden Feuer zu geben, wenn nemlich diese sich weigern sollten, die Befehle des Gouverneurs zu vollstrecken: worauf ihre Antwort, ja, gewesen. Die Schweizer sprachen schlecht französisch; und weil doch die Sache von äusserster Wichtigkeit war, so bedienten wir uns eines Deutschen zum Dollmetscher. Im Ganzen erhellt nach allen Aussagen, daß jener Offizier, den man sonst, als Soldat betrachtet, Gerechtigkeit wiederfahren läßt, eine Hauptursache alles nachfolgenden Unglücks gewesen sey. Hätte er nicht dem Gouverneur den treulosen Rath gegeben, hätte er nicht den Soldaten gedroht, so würde der Ort zwey Stunden früher übergegangen seyn.

Mr. de Launay hat sein Schicksal verdient. Der Stab seines Regiments ließ ihm mehrere mahle andeuten, keinen Widerstand zu thun. Die Bürger forderten weiter nichts, als die Uebergabe der Waffen. Er hingegen hielt es für besser, den Rath eines Schweizeroffiziers, der unter seinen Befehlen stand, zu befolgen; und so kam es, daß die Letztern, ehe noch ihr Plan gemacht war, selbst ehe sie es sich träumen ließen, dasjenige mit stürmender Hand eroberten, was sie von ihm gutwillig nicht erhalten konnten.

Dieser Offizier stellte ihm zu wiederholten mahlen vor, er würde sich nie bey seinem Regiment zeigen können, [40] wenn er eine Festung, die ihm der König zur Vertheidigung anvertraut, ohne einen Flintenschuß übergebe.

Der Schweizeroffizier Louis de Flue, der in der Bastille die 32 Mann vom Regiment Salis Samade commandirte, schickte dem Verleger eben dieses periodischen Werkes (Mercure de France) einen Bericht von dem, was den letzten 14. Julius unter seinen Augen in dem Innern der Bastille vorgefallen war, jedoch mit der hinzugefügten Bitte, ihn nicht eher bekannt zu machen, als bis sich der Sturm gelegt hatte, und die Gemüther im Stande wären, die Stimme der Vernunft zu hören. Man darf sich von einer Schrift, die mit einer Freymüthigkeit abgefaßt ist, an welcher man ganz den Soldaten erkennt, keine geringe Erwartungen machen. Sie kann über Thatsachen, die wir vielleicht nur oberflächlich kennen, und von denen uns vielleicht manche Umstände, die ihre Zuverläßigkeit mehr begründen, unbekannt geblieben sind; ein großes Licht verbreiten. Ich für mein Theil wünsche nichts so sehr als die Bekanntmachung dieses Memoire.

Bericht von der Eroberung der Bastille.

Zufolge der Ordre, die ich Tages zuvor vom Hrn. Baron de Besenval erhalten, setzte ich mich um 2 Uhr Morgens den siebenten Julius mit 32 Mann und einem Unterofficier in Marsch. Ich kam ohne die mindeste [41] Schwierigkeit durch Paris, bis an die Bastille, wo ich ohne erkannt zu werden, mit meinem Commando eingelassen ward. Meine Leute erhielten ihr Quartier in einem Fechtboden oberhalb den Stuben der Invaliden im ersten Hof. Die ersten Tage nach meiner Ankunft ließ mich der Gouverneur den Platz besichtigen, und zeigte mir die Stellen, die er für die schwächsten hielt, und wo er einen Angriff befürchtete. Zugleich ließ er mich die Vorkehrungen bemerken, durch die er sich in einen bessern Vertheidigungsstand zu setzen gesucht hatte. Sie bestanden darinn, daß er einige Schießscharten und Oeffnungen, durch die man hineinschießen konnte, an seinem Hause sowohl, als an der Bastille, hatte verstopfen, und dagegen andre, die ihm sehr vortheilhaft zu seyn schienen, eröffnen lassen. Ferner hatte er an dem Flügel einer Bastion die am Garten des Gouverneurs lag, die Mauer ausbessern, einige Wagen voll Steine auf die Thürme bringen lassen, und Brecheisen angeschafft um die Schornsteine einzureißen, und den Schutt gegen die Stürmenden zu gebrauchen. Er beklagte sich häuffig über seine geringe Mannschaft und über die Unmöglichkeit sich gegen einen Angriff zu vertheidigen. Er erlaubte mir sogar, ihm meine Gedanken über die von ihm getroffenen Anstalten zu entdecken. Ich stellte ihm so wohl als dem Herrn de Puget vor, daß seine Furcht ungegründet, der Ort an sich selbst fest, und die Garnison zahlreich genug wäre, um sich so lange, bis Hülfe käme, zu halten, wenn nur jeder Soldat seine Pflicht thun wollte.

[42] Am 12ten Abends kam die Nachricht in die Bastille, daß man Anstalten mache, das Pulvermagazin im Zeughause anzugreifen. Mr. du Puget königlicher Lieutenant in der Bastille, und zugleich Commendant des Zeughauses, wollte gerne das Pulver retten, konnte sich aber von der Compagnie Invaliden, die das Zeughaus besetzt hielten, keinen großen Widerstand gegen einen Angriff versprechen. Er that also den Herrn de Launay den Vorschlag, es in das Innere der Bastille aufzunehmen, und da er die Erlaubniß dazu erhielt, so mußten meine Leute die ganze Nacht vom 12ten bis zum 13ten daran arbeiten, es, aus dem Magazin in den sehr schlecht bedeckten Thurm du Puit hinzuschaffen. In eben der Nacht gab der Gouverneur Befehl, daß sich die ganze Garnison in das Innere des Schlosses zurückziehen solle, ohnerachtet er mit seinem Etat Major und den Offizieren der Garnison Verabredung getroffen hatte, auch die Aussenwerke zu vertheidigen. Man stellte ihm dagegen vor, daß gar keine Lebensmittel vorhanden wären; denn meine Leute hatten nur noch auf zwey Tage Brod, und Fleisch auf einen: die Invaliden hatten ganz und gar nichts. Er ließ daher zwey Säcke Mehl hineinbringen, und versahe sich auch mit Munition, indem er ohngefähr 3000 Patronen und einige hundert Cartetschen verfertigen ließ.

Am 13ten erblickte man von den Thürmen der Bastille verschiedene Feuer rings um die Stadt, (es war an dem Tage, wo man die Barrieres abbrante), [43] die für uns, wenn sie in unsre Nähe kämen, gefährlich werden konnten. Zu dem Ende suchte ich eine Stelle, wo das Pulver sicher verwahrt läge, und fand einen Keller, den ich dem Herrn du Puget und de Launay zeigte, welche ihn ebenfalls für schicklich fanden. Den folgenden Tag in den Frühstunden, mußten meine Leute das Pulver hier in Verwahrung bringen, wofür sie vom Herrn du Puget eine Vergeltung von zwey Louisdor erhielten.

An eben demselben Morgen erfuhren wir, daß in der Nähe der Bastille unter der ganzen Bürgerschaft eine Gährung herrsche, die dadurch veranlaßt sey, daß man die Canonen gegen die Stadt gerichtet, und also die Bürgerwache, die damals für die öffentliche Sicherheit angestellt war, ihre Dienste nicht ohne Furcht vor Lebensgefahr thun konnte. Auf diese Nachricht gab der Gouverneur Befehl die Canonen anders zu richten, sie zurückzuziehen, und die Schießlöcher mit Brettern zu vernageln.

Gegen Mittag kömmt ein Detachement Bürger in dem ersten Hof an, und verlangt den Gouverneur zu sprechen. Dieser läßt einige zu sich kommen, und giebt ihnen Audienz, von der ich aber nichts weiß, weil ich die Zeit über mich in dem Innern der Vestung befand. Nach Verlauf einer halben Stunde kömmt er selbst mit einem Menschen in die Bastille hinein. Auf meine Frage wer dieser Bürger wäre, erhielt ich zur Antwort: er habe schon mehrere mahle Erlaubniß gehabt, [44] die Gefangenen in der Bastille zu sehen. Ich gesellte mich zu ihnen, und hörte aus ihrer Unterredung, die Bedingungen, welche dieser Mann im Namen der Stadt verlangte: Man solle die Kanonen von den Thürmen wegnehmen: keinen Widerstand thun, wenn der Ort aufgefordert würde: mit der Nation keinen Krieg führen: nicht unnützer Weise Bürgerblut vergießen, da doch der Ort sich ergeben müsse, wenn auch noch so viele auf dem Platze blieben: endlich solle man eine Bürgerwache einnehmen, und sie mit der Garnison Dienste thun lassen.

Der Gouverneur antwortete: er könne die Vestung keinen Menschen übergeben; er stehe mit seinem Kopfe dafür, und werde sie so lange vertheidigen, als ihm möglich sey; er habe zur Beruhigung der Bürgerschaft die Kanonen schon zurückgezogen, und gebe ihm sein Ehrenwort, daß er sich gegen jedermann friedlich verhalten wolle, so lange man die Vestung in Ruhe lasse, und weder gegen die Thore noch gegen die Brücken Feindseligkeiten ausübe. Er führte ihn sogar oben in den Thürmen umher, damit er die Lage der Kanonen selbst in Augenschein nehmen, und von der Aufrichtigkeit seiner Gesinnungen völlig unterrichtet werden möchte. Nachdem sie wieder zurückgekommen waren, sagte uns der Gouverneur, er hoffe die Sache sey jetzt beygelegt, und es werde zu keinen Thätigkeiten kommen. Indeß gieng der Abgeordnete sehr mißvergnügt fort. Er war, wie ich nachher erfuhr, der Procureur du Roi de la Ville (Thuriot de la Roziere Parlementsadvocat.)

[45] Um [3] Uhr Nachmittags erscheint ein Haufen bewaffneter Bürger mit einigen französischen Gardisten untermischt. Er kam vom Arsenal durch den [Ulmhof] in den ersten Hof, wo nur einer und noch dazu unbewaffneter Invalide am Thor Wache hielt, gieng dann auf die Brücke, die zum Gouverneurshofe führte, und damals aufgezogen war, und schlug die Kloben, an denen die Ketten hiengen, entzwey, so daß die Brücke niederfiel. Diese Unternehmung konnte um so viel leichter zu Stande kommen, da der Gouverneur Befehl gegeben hate, auf die Angreifenden nicht zu feuern, bis man sie aufgefodert hätte, sich zurückzuziehn, welches sich wegen der Entfernung nicht thun ließ. Indeß schossen diese auf die Besatzung, die oben auf den Thürmen stand; und eben dasselbe hatten schon Tags zuvor, verschiedne Haufen gethan, die in der Nähe vorbeygezogen.

Nachdem die Brücke gefallen war, sprengte man das Thor mit einer Axt, und zog in den Hof. Hier wollten sie mit der Steinbrücke, welche längs den Küchen zu dem Corps de la Place führte, eben so als mit der erstern verfahren. Auf die Frage, was ihr Verlangen sey, schrien sie alle: Laßt die Brücken nieder. Hierauf wurde ihnen zur Antwort gegeben ihr Begehren könne nicht erfüllt werden, sie sollten sich zurückziehen, oder man würde Gewalt brauchen. Weil aber ihr Geschrey: Die Brücken nieder, die Brücken nieder noch immer heftiger ward, so erhielten 90 Mann Invaliden, die bey den Schießlöchern zu [46] beyden Seiten des Thors postirt waren, Befehl, Feuer zu geben; und mit [30] andern bestieg der Gouverneur die Thürme. Die Angreifenden zogen sich in die Küchen zurück, die rechter Hand der Brücke stehen, und hinter die Mauern des Gouverneur Gebäudes, von wo sie durch die Schießlöcher der Mauer und durch die Fenster der Küche ihr Feuer fortsetzten. Sie wagten einen zweyten Angriff, der aber ebenfalls abgeschlagen wurde.

Ich befand mich mit meinen Leuten und zehn Invaliden in dem Hof der Bastille selbst, dem Thor gegenüber, und hatte drey zweypfündige Canonen hinter mir, die von zwölf meiner Leute sollten bedient werden, falls die Thore berennt würden. Um das Vorhaben des angreiffenden Theils noch mehr zu erschweren, ließ ich in die aufgezogene Brücke zwey Löcher machen, vor die ich zwey von meinen Canonen hinstellen wollte. Da sie aber dem Schlagbalken der Zugbrücke nahe genug konnten gebracht werden, so ersetzte ich ihre Stelle durch Flinten mit Eisenstücken geladen, die aber auch nicht viel Dienste thaten, weil die Belagerer nur in kleinen Haufen erschienen. Ueberdem hatten sie auch einen Karren mit angezündeten Stroh vorn an der Brücke vorgeführt, daß man sie also nicht sehen konnte, und mit dem Stroh hatten sie Feuer in das Gouvernement geworfen. Ferner besaßen sie drey achtpfündige Canonen, und einen Morser, die in einer Batterie im Garten des Arsenals standen, und mit denen sie einige Schusse, wiewohl ohne Wirkung thaten. [47] Aus der Bastille antwortete man auch mit einigen Canonenschüssen. Weil sie nun sahen, daß ihre Canonen nichts halfen, so fingen sie wieder ihre alten Versuche an. Sie zogen die Canonen in den Gouvernementshof, stellten sie auf den Eingang der Brücke, und richteten sie gegen das Thor. Mr. de Launay sah ihre Zubereitungen von der Höhe des Thurms an, und ließ nun, ohne alle Ursache, ohne seinen Etatmajor oder seine Garnison zu Rathe zu ziehen, durch einen Trommelschläger, denn er bey sich hatte, die Trommel rühren, worauf ich mich eiligst in die Kammern und Schießlöcher begab, um dem Feuern Einhalt zu thun. Itzt drängte sich das Volk näher herbey, und der Gouverneur verlangte zu capituliren. Allein dieß Gesuch wurde gar nicht angenommen, vielmehr verdoppelte sich das Geschrey, und: die Brücken nieder: war die einzige Antwort. Während der Zeit hatte ich meine Mannschaft von dem Thore zurückgezogen, um sie nicht dem feindlichen Kanonenfeuer auszusetzen. Ich suchte den Gouverneur, um seine eigentliche Gesinnung zu erfahren, und fand ihn in dem Rathssaal einen Brief an die Belagerer schreiben, worin er ihnen andeutete, daß er 20000 Pfund Pulver in Verwahrung habe, mit dem er sich, und die umliegenden Häuser in die Luft sprengen wolle, wenn man ihm keine Capitulation bewillige. Mir gab er den Auftrag, diesen Brief weiter zu befördern. Bey dieser Gelegenheit wagte ich es, ihm vorzustellen, wie wenig er jetzt schon zu diesem verzweifelten Schritte genöthiget wäre; ich sagte ihm, daß weder die Besatzung noch die Werke [48] irgend einigen Schaden gelitten, daß die Thore sich noch im besten Zustand befänden, und uns noch andre Mittel zur Vertheidigung übrig blieben; denn von den Invaliden war nur einer getödtet, und zwey oder drey verwundet. Er schien aber auf meine Vorstellungen nicht zu achten; ich mußte gehorchen, und ließ den Brief durch eins der Löcher, die ich in der Zugbrücke hatte anbringen lassen, hinausgehen. Ein Officier, einer wenigstens, der die Officier Uniform vom Infanterieregiment der Königin trug, ließ sich ein Bret reichen, um an die Thore zu gelangen, und empfieng diesen Brief, der aber ohne Wirkung blieb. Die ganze Antwort bestand in dem Geschrey: Keine Capitulation! die Brücken nieder! Ich kehrte zum Gouverneur zurück, erzählte ihm den Vorgang, und ließ dann meine Mannschaft, die ich linker Hand des Thores gestellt hatte, zusammentreten, voll Erwartung des Augenblicks, wo der Gouverneur seine Drohung vollziehen würde. Aber wie bestürzt ward ich, als vier Invaliden sich dem Thore nahten, es öffneten und die Brücken niederließen.

Sogleich drang das Volk hinein, entwaffnete uns, und stellte bey jedem von uns eine Wache. Alle Zimmer wurden durchsucht und ausgeleert, alle dort vorhandenen Waffen weggenommen, die Papiere des Archivs zu den Fenstern hinausgeworfen, kurz die Plünderung war allgemein. Die Soldaten, die ihre Felleisen so wenig als ich bey sich hatten, verlohren all ihr Haab und Gut. Es läßt sich keine üble Behandlung [49] denken, die wir nicht in diesem Augenblick erdulden mußten. Man drohte uns sogar den Tod unter allen nur möglichen Martern. Als endlich die Wuth des Volks ein wenig nachgelassen hatte, wurde ich, mit einem Theil meiner Mannschaft, der bisher um mich geblieben war, nach dem Hôtel de Ville geführt. Alle Häuser und Straßen, durch welche ich zog, waren mit einer unzähligen Menge angefüllt, die mich beschimpfte und verspottete. Man setzte mir beständig Bajonette, Degen, oder Pistolen auf die Brust, und ich mußte mit jedem Augenblick mein Ende erwarten. Die Unbewaffneten hoben Steine gegen mich auf. Weiber fletschten die Zähne, und drohten mir mit geballter Faust. Zwey meiner Soldaten wurden von diesem wüthenden Pöbel hinter mir ermordet. Ich selbst würde schwerlich bis an die Stadt gekommen seyn, wenn nicht ein gewisser Riccart und ein gewisser Favereau, die mich begleiteten, das Volk zur Schonung angehalten hätten.

Endlich kam ich unter einem beständigen allgemeinen Geschrey, daß man mich henken solle, bis auf einige hundert Schritte vor das Hôtel de Ville, als man mir einen Kopf auf einer Lanze gesteckt vorzeigte, und dabey sagte, daß dieß der Kopf des Hrn. de Launay sey. Unterwegs nach dem Greve Platz kam ich dem Herrn de Losme Major de Place vorüber, der dort in seinem Blut auf der Erde lag. Ich hörte, daß in einiger Entfernung Mr. de Miray, Aide Major, getödet worden; gegen mir über beschäfftigte man sich einen Offizier und zwey arme Invaliden aufzuknüpfen, und [50] unter diesem Anblick betrat ich das Hôtel de Ville. Man stellte mich einem daselbst sitzenden Ausschuß vor, verklagte mich, daß ich einer von denen gewesen, die in der Bastille Widerstand geleistet, und also an dem vergossenen Blute mit Schuld habe.

Ich rechtfertigte mich, so gut ich konnte. Ich war, sprach ich, selbst nur Untergeordneter, und an dem Unglück, das ich verursacht habe, war nur der Befehl Schuld, den ich vollziehen mußte. Um sowohl mich als den unglücklichen Rest meiner Mannschaft vom Tode zu erretten, sah ich weiter kein Mittel übrig, als daß ich mich für die Nation erklärte. Ob man nun müde gewesen sey, mehr zu morden, oder ob meine Gründe so einleuchtend geschienen, kann ich nicht bestimmen; wenigstens bezeugte die Versammlung durch Händeklatschen, und durch einen allgemeinen Zuruf: bravo! bravo! Schweizer! daß mein Anerbieten mit Dank angenommen würde. Sogleich brachte man uns Wein, und wir mußten auf die Gesundheit der Stadt und der Nation trinken. Von hier wurden wir in das Palais Royal gebracht, wo wir im Garten auf und abgehen mußten, um uns dem Volke zu zeigen, das noch nicht ganz besänftigt schien. Ein günstiger Zufall aber verschaffte uns seine vollkommenste Zuneigung.

Man führte nemlich zu derselben Zeit einen Staatsgefangenen im Garten umher, der aus der Bastille war befreyt worden, und gerade vor uns her gieng. [51] Auf das Geschrey; Ein Gefangener aus der Bastille: wurden wir gleichfalls wie für befreyte Gefangene gehalten. Nun bezeugten alle gegen uns Mitleid. Einige wollten sogar an unsern Händen Spuren der eisernen Bande bemerken, und die Täuschung gieng so weit, daß wir in einen Saal gehen mußten, wo ein Redner ins Fenster stieg, und uns auch hintreten ließ, um uns dem Volke im Garten zu zeigen. In seiner Rede sagte er, wir wären von unsern Offizieren und Obern in der Bastille deswegen eingesperrt worden, weil wir auf die Bürger kein Feuer hätten geben wollen: wir verdienten alle also Hochachtung des Volks, dessen Wohlwollen er uns hiermit anbefehle.

Den Augenblick gieng einer mit dem Korbe herum, um für uns eine Collecte zu sammlen. In kurzer Zeit kam er mit zehn Thalern zurück, und bezahlte von der Einnahme das Essen, das er uns bald nachher auftragen ließ. So waren wir also mit dem Volke wieder ausgesöhnt. Jetzt that man mir zu wiederholten malen den Antrag, einen Versuch zu machen, ob nicht mehrere von meinem Regiment zu uns übertreten wollten. Ich mußte ihre Bitten bewilligen, um ihnen meine ganze Ergebenheit zu beweisen, und schrieb auf der Stelle mit Bleyfeder einen Brief an meine Cameraden. Er war an H. Diengt, Capitain des Regiments, gerichtet, der, wie ich wußte, im Stande war mein Verlangen gehörig zu würdigen, und enthielt die Nachricht, daß ich mich in den Dienst der Stadt begeben, und zugleich die Aufforderung, bey mir im Palais Royal [52] zu erscheinen. Einer von meinen Gemeinen, Namens Schmid, ein treuer Kerl, bekam den Auftrag, ihn in's Lager zu bringen. Er erhielt eine bürgerliche Kleidung, um nicht erkannt zu werden, und wurde bis auf das Marsfeld begleitet. Weil aber das Lager aufgehoben war, und er ihn nicht einhändigen konnte, so konnte er vermittelst der bürgerliche Kleidung entkommen, und zum Regiment gelangen. Nach dem Abendessen erhielten wir Ordre in das Palais royal zu gehen, von wo wir in verschiedene Quartiere vertheilt wurden. Ich, mein Unteroffizier und ein Gemeiner wurden nach St. Jean le Grève gebracht, wo wir die Nacht in einer Küche zubrachten, die zum Wachhaus diente.

Hier glaubte ich nun in völliger Sicherheit zu seyn, und nichts weiter für mein Leben befürchten zu dürfen. Ich warf mich daher auf eine Bank, in Hoffnung einmahl ruhig zu schlafen, da ich so viele Nächte kein Auge zugethan hatte. Allein eben denselben Abend waren einige Invaliden, die mit uns die Besatzung der Bastille ausgemacht hatten, losgelassen worden. Eh' sie sich entfernten, befragte man sie über die Vertheidigung der Bastille, und über die Aufführung eines jeden insbesondere. Diese bürdeten nun mir alle Schuld auf, und sagten, daß ich sie zum Schießen genöthigt, daß ich Schuld an dem geschehenen Widerstand gewesen, und daß ohne mich der Platz gewiß ohne Blutvergießen würde übergegangen seyn. Diese Aussage thaten sie in Gegenwart der französischen Garden, und vieler anderer Menschen, [53] und erbitterten die Gemüther so sehr gegen mich, daß das Volk sich sogleich bey meinem Quartier versammelte, mir den Vorfall erzählte, und unter Drohungen und Scheltworten mir sagte: „Meine Sache sey noch nicht beendigt, erst den folgenden Tag solle sie entschieden werden.“

Andre Invaliden, die man den 15ten des Morgens verhört hatte, gaben mich ebenfalls für die Ursache alles Unglücks an, und ich wäre sicher noch diesen Tag gehenkt worden, wenn nicht eine gewisse, mir bisher unbekannte Person, durch das Ansehn, in welchem sie stand, dem Volke Schweigen auferlegt, und gesagt hätte: es wären schon Unglückliche genug: man dürfe nicht mehr Blut vergießen, und überhaupt meine Aufführung nicht weiter untersuchen.

Den 15ten Mittags kam eben der Mr. Riccart, von der königlichen Musketiercompagnie, der mir schon am vorigen Tage so große Dienste geleistet, und jetzt Befehl hatte, mich zu jener Compagnie zu führen, nahm mich mit sich in seine Wohnung, und an seinen Tisch. Einige meiner Leute befanden sich ebenfalls bey dieser Compagnie, und waren von ihm in einem Gasthofe einquartiert, wo sie bisher ihren Unterhalt bekommen hatten.

Den folgenden Tag verschaffte mir Mr. Riccart eine Cocarde, vermittelst welcher, und der bürgerlichen Kleidung, die ich auf H. de la Fayette eignes Anrathen [54] anlegte, ich frey in ganz Paris umhergehen konnte. Ich war noch glücklich genug, daß ich diesem Regimente, so wie dem von Diesbach einige kleine Dienste erweisen konnte, indem ich durch meine Bemühungen auswirkte, daß ihre Equipagen ihnen herausgegeben wurden. Ich wandte mich zu verschiedenen mahlen an die Herren de la Fayette, de la Solle und de Landry, um meinen Abschied zu bewirken. Sie gaben alle vor, die Stadt wäre noch nicht ganz ruhig; und wenn ich auch fortgienge, so lief ich doch Gefahr, auf dem Lande und in den Provinzen angehalten zu werden. Ich mußte mich bis zum 30sten Julius gedulden, bis mir Mr. de Landry, im Namen des Herrn de la Fayette einen Paß ausfertigte, worauf ich mich zum Regiment nach Pontoise verfügte. Die schmeichelhafte Aufnahme, die ich von meinem Chef und meinen Kameraden genoß, ihre Furcht, die sie für mich geäussert, ihre lebhafte Freude über meine glückliche Errettung, überzeugten mich, daß ich wahrhafte Freunde habe, und ihre Theilnahme an meinem Schicksal war mir in diesem Augenblick ein reichlicher Ersatz für jede überstandene Angst und Gefahr.

Nach diesem genauen Bericht lassen sich die verschiedenen Erzählungen, die über jene Begebenheit schon vorhanden sind, beurtheilen, so wie auch alle die Züge von Muth und Tapferkeit, in denen so viele ihren Ruhm suchen. Ich will mich hier bloß auf die Beschuldigung einschränken, die dem Hrn. de Launay und mehrern andern das Leben kostete. Heißt [55] das verrätherisch gegen die Stadt und die Nation handeln, wenn er einen Platz übergiebt, der sich noch lange hätte halten können, und vor dem viele Tausende geblieben wären, wenn er ihn gehörig vertheidigt hätte?

Man spricht allgemein, er habe die Brücke niedergelassen, und, nachdem eine gewisse Anzahl hinüber war, wieder Befehl gegeben, sie aufzuziehen, und auf die Menschen zu schießen. Allein dieß Gerücht widerlegt sich von selbst. Wer eine Zugbrücke kennt, wird wissen, daß es unmöglich sey, sie in die Höhe zu ziehen, wenn sie einmahl niedergelassen ist, und Menschen sich über sie hinwälzen. Hernach konnte auch die Besatzung nicht auf die Eingedrungenen schießen, weil sie den Augenblick, nachdem die Brücke niederfiel, schon entwaffnet war. Auch können diejenigen, welche die Besatzung im Hofe entwaffnet haben, es bezeugen, daß sie in diesem Augenblick nicht schußfertig, sondern mit dem Gewehr zu Fuß angetroffen worden. Selbst aus den Erzählungen derer, die jene Thatsache als wahr angeben, kann man ihre Falschheit abnehmen. Einige sagen, es sey am Morgen gewesen, als man auf die Deputirten der Stadt geschossen; andre, Nachmittag, nachdem die Capitulation in Vorschlag gebracht worden. Einige behaupten, der Vorfall sey auf dem Schloßplatz, andre, er sey in der Bastille selbst geschehen. Diese Verschiedenheit in den Angaben beweist hinlänglich die Unstatthaftigkeit jenes Vorgebens.

[56] So viel aber weiß ich gewiß, daß mehrere vom Volk durch ihre eigenen Cameraden sind erschossen worden; denn kaum hatten sie die Bastille in ihrer Gewalt, so drückten alle ihr Gewehr ab, ohne zu bedenken, wohin, oder auf wen, sie anlegten.

Man erzählt, die Besatzung habe auf den Thürmen eine weiße Fahne ausgehängt, und nachher noch einmahl Feuer gegeben. Ob dieß wahr sey oder nicht, will ich dahingestellt seyn lassen, da ich vom Hofe nicht bemerken konnte, was auf den Plat-formes vorgieng, allein die Sache bleibt mir doch immer vielen Zweifeln unterworfen. Gesetzt sie wäre wahr, so könnten die Schüsse von denen hergekommen seyn, die sich in den Zimmern zu beyden Seiten des Thors befanden, und also die ausgesteckte Fahne nicht sehen konnten; nur darf man, wie ich glaube, deswegen noch nicht den Commendanten der Verrätherey beschuldigen.

Uebrigens, glaube ich, wird es schwer halten, dieses Vorgehen selbst zu vertheidigen, da ich, und wahrscheinlich auch kein anderer, nie etwas von einer weißen Fahne gehört habe, die in der Bastille soll gewesen seyn.

Selbst die Art der Erzählung trägt alle Spuren der Unächtheit an sich. Einige sagen, es sey dieß des Morgens geschehen; andre, während des Angriffs: einige wollen die Fahne auf diesem, andre auf jenem Thurm gesehen haben. Wäre die Fahne wirklich aufgesteckt [57] worden, woher käme dann die Verschiedenheit in den Angaben? Ferner ist es gewiß, daß erst nach geschehenem Trommelschlage, als das Feuer von beyden Seiten aufgehört hatte, das Volk näher rückte, um auf die Besatzung Feuer geben zu können.

Ich halte es für meine Pflicht dem Hrn. de Launay diese Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Hat er durch sein Betragen in der Vertheidigung der Bastille das Leben verwirkt, so darf ihm doch, wie ich glaube, keine Verrätherey zur Last gelegt werden, die eigentlich eine bloße Erfindung war, um die Mishandlungen zu beschönigen, welche man ihn und seine Mannschaft empfinden ließ.