Die größte Blüthe der Welt
Die größte Blüthe der Welt.
Während das Auge des Laien über die das Niveau der Mittelmäßigkeit nicht übeschreitenden Erscheinungen der Pflanzenwelt gleichgiltig dahinschweift, wird es regelmäßig gefesselt durch diejenigen Formen, welche durch Massenentwickelung sich auszeichnen, sei es durch die Kolossalgröße von ganzen Stämmen z. B. der Riesenfichten Kaliforniens oder nur einzelner Pflanzentheile, wie etwa der enormen Blätter und Blüthen der südamerikanischen Victoria regia. Lockt aber schon die jährlich in fast allen unseren botanischen Gärten ihre fußgroßen Blumen entfaltende Victoria mit immer neuer Zugkraft Zehntausende neugieriger Beschauer heran, welche Scharen würden sich dann erst in unsere Gärten drängen, wenn es möglich wäre, die Riesenblüthen der Philippinen, denen gegenüber die Victoriablüthen zu wahren Zwergen herabsinken, lebend vorzuführen. Leider ist aber hier der gärtnerischen Kunst voraussichlich noch für lange Zeiten ein Riegel vorgeschoben, und wir müssen uns begnügen, diese Riesenblüthen durch Wort und Bild zur Anschauung zu bringen. Selbst in botanischen Kreisen faßte man die erste Kunde über derartige, alle bekannten Größenverhältnisse unendlich überschreitenden Blüthen anfänglich mit Mißtrauen auf. Es klang wie eine schlecht ersonnene Fabel, als der Begleiter des Sir Stamford Raffles, des englischen Gouverneurs von Sumatra, Dr. Josef Arnold, von einer Blüthe berichtete, welche er 1818 auf der Insel Lebbar, im Gebüsch an den Ufern des Manna-River gefunden und welche einen Umfang von fast neun Fuß besessen habe. Dabei war es nicht die Blüthe eines starken Strauches oder einer tiefwurzelnden Staude, sondern ohne jede Spur eigenen Blattwerkes schmarotzte der wunderbare Gast aus den am Boden hinkriechenden Reben eines hartbeerigen Weinstockes. In das weiche Holz dieser Reben hatte er sein schwaches Wurzelsystem eingesenkt, gleichwie unser Mistelbusch es auf Pappeln, Ahornen, Fichten etc. thut, und aus dem ihm massenhaft zuströmenden Rebensafte entnahm er die Stoffe zum Aufbau der kolossalen Blume.
Am 30. Juni 1820 beschrieb der damals bedeutendste englische Systematiker Robert Brown diese wunderbare neue Pflanze und verewigte die Namen der beiden Entdecker, indem er ihr den Namen Rafflesia Arnoldi beilegte. Zu Browns Bedauern hatte Dr. Arnold nur eine männliche Blüthe aufbewahrt; trotz ihrer Riesengröße sind die Rafflesien nämlich getrennten Geschlechtes. Ehe es gelang, die weibliche Blüthe der Rafflesia Arnoldi auszufinden, was erst 1834 glückte, wurde noch eine Anzahl anderer Rafflesiaarten entdeckt, aber die zuerst erwähnte schien auch die größte Art zu bleiben, bis im April die Entdeckungen eines deutschen Forschers ihr den Rang streitig machten.
Zwei Deutsche waren es, welche als Pioniere der Wissenschaft im Februar bis April 1882 die südöstlichste Insel der reichen Philippinengruppe, das noch wenig bekannte Mindanao, durchforschten. Dem botanischen und ethnographischen Sammeleifer des Dr. Alexander Schadenberg, Hofapothekers in Glogau, stand der Fleiß würdig zur Seite, mit welchem sein Vetter Otto Koch, der letzte kaufmännische Verwalter des deutschen Konsulats in Manila, die Interessen der Ornithologie und Entomologie bei der Durchforschung Mindanaos wahrnahm. Beide Reisende waren durch längeren Aufenthalt auf den Philippinen, Koch als Chef eines großen Handelshauses auf Cebu, Dr. Schadenberg als geprüfter spanischer Pharmaceut, vorzüglich für die Erforschung der großen Insel vorbereitet, deren höchster Gipfel, der Vulkan Apo, bis zu 3300 Meter sich erhebt. Versuche zur Ersteigung des Vulkans waren schon früher gemacht worden, besonders der in Davao an der Küste residirende spanische Gouverneur Sennor Rajal hatte 1880 eine große Expedition nach dem Apo in Begleitung von über hundert Mann Trägern und Führern unternommen. In neun Tagen drang die Truppe bis zum Vulkan vor, und zwei Begleiter des Gouverneurs, ein Franzose Dr. Montano und ein Spanier Martinez, erreichten den vorletzten Gipfel von 3150 Metern, aber erst der Ausdauer unserer beiden Landsleute war es beschieden, den Gipfel selbst zu erklimmen und seine Höhe auf 3300 Meter zu bestimmen.
Der Besteigung des sehr thätigen Vulkans stellt sich besonders hindernd der Aberglaube der Eingeborenen in den Weg, welche ihren bösen Geist, Mandarangan, auf dem sie oftmals beunruhigenden Apo thronen glauben. Ehe daher ein Anstieg von den Eingeborenen – um aus den Solfataren Schwefel zu holen – versucht wird, bringen sie dem Mandarangan Menschenopfer, und es kostete die deutschen Reisenden endlose Mühe, Ueberredungskünste und Geschenke, dieses Menschenopfer zu umgehen.
Auf dem Berge Parag, einem der dem Apo vorgelagerten Gipfel, fand nun Dr. Schadenberg in 800 Metern Höhe jene kolossale Blüthe, welche unser Bild wiedergiebt. Der Forscher glaubte seinen Augen kaum trauen zu dürfen, als er mitten im Buschwalde reihenweis, riesigen bräunlichen Kohlköpfen gleich, die Knospen der Riesenblüthe sah. Weitere Umschau ließ ihn bald auch blühende Exemplare finden, welche über 80 Centimeter Durchmesser hielten, also die Größe eines Wagenrades hatten!! Diese mächtigen Blüthen saßen auch hier wieder auf den am und im Boden kriechenden Stämmen einer Rebenart (Cissus). Den Eingeborenen, welche Dr. Schadenberg begleiteten, waren die Riesenblüthen nicht unbekannt, sie nannten dieselben Bo-o. Da eine Wage nicht zur Hand war, wurde das Gewicht der Blüthen mittelst einer selbst hergestellten Naturwage bestimmt und als Gewichte die beiden Büchsen der Reisenden und eine Anzahl Patronen benutzt. Eine spätere Kontrolle dieser ungeaichten Gewichte ergab, daß die großte Blüthe etwas über 11 Kilogramm gewogen hatte. Da an einen weiten Transport der frischen Blüthen ihrer weichen, handdicken, fleischigen Blüthenblätter wegen um so weniger zu denken war, als schon an Ort und Stelle die Blüthen nach kurzer Zeit in Fäulniß übergingen, so photographirten Koch und Schadenberg die Blumen und trockneten eine Anzahl derselben rasch am Feuer. Photographien und Trockenmaterial erhielt der königliche botanische Garten in Breslau von Dr. Schadenberg geschenkt. Geheimrath Goeppert, der langjährige hochverdiente Direktor des Gartens, erkannte in dem Material sofort eine neue Rafflesia, welche er nach dem Entdecker, einem seiner Schüler, Rafflesia Schadenbergiana taufte. Goeppert selbst war es nicht mehr beschieden, das von Schadenberg gesammelte Material genau untersuchen zu können, allein die von Professor Hieronymus in Breslau veröffentlichte eingehende Beschreibung aller Theile dieser neuen Rafflesia hat ergeben, daß wir in ihr wirklich eine neue Art und zwar wahrscheinlich die größte der bisher bekannten Rafflesien erhalten haben.
Rafflesia Schadenbergiana treibt ihr Wurzelsystem ausschließlich im Holzkörper der von ihr befallenen Reben. An zahlreichen Stellen dieser Stämme, oft dicht neben einander, entstehen knotige Anschwellungen, aus welchen die rasch sich vergrößernde Knospe der Rafflesia ungestielt hervorbricht; gleichzeitig bilden sich aus der Rindenschicht der Rebe ein bis handtellergroßer, korkartiger Kelchbecher. Aus diesem sprossen, spiralig gestellt, gleich den Blättern eines Kohlkopfes dicht über einander gepreßt, zahlreiche, von außen nach innen an Größe zunehmende, braunhäutige, trockene Schuppenblätter hervor, welche die Knospe bis zur vollen Entwicklung überdecken. Mit der Vergrößerung der Knospe werden diese Trockenblätter zurückgedrängt und die eigentliche Knospe tritt als riesige Halbkugel hervor. Geht nun das Aufblühen normal vor sich, so klappen die fünf Blumenblätter flach aus einander, bleiben einige Stunden ausgebreitet und krümmen sich dann vollkommen zurück, so daß die Blüthe nur etwa halb so groß erscheint. Sehr oft aber kommt es aus noch unbekannten Ursachen nicht zu dieser regelmäßigen Entfaltung, sondern es entwickelt sich in der Knospe eine Gasmasse – Kohlensäure? – so rasch und energisch, daß die fünf über einander liegenden Blumenblätter [407] ringsherum abgesprengt und in Form einer Kappe herabgeschleudert werden.
Liegt die Blüthe normal offen, so präsentiren sich die fünf Blumenblätter als matt braunrothe Ovale mit zerstreuten weißgelblichen zollhohen warzenartigen Hervorragungen der dickfleischigen Blattmasse. Die innere Blumenröhre ist eine außen ebenso gefärbte Halbkugel von etwa fünf Centimetern Wandstärke. Das oberste Sechstel dieser Halbkugel ist wie weggeschnitten und diese Oeffnung von einem dunkelfleischfarbenen Wulst umringt. Die innere Kugelwand ist schwarzviolett, bedeckt mit unzähligen gleichfarbigen saftigen Haarauswüchsen von etwa einem Centimeter Länge. Aus dem Grunde der Kugel erhebt sich auf einer etwa fünf Zentimeter hohen Säule eine zwölf bis fünfzehn Zentimeter breite Scheibe, deren im Centrum hellviolette, in mehreren abwechselnd hell- und dunkelvioletten Ringen abgetönte Fläche am Rande zierlich kerbigwellig ist, während aus ihrer Mitte zahlreiche kegelförmige bis bandförmige, zwei bis drei Centimeter lange Griffel hervorsprossen. Diese langen braunvioletten Griffel sind in den weiblichen Blüthen kräftig und fruchtbar, in den männlichen Blüthen schmäler und unfruchtbar. Die männlichen Organe, die Staubbeutel, sitzen von außen dem Blicke vollkommen verdeckt in der Hohlkehlung des obern Ringes der Scheibensäule. Die weiblichen Blüthen entwickeln sich zu einer großen weichbeerigen Frucht, in deren leicht faulendem Fleische die winzigen Samen massenhaft sitzen. Die Befruchtung selbst erfolgt offenbar nur durch Aasinsekten, denn der Duft der sich öffnenden Blüthe ist der vollkommenste Aasgeruch, und zwar ist der Gestank nicht nur für die menschliche Nase demjenigen faulenden Fleisches täuschend ähnlich, sondern auch Schmeißfliegen, Aaskäfer und verwandtes Gelichter werden durch denselben massenhaft angelockt. Die Lebensdauer der Blüthe ist eine sehr kurze; nach ein- bis zweitägigem Blühen sinkt die enorme Masse in sich zusammen und geht rasch in Fäulniß über, so daß auch die Larven der Aasinsekten in dieser faulenden organischen Masse ihre Rechnung finden. Wie die Frucht ausreift, wie die Samen keimen und ihren Wurzelsproß in die Rebe versenken, um dort aus dem System der Wurzelfasern neue Knospen zu bilden: das sind Fragen, welche vorläufig noch unbeantwortet sind und erst ihre Erledigung finden werden, wenn an Ort und Stelle neue Forschungen über diese riesigste aller Blüthen werden angestellt werden können. Da Dr. Schadenberg wiederum nach den Philippinen abgereist ist, so wird eine oder die andere Frage schon in den nächsten Jahren ihre Antwort wohl finden.
Sehen wir uns nun unter den Pflanzen, welche uns bekannter sind, nach Verwandten der riesigen Rafflesien um, so müssen wir eingestehen, daß wir in unserer europäischen Flora nichts haben, was sich mit diesen Tropenkindern vergleichen ließe. Allerdings giebt es in Italien aus den Wurzeln der Cistrosenbüsche eine Schmarotzerpflanze, welche, botanisch angesehen, in dieselbe Familie der Cytinaceen wie die Rafflesien gehört, aber sie bildet nur daumendicke, wenige Centimeter hohe Kegel, auf denen winzige, dunkelrothe Blüthchen sitzen, und nur ihr innerer Bau zeigt dem Gelehrten, daß man auch hier Kleines mit Großem vergleichen kann.
Dr. Schadenbergs botanische Funde auf Mindanao, welches dem Flächenraum nach die zweitgrößte Insel der Philippinen ist, gipfeln allerdings in der Entdeckung der ungeheuerlichen Rafflesia Schadenbergiana; aber auch unter den übrigen von ihm gesammelten Pflanzen war eine reiche Zahl neuer oder doch hochinteressanter Pflanzen. Mächtige, beerentragende Myrthenbäume fand er in der Nähe des Rafflesiaplatzes, welche, in der Botanik als Glaphyria Annae fortlebend, den Namen seiner damaligen Braut und jetzigen Gattin und treuen Reisebegleiterin verherrlichen. Eine kolossale Aroidee, deren Blatt neun Meter Umfang maß, brachte er lebend mit, und außerdem zwei wunderschöne Alpenrosen, von denen die eine bei 2000 Metern Höhe am Vulkan Apo schneeweiß erblühende Wälder bildet und nach seinem Reisekameraden „Rhododendron Kochii“ getauft ward, während die zweite den Namen des Apo trägt, unter dessen Spitze sie die letzte strauchartige Pflanze ist.
Unmittelbar nach dem Bekanntwerden der reichen und werthvollen Pflanzenschätze, welche Dr. Schadenberg auf Mindanao erschloß, gingen englische Sammler dahin, um die dort wachsenden Orchideen für England auszubeuten. So vollzog sich auch hier das, wie es scheint, unabänderliche Schauspiel: der ideale Deutsche bahnt den Weg, zeigt die Schätze, welche daliegen, und der geschäftskundige Engländer folgt seiner Spur und macht das Geschäft!