Aus dem Leben Ludwigs I. von Bayern
Aus dem Leben Ludwigs I. von Bayern.
Einem berühmten Verstorbenen gerechtzuwerden, vermögen seine eigenen Zeitgenossen am wenigsten. Räumliche wie geistige Größe erfordert zur richtigen Betrachtung eine gewisse Distanz, und erst nach Jahrzehnten erreicht das Bild eines großen Todten die ruhigen, unverzerrten Linien, die der Nachwelt dann als die bleibenden erscheinen. Ob für den „teutschen“ König Ludwig, der bei Lebzeiten ebenso erbitterte Gegner wie bewundernde Verehrer besaß, diese Zeit ruhiger Betrachtung schon gekommen ist, mögen diejenigen entscheiden, welche berufen sind, ein umfassendes Bild seiner Regierung, seiner politischen und künstlerischen Bestrebungen zu zeichnen. Hier sollen die nachfolgenden Züge, die sämmtlich aus besten Quellen geschöpft sind, dazu dienen, das persönliche Gedächtniß des Fürsten aufzufrischen, der ein merkwürdiger und eigenartiger Mensch war, auch wenn man alles wegdenkt, was die Gunst des Schicksals und die Schmeichelei der Menschen seiner Erscheinung äußerlich hinzugefügt haben.
[402] Dieser Maßstab wäre manchem fürstlichen Haupte gefährlich; König Ludwig aber kann ihn sich ruhig gefallen lassen; er war unter allen Umständen, auch wo er irrte und fehlte, ein nach dem Höchsten strebender Mensch, voll Begeisterung für große Zwecke, und was der Wille des einzigen Mannes in wenig Jahrzehnten bei beschränkten Mitteln geschaffen hat, das muß heute Vewunderung erwecken, ganz abgesehen von dem ästhetischen Genuß an seinen Werken selbst. Auch den bei Lebzeiten Ludwigs stets wiederholten Vorwurf, daß er die Straßen und Brücken im übrigen Königreich verfallen lasse, um München herauszuputzen, werden wir heute nicht mehr erheben. Straßen und Brücken sind inzwischen längst von andern gebaut worden; aber niemand würde heute König Ludwigs Kirchen und Museen bauen!
Der junge Prinz hatte das Glück, früh mit den Wechselfällen des menschlichen Lebens bekannt und dadurch ein selbständiger Mensch zu werden. Seine Kindheit fiel in böse Zeiten: sieben Jahre war er alt, als sein königlicher Pathe in Paris geköpft wurde, und vor den herandrängenden Sansculotten flüchtete sein Vater, Prinz Max von Zweibrücken-Birkenfeld, der künftige Thronerbe Bayerns, seine Familie nach Mannheim. Dort besuchte ein halbes Jahrhundert später der alte Ludwig noch pietätsvoll das Haus am Theaterplatz, das einst seine Kinderstube enthielt, und erging sich in Erzählungen von der höchst einfachen Kost und Kleidung, die er und seine Geschwister gehabt, sowie von der Ruthe hinterm Spiegel, welche seine Erzieherin, Demoiselle Weyland, mit Kraft und Geschicklichkeit zu führen wußte. „Ich sage Ihnen,“ schloß er seinen Bericht gegen den ihn begleitenden alten Mannheimer Verehrer, „ wir waren streng gehalten. Aber das war gerade recht. Kinder müssen eine tüchtige Zucht haben. Die Schläge meiner alten Weyland haben mir nicht geschadet, im Gegentheil.“
Und er nahm sofort eine Droschke und fuhr nach dem weit entlegenen Kirchhof, am das verfallene Grab des alten Fräuleins aufzusuchen und für Herrichtung desselben und ein schönes Gitter zu sorgen. Er dankte ihrer strengen Erziehung die große Einfachheit und Bedürfnislosigkeit, die ihn zeitlebens zu einem von seiner Umgebung unabhängigen Menschen machten.
Es ist bekannt, mit welchen Gefühlen der Jüngling nach der Thronbesteigung seines Vaters das napoleonische Joch ertrug, wie er mit den Tirolern sympathisierte, die er bekämpfen mußte, und wie in seinem Herzen das Ideal „Deutschland“ brannte, während die besten Geister unseres Volkes mit einem traurigen Weltbürgerthum sich über ihre Vaterlandslosigkeit hinwegzutäuschen suchten.
Nach Napoleons Sturze, als die Welt wieder friedlich geworden war, konnte endlich der Kronprinz einen längeren Aufenthalt in Italien nehmen, das er 1804 zum ersten Male gesehen. Schon in München hatte er mit den wenigen Gelehrten und Künstlern verkehrt, die es dort gab, und in ihrem Umgang, wie man bei Hofe glaubte, die ungraziösen Manieren und die ungestüme Lebhaftigkeit erworben, die ihm zeitlebens zu eigen blieben. In Wirklichkeit war sein selbständiger und lebhafter Geist wenig mit äußerlichen Dingen beschäftigt; er überließ die Sorge darum gern seinem schönen und graziösen Bruder Karl, der den Ruf eines vollendeten Kavaliers genoß. Ludwig war mehr als mittelgroß; er hielt sich aber vornübergebeugt und schoß im abgetragenen Böcklein eiliger auf der Straße dahin, als der Würde königlicher Majestät angemessen sein mochte. Seine Züge waren nicht unschön, die Augen hell und lebhaft; aber die stete Unruhe seines Wesens kam auch im Gesicht zum Ausdruck, das überdies in seinen späteren Jahren durch einen ziemlich starken Auswuchs auf der Stirn entstellt war. Aber eine gewinnende Erscheinung war er trotz alledem, und die liebenswürdige Wärme, die er zeigte, wenn ihn jemand interessirte, nahm die Herzen für ihn ein, besonders in jenen schönen römischen Tagen, wo er, jung und vertrauensvoll, in den Kreis hochbegabter Künstler und tüchtiger Menschen eintrat, welcher damals die eine Seite der Fremdenkolonie ausmachte, während die andere den ganzen Trümmersturz napoleonischer Herrlichkeit umfasste, Brüder, Schwestern und die alte Mutter des so unerhört Gestiegenen und Gefallenen.
In zufälligem Zusammentreffen hatten sich dort Cornelius, Veit, Overbeck, Schnorr und Schadow gefunden; Ludwig trat in ihren Kreis ein, in dem er alle fürstliche Prätension bei Seite legte und mit Geist und Humor als gleicher unter gleichen lebte. Ein sprechendes Zeugniß davon liefert heute noch ein Bild von Capel in der neuen Pinakothek, eine der höchst einfachen Kneipereien darstellend, die der lustige Kreis in der Osterie eines alten Spaniers, Don Raffael d’Anglade, abzuhalten pflegte. Die Gesellschaft sitzt in dem räucherigen Flur um einen alten Holztisch; der dicke Wirth strebt mit zwei Flaschen, so schnell es seine kurzen Beine erlauben, dem ungeduldig winkenden Kronprinzen entgegen, während der Leibarzt Ringreis seinen Trinkspruch bereits begonnen hat, und Schnorr, Klenze, Catel, der Bildhauer Wagner, wegen seiner entsetzlichen Grobheit von den Römern „il mangia-christiani“ (der Menschenfresser) genannt, mit den Kavalieren des Königs den Frutti di mare zusprechen, die auf dem ungedeckten Tisch servirt sind.
Eine Augenzeugin jener Tage, die geistvolle Henriette Herz, berichtet in ihren Erinnerungen folgende anziehende Einzelheiten:
„Eine der angenehmsten und liebenswürdigsten Erscheinungen war mir und gewiß allen der Kronprinz Ludwig von Bayern. Er, der äußerlich so Hochgestellte, welchem bei dem Alter des Königs der Thron schon winkte, war gleichwohl der Anspruchsloseste, welchen ich jemals gekannt habe … wie er denn überhaupt seiner Würde nichts zu vergeben glaubte, wenn er weder sich noch andern Zwang auferlegte, noch selbst den Prinzen kundgab. – ‚Noch zu Hause?‘ rief er mir wohl von der Straße herauf, wenn es in Rom irgend etwas Besonderes zu sehen gab … Und ein Abend, im Freundeskreis mit dem Prinzen sehr heiter verlebt, ist mir besonders im Gedächtniß. Es war bei Signora Buti, einer achtungswerthen Witwe, welche meist deutsche Künstler logirte, bei welcher auch Thorwaldsen wohnte. Es ging da in interessanter Gesellschaft sehr heiter zu, und Frau von Humboldt, eine andere Freundin und ich hatten uns einmal für den Abend anmelden lassen. Dem Kronprinzen war ein Wink davon geworden und unerwartet stellte er sich mit seinem Gefolge auch ein. Der Abend zog sich bis zwei Stunden nach Mitternacht hin. Man denke sich die bunte Zusammensetzung der Gesellschaft, vom Kronprinzen bis zu den Töchtern des Hauses, die man dem Stand der Arbeiterinnen beizählen durfte, weil sie, um der Mutter die Bürde zu erleichtern, für Geld nähten und wuschen, durch die verschiedenen Nüancen der Stände und Bildungen durch! Aber solch ein buntes Gemisch ist auch nur in dem glücklichen Süden möglich, wo Grazie, Takt und gute Sitte in der Regel auch dem Geringsten innewohnen …
Mir erschien der Prinz von solcher Vortrefflichkeit, daß ich für ihren Bestand fürchtete. Als ich in solcher Stimmung einst in seiner Begleitung die spanische Treppe heraufsteigend ihn fragte: ‚Werden Sie denn auch als König so bleiben, wie Sie setzt sind? ‘ antwortete er mir, die Schillersche Zeile parodirend:
‚Was der Jüngling verspricht, leistet der Mann auch gewiß.‘
Als dann Ludwig nach mehrmonatigem Aufenthalt wieder nach Deutschland zurückmußte, gaben ihm zu Ehren die Künstler ein großartiges Abschiedsfest im lorbeergeschmückten Saale, zu dem Cornelius und die andern die Transparente gemalt hatten. Alle Nationen waren unter den Gästen vertreten; Ludwig bewegte sich heiter und glücklich unter ihnen, tanzte mit den schönen Frauen und saß zuletzt in ihrem Kreis, während die Künstler deutsche Lieder sangen und ein unsichtbares Orchester begleitete. Der Rheinwein funkelte in den Gläsern; durch Fenster und Balkone drang die warme Nachtluft, blickte der dunkelblaue südliche Himmel mit seinen Sternen, und unter der hochgelegenen Villa breitete sich schweigend das ewige Rom aus …
Es ist wohl begreiflich, daß Ludwig für alle Zeiten seine geistige Heimath dort fühlte. Er ist im ganzen zweiundfünfzigmal in Rom gewesen.
Die Uebernahme der Regierung 1826 gab ihm endlich die Möglichkeit, seine künstlerischen Pläne in größerem Maßstabe als bisher auszuführen. Freilich war es nicht immer leicht, die dazu notwendigen Mittel zu finden; der Hofhalt war unter dem guten Vater Max zu unglaublicher Verschwendung gediehen und jede versuchte Ersparungsmaßregel verletzte liebgewordene Gewohnheiten der hohen und niederen Schmarotzer. Der Kontrast war allerdings schmerzlich für sie: Max Joseph war ein äußerst lebenslustiger Herr von bequemem Wesen, der die lascive Spaßweise des alten Frankreich, in dem er aufgewachsen, mit der Gemütlichkeit eines gut bürgerlichen Familienvaters vereinigte. Er gewährte leicht und gern und wurde deshalb aufs äußerste mißbraucht.
[403] Wer in München Lust nach einem guten Punsch hatte, verschaffte sich einen der zahllos ausgegebenen Scheine zur freien Benutzung der königlichen Hofapotheke und holte sich dort ruhig seine Flasche Rum, Zucker und Citronen. Die von seinen Beamten bei Max Joseph allerunterthänigst erflehte Unterstützung zu einer kleinen Badereise des abgearbeiteten Familienoberhauptes fiel leicht so reichlich aus, daß dieses mit Frau und Kindern den Sommer in Tegernsee zubringen konnte, und der gute König sah darin nichts Unangemessenes, sondern freute sich, wenn er den Leuten dort begegnete, wo er in dem schöngelegenen Schlosse die herrlichsten Zeiten zubrachte, aber auch riesenhafte Summen verbrauchte.
Und nun auf einmal dieser sparsame, nüchterne Monarch, der die Augen überall hatte und sich in einer unerhörten Weise um Dinge kümmerte, welche die Majestät nichts angehen! Nächst der freien Apotheke war die freie Wäsche in der königlichen Hofwaschküche ein sehr angenehmes Privilegium für alle die, welche auch nur die entfernteste Beziehung zu einer Hofcharge hatten, sei es der Oberhofmarschall oder der Ofenheizer. Nun stand, wie mir ein Zeuge jener Tage einst erzählte, in der ersten Karwoche seiner Regierung König Ludwig am Fenster nach den inneren Residenzhöfen zu und sah, in Gedanken verloren, auf die Wagen, die, mit Bündeln schmutziger Wäsche beladen, durch das Thor der Residenzstraße herein rollten, den Hof passirten und in der Region der Waschküche verschwanden. Endlich fiel ihm doch die überaus große Anzahl dieser Wagen auf, die eine förmliche Kette bildeten; er ließ den Schloßverwalter rufen und hörte von diesem die demüthige Auskunft, daß der höchstselige König einigen bedürftigen und würdigen Personen erlaubt habe, ihre Wäsche in der Hofwaschküche waschen zu lassen.
„Einigen Personen?!“ fuhr ihn Ludwig an. „Ich stehe nun bald eine Stunde am Fenster, und noch ist kein Ende. Das ist ein Unfug, ein heilloser Unfug, das muß aufhören!“
Und es erging strenger Befehl, die Bündel ungewaschen zu lassen, die Waschküche zu sperren bis Osterdienstag und vorher kein Stück, dann aber alles schmutzig zurückzuliefern, mit einem strengen Abschreckungswort, jemals wiederzukommen.
„Und sehen Sie,“ schloß mein alter Gewährsmann diese ergötzliche Geschichte, „an jenem Ostersonntag hatte halb München kein sauberes Hemd anzuziehen!“
Bei den Ersparungen an der Hoftafel aber sollte Ludwig die Grenzen der königlichen Allmacht innewerden. Er theilte wohl seinem Hofmarschall als neue Entdeckung mit, daß man in bürgerlichen Häusern aus altem Brot Knödel mache, und befahl auch, solche auf die Tafel zu bringen, begegnete aber einer so entrüsteten, stummen Renitenz seiner Hofherren, als das harmlose Nationalgericht wirklich erschien, daß er es aufgab, sie dazu zu bekehren.
Aber wenn auch die Knödel von der Speisekarte verschwanden, so konnten die Herren doch nicht hindern, daß der unter Vater Max so reichliche Küchenzettel bedeutend vereinfacht wurde. Der König betrachtete das Essen als Nebensache; seine Tagesordnung war viel mehr auf Arbeit, als auf Genuß gerichtet. Sein Licht glänzte allmorgendlich um halb fünf Uhr als das erste am Residenzplatz auf, und bis der späte Wintermorgen hell wurde, hatte der König schon Stöße von Berichten und Akten erledigt. Dann begab er sich zum Frühstück. Daß ein Herrscher, der es mit seinem Beruf so ernst nahm und bedeutende Geisteskräfte in sich spürte, sich zu starker Selbstherrlichkeit entwickelte, ist natürlich, und in Ludwigs genauer Biographie dürfen die Schattenseiten einer so absoluten Herrschaftsführung nicht fehlen, die recht oft sein Bild zu einem abstoßenden machen. Aber die großen Wirkungen seiner energischen Persönlichkeit in anderer Richtung stehen ebenso fest, der geniale Blick, mit dem er oft viel weiter sah als seine Zeitgenossen. Wie prophetisch war sein Wort. „Ich will aus München eine Stadt machen, die Deutschland so zur Ehre gereicht, daß keiner Teutschland kennt, wenn er nicht auch München gesehen hat.“
Die Kritik schlug damals ein Hohngelächter auf über eine solche Anmaßung: die Pinakothek wurde Dachauer Gemäldegalerie, der Obelisk auf dem Karolinenplatz der Nymphenburger Grenzpfahl genannt; Saphir witzelte über die paar Häuser, die in München zusammengekommen seien, um „Stadt zu spielen“.
Andere bewiesen dann ernsthaft, daß München niemals so wachsen könne, um die überall in die Steinwüsten hinaus verstreuten Denkmale einzuschließen, abgesehen davon, daß diese Denkmale buntscheckig in allen Stilen, also ein ästhetisches Unding seien. Und heute liegt ein dichter Kranz von Häusern und Villen rings um diese Bauten und über ihre Stilberechtigung denkt niemand mehr nach, weil sie bereits historisch geworden sind und die Erinnerungen von zwei Generationen daran haften. Aber ihre weise Vertheilung nach allen Richtungen hin hat die gleichmäßige Ausbreitung von München bedingt.
Auch das Geschrei über Ludwigs Geiz beginnt zu verstummen. Sein oft ausgesprochener Grundsatz: im Kleinen zu sparen, um es dann im Großen für ideale Zwecke verwenden zu können, hat zu sichtliche Wirkungen geübt. Lächeln macht es uns heute freilich, die Einzelheiten seines Sparsystems zu betrachten. Heigel erzählt z. B., daß der König einen alten Rock vierzig Jahre lang unverdrossen immer wieder flicken ließ und stets zum Rasiren anzog, auch daß er, wenn beim Ausgehen Regen drohte, schnell einen Lakaien schickte, seinen alten Regenschirm zu holen, um den neuen zu schonen: „’s ist schade darum, er hat sieben Gulden gekostet.“
Sehr charakteristisch in dieser Hinsicht ist eine mir von Augenzeugen berichtete Geschichte, welche ins Jahr 1856 fällt, um welche Zeit der junge Kaiser Franz Joseph nach München zur Brautwerbung kam. König Ludwig, als Inhaber eines österreichischen Regimentes, fühlte die Verpflichtung, dessen Uniform zum Empfang des jungen Monarchen zu tragen; als man aber das ehrwürdige Kleidungsstück hervorholte, erwies es sich, daß das kurze Schwalbenschwanzfräckchen sehr bedeutend von dem nunmehrigen österreichischen Waffenrock abstach; auch wollte der alte Tschako die Stirn mit dem Auswuchs durchaus nicht mehr decken. Einerlei – der Gedanke, für den einen Tag eine neue Uniform machen zu lassen, konnte vernünftigerweise nicht gedacht werden, und so legte denn der alte Herr trotz verzweifelter Gegenwehr seines Kammerdieners harmlos und fröhlich die Reliquie aus den Befreiungskriegen an, hielt die Linke mit dem Tschako auf den Rücken und stieg an der Seite des jungen Kaisers die Ludwigsstraße hinunter, lebhaft mit der Rechten gestikulirend und die Honneurs seiner Straße machend. Er hatte es durchgesetzt und zog am Abend hochvergnügt das alte Fräcklein aus: hundert Gulden zum mindesten waren erspart!
Bekannt ist auch, daß er es durchaus nicht liebte, als König mehr zahlen zu sollen, als andere. Kleine Bouquets und dergleichen ließ er sich gern durch Farbenreiber aus den Ateliers bei der nächsten Blumenfrau holen, weil er meinte: „Mir verlangt man zu viel dafür ab!“ und der Botenlohn dafür entsprach jedenfalls viel mehr den Verhältnissen des Farbenreibers als denen des Königs.
In den Ateliers war er ständiger Gast, nicht immer zum Entzücken der Inhaber, die sein lebhaftes Dreinreden beim Beginnen der Arbeit gern entbehrt hätten. Allein er ließ nicht nach und wanderte so unermüdlich auf den Gerüsten von Cornelius, Heß und anderen umher, daß ihn seine Künstler scherzweise den Oberpolier nannten.
Wie sie aber innerlich doch zu ihm standen, das zeigte das große historische Künstlerfest des Jahres 1840, das erste seiner Art und, wie heute die Siebziger stolz versichern, das schönste, welches jemals dagewesen. Einzig war es jedenfalls durch die intime Theilnahme des Königs an der Feier, welche im Hoftheater stattfand und die Begegnung Kaiser Maximilians in Augsburg mit Albrecht Dürer zum Gegenstand hatte. Die Kostüme waren mit solcher Treue hergestellt, daß z. B. im ganzen langen Zug kein einziger Knopf zu sehen war, alles mit Nesteln geschlossen, wie es vor Erfindung der Knöpfe üblich. Ueber die Person des Kaisers war das Komitee lange Zeit rathlos – in der ganzen Münchener Künstlerschaft wollte sich Maximilians bartloses Gesicht mit der großen Nase nicht finden, bis plötzlich in der elften Stunde ein eben mit dem Eilwagen angekommener Hamburger Maler Namens Lichtenheld in die Künstlerkneipe trat, ahnungslos über alles, was darin berathschlagt wurde, und sich plötzlich von allen Seiten angeschrieen hörte. „Da ist ja der Kaiser, da haben wir ihn!“ Als der junge Mann begriffen hatte, daß er nicht unter Wahnsinnige gerathen sei, nahm er die oberste Würde der Christenheit mit Vergnügen entgegen; die Aehnlichkeit soll denn auch in der That eine frappante gewesen sein. Als eine Woche später der große Festzug sich unter Musik und Jubel [404] vom Theater durch die königliche Loge bewegte, da ehrte König Ludwig sich und die Künstler dadurch, daß er den Pseudo-Maximilian mit vollendeter Kourtoisie als kaiserliche Majestät behandelte, zu seiner Rechten sitzen ließ und dem strengen Ceremoniell entsprechend anredete. Und alle Augenzeugen stimmen überein, daß der Kaiser seine Rolle ebenso tadellos gespielt habe wie der König. Ein Umzug durch die vielen Gänge der Residenz und ein großes Festbankett schloß die Feier, welche unvergänglich in den Herzen der alten Münchener Künstlerschaft lebt. Freilich sind es heute nur noch sehr wenige, die aus eigener Erfahrung davon sprechen können!
König Ludwigs Berührungen mit seinen Künstlern waren allerdings nicht immer so freundlicher Natur. Es gab Mißhelligkeiten genug zwischen dem hitzigen König und dem hitzigen Cornelius, die den letzteren bewogen, von München zu scheiden. Beide aber hörten darum nicht auf, sich gegenseitig hochzuhalten. Kaulbach mit seiner ironischen Höflichkeit kam im ganzen gut mit ihm aus, und der stärkste Verdruß, den sie hatten, betraf nicht gerade die Kunst, sondern ihre Beziehung auf den empfindlichen Punkt: Lola Montez. Kaulbach, der immer den Drang fühlte, sich seine Entrüstungen vom Herzen herunter zu malen, hatte während der aufgeregten Zeiten von 1847 rein zu seiner Satisfaktion die Vielberufene auf die Leinwand gebracht als Zauberin, die Schlange um den Leib, den Giftbecher in der Hand. Das blieb selbstverständlich dem König nicht verborgen und eines Tages schoß er herein:
„Kaulbach, was höre ich, was haben Sie gemacht! Das ist eine Beleidigung, gegen mich auch! Warten Sie nur, das wird Ihnen die Lola gedenken!“
Und ohne das Bild näher zu betrachten oder Kaulbach zu Worte kommen zu lassen, war er wieder hinaus. Jener aber, welcher wußte, wie schnell die heißblütige Tochter des Südens zum Angriff mit der Reitpeitsche überging, legte sich ein tüchtiges Scheit Holz neben die Staffelei, um kommendenfalls gerüstet zu sein. Er hatte nicht lange zu warten. Eine Stunde später wurde die Thür wieder aufgerissen und Lola Montez erschien mit dem großen Hunde, der sie stets begleitete, hinter ihr der König. Kaulbach ergriff sein Holzscheit und trat ihr entgegen; im nächsten Augenblick hatte sie den Hund auf ihn gehetzt; zu gleicher Zeit aber schoß hinter der Staffelei sein eigener riesiger Neufundländer heraus und dem andern an die Kehle. Nun fuhren die beiden Bestien heulend und beißend hinaus in den tiefen Schnee des Hofes, Lola in Angst und Zorn hinter ihrem Hunde drein, der König ihr nach, und hinter ihm Kaulbach. Und so nahm dieser Auftritt, der so bedrohlich begonnen, plötzlich ein lächerliches Ende. Die beiden Hundebesitzer hatten die größte Mühe, im tiefen Schnee hin- und herrennend, ihre vierbeinigen Vertheidiger aus einander zu bringen, und ein allgemeiner Rückzug nach verschiedenen Seiten schloß die bewegte Scene. Ich füge hinzu, daß mir diese Begebenheit von einem alten Freunde Kaulbachs erzählt wurde, dem er sie am nächsten Tage mittheilte.
Daß ihm Ludwig die Sache nicht weiter nachtrug, als Kaulbach das Bild dem allgemeinen Anblick entzogen hatte, beweist noch nichts für seine Mäßigung im allgemeinen. Von seinem berühmten Wahlspruch „Gerecht und beharrlich“ hielt er nur den letzten Theil unverbrüchlich und konnte im übrigen manchmal rachsüchtig genug sein, wo er sich beleidigt glaubte. In ihm war ein Gemisch von königlichem Größenbewußtsein und bürgerlicher Einfachheit, welches die widersprechendsten Aeußerungen zu Tage förderte. Man war nie sicher, welche Seite gerade herauskam: einmal schlug er einem Studenten, der ihn nicht grüßte, die Mütze vom Kopf; ein anderes Mal winkte er im starken Regenwetter schon von ferne ab: „Nicht, nicht! Zu schlechtes Wetter für Höflichkeiten!“ Einem Malergehilfen, der, um ihn vor dem Sturz von der ins Schwanken gerathenen Leiter zu retten beisprang und ihn unter den Armen faßte, rief er noch taumelnd mit einer Art von Entsetzen zu. „Majestät nicht anrühren!“ Und dann ließ er sich wieder von dem oben genannten alten Wagner Dinge sagen, die sich ob ihrer aristophanischen Derbheit jeder Wiedergabe entziehen, welche aber jedenfalls kein anderer Monarch und wenige Privatmänner ruhig angehört hätten. Er war eben von dessen unerschütterlicher Ergebenheit und Rechtlichkeit überzeugt und sagte höchstens: „Den Wagner muß man reden lassen; er kann nicht anders.“
Das war nun in der That richtig; keine Macht der Erde hätte der Elementargewalt von Wagners Grobheit gebieten können; außerdem aber war er für Ludwig unentbehrlich als der kunstverständige, tätige und schlaue Agent, der ihm die heute unschätzbaren Antiken der Glyptothek zu äußerst billigen Preisen einkaufte und ihre Auslieferung unter tausend Schwierigkeiten durchzusetzen wußte, mitten im Getümmel der aufgeregten Kriegszeiten. So sind die Aegineten, das hochbedeutsame Mittelglied zwischen archaistischer und freier Kunst in Griechenland, um 20 000 Skudi erworben worden und der glückliche Besitzer wies alle verzweifelten englischen Nachgebote hohnlächelnd ab, indem er zugleich die Zahlungsbedingungen so zu regeln wußte, daß an den Zinsen noch die Fracht herauskam.
Es würde viel zu weitläufig sein, hier auch nur eine einfache Aufzählung alles dessen zu geben, was König Ludwig in seiner reichen Kunstthätigkeit geschaffen, von den Münchener Monumenten an bis zur herrlichen Regensburger Walhalla und den zahllosen über das ganze Land verstreuten Kirchenbauten. Dies alles ist auch weltbekannt. Aber gerade für unsere Zeit ist es eigenthümlich rührend zu lesen, daß er bei seinen unzähligen Gaben an deutsche Schulen und Kirchen in allen Weltteilen immer den deutschen Gesichtspunkt hatte und überall die Konsuln anwies, darauf zu achten, daß die Deutschen über dem Meer ihrer Nationalität treu blieben. Niemals war ein Herz stolzer auf diese, als das König Ludwigs, und daß er diese Gesinnung in den elenden zwanziger und dreißiger Jahren stets behielt und unermüdlich aussprach: das ist ein Verdienst, welches viele seiner Fehler aufwiegt.
Dem hervorstechendsten derselben, der herrschsüchtigen Anmaßung, alles selbst am besten wissen und selbst ordnen zu wollen, hält doch auch die außerordentliche Gewissenhaftigkeit die Wage, mit der er trachtete, diese über die Kräfte des Einzelnen gehende Aufgabe zu erfüllen. Heigel giebt in seinem sehr schönen und lesenswerthen Buch über König Ludwig eine Auswahl seiner eigenhändigen Randbemerkungen über Strafvollzug, Straferlaß und Begnadigung, aus denen überall der ernste Wille spricht, das Rechte zu finden, sorgfältige Erwägungen anzustellen, ob der zu Begnadigende Aussicht auf Besserung biete, ob er wieder Arbeit finden werde, etc. Wie schön klingt folgender Beschluß: [405] „Ich bin gewiß nicht lax, aber wir sind menschlich. Wer keine Arbeit bekommt, kein Geld bekommt, wem beides abgeschlagen wurde und wer den ganzen Tag gehungert, der nimmt Brot, und dieses zu bestrafen wäre – wenigstens – sehr hart. Die ganze Strafe laß ich dem P. St. nach, der jedoch wohl zu warnen ist vor Wiederholung.“
Auch wo ihn momentan der Aerger ergriff, kam oft die mildere Ueberlegung nach. Am Rande eines sehr schlecht geschriebenen Berichtes findet sich die Note: „Der dies geschrieben, scheint auch zu allem eher zu passen, als zum Schreiber. Will diese Schrift nicht mehr sehen“ Zwei Tage später aber fügt er den Zusatz bei: „Damit soll aber nicht gesagt sein, daß er des Dienstes entlassen wird, zumal wenn er Familienvater.“
Das letztere Wort ist charakteristisch. Der König war in seinen Verfügungen für Witwen- und Waisenpensionen stets bedacht, „daß sie auch wirklich davon leben können“. Freilich, Luxus treiben durften sie nicht, wie die folgende mir von einem Augenzeugen berichtete Begebenheit zeigt. Er hatte einer Majorswitwe in Rücksicht auf ihre zahlreichen Kinder einen Zuschuß zur Pension aus seinen Mitteln verwilligt und sich ihren thränenüberströmten Handküssen rasch entzogen. Am Oktoberfest desselben Jahres aber, als er seiner Gewohnheit gemäß mit der Königin am Arm unter der dichten Volksmenge auf der Theresienwiese einherspazierte, erkannte sein scharfes Auge die Bittstellerin und zwar in einem neuen, eleganten Hute. Sofort drängte er, die Königin gewaltsam nachschleppend, durch die Wand der Bauern durch, pflanzte sich vor der Witwe auf und sagte mit unheimlicher Freundlichkeit. „Schön, daß ich Sie sehe, Frau Majorin; scheint Ihnen gut zu gehen, haben einen sehr schönen Hut auf. Nichtwahr, Therese, wenn Du einmal einen solchen Hut hättest?!!“ schrie er im Abschwenken der Königin zu. Die erstarrte Witwe sah, keines Wortes mächtig, dem königlichen Rücken nach, erhielt aber noch am selben Abend die Ankündigung, daß ihr die Pensionserhöhung wieder entzogen worden sei. Der König blieb unerbittlich trotz allen Flehens; vielleicht wirkte zu dieser Härte ein geheimer Haß gegen neue Hüte im allgemeinen mit; denn er selbst hatte, soweit sich die Münchener zurückerinnern konnten, nur alte und sagte bei Gelegenheit einer Gesellschaft, wo man ihm den Hut holen wollte, gutgelaunt: „Sie haben nicht lange zu suchen; nehmen Sie nur den schlechtesten, das ist der meinige.“
Viele Züge dieser Art kursiren noch heute in München und halten das Gedächtniß an Ludwigs Wunderlichkeiten frisch. Auch kann jeder im Hofgarten Spazierende stets von neuem den hoffnungslosen Versuch machen, die über Rottmanns Bildern stehenden allerhöchsten Hexameter zu skandiren, die schon soviel Anlaß zur Heiterkeit boten. Ein schalkhafter Kopf (Fernbacher) hat ihren holperigen Gang schon vor 30 Jahren sehr glücklich parodirt:
„O Hofgarten, der du genannt bist Garten des Hofes,
Hofgarten bist du genannt, weil du der Hofgarten bist.“
Oder:
„Näher als Menterschweig nicht ist Hesselohe dem Münchner,
Doch, weil die Eisenbahn geht, glaubt er halbweges sich heim.“
Ludwigs Distichon lautet:
„Näher der Heimath nicht als in Sicilien ist Reggio dem Deutschen,
Doch weil dazwischen kein Meer, glaubt er halbweges sich heim.“
Ludwig selbst sah sehr wohl da und dort das siebente Füßlein aus seinen Hexametern gucken, ohne sich darüber zu betrüben. Einst stand ein Fremder kopfschüttelnd vor dem Bilde „Monte Cavo“ und skandirte angestrengt:
ˉ ˘ ˉ ˘ ˘ ˉ ˘ ˉ
„Steine warfst du Berg aus, einstens“ …
Nein, so kann es nicht sein.
ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ ˘ ˉ ˘
„Steine warfst du Berg aus, einstens“ …
Nein! Da klopfte ihm eine lange Gestalt im grauen Ueberrock auf die Achsel und schrie ihm freundschaftlich ins Ohr: „Geben Sie sich keine Mühe; es hat’s noch keiner herausgebracht, Sie kriegen’s auch nicht heraus!“
Trotz solcher stellenweisen Erkenntniß und trotz seiner grausamen Partizipialformen hielt sich Ludwig doch für einen Dichter und ritt sein Steckenpferd mit der Ausdauer und Begeisterung des echten Dilettanten.
Die Nachwelt wird seinen langen und formlosen Gedichten keine Kränze reichen, aber sie wird doch zugestehen müssen, daß heiliges Feuer in seinem Herzen loderte, und daß er der Poesie wärmer und voller zu eigen war, als mancher Berufspoet. Die Klassiker aller Völker und Zeiten bildeten seine stete Lektüre, Schiller und Goethe kannte er auswendig. Nichts anderes auch, als die Begeisterung für die alten Griechen triebe ihn an, die Sache ihrer unterdrückten Enkel zu seiner eigenen zu machen und in Wort und Schrift unermüdlich dafür zu wirken.
„Nach Deutschlands Befreiung, unter Napoleons Zwingherrschaft gebeugt, glühte ich für nichts so, als daß Hellas siegen möge … Thätig war ich, thätig bin ich, daß Unterstützung ihm werde …“
Er ließ bei seinen häufigen Rundreisen überall sich den feierlichen Empfang und die Beleuchtungen verbitten, aber zugleich auffordern, die dafür beabsichtigten Summen ihm für Griechenland zu geben. Junge begabte Griechen ließ er nach München kommen und auf seine Kosten studiren, ohne sich an das Gerede von Menschen zu kehren, die, wie er sehr richtig sagte, „es ganz in der Ordnung fänden, wenn ich diese paar tausend Gulden jährlich auf meinen Marstall verwendete.“
Er wiegte sich in der Illusion, daß die Neuhellenen bald ihrer großen Ahnen würdig sein würden, und überhörte geflissentlich Fallmereyers Warnungsrufe über die slavisirte Rasse. Als dann, nachdem das große Werk gelungen und Griechenland befreit war, Thiersch und andere den Prinzen Otto von Bayern für den griechischen Thron in Vorschlag brachten, da hielt sich König Ludwig ganz zurück, er wollte auch den Schein meiden, mit dieser großen Sache einen Vortheil für sich und sein Haus bezweckt zu haben. Er hat auch wahrlich keinen damit erreicht: in dem Jahre, als er die Propyläen, das Siegesdenkmal für Griechenland, vollendete, jagten die Griechen seinen Sohn aus dem Lande und den Vorschuß von 1 800 000 Fl., den er ihnen einstens gegeben, mußte er der Staatskasse aus seinem Vermögen ersetzen. Von Rückzahlung an ihn aber war keine Rede mehr.
Diese schlimme Erfahrung mit dem einstigen Ideal schlug ihn aber nicht nieder; sein Herz war und blieb begeisterungsfähig bis in die späten Jahre, wo er, der Regentenpflichten ledig, einer seligen Freiheit genoß unter den Palmen und Cypressen der Villa Malta in Rom, deren Erdgeschoß er dem alten Wagner als Atelier eingeräumt hatte und wo er interessante Fremde und Einheimische zu kleinen Diners um sich versammelte, bei denen es, trotz der störenden Schwerhörigkeit des Königs, heiter genug zuging. Er war unerschöpflich in Erzählungen und Erinnerungen. Wenige Herrscher, seit Diocletian, haben es verstanden, mit solcher Heiterkeit die Krone zu entbehren, und Ludwig erreichte sogar in seinen späteren Jahren in München einen Grad von Popularität, wie er ihn in der Vollgewalt seines absoluten Königthums nicht gehabt hatte. Jeder freute sich, den alten Herrn im Odeonskonzert seine gewohnte Runde machen zu sehen, nach allen Seiten sprechend und grüßend. Allerdings verfiel er dabei gelegentlich wieder in seine alte Unart, Damen und besonders verblühte Damen, die ihm ein ästhetisches Aergerniß waren, in Verlegenheit zu setzen. Eine sehr schöne Frau pflegte er früher regelmäßig zu begrüßen. „Ah, Frau N…, freue mich, freue mich; was macht der Gemahl, ist er recht eifersüchtig?“ und ihr „Nein, Majestät“ hartnäckig zu ignoriren. Nach jahrelanger Abwesenheit ihrerseits sah er sie wieder im Odeonssaal, schoß auf sie zu und rief, wie früher: „Freue mich, lange nicht gesehen, haben sich sehr verändert. Was macht der Gemahl, ist er immer noch so eifersüchtig?“
„Nein, Majestät!“
„Glaub’ ich gerne,“ rief der König lachend, „hat es jetzt auch nicht mehr nöthig!“
Derlei ungezogene Späße konnte er sich nun einmal nicht versagen, aber im ganzen kamen doch bei zunehmendem Alter die liebenswürdigen Seiten seiner Natur überwiegend zum Vorschein; er bewegte sich mit jugendlicher Rüstigkeit und guter Laune unter den Menschen und pflegte auf den Künstlerbällen, wenn gegen Mitternacht das junge Königspaar verschwand, lachend zu rufen: „So, Kinder, jetzt ist der Hof fort, jetzt wollen wir unter uns lustig sein!“ In der Pfalz, in Berchtesgaden, wo er abwechselnd seine Sommer zubrachte, hing das Volk mit aufrichtiger Liebe an ihm, der stets ein freundliches Wort und eine offene Hand für die Armen und Geringen hatte.
Deshalb war die Trauer tief und aufrichtig, als am 29. Februar 1868 die Nachricht aus Nizza kam, daß nach längerem
[406] Leiden ein sanfter Tod den Hochbetagten erlöst habe. Je mehr seither die Erinnerung an seine herben Seiten erlosch, um so mächtiger richtete sich das Bild seines reichen Wirkens empor und die Beurtheilung König Ludwigs I. ist heute eine ganz andere wie vor einem Menschenalter. Als das Jahr 1886 die hundertste Wiederkehr seines Geburtstages bringen sollte, da rüstete sich das ganze Bayernland, voran die Stadt München, um in einer großen Centennarfeier den Dank seines Volkes zum Ausdruck zu bringen. Damals ließ das furchtbare Schicksal seines unglücklichen Enkels jeden Gedanken an eine Freudenfeier verstummen. Aber aufgegeben wurde er darum nicht, und im Juli dieses Jahres, wo die große Münchener Ausstellung Tausende aus ganz Deutschland zusammenführt, wird von den Künstlern und der ganzen Bevölkerung mit allem erdenklichem Glanz das Fest des Mannes vorbereitet, der es nicht nur verstand, München groß zu machen, sondern durch sein Wollen und Wirken sich einen Ehrenplatz in der Geistesgeschichte der Menschheit errungen hat, der ihm unverlierbar für alle Zeiten bleibt.