Die höhlenbewohnenden Kannibalen in Süd-Afrika

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Textdaten
Autor: Wilhelm Roth
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Titel: Die höhlenbewohnenden Kannibalen in Süd-Afrika
Untertitel: (Nach dem „Anthropological Review“, April 1869.)
aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. 4. Band (1869). S. 369–371
Herausgeber: Wilhelm David Koner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Dietrich Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Die höhlenbewohnenden Kannibalen in Süd-Afrika.
(Nach dem „Anthropological Review“, April 1869.)


Die Reisenden James Henry Bowker, Dr. Bleek und Dr. John Beddoe schildern einen Besuch der größten dieser Höhlen, die in den Gebirgen jenseits Thaba Bosigo gelegen ist. Der Weg dahin führte ein steiles enges Thal in die Höhe; dann mußten Berge erstiegen werden, von denen aus man an dem Abhange in die Höhle gelangte. Dieselbe wurde durch einen überhängenden Felsen gebildet, der Eingang entspricht der ganzen Größe, welche etwa 130 Yards lang und 100 Yards breit ist. Die Felsen waren vom Rauche geschwärzt, der Boden mit vielen menschlichen Knochen bedeckt, die theils aufgeschichtet, theils umher gestreut waren, auch vom Rande der Höhle aus auf den Abhang gelangt waren und dort umher lagen. Schädel waren besonders zahlreich und gehörten meist Kindern und jungen Personen an. Dieselben schienen mit stumpfen Aexten oder geschärften Steinen zerschlagen zu sein, die Markknochen waren in kleine Stücke getrennt und nur die runden Gelenktheile unzerbrochen. Nur wenige Knochen waren vom Feuer geschwärzt, woraus eine Vorliebe für gekochtes Fleisch gegenüber dem gebratenen hervorzugehen schien. Innerhalb der Höhle sieht man eine Art düstrer Gallerie, zu der unregelmäßige rohe Stufen hinauf führen; hier sollen die unglücklichen Opfer aufbewahrt worden sein, die nicht augenblicklich verzehrt werden sollten. Ein Entrinnen von dieser Stelle aus war unmöglich, ohne die Höhle zu passiren. Diese schreckliche Sitte wird nicht etwa von einem Volke betrieben, das durch Hungersnoth dazu gezwungen ist, seine Feinde gefangen zu nehmen und zu verzehren, nein, es sind die Bewohner eines fruchtbaren, wildreichen Ackerlandes, die nicht allein ihre Feinde jagen und verzehren, sondern auch sich untereinander rauben, ja sogar in Zeiten der Noth ihre eigenen Weiber und Kinder fressen. Zänkische Weiber und unruhige Kinder werden auf diese Weise zur Ruhe gebracht, auch körperlich schwach werdende Mitglieder der Gemeinde sind dem ausgesetzt. Wenn nun auch jetzt gewöhnlich angegeben wird, daß diese Sitte verlassen sei, so fanden sich doch in der Höhle noch sehr frische Knochen, deren Fettgehalt annehmen ließ, daß erst vor wenig Monaten ihr Eigenthümer dort seinem Schicksal verfallen war.

Diese Höhle ist eine der größten im Lande und nach allen Nachrichten ein Hauptquartier der Kannibalen. Vor 30 Jahren war das ganze Land vom Maluta bis zum Caledon von Menschenfressern bewohnt, die der Schrecken der umwohnenden Stämme waren. Sie schickten kleine Streifpartien aus, die sich zwischen den Felsen und Büschen verbargen, und Frauen, Kinder, Reisende, sowie Knaben, die nach verloren gegangenem Vieh suchten, wegschleppten. Uebrigens giebt es auch jetzt noch eine ganze Menge alter Menschenfresser. Die Reisenden lernten einen kennen, welcher mit einer Frau verheirathet war, die er mit zwei andern Weibern geraubt hatte. Während die anderen geschlachtet wurden, heirathete er diese, und die Ehe soll trotz der ungewöhnlichen Verhältnisse eine glückliche gewesen sein.

Die Reisenden besuchten auch einige der Kannibalen-Höhlen nahe den Quellen des Caledon-Flusses, die jedoch nicht so groß als die beschriebene waren. [370] Die jetzigen Bewohner derselben sind keine Menschenfresser mehr. Ein alter Kannibale, der den Reisenden mittheilte, daß er selbst noch dabei gewesen sei, als 30 Menschen auf einmal verzehrt wurden, fand das Verlassen dieser Sitte höchst unverständig. Uebrigens hat sich einmal der eigenthümliche Fall ereignet, daß ein Mädchen, die gefangen und von den Kannibalen am Leben gelassen war, um das Weib eines derselben zu werden, nach ihrer erfolgten Loskaufung freiwillig wieder dorthin zurückkehrte. Characteristisch für die Geringschätzung und Rohheit dieses Menschenschlages gegenüber dem menschlichen Leben ist auch der Zug, daß als Köder in die Fallen zu dem Löwenfange kleine Kinder gesetzt wurden, um durch ihr Wimmern die Löwen anzulocken. Der alte Häuptling Moshesh, zu dessen aus mehreren Nationalitäten gebildetem Stamme diese einstigen Menschenfresser gehörten, hat alles gethan, um die unmenschliche Sitte zu unterdrücken, und hierin auch Erfolg gehabt, da sich das Volk dem Ackerbau zuwendet.

Dr. Bleek fügt folgendes über die Quellen hinzu, die man über den Kannibalismus nachschlagen kann: Obenan steht Arbousset et Dumas’ Relation d’un Voyage d’exploration au Nord-est de la Colonie du Cap de Bonne-Espérance; entrepris dans les mois de mars, avril et mai 1836 (Paris 1842), Cap. 7, S. 105–123, in der englischen Uebersetzung von Dr. Brown p. 52–61, jedoch in letzterer ohne die Abbildungen des Originals, welche das Portrait eines Kannibalen enthalten. In der dem Original beigegebenen Karte sind die Wohnplätze der Kannibalen nordöstlich von Thaba Masigo angegeben. Ein kurzer Bericht findet sich auch in Soloman’s two lectures on the native tribes of the interior (Capetown 1855) p. 62–64. Nach dem letzten Schriftsteller sind es vier Stämme, welche dem Kannibalismus zugethan waren, zwei Betshuana-Stämme (Bafukeng oder Ba-hukeng und Ma-katla) und zwei Caffern-Stämme, nämlich Ba-makakana und Ba-matlapatlapa. Es scheint, daß diese Stämme erst Menschenfresser geworden sind durch die Kriege, die diese Theile von Afrika vor etwa 50 Jahren verwüsteten. Man kann nicht bezwelfeln, daß wenn erst der Appetit nach Menschenfleisch rege geworden ist, diese Unsitte auch weiter bestehen blieb, selbst wenn die dringende Nothwendigkeit nicht mehr vorlag. Dies ist um so auffallender in einem Lande, das nach den Berichten nicht nur zum Ackerbau sehr wohl geeignet ist, sondern auch an Wild Ueberfluß hatte. Es ist indessen möglich, daß der Kannibalismus in diesen Gegenden viel älter ist, wenigstens haben die Ueberlieferungen der Zulus und Betshuanen zahlreiche Andeutungen von Kannibalen, welche in Zulu A-ma-zimu und in Betshuana Ma-zimo genannt werden. In einigen der interessanten Ammenmärchen der Zulu spielen die Menschenfresser dieselbe Rolle wie die Hexen und Riesen in Europa. In einer derselben wird erzählt, wie ein Gefangener seine eigene Mutter statt seiner auffressen läßt. Manche von diesen Geschichten sind sowohl den Zulu als den Betshuanen gemeinschaftlich.

Folgendes ist eine Auslassung über die A-ma-zimu oder Menschenfresser, wie sie in Zulu Dr. Callaway von einem Eingebornen dictirt wurde: Die A-ma-zimu verließen die andern Menschen, um in den Bergen zu leben, das Land war öde, eine Hungersnoth zwang sie, Menschen zu essen, die sie zu diesem Zwecke fingen. Hieraus entstand der Name A-ma-zimu, der so viel bedeutet, als ein Feinschmecker, gefräßig sein. Mit der Zeit verloren sie die Aehnlichkeit mit [371] den andern Menschen, gaben ihre festen Wohnstätten und Vieh auf, und lebten in Höhlen, sobald sie Menschen gefangen hatten; sonst waren sie ohne Wohnstätte. Ihre Opfer suchten sie zunächst durch Freundlichkeit sicher zu machen und in einen Hinterhalt zu locken; kräftige Männer suchten sie auch durch Kampf zu überwältigen. Trafen sie in Masse mit andern Nationen zusammen, so kämpften sie mit ihnen, doch verlangte dies großen Muth, weil sie sehr kräftig sind und namentlich sehr schnell laufen. Letztere Eigenschaft kommt ihnen bei der Verfolgung sehr zu statten, da sie ihre Feinde ermüden und dann mit sich wegschleppen, um sie an einem verborgenen Ort in der Wildniß zu kochen und zu verzehren. – Dr. Callaway ist im Irrthum, wenn er glaubt, daß diese Erzählungen über Kannibalen nur die Erinnerung an den Einbruch fremder Sklavenjäger sind; der Anblick der Höhlen widerspricht dem, und bestätigt die Erzählung der Eingebornen, sowie die Berichte der französischen Missionaire. Die langhaarigen Menschenfresser sind augenscheinlich Betshuanen, welche längere Haare als die Kaffern tragen.

Dr. John Beddoe erzählt nach den Angaben eines Engländers, welcher die Kannibalenhöhlen im December 1868 besuchte, daß sie ein regelmäßiges System hätten, die Körper zu zerhacken, wie die Fleischer. Jeder Schädel wird mit einer Axt quer durch die Nasenbrücke getrennt, die Kiefer werden weggeworfen, das Gehirn wird dann durch ein Loch auf der Höhe des Schädels herausgenommen. Die Rippen werden durchschnitten und in die Kochtöpfe geworfen, die großen Knochen getrennt und das Mark herausgenommen. An vielen Knochen fanden sich noch die Knorpel. Ferner sah man an den Schädeln ein Merkzeichen von den Messern, wo die Bedeckungen streifenweise heruntergeschnitten waren. Die Körper der Europäer, die bei dem Angriff auf Thaba Basigo fielen, wurden sofort gegessen, indem die Kannibalen glaubten, daß der Muth derselben hierdurch in sie übergehen würde. Ein Basuto, welcher vor kurzem bei einem Colonisten in der Nähe von Grahamstown in Dienst trat, gab an, daß die Kannibalen jederzeit die Weißen und die Schwarzen anderer Stämme, aber nie Hottentotten oder Mischlinge verzehren. Nach seinen Mittheilungen essen sie das Herz und die Leber und nehmen das Gehirn heraus, welches sie in einem Lappen binden und unter der Asche backen. Dies geschieht jedoch nur in guten Zeiten, zur Zeit des Mangels essen sie den ganzen Körper. Sämmtliche Weiße wurden verzehrt, die während des letzten Krieges im Freistaat in ihre Hände fielen. Der erwähnte Basuto wollte selbst nie Menschenfleisch gegessen haben, gab aber an, daß er es öfter gesehen habe und Alles darüber wisse.

W. Roth.