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Die heil. Magdalena nach der Geißelung (Gemälde der Dresdener Gallerie)

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Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Die heil. Magdalena nach der Geißelung
Untertitel: Von Marco Antonio Franceschini
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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Magdelen.     Magdalena.

[184]
Die heil. Magdalena nach der Geißelung.
Von Marco Antonio Franceschini.

Der Meeresküste entlang, etwa fünf Stunden entfernt von Genua, trieb ein junger Mensch an einem Spätnachmittage des Jahres 1672 sein schon ziemlich warm gerittenes Roß so eifrig zu raschem Trabe an, daß man schließen konnte, der Reisende setze in sein edles Thier das Zutrauen: dasselbe werde ihn noch heute zur Nachtherberge in Genua führen.

Das Roß so wenig als der Reiter waren aus dieser Gegend. Dieser schlanke, schwanenhalsige Schweißfuchs war unendlich von den unschönen Piemontesischen Gebirgskleppern verschieden und erinnerte in Gang und Haltung an die edlen Rosse, welche von englischen Pferdezüchtern damals in der Nähe von Bologna zu ziehen versucht wurden. Sattelzeug und Zügel waren mit Muscheln und Lederfranzen nach mittelitalienischem Geschmacke geziert.

Der Reiter war in der kleidsamen Tracht eines bologneser Studenten, im Sammtwamms mit großem, weißem Kragen und Stulphandschuhen und in langen, gelben Stiefeln, die bis auf den Oberschenkel reichten. Ein übermäßig langer Degen, schmal, aber zu Hieb und Stoß geeignet, mit einem kunstreich verschlungenen Handkorbe, fehlte dem jungen Manne ebenfalls [185] nicht; statt des mächtigen Studentenhutes mit der wehenden Feder drauf trug er jedoch ein einfaches Sammtbaret, das als ganzen Schmuck an der Seite nur einen mit Edelsteinen gezierten, glänzenden Ring zeigte, dessen zierlicher Durchmesser leicht errathen ließ, daß eine schöne Damenhand das Kleinod getragen habe.

Das eigenthümliche Baret ließ den Malerschüler erkennen. Der Künstler sprach aus dem sanftblickenden Auge, aus der halb schwärmerischen Beschaulichkeit, womit der Reiter die herrlichen Tinten betrachtete, welcher die immer rascher sinkende Sonne über das Meer zu seiner Linken und über die Gebirgsgegend der Küste ausgoß. Von Zeit zu Zeit hielt der Reisende sein Roß einige Minuten an, entblößte eine Hand, zart wie diejenige einer Dame, und zeichnete rasch einige Hieroglyphen in sein Taschenbuch, um die wechselnden Lichteffecte und das Verschmelzen der Farben in dieser abendlichen Landschaft durch seinen einfarbigen Stift festzuhalten. Dann ging’s rasch wieder vorwärts auf der schlechten, fast durchaus menschenleeren, steinigen Straße.

Kurz vor Sonnenuntergang erblickte dieser bolognesische Reiter auf dem Schnitte eines sanft ansteigenden Theiles der Straße eine von einem berittenen Cavaliere begleitete mächtige Carosse, welche sich so langsam fortbewegte, daß er dieselbe bald einholte. Als er in die unmittelbare Nähe des Fuhrwerkes kam, hielt der Begleiter desselben sein durchaus abgetriebenes Pferd an, ritt mitten auf die Straße, machte gegen den Jüngling Front und zog, nachdem er die Halfterklappe von seinen Pistolen zurückgeschlagen, einen Degen, welcher eine Art von Zwillingsbruder von dem Bratenspieße des Malers zu sein schien.

Dieser hielt sehr betroffen sein Pferd an und zog seine Waffe fast ohne es zu wissen. Derjenige, welcher ihm hier so unerwartet den Weg verrannte, war ein Mann von etwa dreißig Jahren, in durchaus französischer, halb militairischer Tracht, mit dem Federhute eines Cavaliers versehen. Der Blick aus seinen dunkelglühenden Augen erweckte für diesen hohen und schlanken schnurrbärtigen Kämpfer unwillkürliche Achtung, zumal bei dem zierlich gebauten Maler, der augenblicklich einsah, er werde, wenn ihm nicht die Schnelligkeit seines Rosses zur Hülfe komme, diesem Schlagfertigen erliegen.

Qui vive? rief der Cavalier. Wer seid Ihr und was wollt Ihr von mir?

– Signor! antwortete der Bolognese; ich müßte mich sehr täuschen, oder Ihr seid kein Straßenräuber, dem es um meine freilich nicht schwere Börse zu thun ist . . .

– Wie! Ein Bandit, mein Herr? rief der Andere erstaunt aus, erst den Maler und dann sich selbst und seinen in Unordnung gekommenen Anzug musternd. Morbleu! Wie dürft Ihr Euch unterfangen, einen Edelmann für einen Landstraßenräuber zu halten . . .

Der Maler stieß seinen Degen in die Scheide und ritt dreist an den Franzosen hinan.

– Mein Herr, ich sehe, meine Erscheinung macht Euch nicht weniger besorgt, als im ersten Momente die Einige Euren ergebensten Diener.

– Besorgt? sagte der Franzose, fast höhnend seine Lippen aufwerfend.

– Si, Signor! Es ist mir nicht beigekommen, Euch oder jene Kalesche zu verfolgen!

– Ah, mein theuerster Mann, wie kannst Du den Feind verfolgen, bevor du ihn geschlagen hast . . . murmelte der Franzose, aber es war ersichtlich, daß ihn diese friedlichen Auseinandersetzungen sehr erleichterten. Sein Blick war wenig düster, seine Miene weniger gepreßt. [186] Er ließ seinen bisher erhobenen Degen sinken, fast unwillkürlich mit demselben vor dem Italiener salutirend.

– Ich denke auf meiner friedlichen Reise keine Feinde zu finden! sagte der Jüngling sich zum Gegengruße anmuthig verbeugend. Ich heiße Marco Antonio Franceschini, bin Maler, ein Schüler des berühmten Meisters Cignani in Bologna, und befinde mich nach einer ziemlich beschwerlichen Reise zum ersten Male in dieser Gegend, um zu versuchen, ob ich Cartons zu musivischen Arbeiten für den Rathssaal zu Genua zu liefern vermag . . .

Der Franzose zog seinen duftenden Lederhandschuh aus und reichte dem Künstler die Rechte.

– Ich begrüße Euch, Herr Maler, und versichere Euch meiner aufrichtigen Hochachtung. Ich bin der Chevalier La Touche, Colonel im ersten Regiment der Fußgarden des Königs von Frankreich, komme von Torino und werde versuchen, vom ersten besten Flecke dieser Küste aus nach irgend einem französischen Hafen zu reisen, und solltet Ihr mir bei diesem Versuche bis Genua Gesellschaft leisten und vorkommenden Falls Euren tapfern Arm zu Diensten stellen wollen, so werden Euch zwei edle Herzen für Euren Freundschaftsdienst auf immer Dank wissen.

Antonio Franceschini war nichts weniger als feig und zaghaft, und sein Degen wußte schon von mehr als einem blutigen Rencontre zu erzählen.

– Ich bin der Eurige! sagte er daher und ritt dich neben La Touche, der sein ermüdetes Pferd in einem faulen Trabe zu erhalten sich bemühte.

Die Kutsche ward, ungeachtet sie mit vier starken Mauleseln bespannt war, bald eingeholt. Ein blendend weißer Arm schlug die grünen Vorhänge inwendig von den Fenstern zurück und ein hinreißend schönes Frauenantlitz schaute mit einem angstvollen Blicke auf die beiden zur Seite des Schlages trabenden Männer.

La Touche streckte, dem Maler einen vielsagenden Blick zuwerfend, die Hand grüßend nach der reizenden Dame aus. Er schien fragen zu wollen:

– Ist hier selbst für einen Fremden nicht genug Ursache, um zu fechten und nötigenfalls zu sterben?

Franceschini war fast erschrocken über den hohen Stand der augenscheinlich flüchtigen Dame, auf welchen ihre beiden reich gekleideten Dienerinnen und ein in der Hinterchaise ziemlich angstvoll sitzender rabenschwarzer Negerknabe schließen ließen.

La Touche sah den Künstler bedeutungsvoll an; dann sagte er nach längerem Schweigen:

– Eine Frage schwebt auf Euren Lippen: wer ist diese Dame? Ich sage Euch, Freund, sie ist heute nichts als ein liebendes Mädchen, als die Geliebte desjenigen, der neben Euch reitet. Und zur Rettung eines Liebespaares möchtet Ihr, ein Künstler, der Herzensempfindungen versteht, noch wohl besser beitragen können, als dadurch, daß Ihr uns einfach Gesellschaft leistet. Wollt Ihr für jene Kutsche sammt den vermaledeiten, lahmgewordenen Maulthieren, so wie sie da sind, Euer feuriges, kräftiges Pferd mir abtreten? Uns ist ein Pferd wahrhaft mehr als ein Königreich, es ist unser Leben werth . . . . . Meine Dame fürchtet den Sattel nicht, und sind wir Beide beritten, so können wir unbemerkt fortkommen, statt jetzt gleich dem Großmogul zu reisen.

Franceschini war leicht exaltirt. Er stieg sofort vom Pferde und schwor, er werde für die Dame nicht allein bis nach Genua, sondern bis an’s Ende der Welt zu Fuß gehen. Die [187] Dame stieg aus und La Touche bemühte sich, den Maler zu überreden, in der Kutsche Platz zu nehmen.

Mitten in dieser Unterredung stieß La Touche einen furchtbaren Soldatenfluch aus und rief:

– Flieh, Maddalena! Wirf Dich auf diesen Fuchs; wir werden mit diesen Canaillen fertig werden oder dabei umkommen . . .

Maddalena aber floh nicht; sie suchte vielmehr den Geliebten mit ihrem zarten Körper zu decken. Die Verfolger, diesmal die wahren Verfolger, kamen heran, drei Männer auf vortrefflichen Pferden; voran ein bejahrter Herr in fürstlicher Kleidung und mit Brillant-Schnallen am Hute.

– Kamerad! rief La Touche, indeß er sich hinter sein Roß stellte und Maddalena fester in seinen linken Arm schloß; Kamerad, der Franzose hat hier keinen Pardon zu erwarten . . . Gereut Dich Dein Wort, so tritt zur Seite . . . Hier wird Nichts geschont . . .

La Touche feuerte trotz des Kreischens der Dame und der vorderste, alte Cavalier sank taumelnd zur Erde.

– Mein Vater! seufzte die Italienerin und schwankte ohnmächtig auf den Gefallenen zu.

– Hunde! rief ein kraftvoller Mann, sein Pistol auf Franceschini abbrennend und dann mit hochgeschwungenem Degen auf ihn, der ihm am nächsten stand, eindringend. Mörder des Prinzen von Carignan, Ihr werdet Eurem Geschicke nicht entgehen!

Franceschini sparte seine Pistolenschüsse, parirte den Hieb und dankte dafür mit einer ächten bologneser Innerquart, die dem Reiter durch Rippen und Rücken fuhr. Während dieses Engagements war La Touche, jetzt zunächst von Kampfeslust hingerissen, vorwärts gesprungen, um den Dritten zu entwaffnen. Kühn faßte er den Ziegel des Pferdes und rief:

– Florina, Du warst nie mein Freund, ergieb Dich und wir werden sehen, wie unsere Sachen stehen . . .

Florina aber, kaum zwanzig Jahre, ergab sich nicht, antwortete auch nicht, als durch einen Pistolenschuß. La Touche ließ die Arme sinken, stand aber unerschüttert; dann faßte er seinen Feind und warf ihn vom Pferde.

– Ich bin ein verlorner Mann! schrie er mit lauter Stimme. Aber Du, Freund, stirbst wenigstens mit mir.

Der Stiletstoß, welcher den Piemontesen stumm machte, war La Touche’s letzte Kraft. Er streckte sich als Sieger über seinen Feind aus, in demselben Augenblicke: Maddalena! murmelnd, als diese selbst sich über ihn warf, als könnte sie durch die Gewalt ihrer Liebe sein fliehendes Leben aufhalten.

In kaum einer Minute hatte der Tod eine reiche Ernte gehalten, obgleich Amadeus, Prinz von Carignan, nicht gestorben war. Er nahm die Hülfeleistung Franceschini’s dankbar an, wies aber seine Tochter Maddalena finster von sich.

– Lebt dieser fränkische Abenteurer? fragte er, nachdem er sich mit Mühe erhoben hatte und mit Franceschini’s Hülfe auf die Kutsche zu schwankte, mit matter Stimme.

– Todt! erwiderte der Maler eintönig.

– Die Heiligen seien gepriesen! Das wenigstens ist ein Atom der Rache, die centnerschwer [188] meine Brust bedrückt. Und Du? Ungehorsame, maßlos Elende, verblendetes Geschöpf ohne Gefühl und Ehre, Du? Ich kenne Dich nicht . . . Ich weiß nicht, ob ich in nächster Minute sterben werde, aber den schwersten Fluch, den ich Dir auferlege, kann ich auch in dieser Minute vor Gottes Richterstuhle verantworten.

Franceschini ließ den Kutscher bei den Todten zurück, ließ die beiden Dienerinnen zu Fuße gehen und hob die ohnmächtige Maddalena auf den Kutschersitz, indeß er selbst eines der Maulthiere bestieg. So fuhr er langsam bis Mitternacht, wo er, an einer einsamen Herberge anderthalb Stunden von Genua angekommen, den Prinzen von Carignan abladen und auf ein sorgfältig bereitetes Lager betten konnte.

Der Prinz war edel genug, den Maler als seinen treuen Diener zu bezeichnen und ihm den Auftrag zu geben, von der Stadt einen Arzt herbeizuholen. Maddalena, fast geistesabwesend, ward in einem festen Kämmerlein verschlossen.

Kaum aber war Franceschini zehn Minuten unterweges, da hörte er lautes Rufen hinter sich. Maddalena mit ihrer Lieblingsdienerin und dem afrikanischen Knaben eilten trotz des schlechten Weges nach und standen jetzt athemlos neben seinem Pferde.

– Um der ewigen Barmherzigkeit willen, sagte die Prinzessin, rettet mich! Rettet mich vor meinem Vater, noch mehr, rettet mich vor mir selbst. Geleitet mich nach Genua, geleitet mich zum Kloster Unserer lieben Frau der Hülfe, damit ich ruhig sterben kann.

Franceschini gehorchte; er fand einen Arzt auf und brachte seine Schützlinge zum Kloster. Hier erst konnte er sich mit sich selbst beschäftigen. Jene Pistolenkugel hatte zwar nur sehr sanft gefaßt, dennoch war seine Streifwunde an der Brust nicht gering. Als die Klosterfrauen den vornehmen Flüchtling voll Mitleid empfangen hatten, war es ihm dunkel vor den Augen und er sank in demselben Augenblicke bewußtlos vor Maddalena auf das Pflaster des Klosterhofes, als er von ihr ewigen Abschied nehmen wollte.

Als der Maler wieder erwachte, fand er sich auf den harten Lager einer kleinen Nonnenzelle ausgestreckt und zwei fromme Schwestern saßen neben ihm. Er besann sich rasch, was geschehen war, und sein Entschluß war bald gefaßt. Es däuchte dem Künstler hier in Genua nicht geheuer . . . . . Ihn kannte Niemand . . . . . Niemand noch hatte ihn außer den Nonnen gesehen . . . Es galt schleunigste Entfernung von diesem gefährlichen Boden.

Bevor er aber ging, wollte er die unglückliche, durch verbotene Liebe unglücklich gewordene Prinzessin von Carignan noch einmal sehen. Seine Bitten bei der Aebtissin drangen endlich durch, man öffnete ihm die Zelle der neuen Magdalena. Ohnmächtig werdend befand sich Maddalena in den Armen ihrer Dienerin, indeß eine Novizin und eine Klosterschwester sich um sie bemühten, um ihr Muth einzusprechen und sie auf ihr Lager zu bringen. Zu Boden geschleudert war ihr reicher Schmuck, den der kleine Neger kaum aufzuheben wagte. Maddalena selbst war halb entkleidet und ihre ermattende Hand hielt noch die Geißel, mit welcher sie die grausamen Bußzüchtigungen an sich vollzogen hatte, welchen ihr zarter Körper, ohnehin von Seelenqual verzehrt, in kaum fünf Monaten unterlag . . .

Franceschini ging zur See von Genua ab und kam wieder auf das sichere Gebiet der Santa Chiesa. Das Bild der Maddalena aber verließ ihn nie mehr, und begeistert von jenem [189] Angedenken schuf er eins seiner ausgezeichnetsten Oelgemälde, das die glänzenden Vorzüge Cignani’s und Guido Reni’s in sich zu vereinigen scheint.