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Die letzten Tage Friedrich’s des Großen

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Textdaten
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Autor: Schmidt-Weißenfels
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Titel: Die letzten Tage Friedrich’s des Großen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 576–579
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die letzten Tage Friedrich’s des Großen .

Von Schmidt-Weißenfels.0 Mit Illustrationen von Adolf Menzel.

Friedrich der Große und der Minister Herzberg.

Der Kriegslärm, welcher die Regierungszeit Friedrich’s des Großen erfüllte, war endlich verstummt, Preußens Genius aus hundert blutigen Schlachten siegreich hervorgegangen, und der große König durfte sich am Abend seines Lebens den Werken des Friedens widmen, mit gleicher Ausdauer, mit welcher er einst den Feind verfolgte, auch für das Wohl des Volkes sorgen. – Er war bereits in das siebzigste Lebensjahr geschritten, und seine gebückte Gestalt verrieth deutlich die Folgen früherer Anstrengungen und Spuren des Alters. Aber sein Geist war ungebrochen, und trotz immer wiederkehrender Krankheitsfälle besorgte der König mit unermüdlicher Pflichttreue die Staatsgeschäfte, unternahm Reisen in die Provinzen seines Reiches und hielt nach wie vor militärische Revuen ab, damit die Kriegstüchtigkeit seines vielbewährten Heeres durch eiserne Zucht aufrecht erhalten würde. Noch im Spätsommer des Jahres 1785 saß er in Breslau vor seinen Truppen sechs Stunden lang zu Pferde, obwohl ein kalter und heftiger Regen niederströmte. Aber solchen Mühen und Anstrengungen schien der Körper nicht mehr gewachsen zu sein.

Unter großen Beschwerden hatte der König den kommenden Winter zugebracht. In seinem Zimmer saß er als ein gebrochener Mann unter Schmerzen durch die Gicht und Wassersucht, durch Kolik und Bluthusten, von Morgens bis Abends vornübergebeugt auf seinem Sessel. Bald verließ er diesen, auch Nachts nicht mehr, weil er es im Bett nicht aushalten konnte. Mit dem Eintritt der wärmeren Jahreszeit sehnte er sich nach dem erquickenden Strahl der Sonne und ließ sich auf die grüne Treppe vor dem Potsdamer Schlosse hinaustragen und ruhte dort stundenlang. Zuweilen freilich schnellte ihn seine Willenskraft und die ungeschwächte geistige Rührigkeit auch jetzt noch in die Höhe; er wollte gehen, und dann mußte ihn einer seiner Kammerhusaren aus dem Sessel in die Höhe heben und unter dem Arm angefaßt führen. Mit seinen stark geschwollenen Beinen ging es so meist nur Schritt um Schritt vorwärts, und er kam dabei ganz außer Athem. Oder er wollte gar reiten; man mußte ihn auf sein Pferd heben, und er konnte dann selbst im Galopp noch seinen Ritt durch die Anlagen von Sanssouci und Potsdam machen.

Friedrich der Große auf der „grünen Treppe“ des Potsdamer Schlosses.

In den letzten Monaten seines vierundsiebzigjährigen Lebens kam er im wahren Sinne, wie sonst auf seinen Feldzügen, nicht mehr aus den Kleidern und den Stiefeln heraus. Immer bot er derartig das Bild, wie es die Welt von ihm kennt: den dreieckigen Hut auf dem Kopf, die schlaffen, weiten Stiefel an den Beinen, eine alte Uniform, oder zu Hause einen hellblauen Atlasrock auf dem Leibe, den Krückstock in der Hand. Nachlässig der ganze Anzug, der Hut mit alten weißen Federn abgetragen, die Stiefel ungewichst, der Rock vorn von spanischem Tabak, den er in zwei Dosen bei sich führte, gelb und braun gefärbt. Das Gesicht war mager, faltig und schon von weißgelber Blässe; die welken Hände zitterten; an der linken derselben blitzten zwei sehr große Diamanten, an der rechten ein Ring mit großem schlesischen Chrysopras. Die Stimme war leise und rauh; aber er konnte sie bis zuletzt zu dem hellen gebieterischen Ton heben, welcher Jeden, der ihn vernahm, in Ehrfurcht setzte, ebenso wie seine Augen noch immer wunderbar groß, klar und umfassend in die Welt hinausschauten und ihr gütiger oder strenger Blick niemals die zauberhafte Wirkung auf Jeden verlor, den er traf. Der Geist Friedrich’s, einer der begnadetsten im Menschengeschlecht, lebte in dem so hinfällig werdenden Körper noch in der alten Gesundheit und arbeitete fort und fort. Die strenge Ordnung, die sich der König für seine Pflichten und Geschäfte vorgeschrieben, die er sich für seine Mußestunden angewöhnt, wurde unter dieser geistigen Thatkraft kaum von der Krankheit beeinträchtigt. Tag um Tag liefen die Berichte der Behörden an ihn ein, Eingaben, Bittschriften und Privatbriefe, und pünktlich fanden sie in der frühesten Morgenzeit ihre Erledigung. Die zitternde Hand schrieb dann auch dutzendweise den großen Namen, der einem Regierungsakt Gültigkeit verlieh, manchen jener liebenswürdigen französischen Briefe an befreundete Fürsten, Gelehrte und Kriegskameraden, wie sie die herausgegebene Korrespondenz des Königs aufweist, und immer auch noch jene „Resolutionen“, die so mannigfaltig den König als obersten Richter und den Selbstherrscher charakterisiren, der gerecht und klug, gütig oder strafend seine Entscheidung zu fällen

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Erinnerungsblatt an Friedrich den Großen.
Originalzeichnung von R. Warthmüller.

[578] suchte. Ein General z. B. erbittet Geld gegen leidliche Zinsen zur Aufbesserung seines Gutes. – „Ich bin kein Banquier,“ weist ihn der König ab. Ein Graf beschwert sich über einen Ausspruch der Justiz und will im Besitz der Lehnsgüter erhalten bleiben. – „Er kann keine Gewaltthätigkeit von mir fordern; meine Schuldigkeit ist, die Gesetze zu unterstützen, aber nicht, sie umzuwerfen.“ Ein Geheimrath schlägt vor, die Staatseinkünfte durch Gehaltsabzüge bei den Unterbeamten zu vermehren. Friedrich antwortet darauf (4. Juni 1786), daß die armen Leute jener Klasse ohnehin schon so kümmerlich leben müssen, da die Lebensmittel und Alles jetzt so theuer sei, und sie eher eine Verbesserung als Abzug haben müssen. „Indessen will ich doch Seinen Plan und die darin liegende gute Gesinnung annehmen, und Seinen Vorschlag an Ihm selbst zur Ausführung bringen und Ihm jährlich 1000 Thaler mit dem Vorbehalte an dem Tractamente abziehen, daß Er sich übers Jahr wieder melden und Mir berichten kann, ob dieser Etat Seinen eigenen häuslichen Einrichtungen vortheilhaft oder schädlich sei. Im ersten Fall will ich Ihn von seinem so großen als unverdienten Gehalte von 4000 Thaler auf die Hälfte heruntersetzen und bei seiner Beruhigung seine ökonomische Gesinnungen loben.“

Friedrich’s des Großen Tod.

Um sechs Uhr früh war der König oft schon mit diesen Geschäften fertig, und dann ließ er Graf Lucchesini rufen, damit er ihm vorlese, wobei auch über litterarische und philosophische Dinge geplaudert wurde. Es meldeten sich darauf die Minister, Generale oder die Besuche vornehmer Fremder[1]. Mit jenen verhandelte der König amtsmäßig, mit diesen als geistreicher Mann, der immer mit scharfen Urtheilen kurz und bestimmt die Unterhaltung würzte. Allemal mit einem Lüften seines Hutes, der nicht mehr von seinem Haupte kam, gab er das Zeichen zur Entlassung. Nach Tische ward er mehr und mehr in diesen Leidenstagen des Schlummers bedürftig; aber derselbe war meist unruhig, leise und von gichtischem Zucken gestört. Dann wieder befohlene Besuche, Vorträge, Briefschreiben, Abends eine kleine Gesellschaft seiner Günstlinge und Hausbeamten, endlich wieder Vorlesen oder eigenes Lesen. Qninctilian, den großen römischen Rhetor, wählte Friedrich mit Vorliebe noch in der letzten Zeit, auch den alten Liebling Voltaire. Meist las er laut, zumal Poetisches. Und dann schlummerte er wieder, geschwächt von der Anstrengung, der er doch nicht mehr gewachsen war. Die Tafelfreuden, wenn man von solchen in Beziehung zu einem so schwer kranken Greis reden kann, nahmen ihn viel mehr in Anspruch, als man denken sollte. Friedrich aß bis zuletzt nicht nur gern und viel, sondern auch leidenschaftlich übermäßig gewürzte und siedend heiße Speisen. Die schwerst verdaulichen, wie Erbsen und Pasteten, waren ihm die liebsten. Jeden Morgen mußte ihm sein Koch die Speisekarte für den Tag vorlegen, dann strich er darin, was ihm mißfiel, und setzte hinzu, was er wünschte. Wiewohl er immer mehr Beschwerden von diesem Essen hatte, so fand der sonst so philosophische Mann niemals die Selbstüberwindung, sich auf den Genuß leicht verdaulicher Gerichte zu beschränken. Wenn ihm die Aerzte deßwegen Vorstellungen zu machen wagten, nahm er es sehr übel und schickte sie ungnädig fort, „zum Teufel“, wie er gern sagte. Ebenso wollte er nicht hören, daß er die Wassersucht habe; er bestritt dies sogar heftig, und erst als seine Beine ungeheuerlich aufschwollen, widersprach seine Eigensinnigkeit nicht mehr den Thatsachen.

Da wurde er denn immer mürrischer und dachte oft an sein Ende, indem er Worte ausstieß, wie: „Ach, sprechen Sie mir nichts mehr von Hoffnung!“ Er wollte auch nur ohne Schmerzen sterben, glaubte aber trübsinnig nicht mehr daran, daß er noch Erleichterung seiner körperlichen Leiden finden werde. Er fühlte sich einsam und freudlos. Der alten Freunde, die schon der Tod geholt, gedachte er oft. „Ja, ja, man lebt nur, um sterben zu sehen!“ pflegte er dann zu sagen. Solche und andere Reden entfuhren ihm in dieser gedrückten Stimmung. Wenn er noch, wie sonst, hätte die Flöte spielen können! Aber mit diesen zitternden Händen! Nun, der Tod sollte ihn denn doch noch in der Arbeit finden; er führte das „Im-Stehen-Sterben“ Vespasian’s gern im Munde. Am 15. August ordnete der König noch die Ausführung eines Manövers der Potsdamer Garnison für den nächsten Tag an, diktirte Depeschen und unterzeichnete die im Kabinett gefertigten Schreiben. Am 16. Morgens war er bewußtlos, erholte sich dann und ließ den General von Rohdich zwischen sieben und acht Uhr wegen der Parole eintreten. Aber er konnte nicht mehr sprechen. „Es geht zu Ende!“ flog jetzt die Botschaft aus Sanssouci nach Potsdam an den Thronfolger, Prinzen Friedrich Wilhelm, an den Minister von Herzberg, an den abgedankten Leibarzt Selle. Die beiden Letzteren eilten in der Nacht zum sterbenden König. Er schlummerte sanft, nur manchmal vernahm man aus seinem eingefallenen Munde halbverständliche Phantasien. Wohin richteten sie noch ihren letzten Flug? Sechsundvierzig Jahre König, und welch ein Reich hatte er sich in dieser Zeit geschaffen, welche Stellung ohne Gleichen in der Welt! Zog seine letzte Geisteskraft noch einmal die große „Summe seines Lebens“?

[579] Als es elf Uhr schlug, fragte Friedrich mit vernehmlicher Stimme, wie spät es sei? Man sagte es ihm, und er erwiderte darauf: „Um vier Uhr will ich aufstehen.“ Er wollte weiter sprechen, aber ein trockener Husten beklemmte seinen Athem. Da kniete einer der anwesenden Diener, der Kammerlakai Strützky, nieder, faßte den König unter den Arm und hielt ihn aufrecht, um ihm Erleichterung zu verschaffen.

Es tönte das Mitternachtsglockenspiel von der Potsdamer Garnisonkirche herüber. „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren.“ Friedrich’s Auge öffnete sich noch einmal, und das wunderbare Himmelsfeuer des Genius leuchtete noch darin. Sein Blick haftete auf dem Bruststück des Marc Aurel aus weißem Marmor und vielfarbigem Achat, das neben ihm auf dem Kamin stand; das Auge schweifte noch hinüber nach dem Bilde Josef’s II. vor ihm im offenen Vorzimmer. Dann senkten sich die müden Lider des Königs, sein Röcheln nahm zu. Um zwei Uhr zwanzig Minuten Morgens am 17. August neigte sich sein Haupt zum ewigen Schlummer; er starb in den Armen Strützky’s. Niemand war noch da, als die Kammerhusaren Schöning und Neumann, Minister von Herzberg, General Graf von Görtz und Dr. Selle. Eine Stunde später kam Friedrich Wilhelm II., der neue König von Preußen. Während dieses Tages lag der Leichnam Friedrich’s in der Uniform des ersten Gardebataillons auf einer schwarzbehängten Feldbettstelle. Erst Abends um acht Uhr setzte sich der achtspännige Leichenwagen nach Potsdam in Bewegung. Schluchzen und Seufzer der herbeigeströmten Veteranen und Klagen des Volkes drangen durch die stille Nacht.

Friedrich der Große selbst hatte die Terrassengruft von Sanssouci zu seiner letzten Ruhestätte bestimmt, aber den Ueberlebenden schien sie eines so großen Mannes nicht würdig zu sein, und so wurden seine sterblichen Ueberreste am 8. September unter der Kanzel in der Garnisonkirche zu Potsdam neben der Gruft Friedrich Wilhelm’s I. beigesetzt. Gleich nach dem Tode des Königs erließ der Minister eine Todesanzeige in den Zeitungen, deren folgende Schlußworte noch heute, nach hundert Jahren, im deutschen Volke einen ergreifenden Widerklang wecken: „Wenn die allergerechteste Bewunderung reden will, so macht der allergerechteste Schmerz verstummen. Sein Volk betete Ihn an, Europa suchte Ihn nachzuahmen, die Welt bewunderte Ihn, und die Nachwelt wird erstaunt die Geschichte Seiner Thaten kaum glaublich finden. Wenige Könige waren so groß wie Er, noch wenigere so gut wie Er; kaum Einer so groß und gut zugleich wie Er! Wer Gefühl für Geistesgröße und für Thätigkeit zur Beförderung für Menschenglück hat, wird Seinen Namen nie anders als segnend aussprechen.“

Friedrich’s des Großen Gruft in der Garnisonkirche zu Potsdam.



  1. Die Anfangsvignette unseres Artikels stellt eine dieser Audienzen dar. Der Minister Herzberg, der vor dem König steht, ist nach einem Portrait aus der damaligen Zeit gezeichnet. Die Vignetten zu diesem Artikel sind dem Werke „Geschichte Friedrich’s des Großen. Geschrieben von Franz Kugler. Mit 400 Illustrationen von Adolf Menzel“ entnommen.