Die neue Gedächtnishalle für die Königin Luise im Schloßgarten von Neustrelitz
[484] Die neue Gedächtnishalle für die Königin Luise im Schloßgarten von Neustrelitz. (Zu dem nebenstehenden Bilde und dem auf S. 469.) Daß die edle Königin Luise von Preußen, die Mutter des späteren Kaisers Wilhelm I., am 19. Juli 1810 im Schloß zu Hohenzieritz bei Neustrelitz verschieden ist, und daß im Auftrage ihres trauernden Gatten, des Königs Friedrich Wilhelm III., der Bildhauer Christian Daniel Rauch eine herrliche liegende Statue der Königin für deren letzte Ruhestätte in Charlottenburg angefertigt hat, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Rauch selbst fand sich durch sein vielgepriesenes Werk aber nicht ganz befriedigt, er meinte, es entspreche noch nicht ganz dem künstlerischen Ideal, das ihm von seiner edlen Wohlthäterin vorschwebte. Er ging deshalb nach Rom und fertigte dort in aller Stille ein zweites, wohl noch vollkommneres Werk an. König Friedrich Wilhelm III. kaufte es und ließ es in der Nähe des Neuen Palais bei Potsdam in einer Sammlung von Kunstgegenständen aufstellen, wo es sich noch heute ziemlich verborgen befindet. Von diesem Original giebt es überhaupt nur zwei Gipsabgüsse, deren einer sich in der Sammlung der Abgüsse Rauchscher Werke befindet; der andre, von Rauch dem Großherzog Georg von Mecklenburg-Strelitz geschenkt, ward in einem Gartenhäuschen im Schloßgarten zu Neustrelitz einstweilig aufgestellt und hat jetzt seinen Platz im Sterbezimmer der Königin Luise in Hohenzieritz, wohl für immer, gefunden.
Der jetzt regierende Großherzog Friedrich Wilhelm, der Neffe der Königin Luise, faßte aber vor einigen Jahren den Entschluß, dies herrliche Kunstwerk Rauchs in Marmor nachbilden und in einem in griechischem Stil zu erbauenden Mausoleum aufstellen zu lassen. Mit der Ausführung der Arbeit ward der inzwischen verstorbene, zeitweise in Rom weilende Professor Albert Wolff, ein Schüler des Meisters Rauch und Neustrelitzer von Geburt, betraut. Der Bau der Gedächtnishalle ward dem Hofbauamt, bezw. dem Hofmarschall Grafen Schwerin und dem Baurat Müschen in Neustrelitz, übertragen, das ihn nach einem vom Großherzog selbst festgestellten Plan in edelstem Stile unter Zuziehung des Baumeisters Sehring in Charlottenburg ausgeführt hat. Die Gedächtnishalle für die Königin hat die Gestalt eines griechischen Tempels; sie ist aus schwedischem Granit und schlesischem Sandstein erbaut und hat auf einer vom Großherzog dazu erwählten, vor vielen Jahren künstlich aufgetragenen Höhe im Neustrelitzer Schloßgarten ihren Platz erhalten. Vier Stufen führen zu den vier Säulen hinan, die das Dach tragen und durch die man an eine eiserne Gitterthür mit Glasscheiben gelangt, die einen Blick in das Innere gewähren. Zunächst fällt der Blick auf das herrliche Monument der Königin, das dem im Charlottenburger Mausoleum völlig ebenbürtig ist, von manchen Kunstverständigen ersterem sogar vorgezogen wird. An der Wand, zu Häupten der hehren Frau, befindet sich eine Marmortafel, auf der in goldnen Buchstaben geschrieben steht:
Edle Frau aus edlem Stamme,
Ruhe sanft in ewgem Frieden
Nach des Lebens wilden Stürmen.
Die Wände im Innern der Gedächtnishalle sind mit gelbem italienischen Marmor (Giallo di Siena) bekleidet, der Fußboden ist mit schwarzem Granit und gelbem und grauem Marmor belegt. Das Ganze gewährt einen wohlthuenden, äußerst würdigen Anblick. Allsonntäglich, mittags von 1 bis 3 Uhr, ist das Mausoleum dem Publikum geöffnet. P–n.