Die vier Temperamente
[39] Die vier Temperamente. (Mit Abbildung S. 37.) So verschiedenartig auch die körperlichen und geistigen Eigenschaften der einzelnen Menschen erscheinen mögen, sie lassen sich doch in einige Gruppen eintheilen, welche durch eine Zahl besonderer Kennzeichen ein für sich abgeschlossenes Ganzes bilden. Schon seit uralten Zeiten versuchte man derartige Formen der menschlichen Charaktere näher zu bestimmen, und auf diese Weise entstand die Lehre von den Temperamenten. Der berühmte griechische Arzt Hippokrates theilte dieselben in vier Hauptordnungen ein, indem er das Vorhandensein des sanguinischen, cholerischen, melancholischen und phlegmatischen Temperamentes annahm. Dem Geiste der damaligen Naturkenntniß entsprechend, sollten diese vier Temperamente in dem seelischen Leben des Menschen ähnliche Grundformen darstellen, wie sie in der leblosen Natur durch die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer vertreten waren. Wir wissen heute, daß die Zahl der Elemente viel größer ist, als die Alten dachten, und selbst eine flüchtige Beobachtung der menschlichen Charaktere reicht hin, um den Glauben an die Richtigkeit der Viertheilung derselben zu erschüttern. So kam es auch, daß die Nachfolger Hippokrates’ neue Temperamente aufstellten und die Zahl derselben bedeutend erweiterten. Trotzdem blieb die alte Lehre bestehen, und heute noch spricht man im Allgemeinen von dem Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker und Phlegmatiker.
Begegnen wir einem Menschen, der sich durch schlanken, zarten Körperbau auszeichnet, der eine leicht erröthende weiche Haut besitzt und dessen Nervensystem besonders erregbar ist, so nennen wir ihn einen Sanguiniker. Wir wissen, daß er bei der leisesten Einwirkung aufzubrausen pflegt, und daß diese plötzlich entstandene Erregung bei ihm ebenso rasch verschwindet. Es ist uns bekannt, daß ein solcher Charakter für Freude und Lust stets offenes Herz hat, daß er aber selbst geringfügige Widerwärtigkeiten des Lebens sehr tragisch aufnimmt und leicht [40] in Verzweiflung gerathen kann. Sanguinisch ist in der Regel das Temperament des Jugendalters.
Es giebt auch Menschen, welche ebenso leicht wie die Sanguiniker in Erregung gerathen, bei denen aber die Erregung nicht so rasch vergeht, sondern andauert, bis der einmal gefaßte Vorsatz ausgeführt ist. Man nennt sie Choleriker. Solche Naturen entschließen sich schnell und handeln energisch. Großen Staatsmännern hat man oft ein cholerisches Temperament beigelegt. Die äußere Erscheinung der Choleriker zeichnet sich in der Regel durch kräftig entwickelte Musculatur aus, und körperlich schwache Menschen mit cholerischem Temperament gehören zu selteneren Ausnahmen.
Wer kennt nicht ferner eine andere Art Menschen, welche von des Lebens Freuden nur wenig angezogen werden und fast mit Vorliebe düsteren Gedanken nachhängen, Menschen, die mit der Welt und sich selbst in Zwiespalt leben, muthlos und ängstlich den Kampf aufnehmen, zu dem uns Alle das Leben herausfordert. Sie gehören in die große Classe der Melancholiker, die, ebenfalls leicht erregbar, nicht der Freude, wie die Sauguiniker, und nicht der That, wie die Choleriker, sondern der Unlust und der Grübelei sich zuwenden. An der hageren Gestalt und der blassen Gesichtsfarbe pflegt man sie äußerlich zu erkennen.
Und schließlich müssen noch jene ruhigen, kaltblütigen Menschen an die Reihe, die man in das vierte Temperament, das phlegmatische, unterzubringen pflegt. Die Eindrücke der Welt rufen in ihnen keine stürmische Erregung hervor; gemessen ertragen sie Freud und Leid, im Sturme der Erscheinungen verlieren sie nicht die innere Ruhe des Geistes, und ohne zu jauchzen und ohne zu klagen, wissen sie ruhig über das Geschehene nachzudenken. Was der Sanguiniker im Sturm erringt, was der Choleriker durch die Energie erkämpft, das erzielt der Phlegmatiker durch langsames, aber wohlüberlegtes und zielbewußtes Handeln.
Diese vier charakteristischen Typen des menschlichen Charakters hat der Maler unserer heutigen Abbildung vereint wiedergegeben. Im entscheidenden Wendepunkt des Spieles, hei dem sie sich zusammengefunden, verrathen die vier Personen deutlich ihre Natur und es wird dem Leser leicht sein, mit Zuhülfenahme des Obengesagten, das Temperament jedes einzelnen Spielers zu erkennen. Wie lebenslustig und vergnügt deckt der Sanguiniker seine Karten auf, als ob er sagen wollte: „Ich habe das Spiel gewonnen!“; wie rasch folgt auf diese Wahrnehmung die durch die erhobene Rechte angedeutete That bei dem nicht minder leicht erregbaren Choleriker, wie ruhig aber geht diese stürmische Scene an dem phlegmatischen Herrn mit der Schürze vorüber, dem der Gewinn seines Gegenüber, der hoffentlich auch sein Gewinn ist, nur ein flüchtiges Lächeln entlockt, und wie tragisch endlich nimmt das melancholische, mit der Schildmütze bedeckte Haupt des vierten Partners den Verlust auf. Da haben wir sie, wie sie im Buche stehen – die vier Temperamente!