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Die zwei Brüder (Wilhelm Busch)

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Textdaten
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Autor: Wilhelm Busch
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Titel: Die zwei Brüder
Untertitel:
aus: Ut ôler Welt. Volksmärchen, Sagen, Volkslieder und Reime. S. 69-74
Herausgeber: Otto Nöldeke
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Lothar Joachim
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Erscheinungsort: München
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[69]
28. Die zwei Brüder.

Es war einmal ein Bauer, der wurde so arm, daß er nur ein einziges Pferd behielt. Da nahm er einen Fischteich in Pacht, daß er sich von der Fischerei ernähren möchte. In dem Teiche hatte er schon mehrmals einen mächtig großen Fisch bemerkt, der ging niemals in das Netz hinein, aber der Mann hatte nicht eher Ruhe noch Rast, bis er den Fisch doch endlich gefangen hatte. Da er ihn nun ans Land legte, that der Fisch sein Maul auf und sprach: »Du hast mich nun in deiner Gewalt, Fischer, und ich merken wohl, daß ich nicht wieder fortkomme; darum befolge meinen Rath und nimm wenn du mich geschlachtet hast, mein Herz, meine Leber, meine Galle und vier von meinen Floßfedern; das Herz gib deiner Frau zu essen, die Leber Deinem Pferde, die Galle dem Hunde und die Floßfedern vergrabe unter dem Tropfenfall. Wenn du das thust, so wird es dein Glück sein.« Da that der Mann, wie der Fisch ihm gesagt hatte.

Über eine Zeit, so gebar des Fischers Frau zwei Knaben, das Pferd warf zwei Füllen, der Hund zwei Junge, und als der Fischer unter dem Tropfenfalle nach den Floßfedern sah, so waren daraus zwei Schwerter und zwei Pistolen geworden. Die beiden Kinder, da sie größer wurden, hatten eine sonderliche Lust, mit den blanken Waffen zu spielen; das sah aber ihr Vater [70] gar nicht gern, nahm sie ihnen weg und versteckte sie oben im Hause unter den Hahnenbalken; die Kinder wußten sie aber doch wieder in ihre Hände zu bringen. Als sie sechzehn Jahre alt waren, sprach der, welcher zuerst geboren war, zu seinem Bruder: »Es läßt mir hier zu Hause keine Ruhe mehr; ich will jetzt fort in die Fremde und sehen, daß ich mein Glück mache.« Er nahm ein Pferd, einen Hund, ein Schwert und eine Pistole, verabschiedete sich bei Vater, Mutter und Bruder und ritt weg in die weite Welt hinein. Vorher stieß er aber noch ein Messer in einen Baum, daß sein Bruder daran erkennen könnte, ob es ihm gut ginge oder ob ihn ein Unglück widerfahren sei.

Er ritt eine lange Zeit; da kam er endlich an den königlichen Hof, da waren alle Geländer schwarz mit weißen Knöpfen darauf. In dem Wirthshause dem Schlosse gegenüber nahm er Herberge und fragte sogleich den Wirth, was denn das zu bedeuten hätte; die Gitter um das königliche Schloß wären ja alle ganz schwarz mit weißen Knöpfen. Sprach der Wirth: »Das kommt daher, weil die junge Prinzessin morgen dem Drachen geopfert werden muß.« »Warum wird der Drache denn nicht getödtet?« fragte er. »Ach Gott,« sprach der Wirth; »es haben schon viele versucht, denn der König hat dem seine Tochter versprochen, der den siebenköpfigen Drachen besiegen würde, aber sie sind alle ums Leben gekommen.« Da faßte er den Entschluß, das Wagestück zu unternehmen und ritt den andern Tag zur bestimmten Stunde den Drachenstein hinauf. Da saß die Prinzessin und war ganz schwarz angezogen und weinte und erwartete jeden Augenblick den greulichen Drachen, und indem, so kam das Ungeheuer auch schon heulend und mit Gebrause durch die Luft dahergeflogen und wollte die Prinzessin verschlingen. Aber der Junge ritt ihm muthig entgegen, schwang sein Schwert, und wie er den ersten Hieb that, so flogen drei Köpfe ab, mit dem zweiten Hiebe wieder drei und als er zum dritten Male sein Schwert schwang, lag der siebente und letzte Kopf des Drachen auf dem Boden. Da hatte er die Prinzessin erlöst; die dankte ihm und wollte ihn gleich mit zu ihrem Vater nehmen. Er wollte aber nicht, so viel sie auch bat, sondern sprach: »Erst muß ich noch weiter in die Welt hinein, bis über ein Jahr, da will ich wiederkommen, wenn ich dann noch am Leben bin.« Weil er sich nun gar nicht halten ließ, so schenkte ihm die Prinzessin zum Andenken ihr seidenes Tuch und dem Pferde und dem Hunde, die bei dem Kampfe treulich mitgeholfen hatten, gab sie von ihrem Korallenhalsbande jedem drei Schnüre um den Hals. Darauf schnitt der Junge den sieben Drachenköpfen die Zungen aus, wickelte sie in das seidene Tuch der Prinzessin, und nachdem er von ihr Abschied genommen hatte, ritt er wieder den Berg hinab in das Wirthshaus, zahlte seine Zeche und sprach zu dem Wirthe, wenn ein Jahr vergangen wäre, so käme er wieder zurück; damit zog er weiter fort.

Nun war da an dem königlichen Hofe ein alter General, der hatte aus der [71] Ferne alles mit angesehen, was sich auf dem Drachenstein zutrug, und da er sah, daß der, welcher den Drachen getödtet hatte, fort und die Prinzessin allein war, stieg er zu ihr hinauf und bedrohte sie mit heftigen Worten, daß sie schweigen oder auf der Stelle sterben müßte; und dann nahm er zum Wahrzeichen die sieben Drachenköpfe mit und ging mit der Prinzessin zu ihrem Vater dem Könige und gab sich für den aus, der den Drachen besiegt und die Prinzessin erlöst hätte. Die Prinzessin stellte aber die Bedingung, daß erst über ein Jahr die Hochzeit gefeiert werden sollte.

Der rechte Drachentödter war unterdeß weiter geritten und kam an ein fließendes Wasser, da hinüber führte eine Brücke, die war so beschaffen, daß sie wegfloß, wenn einer hinüber war. In demselben Augenblicke, da der Junge auf der andern Seite ankam, wurde die Brücke auch von dem Strome hinweggerissen. »Das ist noch einmal gut gegangen«, sprach er, »es war Zeit, daß ich hinüberkam.« Nicht lange war er geritten, so kam er an ein verwünschtes Schloß, da war kein Baum und kein Strauch und war alles still und öde. Bei dem Schlosse war aber ein großer Pferdestall mit vielen Pferden darin; denen kam der Hafer von selber in die Krippen; da brachte der Junge sein Pferd in den Stall und ging dann in das Schloß hinein.

In dem Schlosse waren zwei Junfern; die eine war weiß, die andere war schwarz; die weiße lag im Bett und war nicht lebendig und auch nicht todt und konnte kein Wort sprechen; die schwarze aber redete den Jungen an und sprach: »Du hast hier eine schwere Aufgabe zu vollbringen, wenn du uns und unser Schloß erlösen willst. Drei Nächte hintereinander mußt du wachen und darfst kein Auge zuthun; schläfst du aber ein, so ist hier noch eine alte Zigeunerin, die macht dich todt.« Darnach brachte sie ihn in ein schönes Zimmer, gab ihm gutes Essen und Trinken und ließ ihn allein. Bis drei Uhr in der Nacht hielt es der Junge aus und blieb wach, da wurde er aber auf einmal so müde, daß er fest einschlief. Da kam die alte Zigeunerin hereingeschlichen und trug ein großes Beil in der Hand, damit hackte sie den Jungen in vier Stücke, trug ihn in ein Faß und salzte ihn ein.

Um dieselbe Stunde stand der andere Bruder daheim bei dem Messer und sah, daß es auf einmal rostig wurde. »Nun ist mein Bruder in großer Noth,« sprach er; »aber ich lasse ihn nicht im Stich, es mag kommen wie es will.« Sogleich setzte er sich auf sein Pferd, nahm seinen Hund, sein Schwert und seine Pistole mit, verabschiedete sich bei Vater und Mutter und zog fort, seinen Bruder aufzusuchen.

Er kam auch in die Stadt und in dasselbe Wirthshaus, wo sein Bruder zuletzt eingekehrt war, und als ihn der Wirth kommen sah, meinte er, es wäre der andere und sprach: »Ihr kommt ja früh zurück; ich meinte, Ihr wolltet erst über ein Jahr wieder hier sein, und jetzt ist doch kaum ein halbes verflossen.« »Ach, Herr Wirth«, sagte der Junge; »Ihr haltet mich gewiß für [72] meinen Bruder; könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo er hingeritten ist?« Da zeigte ihm der Wirth den Weg, den sein Bruder geritten war. Er zog die Straße weiter fort und kam an das Wasser und die Brücke, und als er da hinüber ritt und eben auf der andern Seite war, floß sie hinweg. »Das ist noch einmal gut gegangen«, rief er; »es war Zeit, daß ich hinüberkam.« Als er nun immer weiterzog, fand er auch das Schloß, daraus kam ihm seines Bruders Hund entgegen gelaufen, und in dem Stalle, wo den Pferden der Hafer von selber in die Krippen fiel, stand seines Bruders Pferd. Da sah er wohl, daß hier oder nirgends sein Bruder zu finden sei, band sein Pferd in den Stall und ging in das Schloß hinein.

Es waren da auch wieder die beiden Junfern, eine weiße und eine schwarze; die weiße lag noch immer im Bette; sie lebte nicht und war nicht todt und konnte kein Wort sprechen. Die schwarze war aber schon etwas weiß geworden, weil der erste Bruder bis drei Uhr in der Nacht gewacht hatte, und als sie der andere fragte, ob sein Bruder nicht hier wäre, erzählte sie ihm, wie es dem ergangen sei, daß er eingeschlafen wäre und daß ihn die alte Zigeunerin ums Leben gebracht hätte. Da ruhte der Junge nicht eher, bis er das alte Weib fand, das sich versteckt hatte, und da mußte sie aus ihrem Schlupfwinkel heraus, und der Junge bedrohte sie und sprach: »Verdammte alte Hexe! gieb meinen Bruder heraus, oder ich haue dich in eine halbe Stiege Stücke!« Da wurde das Weib bange, lief schnell hin und machte den Bruder wieder lebendig. Als der andere sah, daß sein Bruder wieder am Leben war, schwang er sein Schwert und hackte der alten Hexe den Kopf ab.

»O weh!« sprach da die schwarze Junfer; »nun kann das Schloß nicht anders erlöst werden, als wenn ihr den sieben Nägeln, die dort hinter der Thür in der Wand sitzen, mit zwei Hieben die Köpfe abhaut.« Der zweite Bruder zog sein Schwert zuerst, und mit dem ersten Hiebe, den er that, flogen von fünf Nägeln die Köpfe ab und aus jedem Nagelkopfe floß ein Tropfen Blut. »So, Bruder; nun haue du die andern ab; du bist zwar eine gute Weile eingesalzen gewesen, aber ich denke, die beiden letzten Köpfe wirst du doch wohl herunterbringen.« Da nahm der erste Bruder, der solange im Salze gelegen, alle seine Kraft zusammen und hieb mit seinem Schwerte den beiden letzten Nägeln auch glücklich die Köpfe ab und aus jedem Nagelkopfe floß wieder ein Tropfen Blut.

In diesem selben Augenblicke hörte aber auch die Verwünschung auf. Trompeten erschallten, Bäume und Blumen wuchsen aus der Erde und wurde auf einmal ein Gewühl von Menschen, die da alle mit verwünscht gewesen waren. Da wurde auch die schwarze Prinzessin ganz weiß, und die weiße, die nicht lebendig und nicht todt war, erwachte nun aus ihrem Zauberschlafe und wurde wieder frisch und lebendig. Ihr gehörte das Schloß; und da heirathete sie den jüngsten Bruder und hielt Hochzeit mit ihm.

[73] Der älteste Bruder aber, als die Hochzeit zu Ende war, zog wieder von da fort nach der Stadt, wo die Prinzessin wohnte, die er von dem Drachen erlöst hatte und kehrte wieder in dem Wirthshause ein, das dem Schlosse gegenüber lag. Es war aber zu der Zeit gerade ein Jahr vergangen, seit er von hier fort war. Sprach der Wirth: »Das heiß ich pünktlich sein; heute vor einem Jahre sah es hier traurig aus, heute aber ist Hochzeit drüben auf des Königs Schlosse, denn die Prinzessin heirathet den alten General, der den Drachen getödtet hat. Ein Jahr hatte sie sich ausbedungen und das ist heute herum.« »Glaubt Ihr denn wohl, Herr Wirth«, sprach der Junge, »daß mir mein Hund von dem Braten holt, der vor der königlichen Prinzessin auf dem Tische steht?« »Das kann nicht sein«, meinte der Wirth und verwettete eine große Summe, daß das nicht möglich wäre. Da hing der Junge dem Hunde die drei Reihen Perlen um, die ihm die Prinzessin gegeben, steckte ihm hinten in das Nackenhaar einen Zettel, worauf er schrieb: »Ich wünsche Braten von der königlichen Tafel zu haben,« und schickte ihn hinüber in das Schloß. Obgleich ihn die Wache nicht durchlassen wollte und Halt! gebot, so kehrte sich der Hund doch nicht daran, sondern ging gerades Wegs in den Saal zu der Prinzessin, die mit dem ganzen Hofstaate bei Tafel saß und klopfte ihr mit der Pfote auf den Schooß. Da erkannte die Prinzessin den Hund an den drei Reihen Perlen, ging mit ihm in das Nebenzimmer und fand in seinem Nackenhaar den Zettel, worauf geschrieben stand: »Ich wünsche Braten von der königlichen Tafel zu haben.« Nachdem die Prinzessin dem Hunde einen Korb mit Braten ins Maul gegeben, ließ sie der Schloßwache sagen, sie sollte den Hund nur frei passiren lassen. Der kam mit dem Braten auch getreulich zu seinem Herrn, und der Wirth mußte die Wette bezahlen.

Die Prinzessin, welche nun wohl sah, daß ihr Befreier angekommen war, bat ihren Vater, den König, daß er den Herrn, dem der Hund gehörte, holen lassen sollte. Da gab der König ihren Bitten nach, und ließ ihn in einer Kutsche mit vier Schimmeln auf das Schloß holen. Er setzte sich ganz bescheiden zu unterst an die Tafel, darauf lagen zur Schau die sieben Köpfe des Drachen, und es wurde von den Gästen viel von der Tapferkeit des alten Generals hin und her gesprochen. Da stand der Junge ganz gelassen auf, sah den Drachenköpfen in den Schlund und fragte wie das wäre; ob die Drachen denn keine Zunge hätten? »Nein!« sprach schnell der alte General, »Drachen haben keine Zungen.« »Das haben sie doch!« sprach der Junge, »und wer den Drachen getödtet hat, der muß auch wissen, wo die Zungen geblieben sind.« Damit band er sein seidenes Tuch auf, nahm die sieben Drachenzungen heraus und zeigte sie den Gästen, und als er sie den Drachenköpfen in den Schlund hielt, so paßten sie ganz genau. Als der alte General das sah, wollte er flüchten, aber der König ließ ihn von der Wache festnehmen und sah nun wohl, wer der rechte Drachentödter gewesen war; darnach [74] so heirathete der Junge die königliche Prinzessin. Der treulose alte General wurde aber zur Strafe von vier Ochsen mitten auseinandergerissen.