Dienstzeugnisse (Tucholsky)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Kurt Tucholsky
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Dienstzeugnisse
Untertitel:
aus: Mit 5 PS Seite 243-246
Herausgeber:
Auflage: 10. – 14. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Ernst Rowohlt
Drucker: Herrosé & Ziemsen
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Aus dem Zyklus: PICKNICK
Erstdruck in: Weltbühne, 3. März 1925
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[243]
Dienstzeugnisse
Für die mit einem Sternchen versehenen
Zeugnisse: Übelnehmen gilt nicht!

*Herr Thomas Mann war bei mir achtunddreißig Jahre lang als Erster Buchhaltungskonzipist in Stellung. Ehrlich und fleißig, von stets gemessenem Auftreten und von sauberstem Äußeren, hat er die ihm aufgetragenen Arbeiten immer mit der größten Akkuratesse und der peinlichsten Korrektheit, wenn auch hier und da mit einem sonderbaren Anflug von Traurigkeit ausgeführt. Seinen einzigen Urlaub nahm er bei seiner Konfirmation; seitdem ist er ununterbrochen derselbe geblieben: arbeitsam, treu und pünktlich. Er verläßt unser Haus auf eignen Wunsch, um sich fortan ganz der Fischerei zu widmen, an die ihn viele Bände fesseln. Ich kann Herrn Thomas Mann, der sozusagen ein durchaus zuverlässiger Künstler ist, nur allerseits bestens empfehlen.

*

Herr Graf Hermann v. Keyserling wurde an der hiesigen Anstalt als gehobener Mittelschullehrer verwandt. Mit seiner Lehrtätigkeit haben wir die besten Erfahrungen gebracht: die etwas dunkle Art seines Vortrags wurde zwar allgemein nicht verstanden, dagegen schämten sich die Schüler, dies einzugestehen, und hörten artig zu. Die Klassenrüpel verfielen in seinen Stunden einem pädagogisch heilsamen Schlummer. Keyserling ist politisch völlig harmlos: er lehrt nur staatlich approbierte Wahrheiten sowie das kleine Einmaleins. Der Titel eines von ihm verfaßten Buches: „Reisetagebuch eines Philosophen“ ist irreführend; gemeint ist in dem Werke er selbst. Wir entlassen ihn seiner hohen Auflagen [244] wegen mit Glück- bzw. Segenswünschen. Wie wir ihn schätzen, mag daraus hervorgehen, daß am letzten Unterrichtstag auf seinem Klassenpult als Wahrzeichen etwas stand, das sein Wirken gewissermaßen symbolisierte: ein alter Darmstädter Armleuchter.[1]

*

Herr Kasimir Edschmid wurde probeweise in meinem Etablissement als Coiffeur eingestellt. Seine einnehmenden Manieren, seine weitgereisten Handbewegungen sowie seine reichen Sprachkenntnisse (er spricht allein vier Sorten Französisch, darunter eine beinah richtig) erweckten die schönsten Hoffnungen. Leider mußte er hinausgetan werden, da seine Kenntnisse im Deutschen nicht genügten, so daß er sich mit der Kundschaft nicht verständigen konnte. Entweder man verstand ihn, wußte aber nicht, was er meinte – oder man wußte, was er meinte, verstand ihn aber nicht. Seine leichte Hand in Damenfrisuren wird mir stets in angenehmer Erinnerung bleiben.

*

Herr Dr. Rudolf Breitscheid war verhältnismäßig treu, mitunter fleißig, auch ehrlich und immer etwas müde. Das Zeugnis, das er sich selbst ausstellt, kann nur ausgezeichnet genannt werden. Seine große Gedächtnisschwäche sowie seine mild verzeihende Art machen ihn besonders zu seinem schweren Beruf geeignet. Da es ein Kündigungsrecht bei seiner Firma nicht gibt, hat er alle Aussicht, noch recht lange Rayonchef zu bleiben. Herr Breitscheid, der nur ein Auge hat, genießt in den Kreisen der hiesigen Blindenanstalt das größte Ansehen. Als kleiner Nachteil könnte nur seine unselige Wettleidenschaft angeführt werden; sein ihm angeborener [245] Hang, dabei immer auf das falsche Pferd zu setzen, hat ihn schon in manche unheilvolle Situation gebracht. Dieses Zertifikat gilt nur für die Paßbeschaffung.

*

Herr Adolf Bartels hat in unserm Stadttheater (Kottbus an der Buse) 1300mal als Komparse im „Lohengrin“ mitgewirkt. Wir empfehlen ihn allen Opernbühnen als unerschütterlichen und unermüdlichen Statisten, der die Geschehnisse im Vordergrund mit wildem Gebrumm im Hintergrund begleitet. Sein Deutsch- und Friesentum, seine Ho- und Christenheit stehen außer allem Zweifel. Auch als Sanitätsgehilfe ist Bartels gut zu verwenden: er hat die immanente Beschneidung erfunden.

*

Herr Oberlandesgerichtsrat … (nach Belieben auszufüllen) scheidet mit dem heutigen Tage aus dem Justizdienst aus. Wir wünschen ihm zwar das Beste, wüßten aber nicht, in welchem Betrieb er sonst zu brauchen wäre. Herr Oberlandesgerichtsrat … hat nicht viel gelernt: er ist Jurist.

*

Herr Dr. Rudolf Hilferding wurde vom Reichsverband zur Bekämpfung der Sozialdemokratie in die Redaktion der „Freiheit“ entsandt. Es gelang ihm, das gefährliche Blatt in zwei Jahren derart herunterzuwirtschaften, daß sowohl von einer Gefahr wie von einem Blatt nicht mehr gesprochen werden kann. Herr Rudolf Hilferding gilt in Finanzkreisen als ausgezeichneter Mediziner. Von ihm gibt es ein [246] Aufsehen erregt habendes Werk: „Das Finanzkapital.“ Seine Bequemlichkeit hat ihn leider daran gehindert, das Buch zu lesen.

*

*Herr Peter Panter wurde von mir ab gestern bis heute als Privat-Sekretär beschäftigt. Seine Anlagen, die ihn zum idealen Zweiten befähigen, ließen mich das Beste erwarten. Leider scheiterte seine Beibehaltung an seinem frechen, vorlauten Wesen sowie an seiner maßlosen Gefräßigkeit. Seine sonst guten Manieren stellten sich als Indolenz heraus; sein Horizont hat ungefähr die Größe eines Schnapsglases. Auch seine häßliche Angewohnheit, während des Dienstes dauernd mit Bleisoldaten zu spielen, hat nicht dazu beigetragen, ihn im Betrieb beliebt zu machen. Ich wünsche Herrn Peter Panter das Beste auf seinen fernern Lebenspfaden und kann jedermann nur auf das schärfste vor ihm warnen!

*

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kurt Tucholsky: Der Darmstädter Armleuchter. In: Das Lächeln der Mona Lisa, 1929; S. 200-217