Drei Granden

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Titel: Drei Granden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 223–224
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[223] Drei Granden. Grandezza und Revolution sind allbekanntlich Dinge, die nicht sehr zusammen passen. Wie sollte das Vorrecht mit der Freiheit, die steife Form mit der Ungebundenheit, das alte Familien-Wappen mit der rothen Fahne gehen? Als die „Freiwilligen der Freiheit“ die Hauptfigur des spanischen Lebens wurden, da zogen die Granden des Landes über die Grenzen in großen Abtheilungen. Was sollten sie in Madrid? Gab es doch keinen Hof mehr, in dessen privilegirter Luft sie noch etwas galten, war doch die letzte Zufluchtsstätte ihrer socialen Erhabenheit mit einem Male dahin. Der Schatten ihrer selbst ist die spanische Grandezza ohnehin schon seit vielen Jahren geworden. Das, was sie einst ihre politischen Vorrechte nennen konnte, der ganze Privilegienwust, mit dem sie die Habsburg’schen Könige umgaben, war nacheinander im Sturm der Zeiten mit der Größe des Reiches zugleich in Verlust gerathen. Was von all’ der Herrlichkeit übrig blieb, waren die Sonderfreiheiten der Grandezza bei Hof und die Capitalien, um diese oft sehr kostspieligen Vorrechte bezahlen zu können. Die politische Bedeutung der spanischen Grandezza war schon unter dem schwachsinnigen Carl dem Vierten und Ferdinand dem Siebenten im Absterben: dem fallenden Königthum voraus fielen die Granden von Spanien von ihren goldenen Stühlen. Sie sanken zur äußerlichen Decoration des Hoflebens herab, zu lebendigen Versatzstücken, die bei Processionen, königlichen Kindtaufen, Corteseröfgnungsfeierlichkeiten, Handkuß und mehreren anderen öffentlichen und Palastaufzügcu in Verwendung kamen.

Dennoch gefielen sie sich auch noch selbst in diesem Ueberbleibsel von Herrlichkeit, diese Granden von Spanien.

Wenn ihnen die Revolution von Cadix auch diese letzten Freuden des Lebens mit dem Königthum zugleich genommen – was blieb ihnen? Trauernd verließen sie das Land, das ihrer Stellung nichts mehr zu bieten hatte, und sie versprachen sich, erst dann wiederzukehren, wenn das Königthum, oder vielmehr ein Königthum (denn die Granden steifen sich nicht gerade auf die Bourbonen) neu aufgerichtet sei.

Nur drei Granden des Reiches waren im Lande geblieben, die Revolution hatte sie nicht verscheucht, und man zeigte sie mir oft. Jeder von diesen drei Granden ist für sich eine Merkwürdigkeit, zu einander sind sie eben so merkwürdige Contraste.

Da ist zuerst der Duque de Hijar. Er bewohnt einen prachtvollen Palazzo, prachtvoll nach innen; nach außen merkt man, wie bei allen spanischen Grandenpalästen, die in ihrer Façade mit einer gewissen einfachen Vornehmheit auftreten, von dieser Pracht sehr wenig. Aber all’ der blendende Reichthum, der sich in der Ausstattung der hohen Marmorsäle äußert, all’ das Gold und Silber der monumentalen Decoration seiner Appartements sind nicht der Stolz des Herzogs von Hijar. Sie sind in spanischen Palästen nichts Seltenes, und seine Collegen in der Grandezza und einige neuaristokratische Creaturen, wie z. B. der Herzog von Salamanca, seines ersten Zeichens Banquier, haben das Alles auch in ihren Häusern, Salamanca sogar noch üppiger, überladener, geschmackloser. Aber des Duque del Hijar Palazzo hat eine Rarität, einen Saal, in dem man nichts sieht, als seine Schränke mit Glasthüren versehen. Für den ersten Augenblick glaubt man in diesem Saal sich in den Salon eines großen Pariser Maskenverleihers versetzt. Aus den Glasthüren glänzen einem buntfarbige, in den feinsten Stoffen, in Sammet, Seide, Damast gearbeitete Costüme, alle verschiedener Größe, verschiedenen Schnittes, verschiedener Moden entgegen. Ist der Duque de Hijar ein Costümnarr? fragt man sich bei diesem Anblick sonderbarer Natur. Sammelt er Kleider wie andere Leute Münzen, Pfeifenköpfe, Stöcke u. d. m.? Ist das blos eine herzogliche Passion? Nun, das nicht, aber diese Costüme sind der Stolz des Herzogs, wie sie der Stolz seiner Vorgänger in diesem Hause waren.

Die Herzoge von Hijar sind Abkömmlinge der Grafen von Rivadeo. Einer der ältesten dieser Rivadeos hatte einst die Ehre, dem Don Jayme dem Zweiten, der das Königreich Aragonien beherrschte, durch einen einfachen Kleiderwechsel, den er mit seinem Könige vornahm, das Leben, das in Feindes Händen und bereits verloren war, zu erhalten. Der als Conde de Rivadeo gekleidete König Jayme der Zweite entkam glücklich aus der Gewalt seiner Feinde, und zum Andenken an jenen unbezahlbaren Freundschaftsdienst – denn auch Don Jayme lebte lieber als er starb! – verordnete der König von Aragonien, daß alle Grafen von Rivadeo und ihre Nachkommen das Recht hätten, sich am Tage Drei König zu ihrem König zu Tisch zu setzen, auch ungeladen, und nachdem sie sich nach Bedarf und Lust gütlich gethan, dem königlichen Hausherrn auch noch Alles abzuverlangen, was er von Kleidern auf dem Leibe habe. Die Grafen von Rivadeo machten nun nach einander von diesem Rechte, ihren König am Dreikönigstag bis auf’s Hemd auszuziehen, Gebrauch, und da es seit Don Jayme’s Regierung (ich weiß wirklich nicht, ob sie „glorreich“ war und kann es daher nicht sagen) etwas lange her und seitdem ein paar Jahrhunderte und einige Moden in’s Land Spanien gekommen sind, so ist es kein Wunder, daß es in dem Salon der „Königskleider“ mir wie in einer Maskenleihanstalt vorkam. Trotzdem nun viele Schränke von den französischen Generalen während der Napoleon’schen Invasion ausgeraubt worden sind, kann man dieser wunderlichen, reichen, oft mit Edelsteinen besetzten Königscostüme hier im Hause des Herzogs von Hijar noch immer genug bewundern. Die alten Grafen von Rivadeo nahmen ihr Recht sehr ernst, denn sonst hätten sie der Königin Johanna, der Mutter des vierten Carl, wenigstens den Brustlatz gelassen, der uns gezeigt wurde. Allein zehn Schränke füllen die Kleider der jetzt weggejagten Königin Isabella, welcher der Herzog von Hijar seit dem Jahre 1847 alljährlich am Dreikönigstag nach der Hoftafel die königlichen Gewänder wegnahm.

Die gute Königin hat dem Abkömmling der alten Rivadeos einige Jahre hindurch, zum Aergerniß der ganzen Grandezza, ihre Kleider vorenthalten und so die herrliche Sammlung beeinträchtigt. Sie hat das sehr schlau angestellt. Alle Jahre am Dreikönigstage, wenn der Herzog in den Palast sich zur Tafel melden kam, wurde ihm einfach gemeldet: „Die Königin ißt heute nicht.“ Da der Herzog nun wohl ein Recht auf die Gewänder hat, aber nur auf jene, welche die Königin bei der Tafel, an der er selbst theilnimmt, trägt, so konnte er doch nur sein Recht geltend machen, wenn die Königin ißt. Zum Essen sie aber an jenem Tage zu zwingen, besaß er keine Macht. Der alte Don Jayme hatte für diesen Fall in seinem Privilegiumsgesetz nichts vorgesehen, und Isabel von Bourbon ärgerte so Jahr für Jahr den Herzog von Hijar. Erst im Jahre 1847 ließ Isabel den Abkömmling der Rivadeos am Dreikönigstage zu sich zu Tisch und sandte ihm am anderen Tage in feierlicher Weise die Gewänder, die sie angehabt, in seinen Palast.

Aerger noch als Isabel behandelte ihre Mutter Christine den Grafen von Rivadeo. Sie setzte sich am Dreikönigstage in ihren schlechtesten Kleidern zu Tisch, auf daß sie der alte Spaß nicht so viel koste. Die Gewänder, die von ihr zu sehen sind in dem „Salon der Königskleider“, sind wahre alte Königsfetzen zu nennen und geben allein schon Zeugniß von der Knickerei und dem schmutzigen Geiz der Königin Christine. Der Bourbonenkleider hat der Herzog von Hijar nachgerade nun wohl genug, und er glaubt nun selbst diese Abtheilung der Sammlung schließen zu können. Für die Bosheiten Isabel’s hat er sich glänzend gerächt. Zum Dreikönigstag 1869 ließ ihn Isabel von Bourbon nach – Paris zu Tisch laden, da er sich selbst nicht mehr eingeladen. Sie wollte mit dieser Einladung sich nur dem Granden gegenüber als Königin noch geriren. Der stolze Abkömmling der Rivadeos aber schreibt ihr kurz zurück: „Ich habe keinen Platz mehr für Deine Kleider!“ Der Herzog von Hijar hofft, seine Sammlung von spanischen Königscostümen werde Dreikönig 1869 nicht so leer ausgehen, wie anno 1868. Er will die Zeit in Madrid abwarten.

Ein zweiter Grande, den ein Privilegium, ein altes Recht seines Hauses, auch jetzt noch, in der nachisabellinischen Zeit, in Madrid festhält, ist der Duque de Medina-Celi. Ich habe den kleinen, etwas mißgewachsenen Granden gar oft in der italienischen Oper neben seiner schönen Frau gesehen und mir dabei immer gedacht: was plagen so eine arme Menschenseele oft für eigenthümliche Grillen!

Dieser Mann sieht nicht aus, als ob er andere Wünsche hätte, als sein imposantes Palais am Ende der Hieronymusstraße, am Eingang des Prado, dann seine schöne Frau und seine Reichthümer zu genießen und von Anderen bewundern zu lassen, und doch muß er, der Tradition der Grandezza seines Hauses zu Liebe, den Narren spielen, und so oft ein neuer König den Thron besteigt, sein – uraltes Erbrecht geltend machen und sich als Thronprätendenten präsentiren! Die Posse ist alt und wird regelmäßig wiederholt. Der Duque de Medina-Celi protestirt gegen die Thronbesteigung in aller Form und wird in aller Form von dem obersten Tribunal zur Zahlung von so und so viel Tausend Duros (Thaler) verurtheilt. Sobald dies geschehen und seine privilegirten Erbansprüche gerichtlich niedergeschlagen, ist der Herzog wieder allergetreuster Unterthan Seiner spanischen Majestät, nur hat er die Genugthuung, der Königin das Hochzeitskleid schenken zu dürfen, für welche kostspielige Ausgabe er Alles, was an Tellern, Schüsseln etc. bei der königlichen Hochzeitstafel in Brauch gekommen, rechtmäßig zu verlangen hat. Fürwahr, diese aragonischen Könige müssen wenig Sorgen gehabt haben, wenn sie mit den Granden solche Späße aufführten!

Der jetzige Herzog von Medina-Celi wartet nun ab, was in Madrid mit dem Thron geschehen wird. Sobald ein König gewählt sein wird – wenn die Republik den Herzog nicht aller Bemühungen überheben sollte – wird er sein altes Recht geltend und sich gleich seinen edlen Vorfahren lächerlich machen müssen. Die Grandezza will es so. Es ist noch gut, daß er nicht in allem Ernst als Prätendent auftritt, denn bei dem vielen Geld, in dem er steckt, könnte er in Spanien, gleich dem Montpensier, noch eine Partei aufbringen. –

Und nun der Contrast zu diesen beiden Granden, ein Grand, wie es auch keinen zweiten in Spanien giebt, ein Grand, der für sich kein anderes Vorrecht in Anspruch nimmt, als das, ein – Volksmann zu sein, ein Grand von Spanien, der das Königthum in jeder Person bekämpft, ein Grand von Spanien, der das merkwürdig seltene Schauspiel bietet, ein – Republikaner der reinsten Farbe zu sein. Und dieser republikanische Grand von Spanien ist der Marquis Orense de Albaida, ein Charakter von antikem Gepräge. In allen Verfassungskämpfen seit Ferdinand dem Siebenten hat er die Partei des Volkes genommen, in den Cortes zu wiederholten Malen gegen die Bourbonenwirthschaft, gegen die Attentate auf die Rechte des Landes, die Ehre der Nation, gegen die Pfaffenränke und die königliche Sittenlosigkeit laut und entschieden protestirt, und 1854 war er Einer von den Dreiundzwanzig, die Isabel von Bourbon weggejagt und die Republik errichtet sehen wollten. Dieser seiner ganz beispiellos grandezzalosen Gesinnung verdankt er ein oftmaliges Exil, aus dem er immer von Neuem, ungebessert in seinem Republikanismus, zurückkehrte. Einer der ältesten Bekämpfer des Königthums hat er heute die Genugthuung, noch in seinen alten Tagen die Bourbonen endlich aus dem Lande vertrieben zu sehen. Ob er die Republik in Spanien noch festwurzeln und gedeihen sehen wird? Unbekümmert darum gehört all’ sein Wirken, all’ seine Thätigkeit diesem seinem Ideale. Gleich Fernando Garrido hat er in den eben abgelaufenen Wochen vor den Corteswahlen das Land bereist und republikanische Saat ausgestreut, wo er nur immer konnte. Diese Saat wird zuversichtlich einmal aufgehen und Spanien zu dem machen, wozu es Männer wie Garrido, Castellar und Orense schou jetzt machen wollen. Dann aber wird die Nation des alten Granden von Spanien, der der ersten Republikaner einer war, gewiß nicht vergessen, des Mannes, der in seiner Charakterknorrigkeit, seiner Einfachheit, seinem Rechtssinn, seiner Unbeugsamkeit das Bild des Bürgers eines Freistaates ist, wie es nicht anders gedacht werden kann, des Mannes, der es vorzog, anstatt Theil [224] zu haben an dem erborgten und erstohlenen Glanze des Thrones, seines Volkes zu gedenken und der Idee der Wiedergeburt Spaniens immer und immer zu leben, des alten Orense, der das Symbol der spanischen Republik genannt werden kann.