Drei klassische deutsche Bildungsstätten

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Textdaten
Autor: Emil Wörner
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Titel: Drei klassische deutsche Bildungsstätten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 318–319
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Drei klassische deutsche Bildungsstätten.
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Von Emil Wörner..
(Mit Bild S. 309.)

In einer Zeit, da in dem deutschen Gymnasium eine wesentliche Wandlung sich vollzieht, da es mit den Stürmern und Drängern einer neuen, realistischen Bildung auf dem Wege des Kompromisses seinen Frieden zu machen beginnt, feiern zwei alte berühmte Gelehrtenschulen, die Fürsten- oder Landesschulen zu Meißen und Pforta[1], das Fest ihres dreihundertfünfzigjährigen Bestehens, und die dritte, die zu Grimma, wird ihnen binnen wenigen Jahren folgen. Dreieinhalb Jahrhunderte sind über sie hingegangen und haben viel Freude, oft auch Noth und Drangsal, jedenfalls aber gar manchen Wechsel in Anschauung und Sitte in die alten Mauern getragen – und doch stehen diese Schulen heute noch fest und aufrecht als diejenigen, welche die alte Form des Gymnasiums vielleicht am reinsten erhalten haben.

Ein werthvolles Stück deutscher Schul- und Kulturgeschichte verkörpert sich in diesen ehrwürdigen Anstalten. Wie sie Schöpfungen der Reformation sind, so haben sie bis auf den heutigen Tag das Gepräge ihres Ursprungs treu bewahrt. Die sächsischen Lande, inmitten des Reichs gelegen, waren zur Zeit der Reformation auch der geistige Mittelpunkt Deutschlands; die knrsächsische Universität Wittenberg bildete den Ausgangspunkt jener großartigen Geistesbewegung, die das deutsche Volk um den Beginn des sechzehnten.Jahrhunderts in neue Bahnen gelenkt hat. Was die Volksschule der Reformation zu verdanken hat, ist allgemein bekannt, sie lag Luther persönlich vor allem am Herzen; um die Verbesserung des gelehrten Unterrichts erwarb sich Melanchthon unvergängliche Verdienste. Er schuf eine feste Grundlage für die Gelehrtenschulen durch seine kursächsische Schulordnung von 1528, die man aus diesem Grunde nicht mit Unrecht den „Stiftungsbrief des deutschen Gymnasiums“ genannt hat.

Als nach dem Tode Georgs des Bärtigen die Reformation auch in dem albertiuischen Sachsen die Oberhand gewonnen hatte, da war es der junge thatkrästige Herzog Moritz, der, um der einreißenden Verschleuderung der eingezogenen geistlichen Güter zu stenern, nach längeren Verhandlungen mit seinen Landständen in der am 21. Mai 1543 erlassenen „Neuen Landesordnung“ die grundlegenden Bestimmungen für drei neu zu errichtende Schulen gab. Der betreffende Abschnitt dieses denkwürdigen Erlasses beginnt folgendermaßen:

„Nachdeme zu Christlicher Lehre und Wandel, auch zu allen guten Ordnungen und Policey Vonnöthen, daß die Jugend zu Gottes Lobe und im Gehorsam erzogen, in denen Sprachen und Künsten und dann vornehmlich in der heiligen Schrift gelehret und unterweiset werde, damit es mit der Zeit an Kirchendienern und anderen gelahrten Leuten in unsern Landen nicht Mangel gewinne, sind wir bedacht, von den nerledigten Kloster- und Stifft-Gütern drey Schulen aufzurichten, nemlich eine zu Meißen, darinnen ein Magister, zween Baccalaureen, ein Cantor, und sechzig Knaben; die andere zu Märßburg, darinnen ein Magister, zween Baccalaureen, ein Cantor, siebenzig Knaben; die dritte zu der Pforten, darinnen ein Magister, drey Baccalaureen, ein Cantor und einhundert Knaben seyn und an allen Orten mit Vorstehern und Dienern, Lehre und Kosten und anderer Nothdursft, wie folget, umsonst versehen und unterhalten werden, und sollen die Knaben alle unsre Untcrthanen und keine Auslendische seyn.“

Dies ist der eigentliche Stiftungsbrief der drei sächsischen Landesschulen, der 21. Mai 1543 demnach ihr eigentlicher Stiftungstag. Aus den Worten der Urkunde geht deutlich hervor, daß diese Schulen von Anfang an nicht ausschließlich bestimmt waren, künftige Diener der evangelischen Kirche, sondern auch andere gelehrte Leute, d. H. künftige Staatsdiener, Beamte, Aerzte, zu bilden. Selbstverständlich trug der gesamte Unterricht das Gepräge der damaligen Zeit; denn nicht nur die künftigen Geistlichen, sondern alle Schüler sollten zu treuen Gliedern der evangelischen Kirche erzogen werden. Und dieser kirchliche Zug hat sich, wenn auch in gemilderter Form, bis zur Stunde erhalten; gemeinsame Morgen- und Abendandachten vereinigen tagtäglich alle Schüler, noch jetzt wird in allen drei Schulen bei der Abendandacht ein Abschnitt der Bibel verlesen, jeden Sonntag besucht die gesamte Schülerschaft den Frühgottesdienst.

Durch Einschränkungen in Betreff der Aufnahmefähigkeit, durch die ausdrückliche Bestimmung, daß zum Studieren unfähige Knaben von den Schulen fern gehalten werden sollten, ward diesen Anstalten von vornherein eine gewisse Auslese durchschnittlich gut beanlagter Schüler und schon dadurch ein Vorzug vor den städtischen Lateinschulen gesichert; denn „Landschulen“ oder „Landesschulen“ hießen sie aus dem Grunde, weil sich ihre Schülerschaft aus dem ganzen Lande ergänzte, nicht wie in den Stadtschulen aus einer Stadt und deren nächster Umgebung. Damit aber die Schule allen Ständen offen stehe, bestimmte Herzog Moritz in der „Neuen Landesordnung“, daß die Städte seiner beiden Länder (Thüringens und Meißens) einhundert Knaben zur Aufnahme in die Schulen zu benennen hätten, und stiftete 30 städtische Freistellen für Meißen, 36 für Merseburg, 34 für Pforta. Ferner sollte der dritte Theil aller Knaben aus dem Adel sein, nämlich 76; die Besetzung der übrigen 54 Freistellen behielt der Fürst sich, seinen Erben und Nachkommen vor. Alle diese Anordnungen haben sich in ihren Grundzügen, natürlich nach den Bedürfnissen der veränderten Zeiten umgestaltet oder erweitert, bis heutigen Tages erhalten.

Die Schulen in Meißen und Pforta wurden noch im Jahre 1543 eröffnet, und zwar die zu Meißen am 3. Juli; so giebt ausdrücklich der berühmte Georg Fabricius an, der schon seit 1546 Rektor von St. Afra war; und wenn dieser Tag auch nicht urkundlich beglaubigt ist, so ist es doch wahrscheinlich, daß ein Mann, der nur drei Jahre nach der Eröffnung das Rektorat übernahm, den Tag der Einweihung gekannt und richtig angegeben hat. In Pforta wurde seit 1624 der 1. November als der Tag der Schuleröffnung festlich begangen, weil angeblich an diesem Tage der erste Alumnus, Nicolas Lutze aus Kindelbrück, in die Schule ausgenommen worden war. Nachweisen läßt sich nur, daß vom November 1543 bis gegen Ende Januar 1544 die ersten Lehrer und einige fünfzig Schüler nach Pforta gekommen sind; ja der erste Rektor Pfortas, Johann Gigas (eigentlich hieß er „Hüne“) aus Nordhausen, ist vermuthlich erst Ostern 1544 dort angetreten. Daher griff man in Schulpforta auf Anregung des Rektors Kirchner in dem Jahr der dreihundertjährigen Jubelfeier auf den 21. Mai als den Tag der Altsstellung der „Neuen Landes-vrdnung“ zurück – sehr verständig, denn im wunderschönen Monat Mai feiert sich im lieblichen Saalthal ein Schulfest besser als im rauhen November. Damit hängt es auch zusammen, daß Schulpforta den Festreigen , eröffnen wird und der älteren Schwester zuvorkommt.

Es traten also dank der Thatkraft des fürstlichen Stifters noch im Jahre 1543 die Schulen zu Meißen und Pforta ins Leben. Dagegen wußte der Bischof von Merseburg, Sigismund von Lindenau, unterstützt von seinem Domkapitel, die Gründung einer Schule in Merseburg zu Hintertreiben. Aber Moritz löste das Versprechen, das er als Herzog gegeben, als Kurfürst ein. Sollte die dritte der verheißenen Schulen nicht in Merseburg ersteheu, so brauchte man ja nur eine andere Stätte für sie auszusuchen. Und so nahm er das Anerbieten des Rathes von Grimma an, der durch seinen Bürgermeister Sebaldus Müller dem Kurfürsten im Jahre 1549 das leerstehende Augustinerkloster daselbst zur Verfügung stellte. Am 14. September 1550, einem Sonntag, wurde die Schule eingeweiht, so daß Grimma im Jahre 1900 sein dreihundertfünfzigjähriges Jubiläum feiern wird.

Auf die Stiftung Grimmas hat Kurfürst Moritz offenbar aus dem Grunde besonderen Werth gelegt, weil er durch seine Parteinahme für Kaiser Karl V. zur Zeit des Schmalkaldifchen Krieges (1546 bis 1547) und später durch das Leipziger Interim die öffentliche Meinung, auch damals schon eine gewaltige Macht, in seinen eigenen Landen gegen sich aufgeregt hatte; es war ihm darum zu thun, durch einen öffentlichen Akt zu bekunden, daß er noch immer gut evangelisch gesinnt sei.

Eine günstige Fügnng stellte ihm bei der Gründung seiner Schulen tüchtige Berather zur Seite. Der erste war Ernst von Miltitz, Oberhauptmann des Meißnischen Kreises, der zweite 1)r. Georg von Komer-stadt, berühmt als Rechtsgelehrter und bewährt in mannigfaltigen Staatsgeschäften, der dritte Johann Rivins, ein bedeutender Humanist und Schulmann, der sich damals bereits um die gelehrten Schulen des sächsischen Erzgebirges große Verdienste erworben hatte.

Dieser Mann, der später auch Beisitzer des zu Meißen errichteten Konsistoriums war, gab in den eigentlichen Schulfragen seinen sachverständigen Rath; er entwarf für die neuen Anstalten die Schulordnung, er machte die Vorschläge für die Wahl der Lehrer und der Lehrbücher, von ihm rühren wahrscheinlich auch die ältesten Schulgesetze der Meißner Schule her. Der erste Rektor von St. Afra, Hermann Vulpins, waltete seines Amtes nur drei Jahre; dann aber erhielt die Schule in Georg Fabricius aus Chemnitz, einem Schüler von Rivius, einen ausgezeichneten Leiter. Daß dieser bedeutende Schulmann und Gelehrte von 1546 bis zu seinem Tode 1571, etwas über fünfundzwanzig Jahre, der Anstalt Vorstand, darf als ein besonderes Glück für Meißen betrachtet werden. Noch länger erfreute sich Grimma (von 1550 bis 1584) der Leitung eines tüchtigen Rektors, Adam Sibers, nur daß mit der Zeit Tibers Regiment für die damalige Jugend wohl zu mild wurde. Anders war dies in Schulpforta. Dort folgten einander während der ersten elf Jahre nicht weniger als sechs Rektoren und acht Konrektoren. Dieser schnelle Wechsel der Lehrer, der für die Schule nur nachtheilig fein kounte, erklärt sich aus der Bestimmung des Stiftungsbriefes, daß Rektor und Lehrer uuverheirathet sein mußten. Wer mochte sich in der Zeit, in der die Klöster aufgehoben wurden, lange ein solches erzwungenes Cölibat gefallen lassen? So wurde denn später das Gebot der Ehelosigkeit zuerst für den Rektor, bald auch für die übrigen Lehrer aufgehoben.

Ein köstlicher Vorzug ist allen drei Schulen gemeinsam: sie liegen sämtlich in lieblichster Gegend. Das Kloster der Augustiner Chorherren zu St. Afra in Meißen, auf dem Afrahügel oberhalb der Stadt frei und luftig gelegen, bot gewiß schon in der alten Zeit entzückende Ausblicke auf die alterthümliche Stadt, auf die bewaldeten Abhänge des Triebisch-thales, auf den Elbstrom und das Spaargebirge mit seinen Weinbergen; und auch jetzt noch ist das Landschaftsbild, das sich von den nach Osten und Süden zu gelegenen Zimmern des neuen, von 1877 bis 1879 erbauten Schulgebäudes vor den Augen des Beschauers ausbreitet, ein ungemein anmuthiyes. Grimma an der Mulde ist noch heute für die Leipziger wegen seiner Naturschönheiten ein beliebter Ausflugsort. Das nenc, prachtvolle Anstaltsgebäude, das am 24. September 1891 feierlich eingeweiht wurde, ist ans der Stelle der alten Schule und des alten Augustinerklosters erbaut; dicht an der schnellfließenden Mnlde gelegen, richtet es die eine Front nach dem schön bewaldeten steilen Abhang des jonsciligen Ufers. [319] Auch hier athmen Fluß und Wald beständig eine reine, stärkende Luft aus. Mit Recht viel gepriesen ist die liebliche und gesunde Lage Schulpfortas zwischen Naumburg und Kösen in friedlicher Stille abseits von dem Lärm und der Unruhe der Städte. Das Grundstück der Anstalt, durchflossen von einem Nebenarm der Saale, lehnt sich an den südlichen Waldhang des Thales, an den sogenannten Knabenberg. Gewiß darf man die stille Einwirkung, die eine anmuthige Gegend auf das empfängliche Gemüth des Knaben und des heranwachsenden Jünglings gerade in diesen wichtigen Jahren geistiger und körperlicher Entwicklung ausübt, nicht unterschätzen. In Pforta kommen zu den Naturschönheiten der Gegend noch ehrwürdige Kunstdenkmale, vor allem der herrliche Kreuzgang und die Kirche, deren Grundbau aus dem 12. Jahrhundert stammt, die aber seit der Mitte des 13. Jahrhunderts in gothischem Stil neugebaut worden ist. Zu Anfang der fünfziger Jahre wurde dieses ehrwürdige Bauwerk auf Anordnung König Friedrich Wilhelms I. von allen störenden Einbauten befreit und in seinem alten Stil wiederhergestellt. Auch sonst bewegen sich noch heutigestags die Pförtner zum Theil in denselben Räumen, in denen einst die Cisterciensermönche gehaust haben; so sagt Corssen, der zuverlässige Führer durch die Alterthümer und die Geschichte dieser Schule: „Seit über 700 Jahren hat das Cenakel (der Speisesaal) zur Pforte seine Bestimmung und seinen Namen unwandelbar gewahrt, und bis auf den heutigen Tag erschallt dort vor dem Beginn der Mahlzeiten in althergebrachter Weise der lateinische Kirchengesang ‚Gloria tibi Trinitas!‘“ Das Schulhaus, früheres Klosterhaus, das die Schülerwohnungen und die Unterrichtsräume umfaßt, hat seit 1880 bis zum Beginn dieses Jahrzehntes größere Um- und Neubauten erfahren; vorher schon war durch Umbau im Schulgarten eine geräumige Turnhalle hergestellt und das nach Westen zu gelegene stattliche Thorgebäude in gothischem Stil erneuert worden; zu gleicher Zeit erhielt Pforta ein neues Geschäftshaus, in dem die gesamte Verwaltung und das Rentamt untergebracht sind.

Innerhalb der alten Schulbezirke hat sich also das Aeußere der drei Anstalten mit der Zeit wesentlich erneuert, nach einheitlichem und umfassendem Plane in Meißen und Grimma, in engerem Anschluß an das Bestehende in Pforta. Unser Bild auf S. 309 soll die ältern Baulichkeiten für die Erinnerung festhalten. In den neuerbauten Räumen aber lebt heute noch eine frische und lernfreudige Jugend nach den alten Einrichtungen, die diesen Anstalten bei ihrer Gründung gegeben worden sind.



  1. Die „Gartenlaube“ hat schon wiederholt ihren Lesern von diesen beiden vielgepriesenen Lehr- und Erziehungsanstalten berichtet; im Jahrgang 1857, Nr. 18 und 19, beschrieb Wilhelm Künstler einen Besuch in Schulpforta, im Jahrgang 1873, Nr. 40, theilte Alfred Annaburger seine Pförtener Erinnerungen mit, und 1879, Nr. 26, widmete die „Gartenlaube“ der Fürstenschule in Meißen bei der Einweihung ihres Neubaues ein Gedenkblatt, das aus der Feder der in Meißen geborenen Schriftstellerin Luise Otto stammt.