Dresden (Meyer’s Universum)
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Vor undenklicher Zeit bildete Böhmens hochummauerter Kessel ein Binnenmeer, welches die zahlreichen Gewässer nährten, die den Wänden seines Berggürtels entströmten. Einst brach der Fluthen mächtiger Druck die vielleicht von unterirdischem Feuer gelockerte nördliche Scheidewand, und durch das also geöffnete Thor, die dahinter liegende Hügellandschaft mit unwiderstehlicher Wuth zerreißend, ergoß sich das entfesselte Element über die Schiefebene Norddeutschlands hinab zum Ocean. Aus dem See war Land geworden, und die Flüsse und Quellen der Bergwände, seiner ehemaligen Ufer, sammelten sich in Böhmens Thälern zum Strome, der in der Richtung, welche des Sees Gewässer genommen hatten, das Weltmeer suchte. So ist die Elbe entstanden, und so jene wild-romantische Gegend voller Schluchten und Felstrümmer an Böhmens Thor, die, als sächsische Schweiz, zum Ziele wird und zum Sammelplatze für so viele Reisende. Gleichsam am Eingange zu dieser berühmten Gegend (Mainz zu vergleichen, an der Pforte zum Rheingau) liegt, im Elbthale, zu beiden Seiten des Stromes, Dresden, des Sachsenlandes heitere Königsstadt.
Viele der Residenzen deutscher Fürsten sind neuern Ursprungs; so auch Dresden. Auf der Stelle der heutigen Neustadt stand im 13ten Jahrhundert ein Fischerdorf; auf dem jenseitigen Ufer reichte Urwald bis dicht an den Strom. Um 1290 erbaute sich Heinrich der Erlauchte, der Meißner Markgraf, an dieser Stelle ein Jagdschloß, und später machte er’s zu seiner bleibenden Wohnung. Er ward dadurch Dresdens Gründer; denn das fürstliche Hoflager lockte eine Menge Colonisten herbei; die meisten Einwohner des Dorfes jenseits zogen auch herüber, und bald war ein Flecken entstanden, wo jetzt die Altstadt steht, der so zunahm, daß zu Ende des 14ten Jahrhunderts Dresden schon eine ansehnliche Stadt hieß.
Um diese Zeit hatten sich Bevölkerung und Kultur ganz auf das linke Ufer gezogen; das rechte war öde und wurde von den Fürsten als Jagdrevier benutzt. Unter Albrecht dem Einäugigen ward zuerst wieder, durch Gründung eines Klosters, mit dem Anbau desselben begonnen; ein Flecken entstand, und Alt-Dresden, wie man den Ort nannte, bekam später städtisches Recht. Es blühete bis zum Einfall der Hussiten, die es gänzlich zerstörten. Späterer Wiederaufbau ließ es bis zum dreißigjährigen Krieg bedeutungslos.
[76] In diesen unruhigen Zeiten wurde aber die Neustadt befestigt, und eine Menge begüterter Landleute suchten vor des Krieges Drangsal und Gräuel in ihren geschirmten Mauern Zuflucht und eine bleibende Stätte. Ihre Bevölkerung mehrte sich während dieser Periode um das Dreifache, und auch in der Altstadt war sie sehr gewachsen. Dabei hatte Dresden das Glück, nie eine Belagerung ausstehen zu müssen. Pest und Seuchen, die damals Deutschland entvölkerten, gingen zwar nicht ohne Einkehr vorüber: doch hatte Dresden weniger davon zu leiden, als die meisten andern deutschen Städte. Noch im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts stieg die Einwohnerzahl auf 26,000.
Aber die eigentliche Glanzperiode Dresdens beginnt erst mit dem Regierungsantritt Georg des Zweiten, dessen Prachtliebe Adel, Künstler, Kaufleute und Handwerker aus der Nähe und Ferne in Menge nach der Residenz zog. Viele Anlagen, die jetzt noch zu den Merkwürdigkeiten der Hauptstadt gehören, z. B. der große Garten mit seinem Schlosse, das alte Opernhaus etc. entstanden in dieser Zeit, welche unter der Regierung August des Zweiten, des Starken, oder des Verschwenders, ihren höchsten Glanz erreichten. Unter diesem, von der polnischen Königskrone geblendeten, despotischen, üppigen, aber Kunst und Wissenschaft liebenden und pflegenden Fürsten verdoppelte sich die Häuser- und Volkszahl der Residenz, die sich mit einer Menge Palläste verschönerte, durch deren Bau freilich für die wahre Kunst nichts gewonnen wurde, denn sie tragen den Styl des verdorbenen französischen Geschmacks. Besonders waren es die Neu- und Friedrichsstadt, welche sich damals erweiterten und verschönerten, und erstere wurde durch eine der prachtvollsten Brücken in der Welt mit der Altstadt verbunden.
Der zweite schlesische, noch mehr aber der siebenjährige Krieg, der ganz Sachsen, von Feinden wie von Freunden gepeinigt, die tiefsten Wunden schlug, setzte dem weitern Aufblühen Dresdens ein Ziel, und untergrub seinen Wohlstand auf lange Zeit. August der Dritte hatte bei seinem Regierungsantritt den Willen bethätigt, seines Vaters Verschönerungspläne für die Hauptstadt fortzusetzen; er baute die katholische Kirche und bereitete die Ausführung großer Projekte vor, als der Krieg seiner Thätigkeit eine andere Richtung gab. Dresden fiel mehrmals in Feindes Gewalt. Es wurde schwer gebrandschatzt, und in der Belagerung von 1760 gingen sämmtliche Vorstädte und ein großer Theil der Stadt selbst in Feuer auf. Nach dem Frieden war an Wiederaufbau, nicht an Verschönerung und Erweiterung Dresdens zu denken.
Friedrich August’s lange und väterliche Regierung hatte mehr das Glück und den Wohlstand seines Landes im Auge, als die Verzierung seiner Residenz, was wohl von Fürsten nur zu oft auf Kosten jenes geschehen ist und noch geschieht. Baute der gute König selbst wenig, so erlebte er dagegen die Freude, als Zeichen des wachsenden Wohlstandes, desto mehr Bürger bauen zu sehen, und erstanden auch nicht wichtige, für die Kunstgeschichte interessante Monumente der Kunst, so erheiterten doch die Menge schöner, neuer Häuser, welche an der Stelle von alten und schlechten sich erhoben, und die unzähligen Villen in der Umgebung, der Hauptstadt Ansehen von [77] innen und außen auf die wohlthuendste Art. Aus den gefahrvollen Stürmen des Völkerkampfes von 1813, der Sachsens Fluren in fünf Hauptschlachten mit dem Blute von 500,000 Kriegern tränkte, ging Dresden, der eigentliche Wendepunkt des Napoleon’schen Ringens um die Herrschaft über Deutschland und über Europa, wenn auch nicht ganz unverletzt, doch wunderbar errettet hervor, und des Krieges Drangsale konnte es leichter verschmerzen, als die unerwartete Frucht des Siegs deutschen Freiheitsmuthes und des Friedens: – die Gefangenhaltung des rechtschaffensten Fürsten, die fremde Administration des Landes, und endlich – dessen Zerstückelung.
Während der letzten Regierungsperiode August’s und unter seinen Nachfolgern,Anton und dem jetzt regierenden Könige, ist Alles geschehen, was gute Fürsten vermögen, um nach so schwerer Verwundung des Staatskörpers dessen Verblutung zu hindern und seiner Entkräftung ein Ziel zu setzen. Maasregeln großer Einschränkung und Sparsamkeit in der Verwaltung, wie am Hofe, eben so nothwendig, als segenbringend für das Land, mußten doch in der Hauptstadt schmerzlich empfunden werden. Aber nie hat man dort die Ursache vergessen, oder ihren Zweck mißverstanden. Jeder weiß, daß die Zerstückelung des Landes allein es verschuldete, daß, während (seit dem Frieden) in Deutschland sich die Volkszahl um 20 Prozent vermehrt hat und die aller Residenzen fast um das Doppelte gewachsen ist, Dresdens Einwohnerzahl um fast 5000 abnahm. Nur in den letzten Jahren hat sie keine weitere Minderung erfahren. Man schätzt sie jetzt auf 58,000.
Trotz so ungünstiger Verhältnisse ist Dresden in dem Wettlaufe der größern deutschen Städte nach Verschönerung, nicht zurück geblieben. Seit dem Frieden sind die Festungswerke geschleift worden und an ihre Stelle traten öffentliche Spaziergänge, schöne Gärten und freundliche Wohnungen, von denen sich viele durch geschmackvollen und edlen Styl auszeichnen. Großartige und prächtige Bauwerke, wie in München, Berlin u. s. w. sieht man hier zwar nicht unter den Hervorbringungen der neuesten Zeit; doch vermißt man sie auch weniger an einem Orte, der für seine Größe eine bedeutende Menge von Pallästen und Prachtbauten aus früherer Zeit besitzt. Nur muß man an den Styl derselben keine andere Anforderungen stellen, als solche, welche die Zeit zuläßt, in der sie errichtet worden; leider eine Zeit des verdorbensten Geschmacks, wo man den Palladio karrikirte und das Schnörkelwesen auch in der Baukunst auf dem Throne saß. Wir dürfen nur das sogenannte Japanische Palais nennen, das der Prinzen, das Brühl’sche und das Coselsche, alle aus der Zeit der Auguste, und die letzten beiden zugleich Denkmäler einer mehr als nur tadelnswerthen Verschwendung. Der sogenannte Zwinger, merkwürdig als ein Muster des Manierirten und Kleinlichen des Styls in seiner größten Uebertreibung, war ursprünglich als Vorhof zu einem königlichen Pallaste bestimmt, der alles Vorhandene an Pracht überstrahlen sollte, aber nie gebaut worden ist. In seiner fragmentarischen Gestalt mit seiner schönen Orangerie, seinem verfallenen Nymphenbade und schlecht unterhaltenen Springbrunnen und Statuen nimmt er sich sonderbar genug aus. Früher wurde er zu Hoffesten benutzt. Schauspiel- und Opernhaus haben [78] ein fast ärmliches Ansehen und stehen, sowohl in ihrem Aeußern, als ihrer innern Einrichtung nach, denen anderer Königsstädte auffallend nach. Das Schloß im großen Garten ist etwas verfallen und der Garten selbst giebt in seinem jetzigen Zustande nur noch eine schwache Ahnung von dem, was dieser Ort der zauberischen Hoffeste in den Zeiten der prachtliebenden Auguste gewesen war. Doch hat er schöne Parthien mit reizenden Blicken über das Elbthal, er ist der Prater der Dresdener und an schönen Sommerabenden findet sich hier ein fröhliches buntes Gewühl.
Das königliche Schloß, von Kurfürst Georg dem Bärtigen in deutschem Styl erbaut, von dem zweiten August im schlechtesten französischen Geschmack vergrößert, ist groß, im Innern prachtvoll; aber seine nach dem Strom gekehrte Hauptfronte ist verbaut. Die interessanteste Ansicht ist die vom Hofe aus, ein herrlicher Raum, wo sonst Turniere und Ringelrennen gehalten wurden.
Unter den Kirchen Dresdens zeichnet sich die Frauenkirche mit ihrem schönen Dom durch Größe und Styl, – die katholische Kirche durch Schmuckreichthum von innen und außen aus. Auf den Bau der letztern wendete August III., in der Mitte des 18. Jahrhunderts, 3 Millionen. Schöne Gemälde zieren sie und das Altarblatt, eine Auferstehung Christi von Raphael Mengs, nennt man des Meisters Hauptwerk.
Aber nicht die architektonische Pracht seiner Palläste und Tempel, die Kunstschätze, die Dresden bewahrt, sind’s, was um seinen Namen einigen Heiligenschein wirft, der über die Welt hin leuchtet. In den verschwenderischen, aber kunstliebenden Augusten hatte es seine Mediceer und Herder’s Wunsch:
hat selbst der Kriegsgott erhört. In Zeiten, wo kein Privateigenthum sicher war, geschweige des Staats, blieb Dresdens Kunstheiligthum doch unangetastet. – Zuerst verdient die Gemäldegallerie Erwähnung, die vor einigen Jahren neu geordnet in einer großen Anzahl von Sälen und Zimmern des königlichen Schlosses aufgestellt ist. An Werken der italienischen und niederländischen Schulen ist diese Sammlung eine der reichsten in der Welt. Von Rubens sind 30 Bilder da (die Löwenjagd, das QUOS EGO, Meleager und Atalanta etc.), von Van Dyck 18, (Danae, König Karl I.), viele Rembrandts (Bildnisse von ihm selbst mit seiner Frau, seiner Mutter und Tochter), von Ostade, (der Meister in seiner Werkstatt), Bol, Mieris, Gerhard Dow, Teniers mehre. – Bewundernswürdig sind die Wouvermanns, und von den schönsten Werken Adrian van der Werfs sieht man eine ganze Reihe. Vortreffliche Paul Potter’s, Van der Neer’s, Both’s, Goyen’s, Snyder’s, Berghem’s, Everdingen’s; auch köstliche Stillleben von de Heem, Huysum, Eckhout etc. erfreuen in großer Zahl. Hervorstechende Zierden sind Ruysdaels Jagden und Wasserfälle und die Architekturbilder von Steenwyck. In der deutschen [79] Schule ist Holbein’s Muttergottesbild die Perle; die Lukas Kranach, einige Dürer, Tafeln von van Eyck und Lukas von Leyden gehören zu den besten Werken dieser Meister. Aus der französischen Schule sind zwei herrliche Claude und die heroischen Landschaften von Poussin berühmt. – Die Säle der Italiener (Hauptschätze wurden im Kaufe der Modenesischen Gallerie durch August III. für 1,200,000 Thaler erworben) haben einen Reichthum an Corregio’s, wie keine Sammlung in der Welt, und nirgends kann man diesen großen Künstler besser studiren, als hier. Seine Nacht, seine Madonna des heiligen Franziskus, seine Magdalena sind weltbekannt.
Giulio Romano, Tizian (dessen lebensathmende Venus, der Zinsgroschen etc.), Andrea del Sarto, die beiden Palma, Paul Veronese (die Kreuztragung), die Carracci, Guido, die Albani werden durch viele ihrer schönsten Erzeugnisse repräsentirt. Carlo Dolce’s himmlische Cäcilia, Battoni’s reizende Magdalena, Guercino’s Loth, die heilige Nacht des Carlo Maratti, Hero und Leander von Mola sind ächte Perlen der Kunst. Aber die Krone der ganzen Sammlung und aller Bilderschätze der Welt ist der einzige Raphael – die sistinische Madonna[1]. Ursprünglich für das Kloster der Benediktiner zu Piazenza gemalt, erkaufte diesen unschätzbaren Juwel König August der Dritte vor etwa 100 Jahren für die geringe Summe von 17,000 Dukaten.
Die Einrichtungen, welche den Genuß solcher Kunstschätze dem Publikum zugänglich machen, und angehenden Künstlern das Studium derselben ermöglichen und erleichtern, sind musterhaft und in jenem liberalen Geiste, der dem Regentenhause Sachsens seit jeher innewohnt.
In den schönen Sälen des japanischen Pallastes sind die königliche Bibliothek (täglich von 11 bis 1 Uhr geöffnet), die Antikensammlung, das Münzkabinet und die Porzellansammlung aufgestellt. Das weltberühmte Kupferstichkabinet in den Sälen des Zwingers (jetzt unter der Leitung Frenzel’s, Heineke’s würdigem Nachfolger) besitzt an 200,000 Blätter, und die größten, besonders die ältesten Meister, sind hier in einer Vollständigkeit vorhanden, wie sie selbst die Wiener und Münchner Sammlungen entbehren. Im nämlichen Pallaste befindet sich auch das sogenannte grüne Gewölbe, eine sehr zahlreiche und höchst kostbare Sammlung von Seltenheiten, Juwelen und künstlichen Arbeiten in Elfenbein und Alabaster, Metallen und Edelsteinen, zu der, in besonderen Zimmern, Sammlungen von Uhren und Gewehren, von Anfang der Erfindung an, und viele Hunderte von künstlichen [80] Modellen von Maschinen und merkwürdigen Gebäuden des Alterthums gehören. Vieles Unbedeutende und manche Spielereien sind hier mit dem Kostbarsten zusammengehäuft, und eine Sonderung thäte Noth.
Schöner und herrlicher aber als alle Kunst ist Dresden’s Natur, und in dieser Beziehung gebührt ihm der Preis vor allen andern Königsstädten Deutschlands. Auf der einen Seite sieht es den prachtvollen Strom langsam und majestätisch durch ein breites und üppiges Thal sich winden, dessen, der Mittags-Sonne zugekehrten Wände Weinberge bedecken, mit unzähligen Winzerhäuschen und Villen; auf der andern Seite, nach Böhmen hin, breitet sich aus jene Landschaft mit den finstern und romantischen Thälern, mit Vesten und den Trümmern von Raubritterburgen auf wundersam gestalteten Felsen, voll wilder Bergströme, die bald in tiefen Schluchten brausen, bald als Kaskaden und Wasserfälle hoch herabstürzen; mit einem Worte: die sächsische Schweiz. Die Betrachtung der schönsten Punkte derselben aber sparen wir für eine besondere Beschreibung auf.
- ↑ Seit 4 Jahren ist ein bekannter Künstler, in Auftrag des bibliographischen Instituts, beschäftigt, dieses Bild, noch etwas größer, als das berühmte Müller’sche Blatt, in Stahl zu stechen: – ein Werk, das, vollendet, die Kunstwelt als eine der großartigsten und herrlichsten Erscheinungen zu erfreuen verspricht.