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Ein Abend beim Herzog Decazes

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Textdaten
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Autor: Georg Horn
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Titel: Ein Abend beim Herzog Decazes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 229–231
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Abend beim Herzog Decazes.


Vor einigen Jahren, bei Gelegenheit der Wiener Weltausstellung und des Besuchs, den die Kaiserin Augusta am Wiener Hofe machte, habe ich meine Leser in jene Salons den Hauses am Ballplatze geführt, von wo aus der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich so lange Zeit die Geschicke Europas lenkte. Heute will ich sie in jenes Ministerhôtel am Quai d’Orsay in Paris führen, das für Frankreich und für die Katastrophe von 1870 so verhängnißvoll geworden ist.

Wie man im Jargon der Presse unter der Wilhelmsstraße in Berlin, unter dem Ballplatze in Wien das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten versteht, so in Paris unter dem Quai d’Orsay. Schon durch die Lage an der Seine übertrifft das Gebäude seine Collegen in den beiden andern genannten Weltstädten. Auf dem linken Ufer derselben bildet es einen der imposantesten Prospectpunkte des Concordeplatzes, dieses schönsten Platzes der Welt. Wenn man von der Rue Royale kommt und den Place de la Concorde durchschneidet, so legt sich jenseits der gleichgenannten Brücke in seiner antiken Großartigkeit der Palast des Corps Legislatif vor; rechts daneben, viel discreter als das genannte Gebäude und gleichsam in einem Abhängigkeitsverhältnisse von diesem steinernen Ausdrucke souveräner Volksmacht, schaut aus dichten Baumgruppen, die es vom Lärme und Treiben der Straße abschließen, das Gebäude, in welchem der ganze Apparat der auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs mit ihrem Leiter an der Spitze wohnt und arbeitet. Das in modernem italienischem Palaststyle erbaute Vordergebäude ist zur Wohnung des Ministers und zur gesellschaftlichen Vertretung Frankreichs bestimmt. Die Hintergebäude erstrecken sich bis an die Esplanade der Invaliden und an die Rue de l’Université. Der alte Guizot hatte das Hôtel gebaut; er glaubte sich in den vierziger Jahren als Minister den Aeußern ein recht warm-gemüthliches Nestchen bereitet zu haben; die Zeit sah nach nichts weniger als nach Sturm aus, oder vielmehr, er wollte die Vorboten desselben nicht sehen – kurz, als das Haus fertig war, war auch er mit seinem Ministerium zu Ende. Seitdem haben gar viele Minister hier die Wohnung gewechselt, unter der Republik und unter Napoleon dem Dritten. Der letzte war jener diplomatische Don Quixote, jener Herzog von Grammont, der, im Aeußern, wie in seiner Handlungsweise ein Urbild übermüthiger Unbedachtsamkeit, die Geschicke des zweiten Kaiserreichs zu einem so tragischen Ende bringen sollte. Zwischen diesen Räumen am Quai d’Orsay und jenem Pavillon dort in der Ferne, der durch hohe, Jahrhunderte alte Bäume das Tuilerien-Schloß markirt, spielte die Vorgeschichte des Krieges von 1870. Dann schob sich eine dritte Gruppe zwischen beide; das waren die Vertreter des französischen Volkes, die in dem Palaste an der Pont de la Concorde tagten und mit einem Votum Frankreich zum dritten Male zur Republik erklärten.

Der gegenwärtige republikanische Minister der auswärtigen Angelegenheiten ist bekanntlich Herzog Decazes, dessen Vater von Louis Philipp zu dieser Würde erhoben wurde, was für ihn kein Hinderniß war, sich der neuen Ordnung der Dinge zur Verfügung zu stellen.

Mit dem Sturze des alten französischen Königthumes hatten die Anhänger desselben eine Formel gefunden, die ihnen erlaubte, unter Napoleon dem Ersten, unter Louis Philipp, unter Napoleon dem Dritten zu dienen, die Formel, daß man keinem Souverän, keinem Machthaber, keiner Regierungsform, daß man nur Frankreich, das heißt seinem Vaterlande, diene. Diese Formel hat der Herzog Decazes unter der dritten Republik adoptirt, wie der Marschall-Präsident von Frankreich sie angenommen hat. Er thront nun länger als einer seiner Ministercollegen in dem Hôtel, das allerdings seit 1870 von dem Ansehen früherer Zeiten verloren hat; denn das wichtigste Ministerium in Frankreich ist gegenwärtig das des Krieges.

Mögen indeß auch die auswärtigen politischen Beziehungen Frankreichs an Bedeutung und Tragweite eingebüßt haben, die gesellschaftlichen haben vielleicht weniger an Annehmlichkeit des Verkehrs, als an Interesse für den Beobachter gewonnen durch die Theilung und Verschiebung, welche der französische Gesellschaftskörper seit neunzig Jahren erfahren hat. Dadurch hebt sich der Einzelne von dem gesellschaftlichen Boden schärfer und energischer ab und tritt als Parteiproduct zu der übrigen Gesellschaft in eine ihm selbst vielleicht unbewußte Action; dadurch werden Mischungen, Contraste, Conflicte erzeugt, die dem gesellschaftlichen Leben der französischen Hauptstadt ein ungemein lebendiges, farben- und bewegungsvolles Gepräge geben. Dazu kommt noch der große internationale Zuzug, den die vornehme französische Gesellschaft durch ihre frühern, so weitreichenden politischen und handelspolitischen Beziehungen zum Orient, zu den lateinischen Völkern, zu England und den tropischen Ländern erhält. Für diese mit der Mannigfaltigkeit eines Kaleidoskops sich verschiebende große, bunte Masse ist das Parquet des Ministeriums des Auswärtigen der entsprechende und beliebteste Sammelplatz.

Es ist in Paris in den officiellen Kreisen Sitte, daß der Marschall-Präsident, die Minister, Botschafter ein Diner geben, zu dem die vornehmsten Personen eingeladen werden, und da dasselbe erst um ein halb acht Uhr Abends beginnt, und wenigstens bis neun Uhr dauert, so bleiben die Gäste gleich für den übrigen Abend da; es kommen andere dazu, die nicht mitgegessen haben; dem Diner schließt sich ein sogenannter Empfang an, und diesem nicht selten ein kleiner Ball. Im verwichenen Jahre hielten der Herzog und die Herzogin Decazes einen Sonntag um den andern derartigen Empfang ab. Ich hatte bei dem Minister des Auswärtigen und der Herzogin Decazes meine Karten abgegeben, nachdem ich Beiden empfohlen worden war, und hatte dadurch den gesellschaftlichen Vorzug erworben, zu diesen Abenden zu kommen und dem Minister und seiner Gemahlin vorgestellt zu werden. Man trat in eine Reihe von Sälen, in welche ein Thürsteher die Namen der Ankommenden laut hineinrief. Im zweiten Saal empfing der Minister die Gäste; an seiner Seite befand sich seine Gemahlin. Ich bin mit den biographischen Einzelheiten den Ministers zu wenig bekannt, um wissen zu können, ob Herzog Decazes längere Zeit in England gelebt hatte, aber nach seinem Aeußern ist das anzunehmen. Die Anglomanie grassirt unter den vornehmen Franzosen fast noch mehr, als in den betreffenden Kreisen in Deutschland. Begegnete Einem der Herzog auf einer Reise in den Schweizeralpen, würde man an seiner Seite an der Table d’hôte essen, [230] so hielte man ihn sicherlich für einen Mann aus der City, aus der englischen vornehmen Welt – nur nicht für einen Franzosen, das heißt so lange er nicht spräche. So abgemessen und zurückhaltend ist seine Haltung, so ruhig, leidenschaftslos, ja kalt der Ausdruck seines Gesichts, der noch durch den englischen Zuschnitt des graublonden Bartes erhöht wird. Die Gestalt ragt nicht über Mittelgröße hinaus, ist gedrungen und kräftig, eher mager als voll, ein Gegensatz zu seinem finanzministerlichen Collegen Leon Say, bei dem sich Frankreich nur bedanken könnte, wenn das Finanzportefeuille seiner Leibesrundung gliche. Das Gesicht des Herzogs ist bleich und wird nur durch ein paar dunkle Augen belebt, deren Beweglichkeit man ansieht, daß sie zu allen Fenstern Frankreichs hinaus stets wachsam auf das übrige Europa gerichtet sind. Ob die Reserve in der äußern Erscheinung des Herzogs Natur oder Gewöhnung ist – wer sagt es!? Jedenfalls macht sie einen vornehmen Eindruck, und dieser wird noch durch die Sprechweise des Ministers erhöht. Er spricht ruhig, gelassen, mit wenig Gesticulation, wie ein Mensch, der mehr auf Gründe, als auf Ueberredung hinzielt, und noch nicht durch die Rednertribüne seiner guten Manieren verlustig gegangen ist. Der Herzog war an diesem Abende im einfachen schwarzen Gesellschaftsanzuge, sein einziger Schmuck das große rothe Band der Ehrenlegion.

Noch weniger als dem Herzog sieht man seiner Gemahlin den französischen Nationalcharakter an. Natürlich, denn sie ist eine Fremde, eine Oesterreicherin, eine geborene Baronin von Löwenthal. Ihr Vater war lange Zeit österreichischer Militär-Bevollmächtigter in Paris, und hier lernte der Herzog seine spätere Gemahlin kennen. Ohne gerade durch Schönheit hervorzuragen, hat das Gesicht doch einen fesselnden Jugendreiz behalten durch eine seltene Anmuth und eine Eigenthümlichkeit, die anderen Frauen vielleicht weniger zum Vortheil gereichen würde, als ihr. Die Herzogin spricht fast stets mit gesenkten Lidern, wodurch das Auge von langen seidenen Wimpern vollständig verschleiert wird. Was, wie gesagt, bei einer andern Frau vielleicht stören würde, wird hier zu einer Besonderheit, die für den Beschauer die Bedeutung eines inneren Symptoms gewinnt. Man ist versucht, aus diesem Munde deutsche Laute zu wünschen – die Herzogin spricht sehr gut deutsch mit etwas österreichischem Accente. Kurz vorher waren der baierische Prinz Leopold mit seiner Gemahlin, der österreichischen Erzherzogin Gisela, in Paris; Fürst Hohenlohe hatte ihnen ein Diner gegeben, bei welchem der Herzog Decazes mit Gemahlin ebenfalls gegenwärtig war, und hier „ging’s deutsch zu“. Aber das war Courtoisie für den deutschen Boden, auf dem man sich befand; heute, im Hôtel am Quai d’Orsay befand man sich auf französischem, und da ging’s französisch her. Da war noch eine Oesterreicherin in der Gesellschaft, die an einen französischen Marquis, einen Legitimisten, verheirathet war – die schönste Frau im Salon. Sie hatte die Gestalt einer Libelle, die Grazie eines Almeh, die Augen eines Kindes, ein Lächeln wie das des ersten Liebesbekenntnisses – und dazu den häßlichsten Mann auf der Erde. Im Jahre 1866 hatten die Preußen ihre Güter in Mähren heimgesucht, im Jahre 1870 die ihres Mannes in der Normandie, und seitdem bleiben ihre Lippen jedem deutschen Laute verschlossen. Sie wurde darauf hin als Specialität gezeigt.

Die Gesellschaft wuchs, je näher man an Mitternacht war. Man hörte die Namen von Ministern, Botschaftern, Deputirten, Journalisten, von Republikanern, Legitimisten, Orleanisten und allerdings sehr wenig Bonapartisten in dem Salon nennen. Die reizendsten Frauen waren da. Es waren prächtige Räume, in denen man sich befand. Die Wände mit Marmor, Stuck und Verzierungen bekleidet, die Plafonds gemalt und eingefaßt von schweren goldenen Verzierungen, die Thüren ebenso vergoldet und gemalt, überall die kostbarsten Stoffe, die herrlichsten Bronzen, Vasen, Teppiche. Kein Wunder, daß der parlamentarische Ehrgeiz nach diesem Wohnhause lüstern wird! Im ersten Empfangszimmer hängt das große Oelbild, welches die Theilnehmer an jenem Congresse darstellt, welcher den Pariser Frieden zur Folge hatte. Es hat schon sehr nachgedunkelt, ebenso wie die diplomatische That von damals. Man machte mich auf die Spuren der Kugeln aufmerksam, die an den einzelnen Köpfen zu sehen waren, namentlich der französischen Congreßtheilnehmer. Die Communarden hatten in der jüngsten Schreckenszeit von dem Ministerhôtel Besitz genommen und in ihren Mußestunden, deren sie sich viele machten, nach den Köpfen geschossen. Die einzelnen Schäden sind ausgebessert, aber die Spuren doch noch bemerkbar. Unter diesem Bilde stand in dem Augenblicke, wo ich es betrachtete, ein nicht sehr großer, hagerer Mann mit einem blassen, sehr ausgedörrten Gesichte. Es war Sadik Pascha, der türkische Botschafter. Rings um ihn hatte sich ein Kreis von besternten und bebänderten Herren gebildet, die mit Gesticulationen – es war kurz nach der Affaire von Salonichi – den armen Mann fast buchstäblich an die Wand bohrten, daß seine Augen ängstlich nach einem Rettungspunkte umhergingen. Die um ihn standen, waren der Marquis von Molins, der spanische Botschafter, der ungefähr so aussieht, wie ein ausgehungerter Figarosänger von einem mittleren deutschen Stadttheater, ferner der große, d. h. der lange Lord Lyons, Englands Ambassadeur, dessen großes rothes Band sich wie eine internationale Demarcationslinie über den dicken Leib spannte; da war ferner einer der russischen Secretäre – ich weiß nicht mehr, wer sonst. Das war ein so leidenschaftliches Reden, Sich-Bewegen und Erhitzen, daß schließlich der Türke seinen Wagen befahl, um in sein Palais in der Rue Lafitte zurückzufahren, wo er bekanntlich Miethsmann des Herrn von Rothschild ist.

Das ist das Geheimniß der Anziehungskraft, welche die moderne französische Gesellschaft stets ausgeübt hat, daß sie in ihrer Zusammensetzung Alles vereinigt, was zum öffentlichen, staatlichen, geistigen oder künstlerischen Leben in irgend einer Beziehung steht, auf dasselbe irgend einen Einfluß zu üben befähigt ist. Sie stützt sich nicht ausschließlich auf Traditionen; sie geht in erster Linie auf Capacitäten aus. Die Salons im Elysée, in den Ministerien stehen Allen offen, die nicht nur ihrem Namen, Rang oder Titel nach etwas bedeuten, sondern die in der That etwas sind. Mögen sie heißen, wie sie wollen, wenn sie nur eine geistige Individualität besitzen, mit Hülfe deren sie in der öffentlichen Meinung Gewicht und Stimme haben. So spielt im französischen Salon die Journalistik eine große Rolle. Leute wie die Chef-Redacteure der großen Pariser Blätter nehmen hier eine Stellung ein, verkehren hier gleich und gleich mit den Würdenträgern ihres Landes und den Vertretern auswärtiger Mächte, daß die Collegen in Deutschland sie baß beneiden würden.

Man muß von diesen Vertretern der öffenlichen Meinung bekennen, daß sie die gesellschaftliche Form mit einer Virtuosität handhaben, als ob ihre Aeltermütter bereits auf den Tabourets in Versailles gesessen hätten. Sie befolgen jene für alles gesellschaftliche Leben unerbittliche Regel, durch nichts in der Gesellschaft auffällig zu erscheinen oder sich aus dem Rahmen derselben loslösen zu wollen. Man sieht die Chef-Redacteure, die hervorragenden Mitarbeiter der bedeutenden Blätter, die Correspondenten der großen englischen, amerikanischen Zeitungen in allen vornehmen Salons, bei Mac Mahon und bei den Ministern. Dem verstorbenen preußischen Gesandten Grafen von der Goltz war das sehr unbequem. Er erklärte, nur die Leute bei sich sehen zu können, die am Hofe von Berlin repräsentationsfähig wären, was übrigens eine ganz falsche Auffassung war, und lud daher zu seinen Bällen auch nur den Redacteur des Paris-Journal ein, Monsieur de Pène, nur weil dieser von Adel war. Das ist in der deutschen Botschaft nun auch anders geworden. Dort hatte ich kurz vorher die Bekanntschaft Kramer’s und Bude’s, der beiden Vertreter der „Kölnischen Zeitung“, Beckmann’s, des Correspondenten der „Nationalzeitung“, der Paris wie kein anderer Deutscher kennt, Ed. Landsberg’s, des Vertreters großer deutscher und österreichischer Blätter, gemacht. Bekanntlich zeichneten sich von jeher die preußischen Gesandten im Auslande gegen ihre Landsleute und namentlich gegen solche, die nicht aus ihrer Gesellschaftssphäre waren, eben nicht durch ein Uebermaß von Liebenswürdigkeit oder auch nur Entgegenkommen aus. Die verschiedensten Klagen wurden in dieser Beziehung allenthalben laut. Das deutsche Reich scheint auch hier andere, neue Bahnen eingeschlagen zu haben. Von allen Deutschen in Paris wird anerkannt, daß Fürst Bismarck auch eben wieder in der Wahl des Fürsten Chlodwig Hohenlohe für den so höchst wichtigen Posten eines deutschen Botschafters seinen großen Blick, seine glückliche Hand gezeigt habe. Unter den obwaltenden Verhältnissen, bei der Erbitterung, dem Hasse, der in Paris, in Frankreich den Deutschen auf Tritt und Schritt begegnet, war es gerade die in milden, versöhnlichen Formen sich bewegende Persönlichkeit des deutschen Botschafters, die manche Schwertspitze stumpf machte, [231] manchen Conflict beschwor. In der gerade für einen derartigen Posten glücklich begabten Natur des Fürsten reichen sich Wohlwollen des Herzens und energische Zähigkeit des Willens die Hand. Der Fürst weiß, wofür er in das deutsche, vielmehr preußische Haus in der Rue de Lille gesetzt worden ist. Die ihm an die Hand gegebenen politischen Gedanken, die Vertretung der Rechte seiner Landsleute finden in ihm einen unermüdlichen Arbeiter, einen thatkräftigen Anwalt. Und bei dieser fast hartnäckigen Verfolgung der Interessen seines Landes hat sich der Fürst in der Pariser Gesellschaft eine Stellung errungen, wie fast keiner seiner Collegen.

„L’Ambassadeur d’Allemagne!“ ruft der Thürsteher in die Säle.

Ein an Gestalt nicht sehr großer, sogar beinahe schmächtiger Mann, in einer etwas nach vorn gebeugten Haltung, tritt in die Säle. Es ist der Fürst Hohenlohe. – Der Herr des Hauses schüttelt ihm nach englischer Sitte die Hand; die Herzogin schwebt mit ihrer bezaubernden Anmuth auf ihn zu. Er grüßt mit einem feinen Lächeln, das über das bleiche Gesicht fliegt, und die dunklen, glänzenden Augen gehen forschend im Kreise umher. Nach dem ersten Eindrucke erscheint Fürst Hohenlohe eine passive Natur – die Activität ist um ihn herum, in dem Kreise, der sich in einem Nu um ihn gebildet hat. Aber er läßt sich nicht bannen; er steuert auf die Ziele des Abends zu, auf die Leute, die ihm heute zu sprechen vielleicht gerade nöthig sind. Ist es Léon Say, einer seiner diplomatischen Collegen; ist es der Präfect von Paris; ist es der Kriegsminister, oder Emile de Girardin; ist es am Ende gar der päpstliche Nuntius? Der Vertreter Seiner Heiligkeit scheint übrigens noch nicht anwesend zu sein. Da erschallt die Stimme des Thürstehers:

Le nonce (Der Nuntius)!“

Die großen Flügelthüren öffnen sich, und herein schwebt mit einem Honiglächeln in den Mienen Monseigneur Meglia. Er ist kein Theateritaliener mit gelbem Teint und schwarzen, hohlen Augen. Man sieht in ihm eine lange, hagere, trockene Figur, mit einer Brille vor den etwas matten Augen. Er könnte sehr wohl Canzleirath in einer kleinen deutschen Gerichtsstadt sein, heirathsfähige Töchter haben und jeden Abend zum Bier und Taroc gehen.

Um keinen anderen Mann in der Gesellschaft drängen sich die Damen so sehr, wie um ihn, den Botschafter des Pontifex, den Mann in der schwarzen, violett geränderten Soutane, mit den violetten Strümpfen und den Sternen auf der Brust. Junge und Alte, Schöne und Häßliche machen ihm den Hof. Dem Nuntius nähert sich ein älterer Herr; man sagte mir, daß es ein „Senateur“ sei; er zog Monseigneur Meglia bei Seite und sagte ihm, auf Hohenlohe bezüglich:

„Lassen Sie sich von ihm, Monseigneur, nicht auf das Eis führen! Sie wissen, er ist ein feiner Kopf und hat eine große Ueberredungsgabe.“

„Wer ist dieser Mann?“ hörte man um sich oftmals fragen, und dabei richteten sich die Blicke auf einen Herrn, der in einfachem schwarzem Fracke mit weißer Binde ohne jedes Abzeichen, mitten in einer Wolke von Tüll, Seide und Fächern saß. „Es ist der preußische Minister, Herr Delbrück.“ Aber im Nu waren ein Dutzend Lorgnetten auf diese Moltke-Physiognomie in Civil gerichtet, um das Wunder des Abends sich genauer anzusehen. Delbrück war kurz vorher in Paris eingetroffen; die Journale hatten seine Ankunft angezeigt, ihn mit ihrer Aufmerksamkeit geradezu verfolgt; jeden Morgen und Abend meldeten sie ihren Lesern, wo Delbrück gewesen, gegessen, was er gesehen, gesprochen hatte, und das Diner, das diesem Empfangsabend vorhergegangen, war gleichsam ihm zu Ehren veranstaltet. Unsern Minister hatte ich schon oft gesehen, die Königin von Spanien, Isabella von Bourbon aber noch nicht. Sie betrat eben an dem Arme des Herzogs Decazes die Salons. Ich sah eine sehr corpulente, sehr mühsam gehende Frau, die in ein wunderbares Gemisch von Himmelblau und Violett gekleidet war. Diese Fülle von Leibesgestalt absorbirte zwei Blicke auf einmal; der dritte wurde durch die Züge des Gesichts gefesselt. Dieselben besitzen noch eine gewisse Frische; die Augen sind dunkel und funkeln noch mit allem Feuer der Jugend. Spaniens stolze Königin würde man in ihr allerdings nicht vermuthen. Wäre sie mir in einem stillen Thale ohne Diamanten und Spitzen begegnet, würde ich sie nach ihrem Gebahren, nach ihrem Grüßen und Sprechen und ihrem Interesse für die einzelnen Persönlichkeiten für eine recht wohlwollende, freundliche Frau gehalten haben, die sich gern amüsirt und auch Freude an der Freude Anderer hat. Sie erschien in der Gesellschaft stets allein, nur von der sehr schönen jungen Frau eines ihrer Verwandten, der Prinzessin Louise von Bourbon geb. Hamel, einer Amerikanerin, begleitet. Dann war ihr Hofstaat um sie, der allerdings aussah, als ob die einzelnen Persönlichkeiten dem Zeichner Doré zu den grotesken Figuren aus Aschenbrödel als Modelle gesessen hätten.

Der König, Isabellens Gemahl, kam nie in die Gesellschaft; er bewohnt jetzt noch ein eigenes kleines Hôtel. Die Königin sah er nie, nur die Infantinnen kamen jeden Tag zu ihm. Von fürstlichen Persönlichkeiten war an diesem Abende nur noch der zweite Sohn Louis Philipp’s, der Herzog von Nemours, anwesend mit seiner Tochter, der Prinzessin Blanche. Wenn man das Bild des so jovialen und schlauen Bearners, Heinrich’s des Vierten kennt, dann braucht man den Herzog von Nemours nicht erst zu portraitiren – er ist Heinrich der Vierte im Fracke, das heißt dem Aeußern nach. An keiner von allen hier anwesenden Persönlichkeiten markirten sich die Wandlungen, die Katastrophen, die Frankreich seit 1848 erfahren, in so gegenständlicher Weise, wie an ihm. Seine Jugend verbrachte er als Königssohn drüben im Tuilerien-Schlosse, das nun in Trümmern liegt; vor zweiundzwanzig Jahren waren er und die Seinen vom vaterländischen Boden verbannt worden, und nun ist er als Bürger Frankreichs in dem nivellirenden schwarzen Gesellschaftskleide wie jeder Andere hier, dessen Wiege vielleicht in einer ärmlichen Hütte gestanden hatte, der Gast des Ministers der Republik. Klingt das nicht fast wie der Anfang eines Märchens? Aber Märchen wollte ich nicht erzählen – nur einen Abend beim Herzoge Decazes schildern.

Georg Horn.