Ein Abendbesuch bei Pelekanen

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Ein Abendbesuch bei Pelekanen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 729–731
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Abendbesuch bei Pelekanen.
Von Brehm.

Mein letzter Jagdausflug, welchen ich im Auftrage und später im Geleit seiner Hoheit des Herzogs von Coburg-Gotha unternahm, war eben keine Lustreise. Dazu gab es zu wenig Zeit. Ich reiste mit der englischen Ueberlandpost binnen noch nicht ganz vierzehn Tagen von Leipzig bis Aden und fuhr von dort noch am Tage meiner Ankunft auf einer eigens gemietheten Fischerbarke wieder ab nach Massaua.

Ein Blick auf die Karte genügt, um festzustellen, daß man zur Fahrt von Aden nach letzgenannter Stadt den ganzen Meerbusen von Aden und das Babel Mandeb durchschneiden und dann noch in schiefer Richtung das rothe Meer überfahren muß. Bei recht günstigem Winde kann solche Reise in drei bis vier Tagen zurückgelegt werden; bei widrigem Wetter kommt es vor, daß man über einen Monat vor dem Bab el Mandeb liegen muß, ehe der Schiffsführer im Stande ist, die starke Strömung zu überwinden und in das rothe Meer einzufahren, wo er dann, so gut oder so schlecht als möglich, mühsam zwischen den Klippen dahinkreuzt, wenn es irgend geht, in nächster Nähe der Küste. Wir hatten anfänglich guten, dann aber sehr schlechten Wind, und deshalb mußten wir bei der Eile, welche ich hatte, jeden Augenblick wahrnehmen, um noch rechtzeitig in Massaua einzulaufen. Dies bedauerte ich um so lebhafter, weil das rothe Meer im Süden ein überaus ergiebiges Gebiet der anziehendsten Jagden ist, welche ein Forscher nur machen kann.

So vogelarm der lange, schmale Meerbusen im Norden ist, so großen Reichthum entfaltet er im Süden. Es giebt dort wirkliche Vogelberge, wie im hohen Norden. Manche der kleinen vulcanischen Felseilande sind seit Jahrhunderten so beliebte und besuchte Wohnorte der Vögel, daß man hier mit gutem Gewinn und leichter Mühe ihren Dünger aufsammeln könnte. Eine dichte Schaar von zwei verschiedenen Arten Tölpel, sechs bis acht Arten Möven, mehreren Arten Seeschwalben und Pelekane sitzt hier Tag und Nacht zu Hunderten vereinigt, um zu verdauen, und eine dichte lebendige Wolke umgiebt die Gipfel vom Morgen bis zum Abend.

Hart an solchen Eilanden ging unsere Fahrt vorüber, aber, weil das Glück mir nicht wohl zu wollen schien, regelmäßig mit dem vortrefflichsten Winde, so daß unser leichtes Boot mit seinen großen Segeln in Nichts zu wünschen lassender Eile dahinjagte. Einige Male kamen wir förmlich in jene Vogelwolken hinein, und da wurde dann natürlich auch das treue, auf meinen früheren Reisen in Spanien, Norwegen und Lappland erprobte Jagdgewehr vorgenommen, und rechts und links stürzten die längst bekannten, aber immer noch seltenen, und die erst vor wenigen Jahren von Heuglin entdeckten, in allen Museen noch fehlenden Tölpel in die salzigen Wellen; – aber an ein Aufhalten der Fahrt, an ein Herausfischen der Beute war nicht zu denken! Die Takelung der arabischen Schiffe des rothen Meeres ist so vorweltlicher Art, daß zu jede Segelwendung die Raa im Mast niedergelassen, mühsam herumgedreht und dann wieder aufgezogen werden muß. Mehr brauche ich gar nicht zu sagen, um zu beweisen, daß wir längst auf mehrere hundert Ellen weit an den Erlegten vorbeigeschossen waren, ehe nur ein Anhalten hätte bewirkt werden können; denn daß ein Reffen des Segels mehr Arbeit macht, als das bloße Wenden, versteht sich von selbst. Und mit dem Reffen wäre es überdies noch nicht abgemacht gewesen; man hätte auch noch das kleine Boot, welches im Bauche des größeren lag, in’s Meer lassen müssen. Kurz, jeder aufzunehmende Vogel hätte mindestens einen Aufenthalt von einer halben bis dreiviertel Stunden verursacht; und diese halben Stunden hatte ich eben nicht.

So schien es, daß ich, ohne einen Vogel erbeutet zu haben, nach Massaua gelangen würde. Ich schmollte natürlich mit meinem widrigen Geschick, ergab mich aber so gut als thunlich in das Unvermeidliche. Doch sollte es noch anders kommen; ich fand Gelegenheit, eine Jagd auf Pelekane zu machen, wie sie mir vorher noch nie geboten worden war.

Der Pelekan, welchen unsere Thierbudenbesitzer regelmäßig als Aushängeschild zu benutzen pflegen, und welcher deshalb wohl allen meinen Lesern bekannt sein dürfte, bewohnt in mehreren Arten Afrika, welches als sein eigentliches Heimathsland angesehen werden muß. Zwar kommen drei verschiedene Arten dieser merkwürdigen Sippe auch in Europa vor, niemals aber in den ungeheuren Schaaren, in welchen sie sich in Afrika finden. Schon in den Strandseen Aegyptens vereinigen sich während des Winters, welcher auch die nördlicher wohnenden nach dem gastlichen Erdtheil treibt, Gesellschaften, von deren Stärke man sich keinen Begriff machen kann, wenn man sie nicht selbst gesehen hat. Auf weite Strecken hin bedecken sie den See; aus der Ferne betrachtet, erscheinen sie wie ungeheuere weiße Seerosen. Zur Zeit der Nilüberschwemmung sieht man Heere von ihnen aus den unter Wasser gesetzten Fluren des Deltas, zwischen den Dämmen, welche die Dörfer miteinander verbinden, dahin rudern und fischen; und einzelne, rings vom Wasser umfluthete Sandbänke sind zuweilen von ihnen so überfüllt, daß Kampf und Streit um die Sitzplätze entsteht, wenn neue hinzukommen. Auf den einzelnen Mimosengruppen, welche auf den Strominseln des weißen und blauen Nils sich finden, sitzen sie manchmal in solcher Menge, daß es scheint, als wäre der ganze Hain mit großen, weißen Blüthen bedeckt, und die gewaltigen Adansonien, nahe an den Flüssen, erhalten gerade zu der Zeit, wo sie blätterlos sind und ihre dicken Aeste und Zweige so sonderbar in die Luft hinausrecken, durch sie einen gar wunderbaren Schmuck. In eben so großer Anzahl, obgleich der vielen günstigen Stellen halber mehr vertheilt, finden sie sich auf dem rothen Meere. Dieses ist ein wahres El-Dorado für sie. Es ist reicher an Fischen als irgend ein anderes Meer, und die schuppigen Wasserbewohner, die Beute, welcher die Pelekane eifrig nachstreben, bevölkern gerade jene großen, seichten, von der Sonne so recht durchglühten, pflanzenreichen Stellen in besonderer Menge, bis zu deren Grunde der langhalsige Vogel mit seinem Hamenschnabel hinabreichen kann. Es ist also kein Wunder, daß hier unsere Thiere sich bleibend angesiedelt haben und mit unermüdlicher Ausdauer Guano bereiten, vielleicht in der Hoffnung, sich hierdurch noch als recht nützliche Mitglieder der Vogelclasse zu beweisen.

In einer Versammlung unserer deutschen Vogelkundigen erzählte einmal ein junger Mann von seinen Reisen, welche er in die Donautiefländer unternommen hatte, ausschließlich zu dem Zweck, die dort lebende Vogelwelt zu beobachten. In seinem Berichte wiederholte er dreimal, daß er Pelekane gesehen, sich mühsam an dieselben herangeschlichen und dieselben auch erlegt haben würde, wenn – nun kam das Pferdefutter des dicken Abtes, welchen der Kaiser, laut Bürger, so sehr aus seiner nichtsnutzigen Behäbigkeit aufstörte. Ich konnte mich bei jenem Vortrage des Lächelns nicht erwehren, wenn ich daran dachte, wie ich früher in Afrika dem Pelekan mitgespielt hatte, fühlte aber in die tiefste Seele unseres jungen Vogelkundigen hinein, wie nahe es ihm gegangen sein mochte, die schönen Vögel ziehen lassen zu müssen. Denn Derjenige, in dessen Brust auch nur ein Funke von dem Jagdfeuer glüht, versteht ohne Worte, daß ein so sonderbar gestalteter, schöner, großer Vogel, dessen ganzes Wesen und Leben ebenso eigenthümlich ist, als seine Gestalt, nothwendiger Weise zur Jagd auffordern muß. Ich meinestheils hätte eigentlich zufrieden sein können mit den Jagderfolgen, welche ich gerade bei den Pelekanen gehabt hatte; aber mir kam es darauf an, die im rothen Meere wohnenden, früher nicht beobachteten Arten zu erbeuten, um auf den großen Altar der Wissenschaft wieder ein Scherflein werfen zu können, wie sie es verlangt.

Am fünften oder sechsten Tage unserer Fahrt auf dem rothen Meere gelangten wir in eine jener Gegenden, wo die Pelekane als gemeine Thiere angesehen werden müssen, d. h. wo sie kaum minder häufig sind, als bei uns zu Lande die Sperlinge. Wir waren in die Nähe der Dahlakinseln gekommen und schon an einigen Eilanden vorübergefahren, welche der braune Eingeborne nur zeitweilig mit seinen Viehheerden besucht, während der übrigen Zeit aber dem Geflügel des Meeres zur alleinigen Benutzung überläßt. Hier saßen die Pelekane, Regimentern vergleichbar, in unglaublicher Menge am Strande, theils um verdauend auszuruhen, theils beschäftigt mit dem zeitraubenden Putzen, Ordnen, Glätten und Einfetten des Gefieders, welche Arbeit ja den Vögeln, wie bekannt, einen guten Theil ihrer Zeit wegnimmt. Manchmal hatte es den Anschein, als ob große Heerden blendend weißer Schafe [730] auf der Insel weideten, und ich begriff jetzt erst, wie die Schiffer dazu kommen konnten, die Albatrosse, welche in südlichen Meeren in ähnlicher Weise sich zeigen, mit dem Namen „Capschafe“ zu beschenken. Hier war aber mit der Jagd nichts zu machen; denn sonderbarer Weise zeigten sich die doch ganz unbehelligten Pelekane scheuer als irgendwo. Sie wichen dem Boote mit der größten Sorgfalt aus und erhoben sich augenblicklich, wenn unser Führer, welcher meinetwegen ein menschliches Rühren zu verspüren schien, den Versuch machte, sich ihnen zu nähern. Ich schoß einige Male mit der Büchse vergeblich unter die Haufen, fand es aber bald unterhaltender, einem der hier sehr häufigen Haifische oder einem der immer und immer wieder auftauchenden Delphine eine Kugel auf den Pelz zu brennen. Schließlich hatte ich die Jagd entsagend aufgegeben. Da half mir ein glücklicher Zufall doch noch zur Erfüllung meines Wunsches.

Auf unserem Boote war wegen der langen Fahrt das Brennholz ausgegangen, und unsere Matrosen, welche jetzt, während des Ramadan, überhaupt nur eine Mahlzeit genossen, thaten alles Mögliche, um eine Landung zu bewerkstelligen. Eine kleine Insel, die „Djesiret el Namuhs“, schien ihnen besonders geeignet zu sein, sich mit neuem Vorrath zu versehen. Auf sie hin wurde also das Schiff gelenkt. Ich erfuhr beiläufig, daß die Insel von Menschen verlassen sei und auch niemals bewohnt werden könne, weil sie ihren Namen mit erschreckender Wahrheit bethätige. Djesiret el Namuhs bedeutet nämlich die Mückeninsel, und nach den Versicherungen unserer Matrosen sollten diese kleinen Quälgeister der höheren Geschöpfe in geradezu unglaublichen Schaaren dort heimisch sein.

Gegen Abend stieg das Eiland über den Meeresspiegel heraus, und nach weiterer Fahrt zeigte es sich als ein ausgebrannter Krater, welcher ringsum mit einem dichten Walde mittelhoher Bäume oder besser hoher Büsche bewachsen war. Auf dem grünen Rande sah ich zu meiner nicht geringen Freude dicht aneinander jene lebendigen weißen Blüthen, welche die Pelekane und Reiher ihm eingestickt hatten. Die Mückeninsel war ein Schlafplatz der von mir gewünschten Vögel, und wie es schien, hatte sich ein guter Theil der Bewohner des rothen Meeres hier versammelt.

Ich beschloß, sofort den zum Schlafen aufgebäumten Vögeln einen Besuch zu machen. Nächtliche Jagden habe ich von jeher mit besonderer Liebe betrieben, weil sie bei vielen Thieren, und zumal bei Vögeln, gewöhnlich am sichersten zum Ziele führen. Man kann sich da so hübsch verstecken, und der arme, fliegende Schelm, den man aus seinen ersten Träumen aufstört, hängt viel zu sehr an dem einmal gewählten Platze, als daß er gleich flüchten sollte; er zeichnet sich auch, wenn die Nacht ziemlich dunkel ist, im Fliegen noch immer klar genug ab, um es dem Schützen möglich zu machen, das Todesrohr einigermaßen sicher zu richten.

Etwas nach Sonnenuntergang waren wir zur Stelle gekommen und warfen den Anker in eine jener seichten, mit dem reinsten Sande erfüllten Straßen, welche zwischen den Korallenbänken verlaufen und schon von Weitem sichtbar sind. Das kleine Boot wurde ausgehoben, in das Wasser gelassen und mit vier Matrosen bemannt. Ich hatte kaum Platz zum Sitzen mehr. Rasch steuerten wir der Insel entgegen. Als wir dort ankamen, war die Nacht bereits eingetreten. Ich ging längs des Strandes dahin, mühselig mir einen Weg suchend; denn bald kam ich an Stellen, wo das Gebüsch bis hart an das Wasser heranreichte, oder an andere, wo die Korallenbänke erhoben worden waren, aber noch ganz ihre Zerklüftung beibehalten hatten. Hier konnte jeder Schritt gefährlich werden; man konnte, ohne es zu ahnen, in eine jener tiefen Höhlungen versinken, welche, Brunnen ähnelnd, in den Korallenkalk eingetieft und gewöhnlich mit dem durchsickernden oder überfluthenden Wasser gefüllt sind. Drei von den Matrosen wendeten sich in der entgegengesetzten Richtung, um Holz zu sammeln, der vierte begleitete mich, und seinen Falkenaugen überließ ich es auch gern, den passendsten Weg zu suchen; ich hatte ohnehin mit meinen Augen genug in der Höhe zu thun.

Sobald wir den Busch betreten, fanden wir, daß die Insel ihrem Namen Ehre machte. Noch war es still zwischen den Bäumen, und wir konnten deshalb das bekannte und gehaßte Schwirren der Mücken deutlich genug vernehmen. Wie hungrige Blutegel fielen sie über uns her; nach wenigen Augenblicken waren wir von einer Wolke umgeben, und diese nahm an Dichtigkeit und Größe zu, je weiter wir vorwärts schritten. Aber das jetzt sich regende Jagdfeuer ließ, mich wenigstens, der Mücken nicht mehr achten. Gleich beim Eintreten in den Wald verkündigte mir die tiefe Baßstimme eines Pelekan, daß er etwas Ungewöhnliches gewahrt haben mußte, und bald darauf hörte ich an dem Flügelschlag, daß er sich erhoben hatte, um Rundschau zu halten. Ich blieb auf einer kleinen, lichten Blöße stehen und sah, daß mehrere der Vögel wach und rege geworden waren, bemerkte aber zugleich auch, daß sie noch keine Ahnung von dem Vorhandensein eines so gefährlichen Feindes haben konnten. Sie kreisten ruhig und still über dem Walde; einer nahte sich, und der erste Schuß donnerte durch die Nacht. Der Pelekan zuckte zusammen; die Flügel wurden schlaff, er sauste nieder. Allein ich hatte die Richtung seines Fluges nicht beachtet. Das Parallelogramm der Kräfte machte sich geltend. Hart vor mir, aber immer noch zu weit, stürzte der getödtete Vogel klatschend auf die Meeresfläche, und die von dem Ufer zurückgeworfenen Wellen trugen ihn bald weiter und weiter hinaus in die dunkle See.

Unmöglich vermag ich den Eindruck zu beschreiben, welchen dieser Schuß auf die schlafende Gesellschaft hervorrief. Hunderte von Pelekanbässen wurden hörbar, die Reiher kreischten laut auf; Alles flog und schwirrte durcheinander; von jeder Seite her vernahm man das Fuchteln der Flügelschläge, und an dem dunklen Himmel zog ein Schatten nach dem andern vorüber. Ich sandte rasch den zweiten Schuß ab. Er blieb erfolglos; wahrscheinlich hatte ich mich in der Entfernung getäuscht. Wiederum erhob sich ein neuer Schwarm aus dem Dickicht. Es schien, als hätten die Thiere den ersten Schuß überhört oder wären nach ihm starr vor Schrecken geworden und hätten gleich wieder gebäumt. Mit dem dritten Schuß donnerte ich einen zweiten Pelekan herab. Er fiel unweit von uns in das Gebüsch. Wie ein Leopard kroch der Somali, welcher mich begleitete, durch die Büsche, und lange mußte er suchen, ehe er die Beute auffand.

Tiefer und tiefer waren wir in den Wald gekommen; aber mit jedem Schritte wurde er undurchdringlicher. Tausende von Dornen bemühten sich, wenn auch glücklicher Weise vergebens, mir meine Kleidung vom Leibe zu reißen; Aeste, welche nicht richtig gesehen worden waren, schlugen mir den Hut vom Kopfe oder hingen sich in die Riemen der Jagdtasche; jeder Schritt mußte erst erkauft, errungen werden. In solchen Augenblicken merkte ich nun auch wieder die mir nachziehenden stechenden Quälgeister: – es war unmöglich weiter vorzudringen. Der Führer erhielt also den Befehl, umzukehren. Er tappte, er suchte, er kroch; der gute Somali hatte den Weg verloren! – Jetzt war unsere Lage keineswegs eine angenehme mehr, obgleich ich es überaus lächerlich fand, in einem Walde, welcher höchstens ein paar Morgen Landes deckte, mich verirrt zu haben. Alle Mittel wurden nun aufgeboten, um uns wieder herauszusitzen. Aber wie es bei solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt: wir kamen dadurch nur noch tiefer in das Dickicht hinein. Der Matrose erhob seine Stimme, so laut er konnte; er lauerte umsonst auf Antwort. Selbst das eintönige und doch so angenehme Schlagen der Wogen, welche gar nicht weit von uns an den Felsen brandeten, tönte nur wie ein schwacher Schall herüber; denn jeder Laut wurde von den im höchsten Grad erschreckten Vögeln vollständig übertäubt. Man vernahm nichts weiter, als ein unentwirrbares Zusammenklingen der allerverschiedenartigsten Stimmen, von denen auch nicht eine einzige angenehm genannt werden konnte. Das war ein Kreischen und Quaken ohne Aufhören! Der Baß der Pelekane grollte da nur dumpf dazwischen.

Mich fesselte unsere Lage. Ich träumte mich so recht in das Vogelleben hinein und dachte, daß eine Nacht in diesem Dickicht unter so anziehender Gesellschaft doch auch ertragen werden müßte. Wir hätten ja zuletzt uns häuslich einrichten können. Gefährliche Thiere gab es in diesem Urwalde nicht, und ein recht kräftiges Feuer mit darauf geworfenen grünen Zweigen hätte die Mücken schon vertrieben. Mein Somali aber war anderer Ansicht. Er schauderte bei dem Gedanken, auf der verrufenen Insel nur eine Stunde länger bleiben zu müssen, als nöthig. Immer und immer wieder versuchte er einen Ausweg zu finden. Endlich schien ihm das Glück gelächelt zu haben. Er rief mich zu sich; ich arbeitete mich durch die Büsche und sah nach etwa hundert mit mancher Fährlichkeit zurückgelegten Schritten vor mir den leuchtenden Schaum der Wogen, welche[WS 1] sanft an der Küste sich umstürzten.

„Gott sei gelobt!“ rief der Erfreute, „wir haben das Meer und gehen nun am Strande hin.“ Der gute Mann irrte sich wiederum. [731] Ungefähr auf fünfzig oder sechzig Schritte weit war der Strand so, wie man sich ihn nur wünschen konnte. Ein köstlicher gelber Sand lag da unter ziemlich hochästigem Gebüsch und bot uns einen wahren Lustpfad dar. Das Meer selbst versuchte ihn zu beleuchten. Jede Woge, welche sich am Strande brach, schimmerte hundertfach im phosphorischen Licht; wie Feuerstreifen floß es vom Strande nach der Tiefe zurück; ein feuriges Band umrankte das Eiland, so weit wir blicken konnten. Es war ein Anblick zum Entzücken. Ungern fast setzte ich meinen Weg fort. Er war sehr kurz. Ein uns jetzt in der Dunkelheit unersteiglich erscheinendes Korallenriff thürmte sich plötzlich vor uns auf und ließ nur die Wahl zwischen Umkehren oder neuem Betreten des Waldes. Ich wählte das Letztere, und nach wenigen Minuten befanden wir uns genau in derselben Lage wie früher: mitten im Gebüsch, umschrieen, umtobt und umflogen von unzähligen Vögeln, von denen ich einen um den andern herabdonnerte und, wenn ich oder der Somali ihn glücklich gefunden, der Last zufügte, welche der Matrose schon schleppen mußte. Der arme Schelm gerieth zuletzt geradezu in Verzweiflung; ich dagegen konnte mich von dem Komischen unserer Lage nicht losmachen und mußte bei jedem seiner Klagelieder immer und immer wieder auflachen. Natürlich steigerte ich dadurch seine betrübte Stimmung nur noch mehr. Er war sehr unglücklich. Plötzlich machte der gute Bursch, welcher, wie ein Jagdhund, keinen Augenblick ruhig stehen konnte, Halt und begann von Neuem nach seinen Gefährten zu rufen. Zu meiner nicht geringen Verwunderung antwortete einer der andern Matrosen, und nach wenigen Minuten hatte er sich glücklich bis zu uns durchgearbeitet.

Ein lebhaftes Gespräch zwischen Beiden entspann sich, es wurde aber in der mir vollkommen unzugänglichen Somalisprache geführt, und so mußte ich ruhig abwarten, bis sich beide verständigt. Ich hatte natürlich erwartet, daß der Ankommende von den übrigen Matrosen abgeschickt worden wäre, um uns zu holen, erfuhr aber zu meiner nicht geringen Ueberraschung, daß er im Gegentheil sich blos nach meinen Schüssen gerichtet und uns aufgesucht hatte, weil ihm das gleiche Schicksal geworden war, wie früher uns.

Jetzt wurde mir der Wald selber unheimlich, so klein er auch war. Die Matrosen sprachen ihre Furcht unverhohlen aus: sie träumten natürlich von Gespenstern. Ich trieb sie zu neuem Suchen an und befahl ihnen, vor allen Dingen die Küste wieder ausfindig zu machen. Dies gelang, obgleich die Dunkelheit inzwischen sich sehr vermehrt hatte. Nach kurzer Zeit vernahm ich die mir geltenden Rufe und arbeitete mich jetzt, allerdings mit größter Vorsicht, durch das Gestrüpp. Wir befanden uns an einem vorher noch nicht betretenen Theile des Strandes, und zwar auf einem langgestreckten Korallenriff, welches ziemlich weit in die See hineinragte. Auf diesem gingen wir bis zur Spitze vor; aber vergeblich spähten wir nach dem Feuer auf dem Schiffe: die Insel mußte zwischen uns und dem Ankerplätze liegen. Wir gingen wieder zurück und versuchten nochmals längs des Strandes hinzugehen; allein dies war wirklich unmöglich: wer Korallenklippen jemals begangen hat, wird es mir glauben. Man konnte keinen sicheren Schritt thun, ohne vorher mit dem Fuße gefühlt zu haben. Das Meerleuchten täuschte nur, aber es half Nichts. Unzweifelhaft hätten wir die Nacht am Strande zubringen müssen, wären die andern Matrosen nicht klüger gewesen als meine Begleiter, welche jetzt ziemlich kleinlaut auf der Klippe hockten. Selbst mir war die Musik des Wogenschlages vollkommen gleichgültig oder unverständlich geworden; ich sehnte mich nunmehr so recht innig nach dem harten Lager auf der Barke.

Da zeigte sich von fern ein leuchtender Streifen auf den Wellen, beide Matrosen jauchzten auf. Ihre Gefährten hatten, wie sich später ergab, ihre Holzladung glücklich zum Boote gebracht, vergeblich uns erwartet und waren auf den schlauen Gedanken gekommen, die ganze Insel zu umfahren. Auf unser Rufen näherten sie sich uns, und ungeachtet der Brandung, welche das Einschiffen nicht gerade erleichterte, sprangen wir in das Boot, welches von den Leuten sogleich umgedreht und nach der ersten Landungsstelle zurückgebracht wurde. Wir fuhren ziemlich lange am Saume der Insel dahin, und ich erkannte jetzt erst, wie weit wir in den Wald hinein gekommen waren. Von dem Landungsplatze schimmerte das Feuer freundlich zu uns herüber. Nach wenigen Minuten lag ich, meine Pfeife schmauchend, auf meiner ungarischen Bunda, welche ich vorsorglich mit nach Afrika genommen hatte und später dort auch sehr gut brauchen konnte.




  1. Vorlage: walche