Ein Ball in Paris (Fontane)
Paris hat Ball: hin durch der Gassen Enge
Braust rasselnd der Karossen bunte Menge,
Die Quai’s entlang, entlang die Tuillerien[1],
Ein rastlos Jagen und Vorüberfliehn.
Schon dröhnt „La Grêve“[2] von ihrer Hufe Stampfen,
Und jetzt ein kurzes „Halt!“ – hell glänzt das Ziel,
Der prächtge Ballsaal des Hôtel de Ville[3].
Leis knistert auf der steingehaunen Treppe
Der Atlasschuh, es rauscht die Seidenschleppe,
Der Mantel fällt, und jetzt in luftgem Shawl,
Selbst luftig, schwebt die Schönheit in den Saal.
Wiegt sich der Glanz der neuen Republik:
Die Abenteurer und die Schleppenträger,
Die Vettern all und all die Stellenjäger
(Auf deren Brust das Kreuz der Ehre blitzt,
All sind sie da, und leichter schwebt ihr Fuß,
Trifft sie des Kaiserneffen[4] flüchtger Gruß.
Der Kaiserneffe aber, klanglos hin
Zieht heut der Töne Macht an seinem Sinn,
Von wo herab im Purpur, goldgestickt,
Des Kaisers Bild auf ihn herniederblickt.
Das Kaiserbild! traun in das Festgebraus
Ein tiefer Ernst umschattet sein Gesicht,
Der Kronendurstge aber sieht es nicht,
Er sieht nur wie der Goldreif blinkt und blitzt,
Der auf der Stirne des Allmächtgen sitzt,
Das Jener spielend fast in Händen hält,
Und zitternd nach des Glückes gleicher Huld,
Ruft er sich selber zu: „Geduld, Geduld!“
So aber denken nicht die schlanken Schönen,
Mit Blüthen sind die Blühenden geschmückt,
Wie wenn man Rosen noch auf Rosen drückt,
Selbst nur ein stundenkurzes Blüthensprießen,
In ewger Furcht, die Stunde sei verpasst.
Ich tanze nicht; – im Durst nach Luft und Frische
Tret’ ich seitab in eines Fensters Nische,
Und hinter mir jetzt all den Saus und Braus,
Die lagert draußen schwarz und schwer und dicht,
Mit Eifersucht-umfinstertem Gesicht,
Und in des Saales Glanz und Pracht und Schein,
Starrt wie der Tod in’s Leben sie herein.
Fest drück’ die Stirn ich an die feuchten Scheiben,
„Kennst Du den Platz da draus? kennst Du „La Grêve“?“
La Grêve! wie kalt das Wort mich überlief,
La Grêve! wo Haß nur, der nach Rache schnob,
Der Freiheit Zerrbild aus der Taufe hob;
La Grêve! wo man von Menschenliebe schwur,
Wenn mal auf mal das Beil herniederfuhr;
Daß es – ein Strom sich in den Strom ergoß.
Und mir im Rücken jetzt erbraust es wilder,
Vor meinen Augen aber, Schattenbilder
Der Greuel all, die ringsumher geschehn,
Das sind sie selbst; – in Wollust zu zerfleischen,
Hat ihres Fleisches Wollust sich verkehrt, –
Blut heißt jetzt was die Sinnlichkeit begehrt.
Doch nirgends einer Mutter stille Lust;
Mit aufgelöstem Haar, halbnackt die Leiber,
So ziehn vorbei mir die Versailler Weiber.
Und jetzt, verhallt kaum ist ihr Schrei nach Brot,
Er zieht als Mordgesell dem Zug vorauf,
Und trägt zwei Stangen und zwei Köpfe drauf;
Wild heulend folgen aus den Rhône-Landen
Die Lyoneser- und Marseiller Banden,
Seh’ ich die Blutgen mir vorüberziehn.
So dumpf, so hohl, – das ist ein Sterbegang;
Schon um den Platz wie eine Eisenkette
Und rasch, in Nacht herauf, steigt das Schaffott,
Vom Volk umtanzt in widerlichem Spott.
Zwei Männer schreiten herwärts; – alles still, –
Es winkt des Priesters Hand, die segnen will,
„Des heilgen Ludwig Sohn[6] – steig’ auf gen Himmel!“
Ein Beilesblitz; – – mein Auge schließt sich bang;
Da hinter mir aufschreckt mich Beckenklang,
Und aus der Nische fort und ihrer Nacht,
Schwebt nach wie vor der Glanz der Republik,
Noch immer senken taktvoll sich und steigen
Die Walzerpaare nach dem Strich der Geigen;
Erblühen Arabesken und Figuren,
Und immer noch, rasch wie Gewitterhusch,
Braust der Galopp her im Orchestre-Tusch.
Wohl! rings dasselbe Thun noch und Beginnen,
Schau durch das Maskenwerk und seinen Schein,
Tief in das Herz der Wirklichkeit hinein.
Sieh Jenen dort: es frömmelt sein Gesicht,
Mir sagt’s sein Aug’, daß er von „Tugend“ spricht;
Und Kühlung ihr mit seinen Blumen fächelt,
Wo der Hyänenmensch auch Blumen trug.
Sieh jenen Zweiten dort: wie Dantons Brust
Ein jedes Härlein schwört auf diesem Haupt,
Daß es an nichts, als an sich selber glaubt.
Und jenen Hagren sieh! wie, kündet nicht
„La mort – sans phrase!“[7] dies steinerne Gesicht?
Pestbeule außen, drinnen Höllenglut;
„Stirb an Dir selbst, Thyrann! zu rein für Dich
Ist einer Corday[8] keuscher Messerstich.“
Genug! Du aber Fürst, deß Blicke eben
Du Kaiserneffe, der im Herzen still
Noch immer rechnet: ob’s nicht werden will?
Daß rings die Welt ein drohnder Krater ist, –
Bluthochzeit[9] wieder in den Gassen halten,
Bist Du’s dann, der das losgelassne Thier
Voll Ruh empfängt, des Sieges sicher schier,
Und eh’s in Blut sich voll und satt geschlürft,
Bist Du’s? - Du schweigst; der Kaiser aber spricht
Von seiner Wand herab: „er ist es nicht!“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Tuilerien, ehemaliges Schloß der franz. Könige in Paris.
- ↑ La Grêve, Hinrichtungsplatz vor dem Rathaus in Paris (bis 1830).
- ↑ Hôtel de Ville, Rathaus von Paris.
- ↑ Louis Napoleon, der spätere Kaiser Napoleon III.
- ↑ Erstürmung der franz. Königsresidenz durch das Volk am 10. August 1792.
- ↑ Ludwig der Heilige (1226-1270) war einer der Vorfahren des 1793 hingerichteten Ludwig XVI.
- ↑ franz., „Der Tod - ohne Umschweife!“ - mit diesen Worten soll Abbé Sieyès in der Konventsitzung vom 17. Jan. 1793 für den Tod Ludwigs XVI. gestimmt haben.
- ↑ Charlotte Corday, die durch den Mord an Jean-Paul Marat Berühmtheit erlangte.
- ↑ Bluthochzeit von Paris, siehe Bartholomäusnacht