Ein Besuch im Mozarteum zu Salzburg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Besuch im Mozarteum zu Salzburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 270–272
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Reiseerinnerung
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[270]
Ein Besuch im Salzburger Mozarteum.
Reiseerinnerung.


Müde und hungrig kamen wir spät Abends in Salzburg an. Noë’s Buch der baierischen Seen hatte uns sorgsam durch’s Gebirg geleitet, und jeder Schritt, den wir vorwärts gethan, uns in dem angenehmen Gefühl bestärkt, wir seien mit einem solchen Führer auf’s Beste berathen. An seiner Hand hatten wir während einer fünftägigen Wanderung ohne Zagen den zitternden Steg der Schwarzberg-, Seisenberg- und Wimbach-Klamm betreten, auf seine Empfehlung hin im Hirschbichl ein treffliches Mittagsmahl eingenommen, gewürzt durch die muntere Unterhaltung einer Gesellschaft, die sich hier aus vier deutscher Herren Ländern zusammengefunden, wir hatten uns auf den tiefgrünen Wellen des Königssees gewiegt, den hohen Göhl im letzten Sonnenstrahl purpurn erglühen sehen, und jetzt, am Ziele unserer Wanderung in Salzburg, machte unser getreuer Noë plötzlich ein unliebsames Punctum und empfahl sich uns auf Wiedersehen.

Als vollkommener Neuling im Gebirg hatte ich der erhebendsten Eindrücke genug empfangen, um Jahre lang von der Erinnerung zehren zu können, und dennoch traten diese Bilder jetzt zurück vor dem Gedanken, daß ich morgen im Begriff war eine Stätte zu besuchen, die mir ebenso theuer, wenn nicht noch theurer war, als irgend einer der Gedenktempel des deutschen Genius. Einem begeisterten Verehrer der Mozart’schen Muse, wie ich war, mußte es als eine Gewissenspflicht erscheinen, jene Stätte zu besuchen, wo die Reliquien des alten Meisters uns von dem Mozart predigen, der ja auch als Mensch vermöge seines kindlich liebenswürdigen Charakters an dem Herzen des deutschen Volkes ruht.

Zum bessern Verständniß will ich zuvor noch kurz darzulegen versuchen, was man unter Mozarteum versteht. In Salzburg besteht unter dem Protectorate des Erzbischofs ein Dom-Musik-Verein und das Mozarteum. Nach dem Paragraph zwei der Statuten bezweckt ersterer die Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen, insbesondere aber der Kirchenmusik; letzteres ist eine Musikanstalt zur würdigen Erhaltung des Andenkens Mozart’s in seiner Vaterstadt, das heißt eine Anstalt, an welcher Unterricht im Gesange, auf Instrumenten, im Generalbaß etc. ertheilt wird. Zur Charakterisirung der Organisation des Vereins sei noch angeführt, daß zuerst der Erzbischof Protector ist; tritt er aus, so hat binnen Jahresfrist der Verein aufzuhören. Der Repräsentanten-Körper besteht aus sieben permanenten hochwürdigen Herren, wozu der Erzbischof nach eigenem Ermessen noch Andere ernennen kann, im Uebrigen hat der Verein noch acht Mitglieder als Repräsentanten zu erwählen. (Ehemals ließ ein Salzburger Erzbischof den Mozart mit einem Fußtritt zur Thüre hinauswerfen, jetzt protegirt ein Salzburger Erzbischof Mozart’s Andenken; tempora mutantur!) Dem Mozarteum ist auch die Sorge für das Archiv übertragen, zu welchem namentlich eine Sammlung von Originalgemälden aus der Mozart’schen Familie, sowie einiger Instrumente und einer ziemlichen Zahl von Manuscripten Mozart’s gehört. Trotz der hochwürdigsten Protection war es, wie wir später erfuhren, nur mit Mühe gelungen, in ganz Salzburg ein Zimmer zu erhalten, wo diese Sammlung, wenn auch nicht passend, so doch sicher untergebracht werden konnte. Dieses Zimmer zu besuchen war nun unser Streben.

Bei den guten Salzburgern war es freilich schwer zu erfragen, wo das Mozarteum zu finden sei. Im Höllbräu, wo ich Quartier genommen, wußte man gar nichts davon, und weitere Nachfragen hatten nur [271] den Erfolg, daß man uns bald zu Mozart’s Geburtshaus, seinem Wohnhaus, schließlich sogar zu seinem Standbilde schickte. Mißmuthig, waren wir fast im Begriff unsere Entdeckungsreise aufzugeben, als wir erfuhren, im Chiemsee-Hof solle „auch etwas vom Mozart zu sehen“ sein. Wir ließen es auf einen letzten Versuch ankommen und suchten den Chiemsee-Hof auf. Derselbe, ein weitläufiges, altes Gebäude, beherbergt augenblicklich, wie ich glaube, verschiedene Regierungsbureaus, Cassen etc. In ihm war denn richtig das vielgesuchte Mozarteum, leider verschlossen; um zwei Uhr sei es geöffnet, besagte ein einfacher Zettel an der Thür. Unsere Ungeduld trieb uns noch vor zwei Uhr wieder an Ort und Stelle, doch es schlug halb drei, und Niemand erschien uns einzulassen. Endlich sagte uns eine mitleidige Seele, wir thäten am Besten, den Herrn Conservator selbst herbeizuholen, er wohne um ein paar Ecken herum bei einem Bäcker. Der Conservator (er war Musiklehrer am Mozarteum) war mit einiger Mühe denn auch gefunden und versprach sogleich nachzukommen; wir möchten einstweilen vorausgehen. Die vielbetrachtete Thür erschloß sich endlich, und meinem heißhungrigen Blicke zeigte sich ein absolut leerer Raum mit kahlen Wänden; das war noch nicht das Rechte. Wir gingen hindurch, überschritten die nächste Schwelle und standen glücklich im ersehnten Heiligthum.

Ein helles Zimmer, mäßig groß, in welches durch die geöffneten zwei Fenster die hellen Sonnenstrahlen fielen, an den Wänden alte Oelgemälde in unscheinbaren Rahmen, große Schränke, einige Tische mit allerlei Papieren und Notenheften bedeckt, ebenso in den Winkeln Noten und Bücher über einander geschichtet, in der Mitte ein alter Flügel – das war der erste Eindruck, den ich gewann. So konnte Mozart’s Arbeitszimmer in Wirklichkeit wohl ausgesehen haben; es war eine glückliche Mischung von Ordnung und Unordnung, ob absichtlich, ob unabsichtlich hergestellt, gleichviel. Auf den Fensterbretern stand eine Reihe von blühenden Cactusgewächsen, draußen in einem ganz vereinsamten Garten rauschten leise die Bäume, und in den Strahlen der Nachmittagssonne tanzten von uns aufgestört die Sonnenstäubchen. Wir standen unwillkürlich auf der Schwelle still, um das Bild ganz in uns aufzunehmen. Die Abgeschiedenheit von dem Getöse der Außenwelt und die träumerische Ruhe, welche über dem Ganzen lag, wirkten auf mich ein und versetzten mich ganz von selbst in eine feierliche Stimmung, wie sie dem Orte angemessen war. Unser Führer versah nun sein Amt, indem er uns erklärend von Bild zu Bild führte, die Schränke erschloß und Manuscripte vorlegte. Schon nach wenigen Minuten sahen wir ein, daß wir einen ebenso wissenschaftlich gebildeten wie zuvorkommenden Mann vor uns hatten, und dieser Umstand erhöhte den Genuß wesentlich.

In der Mitte des Raumes stand also Mozart’s Concertflügel, ein hellfarbiges, hochbeiniges Instrument. Der Conservator öffnete es und spielte einige Tacte des bekannten Menuets aus Don Juan; der Klang war, wie immer bei diesen alten Instrumenten, etwas scharf und dünn, aber tadellos rein. Vor längeren Jahren war einmal Mozart’s ältester Sohn aus Mailand herübergekommen und hatte auf diesem nämlichen Flügel in einem großen Saale ein Concert seines Vaters mit Orchester-Begleitung gespielt; es wurde uns versichert, das Instrument habe eine wunderbare Klangfülle entwickelt. Es hat auch die Ehre gehabt, portraitirt zu werden, wenigstens hängt zwischen beiden Fenstern ein großes Oelgemälde, das den kleinen Mozart mit seinem Schwesterchen vierhändig spielend vorstellt. Er trägt das Tressenkleid, welches ihm die Kaiserin Maria Theresia schenkte. Der Papa Mozart steht daneben und scheint auf die Fehler zu passen, während aus ovalem Goldrahmen die Mutter Mozart auf ihre Kinder herabblickt. Unter den übrigen Bildern ist auch das Miniaturportrait der Aloysia Weber, Mozart’s schöner Schwägerin, Bilder von seinen Söhnen und seiner Constanze nebst ihrem nachmaligen zweiten Mann, dem dänischen Staatsrathe Nissen, vornehmlich aber mehrere Portraits von Mozart selbst, die ihn in seinen späteren Lebensjahren zeigen. Eines, etwa einen Quadratfuß groß, ist nach dem Urtheil des Sohnes bei Weitem das ähnlichste, nur der Kopf ist vollständig ausgeführt, das Uebrige blos grundirt, und doch übertrifft sie alle ein kleines Medaillon in Buchsbaum geschnitten. Ein seiner Zeit sehr berühmter Künstler (Bosse heißt er, wenn ich nicht irre) hat es in Berlin verfertigt, zu welchem Zwecke ihm Mozart selbst mehrere Male gesessen hat. Es ist unglaublich sauber geschnitzt und hat einen sehr anziehenden und lebendigen Gesichtsausdruck.

Der Conservator verbindet hierbei das Nützliche mit dem Angenehmen. Da nach einem vollkommen ähnlichen Bilde von Mozart natürlich stets Nachfrage ist, so hat er von diesem Buchsmedaillon Photographieen in natürlicher Größe anfertigen lassen, die den Besuchern des Mozarteums eine willkommene Erinnerung bieten. Jetzt wird ein Schrank geöffnet mit Mozart’schen und anderen Manuscripten gefüllt. In gebührendem Respect wird uns zuerst ein Gedicht producirt, welches der alte König Ludwig von Baiern zu Ehren Mozart’s verfaßt und eigenhändig niedergeschrieben hat. An diesem Gedicht, welches (zur Ehre der Wahrheit sei es gesagt) wirklich gut ist, haben sich Drei verewigt: einmal der hohe Verfasser, sodann Franz Liszt, welcher es auf eigene Kosten hat einbinden lassen, und zuletzt ein Salzburger Buchbinder durch den kostbaren Einband in Blau mit Silberpressung. Trotz alledem aber legen wir es beiseite und sehen lieber Mozart’s Clavierschule an, d. i. diejenige, nach welcher er das Clavierspiel gelernt hat. Es ist ein geschriebenes Heft, vielfach mit Anmerkungen des Papas versehen, die u. A. z. B. lauten: „Diese Menuet hat der Wolfgangerl, als er vier Jahre alt war, in einer halben Stunde auswendig gelernt.“ Weiterhin finden wir eine Sammlung der ersten Compositionen Wolfgangerl’s, die der Vater niedergeschrieben hat, stets mit Randbemerkungen, z. B.: „Diesen Marsch hat der Wolfgangerl am – folgt das Datum – in seinem sechsten Lebensjahre in einer Stunde componiret.“ Das Söhnlein hatte also am Clavier einen Marsch eigener Erfindung gespielt und der Vater denselben flugs zu Papier gebracht.

Von großem Interesse ist auch ein unscheinbares Quartblatt, nicht einmal ganz beschrieben; es ist die Antiphonie, die dem noch im Kindesalter stehenden Mozart in Bologna den Titel eines Maëstro filarmonico einbrachte, eine Ehre, nach welcher mancher tüchtige Musikus vergeblich getrachtet hatte. Mozart löste die gestellte Aufgabe spielend in kaum mehr Zeit, als er bedurfte, um die paar Noten überhaupt niederzuschreiben, und das Publicum schrie begeistert: Evviva il maëstro filarmonico! Evviva il maëstrino! Das betreffende Diplom hängt unter Glas und Rahmen an der Wand. Auch einige Bände von Mozart’schen Briefen sind vorhanden, aus jedem Lebensalter, nach dem Datum geordnet und sauber zwischen weiße Blätter gelegt; liest man nur einige Zeilen, so schaut allenthalben das kindliche Gemüth und oft ein schalkhafter Humor heraus, der warm zum Herzen geht. Zu lange dürfen wir aber nicht darin blättern, sonst wird unser Herr Conservator ungeduldig. Mit heimlichem Seufzer sah ich den kostbaren Schrank sich schließen, und nur eine neue Reliquie konnte meine Gedanken und Aufmerksamkeit ab- und auf sich lenken. Es war Mozart’s Spinett, recht eigentlich der Vertraute seiner heiligsten Stunden, der Zeuge und Gehülfe seines reichen Schaffens. So unscheinbar und altersschwach stand es da, ein schmaler niedriger Kasten auf dünnen Beinen, die Claviatur von etwa fünf Octaven Umfang, die oberen Tasten weiß, die unteren schwarz, alle ausgespielt und vergilbt. Im Innern war ein Zettel angeklebt, auf welchem Constanze selbst ein Zeugniß für die Echtheit des Instrumentes ausgestellt hatte, etwa so lautend: „Dieses Spinett hat mein lieber Mann Wolfgang viele Jahre hindurch besessen, auch an ihm mehrere Opern, den Idomeneo, die Zauberflöte und sein Requiem componirt.“ Während unser Führer zu einem Nebentische ging, konnte ich es mir nicht versagen, die eine Hand auf die Tasten zu legen; es gab einen ganz gedämpften Klang, und fast erschrocken zog ich die Hand zurück. Es schien mir sündhaft, diesen Vertrauten des herrlichen Meisters aus seinen Träumen von der guten alten Zeit zu wecken, wo noch die göttlich geweihten Hände Zaubermelodieen aus ihm hervorlockten. Unwillkürlich fiel mir, als ich den Namen Idomeneo las, ein, daß in denselben Räumen, wo der Freimaurer Mozart dieses sein unsterbliches Werk schuf, im Sonneneck der Burggasse zu München, gegenwärtig das katholische Casino haust.

Da unsere Zeit beschränkt war, so mußten wir uns mit einem flüchtigen Besuch begnügen; es blieb nur noch übrig, uns im Fremdenbuch zu verewigen. Auch dieses verdankt Franz Liszt sein Dasein; er hat es gestiftet, und sein Name steht auf der ersten Seite obenan in langen, spinnenbeinigen Zügen. Dicht darunter steht der Name Alfred Jaell so rund und drall geschrieben, daß man meinen sollte, die Schriftzüge der beiden Künstler repräsentiren auch ihre Figur. Aber weiter sind nur wenige Blätter beschrieben, [272] ein Zeichen, daß das Mozarteum bei Weitem nicht so bekannt und besucht ist, wie es von Rechtswegen verdient.

Als ich, im Begriff zu gehen, den Blick noch einmal das Zimmer durchlaufen ließ, fiel mir noch ein Heft von der Größe einer ansehnlichen Tischplatte auf; es lag auf dem Flügel und wir hatten es vorher ganz übersehen. Es war eine vierundfünfzigstimmige Messe von einem Salzburger Capellmeister vor Mozart’s Zeit, eine in ihrer Art wohl einzige Curiosität. Wir mußten uns jetzt verabschieden und thaten es mit aufrichtig gemeinter Danksagung und dem Versprechen, in unsern Kreisen dahin zu wirken, daß dem Mozarteum weitere Bekanntschaft zu Theil werde. Der freundliche Conservator begleitete uns bis an die Treppe und kehrte dann zurück, um nach seinen Cactusblüthen zu sehen.

Es war keine verlorene Stunde gewesen in meinem Leben, und ich wünschte wohl, mancher hochweise Musikmacher, wie die Gegenwart sie ausheckt, ginge hinein in’s Mozarteum, schluckte eine Stunde lang etwas Staub und nähme es sich recht sehr zu Herzen, in welcher Anspruchslosigkeit und unter wie kümmerlichen Verhältnissen Mozart eben der Mozart geworden ist, von dem ein Härchen mehr wiegt, als ein ganzes Dutzend solcher Eintagsfliegen mit Haut und Haaren. Sei es mir gestattet, mit einer Abänderung des letzten Verses vom Alten-Dessauer-Liede zu schließen:

„Die Löwenmähn’ am Schopfe
Macht nicht allein den Mann;
Ich halt’ es mit dem Zopfe,
Wenn solche Männer dran.“