Ein Bild aus dem Schauspielerleben
Ein Bild aus dem Schauspielerleben.
Eine um ihrer Abkunft und Erscheinung willen interessante Persönlichkeit war Emilie Devrient, verehelicht gewesene Höffert, die einzige Tochter Ludwig Devrient’s, des im Jahre 1832 verstorbenen, berühmten Schauspielers, aus seiner einjährigen Ehe mit Margarete Neeffe. Ich lernte sie im Jahre 1848 am Oldenburger Hoftheater kennen, wo sie für das Fach der Anstandsdamen und ernsten Mütter engagirt war. Ihre Züge glichen so auffällig denen ihres Vaters, daß dieser sie schon als junges Mädchen scherzweise „verweiblichter Ludwig“ zu nennen pflegte. Mit den Jahren mochte die Aehnlichkeit noch stärker hervorgetreten sein, wie aus der Vergleichung mit dem Portrait des großen Künstlers, das Emilie besaß, deutlich hervorging.
Dieses wunderbare Portrait, von welchem die Tochter sagte: „es lebt, es athmet“, wurde für mich zum Magnet. Auch ohne zu wissen, daß es einen der genialsten Menschendarsteller wiedergab, hätte man das Außerordentliche ahnen müssen, das diese Hülle einst umschlossen hat.
Welch ein Kopf! Der Maler hatte ihn lebensgroß wiedergegeben, aber von Hals und Schultern fast nichts sichtbar werden lassen. So hockte das merkwürdige Menschenhaupt im engen Rahmen und schaute wie aus einem Kerkerfensterlein von der Wand herab.
Emilie, die Tochter dieses Mannes und Wittwe des Schauspielers Höffert, stellte das in jeder Hinsicht gesänftigte Antlitz des Vaters dar, trotz der Gleichheit der Linien. Dieselbe große überhängende Nase, dieselbe schmale Gesichtsform, derselbe scharfe Schnitt, aber die Hautfarbe weiblich zarter, sodaß an den schon etwas eingesunkenen Schläfen feines blaues Geäder durchschimmerte. Die tiefdunkeln Augen blickten lebhaft und verlangend in die Welt, aber sie waren fern von jener verzaubernden Dämonie, die ein ebenso unermeßliches, als unheimliches Licht- und Schattenreich im Busen verräth. Neigung zum Zorn war vorhanden, aber sie wurde aufgesogen durch Gutmüthigkeit und lebensfrohe Schalkhaftigkeit, die mit dem Ernste der tragischen Mütter und der sorgenvollen Familienhäupter in keiner Verbindung stand. Ein Tropfen französischen Blutes pulsirte in den Adern der von den Refugiés abstammenden Berlinerin.
Die vom Schicksal vielgeprüfte Frau scherzte und lachte noch immer gern und konnte lachend erzählen, daß sie sich schon manches Mal „vis-à-vis de rien“ befunden habe.
„Daß mein Haar noch ungefärbt dunkel ist,“ pflegte sie zu sagen, „wundert mich, wenn ich bedenke, wie viel Ursache es gehabt hat, sorgenbleich zu werden.“
Sie trug es in sorgfältig gebrannten Wellenscheiteln um die Stirn gruppirt und gepufft, und als sie es einmal zum Spaß bis fast auf die Nasenwurzel herabkämmte und einen forcirt finstern Gesichtsausdruck annahm, rief ich unwillkürlich aus:
„Ludwig Devrient, aber im Bemühen, von der düstern Auffassung des Lebens und der Dinge zu einer versöhnenden überzugehen, denn in Ihrem Gesicht, liebe Kollegin, erscheint nun einmal, selbst wenn Sie wild blicken wollen, der gemilderte Vater.“
„Und der verwässerte Genius,“ setzte Frau Höffert mit der sie zuweilen überraschenden Selbstironie hinzu.
Als Schauspielerin zeigte sich die Tochter Devrient’s intelligent und routinirt. Ihre Leistungen sowohl, als ihr Benehmen im Privatleben verriethen wohlthuend die feine Erziehung. Leider mußte sie die Schwäche und Stumpfheit ihres Organs beklagen, denn Rollen, die Kraft der Stimme und Wucht des Ausdruckes erfordern, vermochte sie nicht zur Geltung zu bringen.
Als der dramatische Dichter Robert Griepenkerl Frau Höffert zum ersten Male auf der Theaterprobe erblickte, sagte er nicht ohne Staunen:
„Wer ist die dort, die Dunkeläugige, die so elastisch dahergeschritten kommt? Eine auffallende Physiognomie, ohne sympathisch zu wirken. Doch das Auffallende wirkt nie sympathisch. Aber eine Nase, der zu Liebe man versucht werden könnte, eine ganz absonderliche weibliche Charakterrolle zu schreiben. Dann würde es heißen: die Rolle ist ihr auf die Nase geschrieben, nicht auf den Leib.“
Als einen Hauptmißstand für die dramatische Künstlerin und für das Weib überhaupt sah Emilie Höffert wie so viele andere ihrer Schwestern das Altwerden an und stemmte sich gegen diese unbequeme Einrichtung der Natur, so viel sie vermochte. Trotz ihrer vierzig Jahre bewegte sie ihre mittelgroße, magere Figur im Leben und auf der Bühne mit einer gewissen heitern Grandezza, die sie auch ihrer Tochter, der jungen Schauspielerin Elise Höffert, als nachahmungswerth empfahl. Ueberall, wo die böse Natur anfing, es fehlen zu lassen, war sie eifrigst bestrebt durch Kunst nachzuhelfen. Puderhauch und zarte Schminkröthe, [103] schwärzliche Malerei der Brauenbogen und Wimpern, sogar ein rosiger Anflug um die Nasenflügel sollten über das Alter des „weiblichen Devrient“ täuschen. Leider gestatteten ihre Gagen- und überhaupt wenig geordneten pekuniären Verhältnisse nicht, auch in ihrer Toilette diesem Streben nach Verjüngung in gewünschtem Maße gerecht zu werden. Dennoch erschien Emilie stets möglichst elegant und auf der Probe nie ohne gewisse phantastische schwarze Spitzenbehänge um Haupt und Wangen.
„Daß man die Haut am Hals und am Kinn nicht straff erhalten kann!“ seufzte sie in einem Anfall von Trauer über die Flucht der Jugend und Schönheit. „Das runzelt und wulstet da unterm Gesicht und redet vom Verwelken, wenn auch die Larve noch leidlich täuscht. Zudecken, zudecken! Es bleibt keine andere Rettung.“ Also Spitzenbehänge und Tüllwolken her, sobald der große modische Blendenhut von 1848 mit der hüllenden Schleife unterm Kinn abgelegt werden mußte.
Lieblich in der Erscheinung und hoffnungsvoll als Talent, war Elise, die achtzehnjährige Tochter Emiliens, für jugendlichste Liebhaberinnen engagirt. Man konnte es aus ihren Zügen lesen, daß sie die Enkeltochter des wunderbaren Mannes dort im Bilde sei, aber alle Schärfen und Ecken, die im Antlitz der Mutter noch markirt waren, verwandelten sich ins Holdweibliche bei Elisen.
Die begabte junge Schauspielerin wurde ungefähr zwei Jahre später nach Hamburg engagirt, gefiel sehr und erweckte die Hoffnung, der Liebling des Hamburger Publikums zu werden. Aber die Liebe trat in ihr blühendes Leben entscheidend ein, um sie der Bühne auf immer zu entführen und ihr ein freundliches Los an der Seite eines geachteten Privatmannes zu bereiten. Da befiel ein tückisches Nervenfieber die glückliche Braut und legte sie anstatt in die Arme des Gatten in die des Todes.
Emilie Höffert hatte außer der Tochter noch zwei Söhne, von denen ich nur einen, Louis, kennen lernte, der damals eine Schulanstalt Oldenburgs besuchte. Der junge Mensch besaß große Anlagen zum Zeichnen und einen scharfen Blick für die Auffassung alles Charakteristischen, besonders des Lächerlichen. Das führte ihn zum Karikiren, worin er in Anbetracht seiner Jugend Erstaunliches leistete. Die treffendsten Wahrnehmungen haschte er wie im Fluge. Mutter Höffert sagte nicht ohne Stolz: „Er hat doch was vom Großvater. Der hatte das Genie im ganzen Menschen, Louis hat’s in der Hand.“
Wie ich schon erwähnt, befand sich Frau Höffert nicht in günstigen Verhältnissen, dennoch machte sie unnütze und große Ausgaben; sie hatte etwas von der Liberalität und dem Mangel an Haushaltungskunst ihres Vaters geerbt, leider nur nicht die Mittel, um dem Zuge der Freigebigkeit nach Herzenslust zu folgen. Trotzdem sie immer seufzte: „Es reicht nicht, es reicht nicht zu,“ trotzdem die gute Elise von ihrer kleinen Gage Beiträge zur Wirthschaft und zum Schulgeld für den Bruder zahlte und sich in ihren Garderobebedürfnissen aufs Aeußerste beschränkte, war die Mutter nur gar zu gern gastfrei über ihr Können hinaus.
So saß ich denn eines Abends bei Rebhühnern und fett zubereiteten Karviolhäuptern im Höffert’schen Familienzimmer und aß mit der peinlichen Empfindung, daß meine Gastfreunde um des Souper willen vielleicht einige Tage darben mußten.
Als Frau Höffert bemerkte, wie ich von der Betrachtung des Portraits ihres berühmten Vaters kaum loszureißen war, begann sie von ihm und ihrem Familienleben in Berlin zu erzählen.
„Ich kam selten nach Haus,“ sagte sie, „befand mich wohler in der trefflichen Erziehungsanstalt, welcher mein Vater mich seit frühester Jugend übergeben hatte. Was sollte auch ein junges heranwachsendes Mädchen, ein halbes Kind, in dem ungeregelten wüsten Haushalt? Das Theater durfte ich nicht besuchen, mein Vater hatte es streng verboten. Er hoffte auf diese Art am sichersten eine etwa aufkeimende Neigung für den verführerischen Zauber der Bühnenwelt im Komödiantenkinde zu ersticken. Er wollte durchaus nicht, daß ich mich der Bühne widmete, und als ich endlich fest entschlossen war, diesen Schritt zu thun, da es ja in des Vaters Verhältnissen immer mehr rückwärts ging, die Schulden sich häuften, seine Gesundheit untergraben war, kam es zu einer entsetzlichen, Mark und Bein erschütternden Scene. Er flehte in den zärtlichsten Tönen, hielt mein Haupt mit seinen beiden Händen, die fieberheiß waren und krampfhaft zitterten: ‚Emilie, Emilie, geh’ nicht zum Theater, Du gehst in die Hölle. Thu’ mir’s nicht zu Leide, ich trage Leids genug. Emilie, ich ließ Dich was lernen, Du kannst Dir auf andere Art Dein Brot erwerben – ich Ungeheuer habe ja nichts für Dich gesammelt, wie ein guter Vater soll. Aber nur nicht zum Theater geh’n, nicht Komödiantin
werden, mein Kind! Es sieht lachend aus und dahinter lauern die Teufelsfratzen.‘ – Und ich ging doch! Aber was blieb mir auch anderes übrig, da ich nicht als Nähterin, Klavierlehrerin oder Haushälterin armselig durchs Leben schleichen mochte? Als der Vater starb – ach, wie früh, zu früh für die Kunst und für sein armes Kind – fanden sich nur zerrüttete Verhältnisse, Wucherschulden. Ich dankte Gott, daß mir dies Bild aus dem Untergange des ganzen Hauses gerettet worden war und noch einige kleine Andenken an meinen großen und doch so unglücklichen Vater.“ – –
Die Tochter des größten deutschen Schauspielers hatte am Theater wenig Rosen gepflückt, aber Dornen waren ihr reichlich geworden. Von ihrem Gatten erzählte sie nichts, und ich hatte nicht den Muth nach ihm zu fragen. Er war Schauspieler gewesen, aber wohl nicht talentirt genug, um einen Aufschwung zu guten gesicherten Stellungen nehmen zu können.
Als Louis, ihr jüngster Sohn, der begabte Karikaturist, einmal durchs Zimmer ging, in welchem wir uns befanden, und als ich die Aehnlichkeit des jungen Menschen mit dem Großvater hervorhob, besonders die tiefschwarzen glühenden Augen und das buschige, über die Stirn hereinwallende Haar, sagte Frau Höffert, die Hände faltend:
„Ach, mein Gott, und hat gerade dieses Kind mir Noth gemacht! Ein Wunder, daß es leben blieb und gedieh. Wir befanden uns an einem kleinen Theater, als Louis geboren wurde. Die ersten Liebhaberinnen des Dramas und der Tragödie waren damals mein Fach, ich mußte kaum acht Tage nach der Geburt des Knaben schon wieder als Maria Stuart auftreten. In den Zwischenakten wurde er hinter die Koulissen gebracht. Der kleine Kerl nahm nichts Anderes, als die Muttermilch, er wäre eher verdurstet. Oft sagte ich mir in kummervollen Nächten: Und das ist das Los der einzigen Tochter des großen weltberühmten Ludwig Devrient, über den sie schreiben, den sie feiern? Doch er hatte es mir voraus gesagt: Es sieht lachend aus, das Theater, und dahinter lauern die Teufelsfratzen.“
Dennoch fand Frau Höffert mit jener unerklärlichen Schnellkraft der Schauspielernatur nach den tragischsten Ausbrüchen des Schmerzes den Humor sogleich wieder. Louis wollte durchaus Seemann werden, die Mutter mochte ihn dem trügerischen Elemente nicht überlassen, hoffte auch, wenn er auf dem festen Lande bliebe, eine bessere Stütze für ihre alten Tage an dem talentvollen Sohne zu gewinnen.
Scherzend und zugleich drohend rief sie ihm zu, als er vom Heldenthume des Seefahrers schwärmte:
„Louis, Louis, denk’ an den fliegenden Holländer, das furchthare Seegespenst, und schreckt Dich Der nicht, so denk’ an das Tauende, das die Prosa zu dem poetischen Seeheldenthum liefert, und das den Rücken des armen geplagten Schiffsjungen nur zu oft blau färbt, ehe er an irgend welchen Aufschwung denken kann.“
Dennoch hat sich der Enkel des großen Künstlers den Wassergeistern mit Leib und Seele verschrieben. Als Emilie Höffert mich nach mehreren Jahren in Dresden einmal aufsuchte, klagte sie:
„Er ging zur See, ich weiß nicht, auf welchen Gewässern er jetzt schwimmt. Vielleicht liegt er schon auf dem Meeresgrunde gebettet. Der Andere ist Photograph in Rußland, wer weiß in welchem Winkel des Riesenreiches. Elise, meine schönste Hoffnung, ist todt. Mit dem Brautkranze im Haare sah ich sie auf der Bahre liegen, als ich kam, sie zum Trau-Altare zu geleiten. Welche Tragödie! Ich selbst bin als komische Alte – wahrlich, es ist kontisch, tragikomisch zum Weinen – mit einer winzigen Gage am Nesmüller’schen Sommertheater im Großen Garten hier bei Dresden angestellt. Bis zum Herbste heißt das. Wenn die Blätter fallen, falle auch ich, bin ohne Engagement. Das ist das Geschick der unmittelbaren Nachkommen des großen Ludwig Devrient. Ich muß lachen, wenn die Schriftsteller Theatergeschichten ersinnen, erfinden. Das sind Zerrbilder. Die Wirklichkeit ist und die Schauspieler sind so ganz anders, als in diesen Büchern. Wenn ich einmal wieder nach Dresden komme, bringe ich Ihnen meine interessantesten Briefe mit und was ich sonst aufgeschrieben habe über mein Schauspielerleben. Sie werden lachen, aber noch mehr weinen.“
Die Jahre vergingen, aber Emilie Höffert kam nicht wieder. Ihr berühmter Kousin, Emil Devrient, mein Kollege, den ich einmal nach ihr frug, schien unangenehm berührt durch die Erwähnung und sagte, indem er sich von mir abwandte, in elegischem Tone.
„Ach, lassen Sie das. Verschollen!“