Ein Brief Kaiser Wilhelms I
Ein Brief Kaiser Wilhelms I.
Aus dem Nachlaß der am 23. April 1891 zu München im hohen Alter von 82 Jahren verstorbenen Baronin v. Owen, der einstmals hochgefeierten Schauspielerin Charlotte v. Hagn, ist durch die Güte ihres mir befreundeten Bruders, des in den weitesten Kreisen bekannten und geschätzten Kunstmalers Ludwig v. Hagn, in meinen Besitz eine Anzahl von Briefschaften übergegangen, die ich als eine wesentliche Bereicherung meiner seit langen Jahren mit Liebe gepflegten, die berühmtesten Namen enthaltenden Handschriftensammlung betrachten darf.
Zu wie tiefem Danke ich mich für die Einhändigung eines so kostbaren Vermächtnisses meinem Freunde verpflichtet fühle, wird dem Leser sofort einleuchten, wenn ich hier nur einige der Persönlichkeiten namhaft mache, die, als Charlotte v. Hagn im Zenith ihrer Schönheit und ihres Ruhmes stand, sie gewissermaßen als Trabanten umkreisten und ihr in größeren oder kleineren Zuschriften, in gebundener oder ungebundener Rede ihre begeisterten Huldigungen zu Füßen legten. Es sind nicht nur ihre mit unverwelklichem Lorbeer selbst reich geschmückten Berufsgenossen beiderlei Geschlechts, wie Eßlair, Laroche, Ludwig Löwe, Eduard und Emil Devrient, Dessoir, Wilhelm Baumeister, die Haizinger, Charlotte Birch-Pfeiffer, Frau Christine Hebbel (Enghaus) u. a., die ihr neidlos den Tribut ihrer Bewunderung zollen oder in vertraulichem Erguß ihr Herz öffnen; auch die hervorragendsten Vertreter des deutschen Parnasses, die bedeutendsten Publicisten, Musiker und bildenden Künstler jener Zeit, wie W. A. v. Schlegel („William Shakespeares Waffenträger“), La Motte-Fouqué, Rückert, Eduard Mörike, Justinus Kerner, Halm (Münch-Bellinghausen), Castelli, Saphir, Fanny Lewald, Laube, Gutzkow, Emile de Girardin, Ludwig Schwanthaler, Spontini, Liszt (in besonders geistreichen französischen Briefchen) streuen ihr Weihrauch, werben um ihre Gunst, singen und beten sie an; selbst gekrönte Häupter und andere fürstliche Persönlichkeiten, wie König Ludwig I., der Prinz von Preußen, Prinz August von Preußen, Fürst Pückler-Muskau u. a. steigen herab von den Höhen des Lebens und bezeigen in Worten aufrichtigster Wertschätzung den lebhaften Anteil, den sie an Charlottens schauspielerischen Triumphen oder auch an den allerhand kleinen Widerwärtigkeiten und Kränkungen nehmen, die ihr so wenig wie irgend einem andern ihrer Kunstgenossen erspart blieben.
Wie begreiflich, ist die Mehrzahl dieser Zuschriften durchaus vertraulicher Natur, und wenn auch deren Verfasser, wie die Adressatin selbst, schon alle zur ewigen Ruhe eingegangen sind, so widerstrebt es mir doch, die nur für Charlottens schöne Augen bestimmten Auslassungen, wie interessante Schlaglichter sie auch auf das damalige Bühnen- und gesellschaftliche Leben werfen mögen, durch den Druck zur Kenntnis weiterer Kreise zu bringen, da sie neben vielem Schönen, Treffenden und Geistreichen doch auch eine Menge zum Teil recht boshafter Anzüglichkeiten enthalten, deren verletzender Stachel zum Nachteil der davon – wer mag entscheiden, ob mit Recht oder Unrecht? – Betroffenen selbst nach so langer Zeit noch schmerzlich genug empfunden werden dürfte.
Keiner Indiskretion indessen glaube ich mich schuldig zu machen, sondern im Gegenteil mir den Dank der Leser dieses weitverbreitete Blattes zu verdienen, wenn ich wenigstens einen jener Briefe aus den geheimen Schubfächern meines Handschriftenschrankes hervorziehe und ihn hiermit dem Druck übergebe.
Handelt es sich doch um ein geradezu einzigartiges, unschätzbares Schreiben das der Prinz von Preußen, damals noch fern vom Throne und seiner weltgeschichtlichen Größe stehend, am 16. Januar 1845 in einer Theaterangelegenheit an die zu jener Zeit am königlichen Schauspielhause zu Berlin als erste Liebhaberin wirkende Künstlerin gerichtet hat und in dem alle jene herrlichen Charakterzüge, durch die sich der nachmalige Kaiser Wilhelm I. ein unauslöschliches Andenken in der Verehrung jedes deutschfühlenden Herzens gesichert hat – Ritterlichkeit, Wahrheitsliebe, Milde der Denkungsart und vor allem ein strenger Gerechtigkeitssinn – in hellstem Lichte erstrahlen.
Charlotte hatte sich infolge der Besetzung einer angeblich ihr allein zukommenden Rolle durch Frl. Klara Stich (ihrer berühmten Kollegin Crelinger reich veranlagte jüngere Tochter) beeinträchtigt gefühlt und, da alle ihre Bemühungen, sich bei der Intendanz Recht zu verschaffen, fruchtlos geblieben waren, das unmittelbare Eingreifen des für das Theater bekanntlich sich lebhaft interessierenden und ihr persönlich huldvoll zugeneigten Prinzen von Preußen angerufen. Dieser antwortete ihr darauf unter der Adresse „Dem Fräulein Charlotte von Hagn hier“ mit nachfolgendem, in seinen schönen großen und klaren Zügen abgefaßten Briefe:
„Berlin, d. 16/1. 45.
Vertrauen verlangt Vertrauen: Offenheit ist in dessen Gefolge! Demnach gestehe ich Ihnen, daß ich, wie ich es Ihnen gestern bereits sagte, gewünscht hätte, daß Sie alle Leidenschaftlichkeit und Persönlichkeiten aus Ihrem mir mitgetheilten Schreiben verbannt hätten. Wäre dies geschehen, so wäre auch eine ruhigere Prüfung der Sachlage von Ihrer Seite erfolgt, und Sie würden eine Kränkung, wie Sie vermeinen erfahren zu haben, nicht so aufgefaßt haben, wie es im ersteu Moment der Nachricht, geschehen ist. Vergessen Sie nicht, daß der König nur einen vor Jahren gegebenen Befehl erneuert hat, dessen bisherige unterbliebene Ausführung, noch weiter aufzuklären bleibt. Ein directes Auftreten gegen diesen Königl. Befehl, oder was gleichbedeutend ist, Ihr Abschiedsgesuch, erscheint mir daher weder begründet noch rathsam, noch erlaubt. Alles was Sie vorschlagen könnten, wäre, daß das Alterniren der Rolle nicht Zug um Zug geschähe, sondern immer
[667] nur die 3. Vorstellung durch Mll. Stich stattfände, und daß Ihnen
das Spiel Honorar alsdann ersetzt oder entschädigt würde, da Ihr
Contract Sie auf Spiel Honorar anweiset.
Bei ruhiger und partheiloser Ueberlegung müssen Sie sich selbst gewiß sagen, daß Sie nicht gesonnen sind, aufstrebende Talente unterdrücken zu wollen, die erst durch Uebung beweisen sollen, ob sie Ihnen gefährlich werden können. Dieses Nicht-Unterdrücken, werden Sie in Ihrem Gefühl für Recht und Billigkeit am ehesten ausüben, wenn es eine Darstellerin wie Mad. Crelinger ist, so nahe berührt. Sollten Sie dereinst eine Rivalin ist (in) Mll. Stich erkennen, so kann ja dies nur zu erneuerter Kunstanstrengung antreiben, um die innehabende Stellung zu behaupten, wobei die Kunst nur gewinnen kann.
Sie kennen nun meinen Rath und meine Ansichten, und
werden aus diesen Zeilen hoffentlich ersehen, daß ich es gut mit
Ihnen meine, indem ich Ihnen meine Lebens Regeln, die auf Recht
und[1] Billigkeit basirt sind, anempfehle, mit welchen Regeln ich
mein bisheriges Leben und Wirken, glücklich vor Schiffbruch
bewahrt habe. Anders als ich bin, konnte ich mich nicht geben; und
da Ihr Vertrauen Sie zu mir führte, so müssen Sie mich nun
schon so nehmen wie ich bin und hoffe ich Ihren Dank so zu
erlangen wie Sie ihn gestern aussprachen, wenn ich Ihnen auch
nicht im ganzen Umfange, Ihre Wünsche erfüllen konnte. Und
somit bin ich überzeugt, daß Sie Ihr seltenes Talent einer Bühne
erhalten werden, deren Zierde Sie sind und in Ihrem Fache stets
bleiben werden, und sich oft noch dem gerechten Applaus dessen
ausfetzeu mögen der sich nennt
Ihren
Prinz von Preußen.
Verzeihen Sie diese schlechte Schrift, aber mein gebrochener
Arm, läßt mich nur mühsam und unter Schmerzen schreiben.“
- ↑ Im Original dreimal unterstrichen.