Ein Brief des Generals von Thielmann an Hofrath Böttiger 1811

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Die Dresdner Kirchenbücher Ein Brief des Generals von Thielmann an Hofrath Böttiger 1811 (1893) von Paul Rachel
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896)
Ein Priestermord 1513
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Ein Brief des Generals von Thielmann
an Hofrath Böttiger 1811.[WS 1]

Von den weniger bekannt gewordenen sächsischen Männern und insbesondere Dresdnern, die während des Jahres 1813 in hervorragender Stellung dafür eintraten, daß König Friedrich August der Gerechte die Sache Napoleons verlasse und zu den Verbündeten übergehe, ist die fesselndste Gestalt der Generallieutenant Freiherr von Thielmann. Als Sohn des kurf. sächs. Oberrechnungsrathes Thielmann 1765 zu Dresden geboren, hatte er auf der Meißner Fürstenschule und im elterlichen Hause eine gute, wissenschaftliche Ausbildung erhalten. 1782 folgte er seinem inneren Drange und trat ins sächsische Heer als Fahnenjunker ein. Seine guten Dienste im Jahre 1809 brachten ihm die Beförderung zum Generallieutenant, seine Thaten 1812 die Erhebung in den Freiherrnstand. 1813 versuchte er, die sächsische Armee zu den Verbündeten hinüberzuführen; als dies mißlang, trat er in das russische Heer ein und betheiligte sich am Kampfe gegen Napoleon.

Zum Verständnisse des im Folgenden abgedruckten Briefes seien einige Bemerkungen vorausgeschickt.

Hofrath Böttiger, 1806 aus Weimar nach Dresden als Studiendirektor der Pagerie und als Oberaufseher [75] der Antikenmuseen berufen, ein Mann, der durch seine Kenntniß der Verhältnisse Ilm-Athens und wegen seiner gern besuchten archäologischen Vorlesungen in der Stadt eine bedeutende gesellschaftliche Stellung einnahm, hatte dem Generallieutenant ein als Manuscript gedrucktes, nur an Freunde versandtes Büchlein Heinrich Ludens geliehen.

Luden war im Unglücksjahre 1806 als Professor der Historie nach Jena gekommen und hatte sich mit Eifer auf vaterländische Geschichte geworfen. 1808 hielt er trotz der französischen Garnison „Vorlesungen über die Geschichte der Teutschen“. 1810 gab er die einleitenden 4 Vorträge unter dem Titel: „Einige Worte über das Studium der vaterländischen Geschichte“ heraus, und dies ist das an Thielmann geliehene Buch. Den Geist der Schrift charakterisirt Thielmann genügend, wenn er sie mit den von ihm auch gelesenen Schriften vaterländischen Inhaltes der Geschichtsforscher Johannes von Müller, Rehberg, Brandes, Woltmann zusammenstellt. Naturgemäß wird sein Urtheil dadurch beeinflußt, daß er als Mann des Schwertes gegen die Herren von der Feder tiefes Mißtrauen hegt. Allerdings hat keiner der von ihm genannten Männer 1813 mit gegen den Feind gestanden. Wohl aber hat Luden die feste Absicht gehabt, zu dem, was er auf dem Katheder und mit der Feder verkündigt hatte, auch zu stehen: er wollte, wie viele seiner begeisterten Zuhörer, in den Kampf hinausziehen. Generallieutenant von Grolmann, der 1813 in Jena lebte und Ludens Vorlesungen mit großer Theilnahme besuchte, hat ihn jedoch dringend gebeten, in seiner Eigenschaft als Jugendlehrer zurückzubleiben und das heilige Feuer der Vaterlandsliebe fort und fort zu schüren. So hat er am Kampfe der Schlachten nicht theilgenommen, aber in der Zeitschrift „Nemesis“ und in den von Brockhaus herausgegebenen „Deutschen Blättern“ hat er erst gegen Bonaparte, dann gegen Metternich etliche Jahre mannhaft gestritten.

Thielmann unterschätzt, wie bei ihm, so überhaupt die gewaltige geistige Vorbereitungsarbeit, die seit 1807 von Arndt, Fichte, Schleiermacher u. A. geleistet worden war. Ohne diese Durchrüttelung und Durchschüttelung deutscher Gewissen hätte der Brand von 1813 nicht so lichterloh emporschießen können.

Und wenn er danach seufzt, daß ein deutscher Fürst kommen möge, um das Vaterland zu retten, so sollte die Folgezeit zeigen, daß eher im Gegensatze zu den Fürsten als in deren Sinne Stein und Blücher, Scharnhorst und Gneisenau, jeder in seiner Weise, mit Wort oder Schwert dem Vaterlande ganz gewaltige Dienste leisteten. Der sächsische General hält also von der Wirkung edler vaterländischer Gelehrter zu wenig und von der Thatkraft der Fürsten zu viel, während er mit Recht darauf hinweist, daß vor Allem männliche Gesinnung das Volk im Ganzen und Großen erfüllen müsse. Daß er hierbei seine Sehnsucht nach einem Kurfürsten Moritz ausspricht, der sich doch gerade mit dem König von Frankreich gegen das Reich verbunden hatte, klingt seltsam, hat ja aber, insofern er eine genial angelegte staatsmännische und kriegerische Persönlichkeit herbeiwünscht, eine gewisse Berechtigung. Der sächsische Offizier hätte aber vielleicht eher an einen großen König des benachbarten Preußens denken können, der deutsche Waffenehre gegen französische Anmaßungen gewahrt hat.

Zum Schluß sei auf den Publizisten Adam Müller, einen Freund Wilhelms von Gentz, hingewiesen. Er hatte 1806 bis 1809 als Erzieher eines weimarischen Prinzen in Dresden gelebt, hatte mit Thielmann häufig verkehrt, war aber von ihm, wenn auch ungern, ausgewiesen worden, weil er für den österreichischen Stadtkommandanten des besetzten Dresdens, den Fürsten Lobkowitz, einen Aufruf an die Sachsen zum Anschluß an Oesterreich gegen Frankreich verfaßt hatte.

Seit 1809 lebte Müller in Berlin, in der Hoffnung auf eine Anstellung. Indem er in einigen geistreich verfaßten Schriften dem neu erstehenden Preußen kühne Wahrheiten sagte und nicht immer auf Hardenbergs Seite stand, machte er sich viele Feinde und erhielt keine Verwendung in preußischen Diensten. Ueber seine Schrift, die die Lebuser Stände unterzeichneten, sowie über die Arrestation habe ich nichts Näheres finden können.

Thielmanns Brief an Böttiger ist unter 8 in Böttigers Nachlasse auf der königl. Bibliothek enthaltenen der wichtigste. Hier sein Wortlaut:

Loschwitz d. 1./8. 1811.

Mit vielem Dank schicke ich, mein Herr Hofrath, die mir gütigst mitgetheilten Vorlesungen über vaterländische Geschichte zurück. Sie enthalten große Wahrheiten, die indessen von Johannes Müller, Heeren, Rehberg und Brandes[1] mit demselben Muthe und derselben Kraft gesagt worden sind. Ja, es steht mit uns schlecht, sehr schlecht, aber sollte das von H. Luden vorgeschlagene Mittel, das Studium vaterländischer Geschichte, zum Besseren führen? – Ach eben weil in der vaterländischen Geschichte so wenig erfreuliche Punkte sind, darum steht es mit uns schlecht, und deshalb finden wir so wenig Freude in ihrem Studio; nur in den Wäldern Germaniens, in den Städten, im Hansabunde und in der Reformation waren wir groß; seit Letzterer aber ist es fortwährend bergunter gegangen. Wenn wir nicht wieder Männer werden, welche ihre Freiheit lieber mit dem Eisen als der Feder vertheidigen, eher kann es mit uns nicht besser werden, und daß sich das Schwerd und die Feder recht gut zusammen vertragen, das beweißen Sokrates, Horaz, Cartesius und Andere. Vor Allen aber gehören dazu Fürsten, und die haben [76] wir nicht; wenn nur der so oft verkannte Moritz von Sachsen jetzt gelebt hätte! (nehmlich der Churfürst).[2] Nicht Vorlesungen, nicht Worte können es mit uns anders machen, sondern Handlungen, durch einen festen Willen erzeugt, wie er in Saragossa und Tarragona zu sehen war.

Auf diesem Punkte steht aber die Nation nicht, denn weder unsere juristischen oder sentimentalen Fürsten, noch unsere hungrigen Gelehrten haben sie dazu vorbereitet; nur die Noth kann uns dahinn führen. Drum gestehe ich, ist mir auch alle Idolatrie der Deutschheit, wie sie H. Luden in seiner ersten Vorlesung aufstellt, fast lächerlich, deren Styl übrigens Müllerisierend[3] und Woltmannisierend[4] ist. Dergleichen schriftstellerische Bestrebungen erzeugen die jetzige sogenannte wohlgesinnte Jugend, die mit dem Maule Deutschland zu retten glaubt, aber das Vaterland öfter gefährdet und die, wenn sie den Degen in die Hand nehmen soll, sich lieber hinter den Ofen setzt und alles betadelt.

Haben Sie die höchst merkwürdige Schrift von Adam Müller gelesen, welche die Lebuser Stände unterzeichneten? Diese führt fast geradezu zum Aufruhr, denn sie sagt dem Könige[5], daß bei seiner Handlungsweise sein Stamm nothwendig untergehen müsse, daß indessen sie die Stände bereit wären, Blut und Leben für ihn zu lassen – das ist aber eben, was sich hinter dem Schreibtische besser sagt als in der That ausführen läßt. Die Schrift ist höchst merkwürdig und schön geschrieben. Eine zweite, die aber nicht von ihm sein soll, hat die Arrestation veranlaßt.

Sollte ich nicht die Ehre haben, Sie wiederzusehen, so wünsche ich von ganzem Herzen glückliche Reise.

Der Ihrige
Thielmann. 

Daß ein Mann, der 1811 die Ermannung der Nation herbeisehnte, im Jahre 1813, als er sah, daß seine Hoffnung sich in Preußen erfüllt hatte, auch sein engeres Vaterland der großen allgemeinen Sache dienstbar zu machen versuchen mußte, wird uns aus dem vorstehenden Briefe recht deutlich.

Oberlehrer Dr. Paul Rachel. 

  1. Verfasser einer Schrift: über den Zeitgeist in den letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts.
  2. Nicht etwa der Marschall Moritz von Sachsen.
  3. Johannes von Müller.
  4. Einer der befähigsten Schüler Müllers.
  5. Von Preußen?



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