Ein Gang nach und durch Melbourne

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Autor: unbekannt
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Titel: Ein Gang nach und durch Melbourne
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 117–119
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Gang nach und durch Melbourne.

Es war mitten im südaustralischen Sommer, d. h. nach unserm Kalender im Februar, als ich von dem felsigen Vorsprunge Liardet’s Jetty in die Hobson-Bucht hinausathmete, um gegen die brennende, auf Bretern und Balken Blasen ziehende Sonne etwas Luft und Kühlung zu erhaschen. Alles schien zu verbrennen, zu knistern und zu spalten unter den Brandstrahlen dieser entsetzlichen Sonne. Alle Schiffe, Maste, Takelagen, Boote krochen gleichsam zusammen vor brennendem Schmerz, wie Schafe unter einem deutschen Juli, und schnappten, ohne sich weiter zu rühren.

Aber plötzlich wird’s lebendig, wenigstens auf einem Schiffe drüben in der Hobson-Bucht. Eine Flagge steigt bis an die äußerste Mastspitze, ein Signal für die Wasserpolizei, wie mein Begleiter sofort erkennt. Die Matrosen auf dem Schiffe schreien und toben, der Capitain schlägt, stößt und haut wild unter ihnen umher und steht mit einem Revolver über dem Boote, in welchem die Matrosen ihre Flucht vorbereitet hatten. Inzwischen schießt das Polizeiboot blitzschnell heran. Der Capitain wirft ihm ein Tau zu, und die Constabler klettern hinauf wie Katzen und balgen sich auf dem Verdeck umher wie Wahnsinnige. Aber der Kampf ist bald zu Ende. Die Haupthelden der aufrührerischen Matrosen gehen still mit eisengefesselten Händen auf dem Rücken auf und ab, die Andern staunen und starren halb wüthend, halb ehrfurchtsvoll auf die Constabler, die nun ganz kaltblütig auf dem Deck umhersitzen und ihre Pfeifen rauchen. Inspector und Capitain rauchen als Auszeichnung Cigarren. Die physisch und moralisch geduckten Matrosen thun ihre Schuldigkeit, da sie alle Commandos des Capitains pünktlich ausführen. So kommt das Schiff bald auf den Seeweg und verschwindet allmählich aus unsern Augen. Das Polizeiboot kehrte nach einigen Stunden zurück; es hatte eine seiner ziemlich alltäglichen Hafenpflichten gethan und Matrosen, die in der Betrunkenheit gemiethet, aufs Schiff geschleppt, nüchtern und rebellisch geworden waren, zur Ordnung, das Schiff ordentlich auf Oceanwasser gebracht und dann dem Capitain und der Gewalt des offenen Salzwassers das Uebrige anheimgegeben. Matrosen rebelliren nicht auf offenem Meere, sondern nur verführt von dem Anblick der Sirene: Land.

Melbourne.
Nach einer Abbildung der Melbourner deutschen Zeitung.

Vom Hafendamme her kommt uns ein armseliges Skelett von Jungen entgegen, der mit dünner Stimme vertrocknete, melancholische kleine Torten von einem armseligen Blech anbietet. Er sieht so hoffnungslos und körperlich wie geistig verkommen aus, daß ich mitleidig einen seiner „puffs“ kaufe und ein menschliches Wort fallen lasse. Dieser Ton der Humanität rührt ihn sofort zu Thränen. Eines Arztes Sohn in England, seit zwei Monaten hier mit den besten Empfehlungen und hübschen goldenen Pfunden – Alles verloren, in Lumpen, handelt er auf Straßen umher, schläft, wo er müde ist und nicht weiter kann. „O, wenn mich meine Mutter so sähe!“ – Alltägliche Geschichte von Hunderten, die mit rosigen Hoffnungen fast täglich aus der alten Welt herbeiströmen und in gelber Verzweiflung enden. – Da wächst ja eben wieder eine schwimmende Stadt voll Einwanderer heran! Die frisch gestrichenen Planken und Maste, neu getheerte Takelage und weißen Segel glänzen und glitzern unter der wolkenlosen Sonne. Eine rothe Flagge flappt von der Mastspitze. Alles, auch die auf dem Vorderdeck gedrängten Passagiere, trägt Festtagsputz. Segel auf Segel wird eingezogen, bis die vollschwellende Takelage zum Gerippe einschrumpft. Die Ankerkette knattert wie eine Salve durch das Hawse-Loch, bis der Anker unten festen Fuß faßt und das lange auf den Wogen geschleuderte Schiff lammfromm still steht. Beamte rudern heran, klettern auf, untersuchen und inspicircn, wie in dem polizeireichsten Hafen der alten Welt, und lassen erst nach vollendeter Arbeit die lauernden Lösch- und Passagierboote anlegen. Auch ein Dampfboot ist da mit flammingofarbigem Capitain auf der Räderbrücke. Passagiere und Gepäck stürzen sich ungeduldig auf dasselbe, auch verkleidete Matrosen als Deserteurs in der Menge, sodaß es bald triumphirend stromaufwärts davon schießt und den kleineren Booten Platz macht. Alles singt und jauchzt, auch die auf dem Dampfboote, die für ihr Gepäck auf der Flußstraße von acht englischen Meilen bis an das eigentliche Melbourne blos ein Bischen mehr bezahlen müssen, als für das schwerste Frachtgut von London bis in die Hauptstadt des „glücklichen Victoria-Australiens“; sie werden, hoffnungstrunken, nicht einmal nüchtern durch den Anblick des schmutzig gelben Yarra-Yarra und seiner geborstenen, trostlosen Ufer mit den knurzigen, verkrüppelten, roth- und braunblätterigen Bäumen und den schläfrigen Pelikanen, nicht durch die Labyrinthe von Schiffen, Tauen und Theerjacken, die weiter oben den Fluß verengen und das Gelb zu schmutzigem Kaffeebraun verdüstern, nicht durch den Geruch der Talg-, Theer- und Seifensiedereien an den Ufern – durch nichts; denn sie brennen vor Begier, die Glückspilzstadt des Goldes zu betreten, in kürzester Frist Crösus zu werden und goldbeladen sich in die beste Gesellschaft des Westendes zu London einzukaufen, oder als Dukatenmänner und Wunderthiere den Philistern in Deutschland beim Biere erbitternd unglaubliche Fabeln aufzubinden. Sie landen und finden sich heimathlos und allein unter Bergen von Gepäck und wahren Cannibalen von Trägern und Fuhrleuten, denen man den Werth seines Koffers bezahlen muß, wenn sie ihn bis zur Stadt fördern sollen.

Auf der linken Seite des Landungsplatzes lockt uns zum ersten [118] Male wieder das englische Bierzeichen. Wir trinken ein Glas Porter, das in London 1, hier 8 Pence kostet, und quälen uns mit unserm Gepäck nach Melbourne zu, die Sandrücken-Straße hinauf, vor einigen Jahren noch eine melancholische Wildniß, jetzt eine auf beiden Seiten von Häusern und Palästen, Läden und dichtem Verkehr belebte Hauptstraße, wie denn überhaupt das ganze Melbourne mit all seiner glänzenden Pracht von außen boden- und geschichtslos, pilzartig in die Höhe geschossen ist, blendend in Neuheit, überall unvollendet und überall schon wieder ruinenhaft zerbröckelnd, berstend unter glühender, farbloser Sonne und kalten Platzregen der Nächte.

Hunderte von Quadratmeilen ringsum sind goldhaltig, Tausende von der mehr als 100,000 Geviertmeilen großen Oberfläche menschenleer und fruchtbar; aber das Gold und die englische Aristokratie haben bereits dafür gesorgt, daß der großen Masse der fruchtbare Boden verschlossen bleibe oder ein Fluch werde. Man hat ihn in Bausch und Bogen in Beschlag genommen, verkauft ihn sehr selten als reines Eigenthum und zwar nur zu fabelhaft hohen Preisen und verpachtet ihn in der Regel auf bestimmte Zeit, bis der Pächter durch seinen Schweiß der Scholle Werth gegeben; dann jagt man ihn fort und verpachtet für 5–10 Mal höheren Preis. Das ist, nebst dem Golde, der englische Fluch Australiens, von welchem nur die Deutschen bei Adelaide (die 1848 größtentheils von Berlin auswanderten) und überhaupt die älteren Colonisten ausgenommen sind. Daher sind diese auch reich und wohlgebildet, während die moderne, bodenlose Masse, die kein Grundeigenthum erwerben kann, ebenso verlumpt und verkommt, wie das Proletariat Englands.

In Amerika blühen Millionen freier, deutscher Bodenbesitzer und Weinbauern (die Zukunft des Weines gehört Amerika, und zwar den Deutschen); in Australien können Deutsche blos als Dienstboten, Tagelöhner, Handwerker oder als Lehrer gedeihen, natürlich auch als Kneipiers, als welche sie sich unter allen Längen- und Breitengraden ebenfalls auszeichnen.

Doch wir sind immer noch nicht in Melbourne, und die grosse Lagune zur Rechten, das verhältnißmäßig schönste und charakteristischste Landschaftsbild in der Nähe, hält uns noch ein Weilchen auf. Mageres Gras mit einigen violetten, sternförmigen, geruchlosen Blumen knistert brechend unter unsern Füßen. Dazwischen einzelne traurige, blechartige Bäume mit grauem, rothem, versengtem Laubwerk. Alles umher brütet unheimlich still in der Hitze: nur unzählige Insecten brummen emsig umher, und die Papageien, Kakadus, Lori’s und gespenstisch graue Königsfischer oder Lochvögel mit den seltsamsten aller monströsen Schnäbel krächzen, schimpfen, pfeifen, lachen, schmatzen zuweilen auf, toller wie in einer Wolfsschlucht des Freischütz, aber nicht ein einziger kann singen. Lange schwarze Schlangen mit weißen und rothen Streifen schnellen sich bei Seite und werfen Dir aus grausamen, stieren Augen Blicke des giftigsten Hasses zu. Aus dem Baumstumpfe, der wie ein riesiger hohler Zahn aussieht, starrt, wie versteint, eine vorsündfluthliche Eidechsenform Ignana. Plötzlich rauschendes Leben zwischen dem gelben, schilfigen Ufergrase. Bronzene Flügel und purpurne Schwänze durchkreuzen die sapphirische Himmelsfarbe – eins – zwei – drei – vier Schüsse – eben so viel fallende Enten, die von zerlumpten, deutsch sprechenden Kerls aufgefischt und an die Speisewirthe verkauft werden.

Von der Lagune steigen wir über Emerald Hill in die Mitte der Stadt, die in ihren Straßen und Häusern, in Armuth und Pracht, in Liederlichkeit und sauberer Vornehmheit so alltäglich modern nichtssagend aussieht, daß wir darüber kein Wort verlieren. Der Wunder größtes auf diesem Wege und den Straßen überhaupt ist die Fülle von Unreinlichkeit mit abgelegten, man darf kaum sagen, alten Sachen. Schuhe, Strümpfe, Hemden, Röcke männlichen und weiblichen Geschlechts, Halstücher, ganze Garderoben liegen auf den Straßen umhergestreut, ohne daß sie Jemand beachtet oder gar aufhebt, selbst wenn er in Lumpen vorbeigehen sollte. Wo sind die Habichtsnasen mit ihrem Enthusiasmus für „alte Sachen?“ Das Geheimniß ist bald gelöst: erstens kostet ein Hemd zu waschen mehr, als ein neues, ein Rock auszubessern mehr als ein neuer; zweitens wüthet die Pest, der Typhus, in der Stadt von Zelten, die sich am Emeraldhügel hinzieht. Wenn Tausende von Emigranten wöchentlich hereinströmen, so können sich oft auch wohlhabende Leute und Familien für das schwerste Geld nicht Dach und Fach erkaufen. Eine sehr reiche englische Familie, die mit mir gekommen war, wohnte in einem noch nicht ausgebauten Hause von drei Zimmern einen Monat für vierzig Pfund Sterling.

Die meisten Ankömmlinge sind froh, wenn sie zunächst in der Zeltstadt Schutz vor den Nachtregen finden; aber wenn die Fluthen die Koffer aus dem Zelte wegschwemmen und beim Aufwachen das Wasser bis an den Mund reicht, kein Feuer brennen will und der Sturm die Zelte wie Regenschirme umkrempelt, wenn Typhus-Pest und unerhörte Ruchlosigkeit um uns im tiefsten, stinkenden Schmutze wüthen: dann verliert das romantische Zigeuner-Leben in der Leinwandstadt bald seinen Reiz. Vor meinen Augen begruben sie eines Tages zwei Typhus-Leichen in einem Pökelfleischfasse und brüllten lustige Zoten dazu und tranken Spiritus wie Wasser. Zwischen den Zeltgassen werden nicht selten am hellen Tage einzelne Neulinge überfallen, beraubt und noch lebendig tief in den Koth hineingetreten, daß sie ersticken und liegen bleiben, bis ein Nachtplatzregen sie zum Theil herausspült. Was Thucydides, Boccaccio und Defoe Schreckliches von den demoralisirenden Wirkungen der Pest schilderten, in der Zeltstadt von Melbourne wiederholte es sich ziemlich genau während der Typhuszeit, deren schrecklichste Periode in das Jahr 1853 fiel, die seitdem aber nie wieder ganz aufhörte.

Weiter stadtwärts passiren wir den botanischen Garten in noch chaotischer Unordnung und gehen über die „Fürstenbrücke“, gebaut von Gold, wenigstens lauter goldhaltigen Quarzstücken, in das eigentliche Verkehrsnetz der Stadt. Im abenteuerlichsten Gänsemarsch wackelt uns eine Horde Chinesen entgegen, weitblauhosig mit kleinen Kähnen statt der Schuhe, braungelb, immer lächelnd, schiefschlitzäugig, mit bienenkorbartigen Kopfbedeckungen, Jeder mit einer Bambusstange auf der Schulter und einem baumelnden Bündel ganz oben an der Spitze, von den Jungen an den Zöpfen gezupft, von Allen höhnisch verlacht und immer lächelnd, die geheimnißvollsten Menschengestalten der Welt, eben so unverständlich in ihren Gesticulationen wie mit ihrer bald tief im Magen knurrenden, bald in der höchsten Fistel quiekenden Sprache. Je nach der Tonlage oder Tonfolge hat manches einzige Wort 20–30 Bedeutungen. Ueberhaupt ist hier das wahre, lebendige ethnologische Museum: Franzosen, deutsche Biergesichter, Italiener, schielende Spanier, Dänen, Malaien mit wilden, mordlustigen Augen, tättowirte Maori’s (Eingeborne von Neuseeland), betrunkene Neger aus Amerika, zähnefletschende, bläulich braune Papuaner ohne Stirn und mit weit hervorragenden, breitmäuligen Gebissen, magere, gelbe Amerikaner, hakennasige Juden, Engländer, Schotten, Irländer, alle mögliche Nationen beider Halbkugeln mit dem charakteristischen, professionellen „Digger“ oder „Goldsucher“, aus dessen Wasserstiefeln ein frecher, wilder Kerl hervorragt mit einem Gesichte aus lauter Bart, aus welchem nur Nase und barbarische Augen hervorscheinen, pistolenumgürtet, Straußenfedern auf dem Hute, reitend, fahrend, brüllend, Champagner aus Zinn-Bierkrügen trinkend – heute ein Crösus, morgen ein Bettler. „Wie gewonnen, so zerronnen“! Vielleicht ist es ein Natur- und Sittengesetz, daß Geld, je leichter es in die Hände kommt, desto leichter und rascher, demoralisirender wieder davonläuft. Die „Diggers“ verbringen oft thatsächlich in einer einzigen, liederlichen Nacht den Lebensunterhalt eines ganzen Jahres. Sie kommen mit einem Sacke voll Goldstaub oder „nuggets“ an, verkaufen es im ersten besten Laden, an dessen Schaufenstern mit ungeheueren Buchstaben tausendweise die Worte prangen: „Gold bought in any quantity“ (hier wird jede Menge von Rohgold für baar Geld gekauft), poltern in große Restaurations-Paläste hinein, an deren Eingangsthüren „Very dear!“ (sehr theuer!) als Lockspeise für die Eintagsfliegen von Crösus angebracht ist, und verbringt die Nacht in den lebensgefährlichsten Spitzbuben-, Mörder- und Dirnenherbergen, den Clubs Londoner „Schwarzbeine“ (entkommener Verbrecher) und der „Herren von Drüben“, wie die entlassenen Deportirten von Van Diemensland genannt werden.

Auf dem Wege nach Hause wird der „Digger“, wenn er nicht Alles durchgebracht hat, sehr oft nieder- oder todtgeschlagen und beraubt. Oder er besucht Concertsäle, wo er der Primadonna Champagner in Zinn-Bierkrügen reicht, den Pianisten, der ihm nicht Lärm genug macht, mit Orangenschalen bombardirt und fortfährt, allen möglichen Unfug zu treiben, bis er unter cannibalischem Tumult hinaus- und den Nachthabichten als Beute vorgeworfen wird.

Von Theatern, Concertsälen, Kirchen, Spiel- und noch schlimmeren Häusern kann ich nicht viel Rühmliches sagen, zumal da ich nicht dafür stehen kann, was sich Alles während der wenigen [119] Monate, seitdem ich Melbourne verließ, geändert und gebessert haben kann. Wie die südaustralische Victoria- und Goldhauptstadt binnen wenigen Jahren äußerlich glänzend aufschoß und sich ausbreitete, verändert sie sich stets eben so rasch, immer im Fieber, immer in einer Art von Wuth, das ältere, solidere, durch dauernd und regelmäßig aufblühenden Handel begünstigte Sidney zu übertreffen. Deshalb tragen auch alle Unternehmungen für Kunst und Wissenschaft, für Cultur und Luxus das Gepräge des Uebereilten und Forcirten, des Unfertigen, Unsoliden und des Humbugs. Erziehung und Unterricht, Kunst und Wissenschaft kommen immer mehr in deutsche Hände. Ich lernte mehrere Hunderte von Landsleuten kennen (von 1848 bekannte und berühmte Namen darunter), die theils als Privatlehrer, theils als Vorsteher eigener Schulen, als Gesang-, Musik- und Sprachlehrer fast durchweg gut leben und zum Theil reich werden. Einige deutsche Vereine sind bis jetzt ohne Bedeutung. Man schätzte die Zahl unserer Landsleute in Melbourne selbst auf 7–10,000, mit der Umgegend und den Goldregionen auf mehr als 20,000. Drei Deutsche geben seit vorigem Herbste die „Melbourner Deutsche Zeitung“, wöchentlich einen halben bis dreiviertel Bogen, heraus, aber die drei Redacteurs Brahe, Kruse und Püttmann finden so wenig Stoff auf diesem „unhistorischen Boden“, daß sie über drei Viertel ihrer Spalten, wie z. B. in Nr. 6, mit Nachdruck aus dem Londoner „Hermann“ füllten.

Deutsche, die auswandern, sollten am allerwenigsten an Australien denken. Die Welt ist hier schon weggegeben. So Viele unserer Landsleute sich auch emporgearbeitet haben, wer zählt die Menge der Untergegangenen? Mir ist besonders ein Beispiel unvergeßlich. Die reiche Frau eines Berliner Philosophen und Schriftstellers, der in Berlin im Elend gestorben ist, wurde von einem ehemaligen Berliner Lieutenant hierher begleitet und verlassen. Sie suchte erst als Lehrerin, dann als Waschfrau zu leben, sank dann bis zum nächtlichen Wandern auf den Straßen, wurde endlich zerknirschte Betschwester und starb mit dem „Brode des Lebens“, der Bibel, in der Hand, aber aus Mangel an irdischer Nahrung.