Ein Gedankenbrief
(1877.)
Die letzte Nacht vor einer langen Reise!
Ich weiß es kaum, wie mir der Abend schwand.
Dann stand ich auf. In alter, schlichter Weise
Gabst du zum Abschied lächelnd mir die Hand.
Dir zu verbergen meiner Seele Pein.
Es wird mir schwer und dennoch muß es sein –
Ich gehe fort und kehre nimmer wieder!
Wie ist so fremd mir dieses stete Schwanken,
Doch wie im Fieber hasten die Gedanken
Und keiner hält für Augenblicke Stand.
Zum Herzen schießt das Blut in heißen Wellen;
Ich sage mir verzweifelnd: „Sei ein Mann!"
Bezwingen nicht den trotzigen Rebellen.
Wie ist mir’s nur, als ich bei dir, gelungen,
Zu unterdrücken eisern mein Gefühl?
Hab’ ich so völlig meine Qual bezwungen,
Und daß du mich in diesen letzten Stunden,
In denen mild die Welt du mir verschönt
Ein wenig düstrer nur, als du gewöhnt,
Und karg an Worten, wie auch sonst, gefunden?
Und ahnen nicht, daß nahe der Moment,
Der jäh und feindlich unsre Lebensbahnen
Und der uns selbst für alle Zeiten trennt,
Und wenn ich nicht Lebwohl dir traurig sage –
Ich wußte wohl, daß meine Fassung brach
Vor einem Blick, vor einem Laut der Klage.
Wozu mein Kind, da alles doch vergebens,
Auch diese letzte, herbste Marter noch?
Ein Liebeswort von mir – ich ginge doch!
Es wird genug des Leids dir widerfahren.
Nach meinem eig’nen Fühlen frag’ ich nicht,
Und höher steht, als Alles, mir die Pflicht,
Nun kommt es anders. Wenn die Nacht entwichen,
Die sanft und still in ihren Arm dich nahm,
So sagt man dir: „Er hat sich fortgeschlichen
Bei Nacht und Nebel, plötzlich, wie er kam.
Schloß ein Geheimnis seinen bleichen Mund,
Ist eine Schuld des jähen Flüchtens Grund?
Wer kann errathen, was ihn fortgetrieben?"
Ich weiß, du wirst erbleichen und erschrecken,
Und mit der Hand die Augen stumm bedecken,
An deren Wimper eine Thräne hängt.
Dein Fühlen kündet weder Blick noch Wort,
Um dich in stiller Kammer auszuweinen.
Dein müdes Auge forscht in meinem Zimmer –
Kann nicht ein Buch, ein Blatt vergessen sein,
Das treulich du nach Mädchenart für immer
In dieser Stunde wirst du es erkennen,
Wie lieb du doch den fremden Mann gehabt,
Dem ihr bei euch ein friedlich Obdach gabt –
Und „du" sogar wirst du ihn seufzend nennen.
Ich hab’s am ersten Tage, armes Kind,
An tausend kleinen Zügen schon gesehen,
Die viel beredter als die Worte sind.
Doch wird sich krampfhaft dann dein Herz verschließen;
Und giebst dein Fühlen wehrlos nicht dahin
An einen Mann, der lieblos sich erwiesen.
Du wirst dir selbst nach langem Sinnen sagen;
„Ich täuschte mich: er war nicht, was er schien,
Der mich nicht lieben konnte, wie ich ihn.
Ich darf ihm nicht und werde nie ihm fluchen;
Verdiente Buße für vermessnen Wahn
Ist mir verhängt; er hat mir nichts gethan –
Du bist kein schwaches, leicht zerknicktes Rohr,
Und über Leid und Trauer trägt die Schwinge
Des Jugendmuths nach Wochen dich empor.
Weil ich dich liebe, innig, wahr und rein,
Weil du mir theurer, als mein eignes Sein,
Hab ich für dich nur einen Wunsch – „Vergessen."
Daß sich mein Bild verschleire und verbleiche,
Und daß dich selten nur ein Traum beschleiche
Von jener Zeit, da ich bei dir geweilt,
Daß deine Augen still sich wieder lichten
Zu wunderbarem, sonnenhaftem Schein –
Auf rauher Bahn und tröstend auf mich richten.
Und sei auch nicht in Sorge meinetwegen!
Ich bin von harter, festgefügter Art,
Und geht mir’s schlimm – was ist an mir gelegen,
Spült vom Verdeck mich einer Sturzsee Welle,
Wirft aus den Raaen mich ins Meer der Nord,
So hallt’s durch’s Sprachrohr: „Einer über Bord!"
Und schweigend nimmt ein andrer meine Stelle.
Dies kämpfereiche, schmerzenvolle Loos.
Es ist das schönste, edelste von allen –
Der Dienst der Freiheit macht den Kleinen groß.
Er kann sie kühn vor peinlichem Gericht
Und heiter selbst in Kerkermauern machen!
Ich klage nicht und werde weiter fechten,
Ein treuer Kämpe, bis mein Auge bricht –
Dess' Schmerz verdoppelt mir zum Herzen spricht?
Ich würde zittern, säh’ ich stumm sie leiden,
Verriethe mir ihr Blick geheime Pein –
Gefaßt auf Alles bin ich nur allein:
Auf deinen Lippen schwebt noch eine Frage.
So höre denn. Ich bin ein armer Mann,
Der kärglich lebt, den jeder seiner Tage
Erbarmungslos aufs Pflaster werfen kann,
Dem Loos des Siechthums gegenübersteht
Und einem Greisenthum entgegengeht,
Das aller Pflege bar und voller Sorgen.
Ich hab’ es immer flüchtig nur erwogen,
Und immer war der Eindruck rasch verflogen –
Da kam der Tag, da ich zuerst dich sah!
In meiner Seele war ein plötzlich Tagen
Und ich empfand es kalt und klar und scharf,
Und daß nur eine Wahl mir bleibt: „Entsagen!"
Der blinde Zufall launenhaft geführt,
Hat nie mein Mund gestammelt eine Bitte,
Und sah an Liebesweh ich Andre kranken,
Hab’ ich gezürnt, gespottet und gelacht.
Mir lag es fern – ich war ja Tag und Nacht
Bestürmt von schweren, quälenden Gedanken.
Unwiderstehlich und mit einemmal.
Ich sonnte mich, beseeligt und beklommen,
In deines Auges mildem, warmem Strahl;
Es war mir oft, als ob in Tränen schwimme
Ich deinem sanften, klaren Wort gelauscht –
Es war Musik für mich in deiner Stimme.
Auch über dir sah ich den Zauber walten –
Du standest bald in meines Wesens Bann;
Bewußte Liebe für den fremden Mann.
Von Jubel wollte mir die Brust zerspringen,
Doch auf der Lippe fror der Freudenlaut –
Ich schrak zusammen bei dem Worte „Braut",
Schwer in die Rechte ist mein Haupt gesunken;
Ich sann und sann in ruheloser Pein
Und dann erlosch im Blick der letzte Funken,
Und meine Antwort war ein traurig „Nein!"
Es steht ein Engel mit dem Flammenschwert
Vor diesem Eden, der den Eintritt wehrt,
Und ewig liegt ein Fluch auf unserm Leben!
Wär’s nur um uns – vielleicht daß doch am Ende,
Ich in mir selbst den Mut zur Frage fände,
Ob du bereit, zu theilen mein Geschick;
Und wolltest furchtlos du mit mir es wagen,
Zum Trotz dem Zweifel, der dein Herz beschlich
Ich würde stets dich auf den Händen tragen!
Wir würden treulich unsre Armuth theilen;
Von meiner Stirn strichst du die Falten fort,
Du würdest alle meine Wunden heilen
Du würdest lernen, männlich zu empfinden,
Und was auch immer in der Tage Rest
Mir noch verhängt – du würdest stolz und fest
Dich deinem Gatten enger nur verbinden.
Die hilflos sind, wenn unsre Stunde schlug
Bevor sie groß. Krampft sich dein Herz zusammen?
Irrt um die Lippe dir ein bittrer Zug?
Schon der Gedanke würde mich entmannen.
Da meine Kinder hungernd schrei’n nach Brot –
Ich hätte nie die Kraft, ihn zu verbannen.
Mich treibt der Geist, ich kann nicht widerstehn;
Im freien Wort die Staatenlenker sehn.
Es würden nachts empor die Häscher steigen
Auf steiler Treppe zu dem kühnen Mann,
Und sollst du seufzend deinen Kindern dann
Wie würd’ ich froh ein Töchterchen begrüßen
Mit deinen Augen groß und tief und klar,
Mit deiner reinen Stirn und deinem süßen,
Unschuld’gen Mund und deinem blonden Haar.
Das ohne Rast, vom Morgen bis zur Nacht
Der Nadel Stiche prüfend überwacht,
Und allen Jugendmuth in ihr getödtet.
Und könntest dann du einen Buben pflegen,
Der an der Brust der Mutter schon verwegen
Mit seinen kleinen, dicken Ärmchen ficht,
Ein muntres Kind mit krausen, schwarzen Haaren –
Ich würde mir für meinen kleinen Sohn
Und mir den Bissen gern vom Munde sparen.
Doch wenn er früh befähigt und berufen
Zum Forscher sich, zum klaren Denker zeigt,
Wenn rasch und kühn und freudig er die Stufen
Den Durst zu stillen, der ihn stumm verzehrt,
Zu lernen Alles, was des Lernens werth –
Wie soll der Arme diesem Drang genügen?
Und all’ die Bücher, die er haben muß,
Dieselben Bücher, die zu tausend Malen
Des Reichen Sohn verwünscht voll Ueberdruß?
Soll er des Lernens Lust nur darum kosten,
Des Geistes Kräfte später nutzlos ruhn,
Bis sie zuletzt verkümmern und verrosten?
Und weiter dann. Man nimmt der armen Mutter
Den Sohn, die Stütze ihres Witwenthums –
Für neue Thaten kriegerischen Ruhms.
Man preßt den Sohn des Freien zum Soldaten;
Das Kalbfell rasselt, das Kommando hallt,
Und wenn er knirschend auch die Fäuste ballt –
Und wenn die Kaiser wieder Krieg beschließen –
Was hilft es ihm, wenn er es Frevel nennt,
Auf arme Menschen kalten Bluts zu schießen,
In deren Reihen er nicht Einen kennt?
Der mit dem Stahl in Feindesbrust gewühlt, –
Dein armer Sohn, der menschlicher gefühlt,
Wird mit durchschossner Stirn verscharrt im Sande.
Des armen Volkes hoffnungsloses Leiden,
Hab’ ich in finstrem Trotze mich gefragt:
Warum uns selbst erneu’n in armen Kindern,
Die man gleich uns zeitlebens scheert und melkt?
Der fluchbelastete – wer kann es hindern?
Wer kann uns wehren, selbst uns zu vernichten?
Wer hat die Stirne und den Frevelmuth,
Das arme Volk moralisch zu verpflichten,
Nicht eine Faser mehr, nicht einen Tropfen,
Da unsre Klasse doch nur dazu taugt,
Daß man das Mark ihr aus den Knochen saugt,
Und dazu noch, des Krieges Schlund zu stopfen!
Weil Niemand fragt nach ihrem Hungerlohn,
Was kümmert’s uns, die doch nicht mit genießen?
Wir sehen’s kühl, mit schadenfrohem Hohn,
Und wenn der letzte Proletar auf Erden
Was kümmert’s ihn, wer dann die Herrn ernährt?
Sie mögen sehen, wie sie fertig werden!
Man wies uns fort vom reichen Tisch des Lebens,
Wir galten minder als ein schönes Thier –
Und wer zuletzt verhungert, das seid ihr!
Den ihr im Schlaf dem Riesen aufgelegt,
Denn wenn er träumend seine Schultern regt,
Wen solche Träume oft und oft beschleichen
In schwüler Nacht, bei fahler Blitze Licht,
Der darf die Hand dir nicht zum Bunde reichen,
Der taugt zum Gatten und zum Vater nicht.
Und mein Verhängnis treibt mich fort von hier.
Leb’ wohl, mein Kind! – Und leichter sei, als mir
Und lebenswerther immer dir das Leben!
Anmerkungen (Wikisource)
Ebenfalls abgedruckt in:
- "Die Neue Welt" Nr.22 S.249 (Titelseite 1877)
- Lavant, Rudolf (d. i. Richard Cramer): Gedichte. Hrsg. v. Hans Uhlig. Berlin, Akademie Verlag 1965 (Seite 5).