Ein Haupt der ultramontanen Partei in Deutschland

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Titel: Ein Haupt der ultramontanen Partei in Deutschland
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 244–247
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Haupt der ultramontanen Partei in Deutschland.

Es ist ein Bild von keineswegs zu unterschätzendem culturhistorischen und zeitgeschichtlichen Interesse, das Bild der Wirksamkeit eines Mannes, der bereits seit fast zwei Decennien den ultramontanen Bestrebungen in unserem Vaterlande nicht nur als eine ihrer mächtigsten Stützen gedient, sondern vielmehr mit weithinschallendem Kriegsruf ihnen die Ziele und Wege gewiesen und alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um, soweit es an ihm lag, seinen Lebenszweck, die Wiederherstellung der Macht der Kirche, wie sie im Mittelalter war, zu erreichen. Nicht allein, daß wir, wenn wir dieses Bild auch nur in seinen äußeren Umrissen geben, um die Bekanntschaft einer jedenfalls hervorragenden Erscheinung unserer Zeit reicher werden; wir gewinnen damit auch zugleich einen lehrreichen Einblick in den Charakter und das Wesen einer Gegnerschaft, die den glück- und erfolgverheißenden Bestrebungen unserer Gegenwart in einem Kampfe „auf Leben und Tod“, wie ihn Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler, Bischof von Mainz – denn er ist es, von dem wir hier sprechen – selbst bezeichnet, einen zähen, hartnäckigen, schwer zu ’ermüdenden Widerstand leistet. Wenn dieses Bild aber recht klar und deutlich werden soll, ist es nothwendig, einen kurzen Blick auf das Verhältniß zu werfen, in welchem die beiden christlichen Confessionen des Großherzogthums Hessen, – dies ist bekanntlich der engere Schauplatz der Thätigkeit des Bischofs, – vor Inthronisirung des letzteren auf dem Stuhle des heiligen Bonifacius zu einander gestanden haben.

Wie der Verfasser dieses Aufsatzes aus völlig zuverlässigen und unverfänglichen Quellen, über die er jederzeit Rechenschaft zu geben bereit ist, in Erfahrung gebracht hat, waren die interconfessionellen Beziehungen in Hessen vor den Zeiten des Herrn von Ketteler durch gegenseitiges Entgegenkommen im wahren Geiste christlicher Liebe in so wünschenswerther Weise geordnet, daß tüchtige Männer beider Religionsbekenntnisse, Priester und Laien, die alt genug sind, um die Differenz zwischen Sonst und Jetzt ziehen zu können, auf jene Zeiten wie auf einen glücklichen Traum zurückblicken. Die Geistlichen standen untereinander in einem geselligen Verkehr, der in vielen Fällen zu enger Freundschaft führte, unter allen Umständen es aber niemals an der gegenseitigen

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Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler, Bischof von Mainz.

Achtung gebrechen ließ. Oftmals, wo es die Gelegenheit mit sich brachte, verwalteten sie ihr priesterliches Amt gemeinschaftlich an einem und demselben Altare, gleichgültig, ob in einer protestantischen oder katholischen Kirche. Die Gemeinden wohnten in Frieden beieinander. In den Schulen saßen, wenn es die Ortsverhältnisse so bedingten, die Kinder der verschiedenen Konfessionen untereinander, ohne daß der eine oder der andere Theil befürchten durfte, inner- oder außerhalb des Unterrichts in seinem Glauben gekränkt zu werden. Starb ein Protestant in einem vorwiegend katholischen Orte, so wurde er in derselben Reihe begraben, in welcher seine katholischen Mitchristen lagen, und die Glocken der katholischen Kirche läuteten ihn zu seiner letzten Ruhe, wie wenn er ihrer Gemeinschaft angehört hätte.

Das ist nun freilich seit dem Regierungsantritte des jetzigen Bischofs ganz anders geworden. Wider den Willen des Domcapitels zu Mainz, das erst einen Mann von milder und versöhnlicher Gesinnung, den früheren Domcapitular Schmidt, jetzt Professor der Philosophie zu Gießen, gewählt hatte, dem Sprengel vom Papst gewissermaßen aufgezwungen, ließ er sogleich in dem ganzen Lager, das seinem Befehle anvertraut war, nach allen Seiten hin Reveille schlagen, um jenen unduldsamen, exclusiven Geist in seinen Diöcesanen wach zu rufen, welchen wir unter dem Namen des ultramontanen kennen und – nicht lieben gelernt haben. Das früherhin so collegiale Verhältniß der Geistlichen unter einander hatte damit nicht nur bald sein Ende erreicht, es trat vielmehr zwischen ihnen jene Spannung ein, die überall dort zu Tage kommen muß, wo die unerträglichste aller Aristokratien, die des Glaubens, ihre Ansprüche geltend macht, Ansprüche, auf denen der geistliche Hochmuth des Menschen um so eigensinniger zu bestehen pflegt, je unsicherer das Fundament ist, auf welches sie sich gründen. Es versteht sich von selbst, daß die Gemeinden zum großen Theil ihren Seelsorgern nachfolgten und daß damit eine Absonderung nicht nur auf dem Gebiete der Kirche und Schule, sondern nicht minder der gesellschaftlichen Beziehungen eintrat. Auch die Kirchenglocken haben wieder ihre specifisch katholische und protestantische Klangfarbe angenommen. O sancta simplicitas!

Einige concrete Fälle werden am besten geeignet sein, den gegenwärtig in der Mainzer Diöcese waltenden Geist in das richtige Licht zu stellen. Welcher Same des Hochmuths, der Zwietracht, des Hasses und Wahnes zum Beispiel schon in die Seelen der Jugend gelegt wird, davon mag folgendes sehr bezeichnende Erlebniß des Verfassers dieses Aufsatzes Zeugniß ablegen. Die Kinder einer in einem rheinhessischen, nur zwei Stunden von Mainz entfernten Dorfe angesessenen protestantischen Familie kamen einst vom Spielen nach Hause, ganz aufgeregt darüber, daß ihnen ihre katholischen Cameraden den Umgang aufgesagt hatten, und zwar auf Befehl des Caplans, welcher in der Schule seine Stimme dahin abgegeben hatte, daß es sich für Kinder der katholischen Confession nicht schicke, mit Andersgläubigen umzugehen, da diese Letzteren doch nie in den Himmel kommen könnten. Als ich nun über diesen bornirten Fanatismus mein höchstes Erstaunen aussprach, beruhigte man mich damit, daß dergleichen Erscheinungen in der ganzen Mainzer Diöcese zu den alltäglichen gehörten. Ueberhaupt auf der Schule, als derjenigen Anstalt, die ihm die Herrschaft seines Geistes auch für die Zukunft zu verbürgen am meisten geeignet scheint, hält der Bischof seine Hand mit furchtbarer Strenge, [246] mit eiserner Gewalt, und wie für diesen Zweck von seiner Seite auch schon die hessischen Behörden gewonnen sind, darüber möge Nachstehendes sprechen.

In demselben Dorfe, von welchem ich oben erzählte, lebt gegenwärtig als Inhaber einer Privatschule ein würdiger Mann, ein Lehrer, so recht nach dem Herzen von Eltern, denen ernstlich daran gelegen ist, daß ihre Kinder etwas Tüchtiges lernen. Er war früher Hauptlehrer in der katholischen – der einzigen öffentlichen – Schule des Ortes gewesen, hatte aber durch die Unabhängigkeit seiner Gesinnung, welcher besonders der geistlose Formelkram des vorgeschriebenen Religionsunterrichts und die kirchlich asketischen Uebungen keineswegs zusagten, zu denen bei Gelegenheit der bekannten Jesuitenmissionen auch die Lehrer des Sprengels von Mainz befohlen wurden, den Zorn des Bischofs auf sein Haupt geladen. Man faßte sich kurz. Der sittlich vorwurfslose, in jeder Beziehung ausgezeichnete, für das Wohl der ihm anvertrauten Jugend fast dreißig lange Jahre rastlos thätige Mann wurde wegen Faulheit pensionirt, ein Familienvater mit sechs unerzogenen Kindern! Das wäre nun im Grunde genommen noch nichts so sehr Auffallendes, denn dergleichen kommt auch anderswo vor. Das Unerhörte aber in dieser Angelegenheit ist, daß die hessische Regierungsbehörde über den Geschädigten auch noch Verbannung verhängte, indem sie den Genuß der Pension an die Bedingung knüpfte, daß der Empfänger den Ort seiner bisherigen, fast dreißigjährigen Wirksamkeit verlassen und dazu noch die Wahl seines zukünftigen Aufenthaltsorts dem großherzoglichen Kreisrath zur Bestätigung vorlegen sollte! So gefährlich erschien die Faulheit dieses Mannes! Erst als die Sache vor die hessischen Stände zu kommen drohte, zog man andere Saiten auf und gab ihm schließlich die Concession zu jener oben erwähnten Privatschule, die ihn in Bezug auf den Unterricht nicht nur freier, sondern Dank seiner Tüchtigkeit auch materiell viel besser gestellt hat, als früher. Das betreffende Regierungsrescript habe ich mit meinen eigenen staunenden und ungläubigen Augen gelesen.

Aber nicht blos diesen engeren Kreisen, sondern dem ganzen öffentlichen Leben des Großherzogthums Hessen wußte der Bischof von Ketteler die Spuren seines Wesens und Wirkens einzuprägen. In jenen unglückseligen fünfziger Jahren unseres Säculums, in welchen die rothe Reaction überall in unserem Vaterlande siegreich die Fahne schwang, in welchen mit dem Abschluß des Concordats die österreichische Regierung sich und ihr Volk förmlich in die Knechtschaft des Papstthums stürzte, gelang es dem Bischof von Mainz, der österreichischen und bundestäglichen Hülfe versichert, durch die schon früher erwähnte Androhung eines Krieges auf Leben und Tod die hessische Regierung zum Abschluß jenes Staatsvertrags zu bewegen, der unter dem Namen der mainz-darmstädtischen Convention in ganz Deutschland bekannt geworden ist. Vergebens war der Protest von achthundert der angesehensten katholischen Bürger von Mainz, vergebens der Protest der Presse, vergebens der Protest der hessischen Landstände. Die Regierung beharrte dabei, dem Bischof eine Macht zu lassen, die ihm bei Besetzung der Pfarr und Lehrstellen eine, wenn überhaupt, dann nur dem Namen nach beschränkte Allgewalt einräumte. Erst die Ereignisse des Jahres 1866, wie sie in Oesterreich den Bann des Concordats brachen und die Vollgewalt der ultramontanen Herrschaft über das Staatsleben als den unheil- und verhängnißvollsten Anachronismus selbst dem blödesten Verstande und widerstrebendsten Willen klar und deutlich machten, vermochten auch die hessische Regierung jenen Vertrag wieder aufzulösen.

Ein förmlicher Gewaltact seitens des Bischofs, dem die Regierung ebenfalls willen- und widerspruchlos zusah, war ferner die Ablösung der katholisch-theologischen Facultät von dem Verbande der hessischen Landesuniversität Gießen. Durch die Drohung, keinem auf dieser Akademie Studirenden die geistlichen Weihen ertheilen zu wollen, zwang er Alle, die in der Mainzer Diöcese dereinst ein priesterliches Amt zu bekleiden beabsichtigten, von dem für diesen Zweck errichteten Seminar in Mainz Gebrauch zu machen, das selbstverständlich unter des Bischofs eignen Augen auch des Bischofs eigne Wege wandelt. Wohl ging ein Schrei des Schreckens und des Unwillens durch das ganze Land, aber der Bischof wollte seinen Willen, und Herr von Dalwigk sagte nicht Nein. Freilich die deutschen Universitäten zeitigen nicht blos die Fähigkeiten des Geistes, sondern sie reifen auch den Charakter; allein schon seit den Zeiten des gewaltigen Hildebrand, ist es dem Ultramontanismus eigen, daß er gern und willig zu Gunsten der Schablone auf den Charakter verzichtet.

Alle diese Erscheinungen indessen reichen in Bezug auf Seltsamkeit nicht an die letzte, welche hier angeführt sei, nämlich die, daß der Bischof von Ketteler im Widerspruch mit allen in dem hessischen Lande geltenden Rechten und Pflichten bis heute noch nicht sich herbeigelassen hat, den Eid auf die hessische Verfassung zu leisten. Er nimmt zwar seit achtzehn Jahren schon in der ersten Kammer der Stände des Großherzogthums den seiner Stellung zukommenden Platz ein; er beansprucht zwar für sich das Recht, bei der Gesetzgebung seinen Rath und seine Stimme geltend zu machen – aber durch einen Eid sich an die Gesetze zu binden, die er selber giebt, das hat er bis jetzt für durchaus überflüssig gehalten. Somit hat er thatsächlich sich nicht nur über das Gesetz, sondern auch über seinen eigenen Landesherrn gestellt. Es ist nicht unsere Sache, hier zu fragen, in welcher Weise die hessische Regierung diese Handlungsweise eines Unterthans gegenüber der Würde und Wohlfahrt des Landes und der Krone verantworten will und kann. Nur darauf mochten wir hingewiesen haben, daß seit der langen Reihe von Jahren, die der Bischof an der Gesetzgebung Theil genommen hat, unter den erlassenen Gesetzen sich bei den obwaltenden Umständen sicherlich verschiedene vorfinden dürften, die staatsrechtlich vollkommen ungültig und unverbindlich sind.

Ob der Bischof, wenn Mainz preußisch geworden wäre, wohl dem Könige von Preußen und der preußischen Verfassung auch den Eid der Treue und des Gehorsams verweigert hätte? – Und wenn er es gethan hätte, – ob er dann wohl noch Bischof von Mainz geblieben wäre? – –

Das hier Mitgetheilte dürfte genügen, um die Art und Weise, wie der Bischof das Interesse seiner Partei geltend macht, hinlänglich zu charakterisiren, und wir können füglich die Mittel, die er zur Wiederbelebung des ultramontanen Geistes anwendet, wie die Stiftung immer neuer religiöser Genossenschaften unter Geistlichen und Laien, die Wiedereinführung der Jesuiten gegen alles Gesetz und Recht, die Vermehrung der Klöster und der Feiertage, den kaum noch kanonisch zu nennenden Erwerb von beweglichem und unbeweglichem Eigenthum etc. mit Stillschweigen übergehen. Wie rüstig und allzeit bereit der fehdelustige Führer des deutschen Ultramontanismus die Feder führt, ist ebenfalls hinlänglich bekannt. Diese seine literarische Befähigung, seine Schlagfertigkeit, seine – wir dürfen es nicht in Abrede stellen – geistige Ueberlegenheit, erklären den Einfluß, welchen er nicht nur auf die Geistlichen einer Diöcese, sondern selbst auf andere Prälaten und Kirchenfürsten ausübt, sodaß er mit Recht als eine der Hauptstützen des Ultramontanismus in ganz Deutschland gilt. Bei jeder Gelegenheit schlägt er Lärm und schreit über eine Beschimpfung oder Schädigung der katholischen Kirche. So, als er das bekannte Lustspiel Arthur Müller’s „Gute Nacht Hänschen“ als eine „öffentliche Beschimpfung der katholischen Kirche“ befehdete und das Verbot des Stückes auf der Mainzer Bühne durchsetzte; so noch ganz vor Kurzem bei dem Jubiläum des Erzbischofs Vicari von Freiburg im Breisgau, wo er in einer anderthalb Stunden langen Rede gegen die Bestrebungen der neueren Zeit, die Religion, Christenthum und Kirche aus Staat, Schule und Haus verdrängen wollten, zelotisch zu Felde zog. Dabei vergißt er trotzdem nie, seine Friedfertigkeit, seine christliche Liebe, seinen Patriotismus, seine Verehrung für das Gesetz, seinen Verzicht auf alle Vorrechte recht augenscheinlich in den Vordergrund zu stellen. Secundirt wird er hierbei von einer Tagespresse, deren Verhältniß zu den Bestrebungen der deutschen Gegenwart damit hinlänglich festgestellt ist, wenn wir anführen, daß sie dem Tage der Kaiserconferenz zu Salzburg, von welcher wir Alle einen blutigen Krieg befürchteten, mit den Worten entgegenjubelte: „Noch nie hat die Sonne so schön und glückverheißend über Salzburg geschienen, als an dem heutigen Tage!“

Lassen wir nun zum Abschluß unserer Charakteristik den Bischof noch mit seinen eigenen Worten den Standpunkt darlegen, den er der Entwickelung des deutschen Volkes gegenüber einnimmt, wie sie sich seit der Reformation herausgestellt hat. Bei Gelegenheit des zu Ehren des heiligen Bonifacius in Mainz 1855 gefeierten Jubiläums äußerte er sich in einem Hirtenbriefe darüber folgendermaßen: „Als die geistige Grundlage wieder gestört und [247] das geistige Band zerrissen wurde, durch welches der heilige Bonifacius die deutschen Völker verbunden hatte, da war es auch aus mit der deutschen Einheit und der Größe des deutschen Volks. Wie das Judenvolk seinen Beruf auf Erden verloren hat, als es den Messias kreuzigte, so hat das deutsche Volk seinen hohen Beruf für das Reich Gottes verloren, als es die Einheit im Glauben zerriß, welche der heilige Bonifacius gegründet hatte. Seitdem hat Deutschland fast nur mehr dazu beigetragen, das Reich Christi auf Erden zu zerstören und eine heidnische Weltanschauung hervorzurufen. Seitdem ist mit dem alten Glauben auch die alte Treue mehr und mehr geschwunden, und alle Schlösser und Riegel, alle Zuchthäuser und Zwangsanstalten, alle Controlen und Polizeien vermögen uns nicht das Gewissen zu ersetzen.“

Das ist, bei Gott! ein grauenhafter Fanatismus, der dem deutschen Volke im Allgemeinen und den deutschen Protestanten insbesondere so furchtbare Anklagen, so schwere Schmähungen in’s Gesicht zu schleudern wagt! Das ist entweder eine Beschränktheit des Geistes, oder aber eine absichtliche Entstellung historischer Thatsachen, sowohl in Bezug auf ihren Grund, wie auf ihre Folgen, für die der gewöhnliche Maßstab menschlicher Beurtheilung nicht ausreicht. – Aber wir können uns darüber trösten, wenn wir klaren und unbefangenen Blickes um uns schauen. Die Thatsachen selber haben die Rechtfertigung des deutschen Volles übernommen. Ein Schloß und ein Riegel nach dem andern springen auf, eine Control- und Polizeimaßregel nach der andern verschwindet, die Statistik der Verbrechen, zumal im Norden Deutschlands, mindert sich von Jahr zu Jahr und steht jedenfalls in keinem Verhältniß zu der Zahl derer, die zu den glaubenseinigen Zeiten Tetzel’s begangen wurden. Der deutsche Geist hält seinen stillen Triumphzug durch die ganze Welt; kein gedrucktes Blatt Papier, das nicht an ihn erinnerte. Wir selbst, das deutsche Volk, wir haben uns gesammelt und gefaßt, und aus alten deutschen Herzen strömen die Quellen der neuerstandenen Liebe zum Vaterlande und rauschen zu einem Meer zusammen, welches die Scheidewände des Confessionalismus bald auseinander gebrandet haben wird. Darum können wir auch diesem Manne verzeihen und getrosten Muthes über ihn als einen lebendigen Anachronismus hinweg zur Tagesordnung des deutschen Volkes übergehen, wie man jetzt in Oesterreich unter dem unsäglichen Jubel des Volkes über den Anachronismus des Concordats zur Tagesordnung übergeht, können übergehen zur Arbeit im gemeinsamen Dienste unseres heiligen, deutschen Vaterlandes!