Im Hause der Bonaparte
Im Hause der Bonaparte.
An einem wunderbar schönen Octobertage des Jahres 1823, wie ihn nur der milde Himmel Italiens kennt, gingen zwei junge Künstler durch die Straßen Roms, um in einer der zahlreichen Osterien vor dem Thor eine frische Foglietta zu leeren und sich zugleich an der Aussicht auf die herrliche Landschaft und an dem lustigen Treiben des Volkes zu ergötzen.
Während der Jüngere, der Victor Schnetz hieß, seine französische Leichtblütigkeit nicht verleugnete, verriethen die mehr interessanten als schönen Züge seines älteren Begleiters, Namens Leopold Robert, einen tiefen, fast melancholischen Ernst, der sich auch in der geführten Unterhaltung kundgab.
„Ich weiß nicht,“ sagte er, „was mich bei dem Anblick Roms so traurig stimmt und mir das Herz zusammenschnürt.“
„Und doch,“ erwiderte sein Freund, „giebt es keine schönere, keine interessantere Stadt der Welt.“
„Schön, wie die Leiche eines geliebten Weibes, wie die trauernde Niobe, die um den Verlust ihrer Kinder klagt, erhaben, wie der zu Stein gewordene Schmerz.“
„Was Du für seltsame Gedanken hast! Ich glaube fast, daß Du, wie die meisten Schweizer, an jener eigenthümlichen Krankheit leidest, die man Heimweh nennt.“
„Wohl sehne ich mich nach meinen blauen Bergen, nach dem Hause meiner Eltern –“
„Und nach einem schönen Kinde, nach der Geliebten, die Du in La-Chaux-de-Fonds zurückgelassen hast.“
„Ich habe keine andere Geliebte, als meine Kunst,“ versetzte Leopold Robert, den Scherz des Freundes fast heftig abweisend.
„Das muß wohl wahr sein, denn Keiner von uns Allen arbeitet so fleißig wie Du und sitzt so unablässig an seiner Staffelei. Wenn ich Dich nicht heute mit Gewalt entführt hätte, so würdest Du noch immer an Deinem Bilde weitergemalt haben bis zur dunklen Nacht. Wenn Du es so forttreibst, mußt Du Dich zu Grunde richten und Deine Gesundheit aufreiben. Ich wundere mich gar nicht, daß Du bei einem solchen Leben melancholisch wirst.“
„Und doch bin ich noch weit entfernt von meinem Ziel!“ seufzte Robert.
„Zum Henker,“ erwiderte der Freund, „Du wirst mich noch ganz ärgerlich machen mit Deinen ewigen Klagen. Bist Du nicht der beste Schüler unseres Meisters David, malst Du nicht so gut und noch weit schöner als wir Alle? Hast Du Dir nicht durch Dein Talent Freunde und Gönner erworben, welche Deine Bilder nicht nur loben, sondern auch kaufen und baar bezahlen? Mensch, ich begreife nicht, was ein Künstler noch mehr verlangen kann.“
„Das Alles genügt mir nicht. Ich fühle meine Ohnmacht, mich verzehrt die Sehnsucht nach einem unerreichbaren Ideal der Kunst.“
„Ah, Du willst ein neuer Raffael oder Correggio werden, die Welt mit Deinem Ruhm erfüllen. Laß Dir, wenn ich Dir rathen darf, diesen Gedanken vergehen. Wen und was sollen wir denn malen? Unsere Helden sind tapfere Unterofficiere, unsere Staatsmänner blasirte Diplomaten, unsere Handelsfürsten jüdische Krämer und Börsenspekulanten. Was kann diese Misere dem Künstler bieten?“
„Du vergißt das Volk, in dem noch immer die Poesie der Schönheit lebt.“
„Das Volk,“ erwiderte Schnetz verächtlich, „daran habe ich gar nicht gedacht. Das giebt höchstens ein Genrebild oder eine Caricatur.“
„Und doch findest Du allein im Volke die ewigen Typen des Künstlers, wirklichen Charakter, Wahrheit und Natur, welche Du in den höheren Ständen vergebens suchst. Unter den Frauen des Volkes hat Raffael seine unsterblichen Madonnen, unter den Männern die erhabenen Gestalten seiner Apostel erblickt. Derselbe Quell fließt auch für uns in seiner unerschöpflichen Fülle, wenn auch verborgen in der Tiefe, so daß er sich dem gewöhnlichen Auge entzieht. Glücklich, wer ihn findet und aus ihm Erquickung für sich und seine Zeitgenossen schöpfen darf!“
Unter diesen Gesprächen waren die Freunde unbemerkt zu den sogenannten Termini, den Ruinen altrömischer Bäder, gelangt, die jetzt zum Gefängnisse für Diebe und Mörder dienten. Die Prachtbauten eines Diocletian, früher die Bewunderung der Welt, der Mittelpunkt des kaiserlichen Luxus, wurden jetzt von elenden Verbrechern bewohnt, welche unter der Aufsicht bewaffneter Sbirren und Gensd’armen in dem offenen Hofe mit verschiedenen Arbeiten im Freien beschäftigt wurden.
Unwillkürlich blieb Leopold Robert stehen, gefesselt von dem interessanten Schauspiel, das sich den Blicken des Künstlers hier unerwartet darbot. Die meisten dieser Gefangenen zeichneten sich durch ihre classischen Gestalten, durch ihre elastischen Bewegungen und durch ihre männlich schönen Züge aus. In diesen dunklen Augen blitzte das alte Heldenfeuer, in den wilden kühnen Linien des antiken Profils verrieth sich eine angeborene Thatkraft, ein unbezwingbarer Muth, eine zwar rohe, aber gewaltige Energie und [226] todesverachtende Entschlossenheit. Ein Abglanz vergangener Größe schien diese entarteten Enkel der weltbezwingenden Roma zu umschweben, so daß sie selbst noch in ihrer jetzigen Verkommenheit die Theilnahme des Künstlers erweckten.
„Wer sind diese Leute?“ fragte er einen der bewaffneten Wächter.
„Briganten aus Sonnino, Eccellenza,“ versetzte der höfliche Sbirre in Erwartung eines Geldgeschenkes.
„Und was haben sie verbrochen?“
„Die Herren müssen wohl Fremde sein, sonst würden sie wohl wissen, daß Sonnino das ärgste Räubernest, nicht nur im Kirchenstaat, sondern auf dem ganzen Erdboden ist. Der dritte Mensch gilt dort für einen Dieb oder Mörder und hat mehr Verbrechen auf der Seele, als selbst der heilige Vater vergeben kann. Die Schelme haben es zu arg getrieben und waren sogar so frech, sich an Seiner Eminenz dem Cardinal und Staatssecretär Consalvi zu vergreifen. Es klingt unglaublich und doch ist es wahr, daß der verruchte Gasparone mit seiner Bande der Eminenz auflauerte und sie so lange gefangen hielt, bis sie sich mit einem schweren Lösegeld befreite.“
„Das ist nur in Rom möglich,“ bemerkte Schnetz lachend. „Ich hätte das Gesicht des Herrn Cardinals sehen mögen, als er die Bekanntschaft der Briganten in eigner Person machte, nachdem diese zahllose Reisende ungestört geplündert hatten.“
„Seine Eminenz,“ versetzte der Sbirre, „war natürlich außer sich und bewog den heiligen Vater, ein Exempel zu statuiren. Die päpstlichen Carabinieri mußten gegen Sonnino ausrücken, aber das nützte Alles nichts, da sie den Räubern in den engen Felsschluchten nichts anhaben konnten. Wo sie sich zeigten, wurden sie von den Briganten mit blutigen Köpfen heimgeschickt, so daß sie unverrichteter Sache nach Rom zurückkehrten. Jetzt aber ging dem heiligen Vater die Geduld aus, und er schwur am Grabe des Apostels, der Sache ein Ende zu machen. Da geschah ein Wunder.“
„Ein wirkliches Wunder?“ fragte spöttisch Schnetz.
„Ein französischer Wachtmeister, der unter dem großen Napoleon gedient hatte, erbot sich, mit Hülfe der heiligen Jungfrau die Häupter der Briganten zu fangen, was ihm auch gelang. Als erst die Führer beseitigt waren, mußte sich das Gesindel auf Gnade und Ungnade ergeben. Die meisten wurden hingerichtet und ihre Köpfe zum abschreckenden Beispiel auf die Thore von Sonnino gepflanzt, wo Ihr noch heut’ die gebleichten Schädel sehen könnt, wenn es Euch Vergnügen macht. Um aber gründlich aufzuräumen, beschloß der heilige Vater, das ganze Räubernest zu zerstören, indem er die Häuser der Schuldigen dem Boden gleich machen und alle übrigen Briganti, das heißt mehr als zwei Drittel der Einwohner, nach Rom und Porto d’Anzio transportiren ließ, wo sie, wie Ihr seht, jetzt ihr Verbrechen auf den Galeeren und im Gefängnisse büßen.“
Für die Auskunft des Sbirren dankend, wollte sich Leopold Robert wieder mit seinem Freunde entfernen, als plötzlich ein durchdringender Schrei seine Aufmerksamkeit erregte, so daß er sich noch einmal umwandte. Vor seinen Blicken stand eine Frau von überraschender Schönheit, die noch durch die kleidsame Tracht der römischen Landbewohner gehoben wurde.
Aus dem rothen, halbgeöffneten Mieder schimmerte der classische, üppige Nacken wie edle Goldbronze, umspielt von den ungebändigten Locken des dunkelschwarzen Haares, das von einem blinkenden Metallpfeil durchstochen und zusammengehalten wurde.
Die fein modellirte Stirn mit den geschwungenen Augenbrauen von der Farbe des Ebenholzes, die zart gebogene Adlernase, die Gluth der tiefen Augen, welche schwarzen Demanten oder brennenden Kohlen glichen, der üppig schwellende Mund erinnerten den Künstler unwillkürlich an das herrliche Bild der „Fornarina“, der schönen Geliebten, welche Raffael’s Meisterhand in dem Palazzo Barberini verewigt hat. Es war dieselbe sinnlich-reizende Erscheinung, nur hier durch einen eigenthümlich strengen Ausdruck der Physiognomie, durch eine Beimischung wilder Leidenschaftlichkeit gehoben.
„Francesco, mein Geliebter!“ schrie das Weib, indem es sich in die Arme eines der Gefangenen stürzen wollte.
„Zurück!“ gebot der bewaffnete Sbirre, die Frau fortstoßend.
„Im Namen der heiligsten Madonna,“ flehte sie mit rührender Stimme, „habt Mitleid mit einer armen Frau, die nur ihren unglücklichen Mann sehen will! Ich bin zu Fuße den weiten Weg von Sonnino gekommen, um ihn nur einen Augenblick an mein Herz zu drücken. Ich schmachte nach ihm, wie ein Sterbender nach der himmlischen Speise des Sacramentes. Könntet Ihr so grausam sein und mich vergebens bitten lassen? Ich will ihm ja nur ein Wort sagen, nur die Hand reichen und dann weiter gehen und Euch segnen.“
„Es ist nicht erlaubt,“ brummte der Sbirre barsch, dem weniger an dem Segen der armen Frau, als an einem klingenden Beweise ihrer Dankbarkeit zu liegen schien.
Verzweiflungsvoll blickte die Frau bald auf den unbarmherzigen Sbirren, bald auf den gefangenen Mann, der vor ohnmächtiger Wuth mit den weißen Zähnen wie ein gefesseltes Raubthier knirschte und flammende Blitze auf den frechen Peiniger schleuderte. Plötzlich von einem Gedanken durchzuckt, riß sie den werthlosen Metallpfeil aus den schwarzen Haaren, welche gleich einem dunkeln mächtigen Strom über den gebräunten Nacken flutheten.
„Nehmt,“ rief sie, dem Sbirren ihren einzigen Schmuck mit der Würde einer gefallenen Königin hinreichend, „das ist Alles, was ich besitze.“
„Und hier sind meine Ohrringe von echten Korallen,“ sagte ihre jugendliche Begleiterin, die, bisher hinter einem Marmorblock verborgen, plötzlich hervortrat, um ihre Bitten mit denen der älteren Schwester zu vereinigen.
Aber selbst dies neue Opfer prallte an der Brust des mitleidslosen Sbirren ab, welcher verächtlich die dargebotenen Gaben, weniger aus Pflichtgefühl, als wegen ihrer Geringfügigkeit, zurückwies.
„Denkt das Gesindel,“ fügte er hinzu, „daß ich wegen einer solchen Lumperei mir Händel mit dein Hauptmann zuziehen werde, um einen unechten Pfeil oder um ein Paar Ohrgehänge, die keine zwanzig Bajocchi werth sind. Da müßte ich ja ein rechter Narr, ohne Witz und Verstand sein.“
„Wenn ich aber noch drei Scudi hinzulege,“ fragte jetzt unerwartet Robert, den der ganze Auftritt auf das Tiefste erschüttert hatte, „wollt Ihr dann noch der armen Frau den Wunsch versagen?“
„O,“ versetzte der würdige Wächter der Gerechtigkeit, „ich bin nicht so grausam, wie Eccellenza glauben. Man ist ein Christenmensch und hat auch ein Herz, aber drei Scudi reichen nicht hin, all’ die Unannehmlichkeiten aufzuwiegen, denen ich mich aussetze. Auch muß ich mit dem Hauptmann theilen. Sagt vier Scudi, und ich will ein Auge zudrücken.“
„Meinetwegen vier Scudi!“ erwiderte der Künstler, während ein seltenes Lächeln seine ernsten Züge erhellte.
Ohne die Erlaubniß des Sbirren abzuwarten, eilte die Frau des Gefangenen in die Arme ihres Mannes, den sie mit südlicher Lebendigkeit unter Lachen und Weinen umschlang und mit wilder Gluth an den hochklopfenden Busen drückte. Plötzlich aber sich von ihm losreißend, ergriff sie die Hand des Gatten, und Beide traten vor den großmüthigen Maler, um ihm mit überströmender Herzlichkeit zu danken.
„Eccellenza,“ sagte das Weib des Briganten, „wir werden noch in unserer Todesstunde an Euch denken. Unser Leben, unser Blut sind Euch geweiht. Wenn mein Francesco wieder frei sein wird, so braucht Ihr nur zu rufen, und er wird kommen, um zu thun, was Ihr von ihm verlangt.“
„Ja, das will ich,“ bekräftigte der Räuber mit einer charakteristischen Bewegung des wie zum Stoße ausholenden Armes. „Wenn Ihr dann einen Feind habt –“
„Die Engel haben keine Feinde,“ flüsterte das junge Mädchen, mit strahlenden Augen zu dem Künstler wie zu einem Heiligenbilde emporblickend.
Um sich den ihm lästigen Danksagungen zu entziehen, entfernte sich Robert an der Seite des Freundes, obgleich er nicht verhindern konnte, daß Francesco ihm ein lautes „Evviva!“ nachrief, in das die sämmtlichen Gefangenen aus voller Kehle einstimmten.
„Ich gratulire Dir,“ scherzte der Begleiter, „zu Deinen neuen Freunden. Ich glaube in der That, daß Signore Francesco keinen Anstand nehmen würde, Dir mit einem guten Dolchstoß seinen Dank abzustatten, wenn Dir ein Kritiker einmal zu nahe treten sollte. Noch mehr beneide ich Dich um die Erkenntlichkeit der beiden Frauen. Welche prächtige Gestalten! Besonders die Aeltere mit den flammenden Pechfackeln der Augen und den schwarzen Löwenmähnen. Gott Gnade Deinem armen Herzen!“
[227] „Du kannst meinetwegen ganz unbesorgt sein,“ lächelte Robert.
„Dann ziehst Du also die Jüngere vor; das schüchterne Reh mit den braunen Gazellenaugen und den feinen, schmächtigen Gliedern hat es Dir angethan. Wie es scheint, liebst Du die vielverheißende Knospe mehr, als die aufgeblühte Centifolie, während es mir umgekehrt behagt. Nun, de gustibus non est disputandum!“
„Weder die Eine, noch die Andere,“ versetzte der Maler gedankenvoll. „Du irrst Dich, ich habe nur gefunden, was ich mit Sehnsucht bisher gesucht – die Ideale meiner künftigen Bilder.“
„Das übersteigt meine Fassungskraft. Diese Räuber, Diebe, Mörder, das Gesindel des Bagno sollten im Ernst Deine Ideale sein? Ich glaube in der That, daß Du Dich nur über mich lustig machen willst.“
„Allerdings scheinen mir diese Briganten, trotz ihrer Lumpen, mit all’ ihrer Wildheit und Verkommenheit, als die letzten Zeugen einer großen Vergangenheit. Glich nicht jener alte Räuber, der schmerzversenkt sich auf den schweren Marmorblock stützte, einem Marius auf den Trümmern von Carthago? Schlang nicht der dunkle Krauskopf seinen zerrissenen Mantel mit der Würde eines römischen Senators um seine braunen Schultern, und blitzten nicht aus den Augen dieses Francesco der Heldenmuth und der wilde Trotz der alten Welteroberer?“
„Und diese Welteroberer sind jetzt gemeine Spitzbuben, welche in ihren Schlupfwinkeln Dir auflauern und Dir die Kehle abschneiden, wie dieser Gasparone, der sich rühmt, mit eigener Hand siebenundneunzig Mordthaten verübt zu haben.“
„Es ist nicht die Schuld dieses Geschlechtes, daß es so tief gesunken ist. Eine elende, jammervolle Regierung trifft allein der Vorwurf einer so furchtbaren Entartung, dieser Demoralisation. Mir sind Züge von Edelmuth unter diesen Räubern bekannt, welche an die schönen Tage der Heroenzeit uns mahnen. Wenn Du diese zwar rohen und verwilderten, aber kraftvollen Söhne des Waldes mit den jetzigen Nobili, mit einer durchaus blasirten und innerlich faulen Gesellschaft, mit dem entnervten, von allen Lastern der Civilisation befleckten Adel Roms vergleichst, so wirst Du zugeben müssen, daß sie besser sind, als ihr Ruf, und unsere Theilnahme verdienen.“
Der Schall der rasselnden Tamburins und der Klang der Mandolinen, welche aus der nahen Vigne ihnen entgegentönten, unterbrachen das ernste Gespräch der Freunde, die unter einer Weinlaube Platz nahmen und von dem geschäftigen Wirthe bedient wurden. Bald gesellten sich Bekannte, meist Künstler, wie sie selbst, und Zöglinge oder Pensionaire der französischen Akademie, zu ihnen, so daß die Unterhaltung eine allgemeine Wendung nahm. Man lachte, scherzte und mischte sich unter das fröhliche Volk, welches hier im Freien die sogenannten Octoberfeste feierte.
Nur Robert hielt sich fern von dem lustigen, lärmenden Treiben, so daß er mit seinen Gedanken und künstlerischen Träumen bald allein blieb. Unterdessen war die Dämmerung mit jener jähen Schnelligkeit eingetreten, die dem Süden eigenthümlich ist. Am dunklen Himmel leuchtete der stille Mond, dessen Silberstrahlen die dunkle Laube erhellten. Von Zeit zu Zeit schoß aus den Weinbergen eine feurige Rakete empor, gleich einem glänzenden Sterne in den Lüften schwebend und allmählich verglühend. Aus der Ferne schallte gedämpft der Ton der Musik und das Jauchzen der Tänzer.
Vor Robert’s Seele schwebten die Bilder der gefangenen Räuber, die Erinnerung an jene beiden armen Frauen, deren wilder Schmerz so seltsam mit der ihn umgebenden Heiterkeit contrastirte. Eine unnennbare Wehmuth, wie sie nur tiefere Gemüther kennen, erfüllte jetzt sein Herz und ließ ihn den Zwiespalt des Lebens ahnen, den er durch seine Kunst bisher vergebens zu bewältigen, zu versöhnen gesucht.
Sein ganzes Leben war ein schwerer Kampf mit den Verhältnissen gewesen. Sohn eines Uhrenfabrikanten aus La-Chaux-de-Fonds in der französischen Schweiz war er gegen den Willen seiner Eltern, die ihn dem Kaufmannsstande widmen wollten, Künstler geworden. Nur mit Widerstreben gab der Vater den Wünschen seines Sohnes nach und ließ ihn nach Paris ziehen, wo er bei einem Landsmann, dem Kupferstecher Girardet, den ersten Unterricht im Zeichnen erhielt.
Bald erkannte er die Unzulänglichkeit seines Lehrers, der nur ein talentvoller Handwerker und außerdem ein wüster Trunkenbold war. Mit den größten Opfern, die er gern seinen Eltern erspart hätte, wurde er von dem berühmten Maler David unter dessen Schüler ausgenommen. Nach jahrelanger Arbeit gelang es ihm, den ersten Preis in der Malerei davonzutragen, der ihm den Weg nach Rom, dem Ziele seiner heißen Sehnsucht, eröffnete.
Aber der tückische Zufall wollte es, daß sein Sieg mit dem Sturze des französischen Kaiserreiches zusammenfiel. Die ihm zuerkannte Pension zu einer Reise nach Italien wurde ihm entzogen, weil nach dem Pariser Frieden Neuchatel und damit auch seine Vaterstadt aufhörte, eine französische Besitzung zu sein, er selbst nicht mehr das französische Bürgerrecht besaß, sondern ein preußischer Unterthan, ohne Aussicht auf jede Unterstützung von Seiten der neuen Regierung, geworden war.
Von der Noth gezwungen, kehrte er in das Vaterhaus zurück, wo er, zu stolz, um seinen Eltern zur Last zu fallen, sich mit der Anfertigung von Portraits mühselig ernährte, obgleich ihn eine derartige unwürdige Beschäftigung tief anwidern mußte. Endlich schien ihm das Glück zu lächeln; er fand einen wohlhabenden Gönner, der sich bereit erklärte, ihm die für einen längeren Aufenthalt in Rom nöthige Summe vorzustrecken.
Aber auch hier hatte er noch schwer zu ringen, da er trotz seines Talentes und seines Fleißes die gewünschte Anerkennung nicht fand, weil er sich nicht herbeilassen wollte, dem verdorbenen Modegeschmack zu huldigen, sondern nach dem höchsten Ideale in seiner Kunst strebte. Nur wenige wahre Kunstkenner und nähere Freunde schätzten und ehrten den begabten jungen Maler, welcher von dem großen Haufen kaum beachtet und gewürdigt wurde.
So manche gescheiterte Hoffnung und fehlgeschlagene Aussicht nährten die ihm angeborene Neigung zur Melancholie, welche das Erbtheil der höheren Geister, der bevorzugten Naturen zu sein und wie ein dunkler Schatten das helle Licht des Genius zu begleiten pflegt.
Aus diesem stillen Brüten, in das Robert auch jetzt wieder nach seiner Gewohnheit versunken war, weckte ihn die Berührung einer Hand, die sich freundschaftlich auf seine Schultern legte. Als er aufblickte, sah er die hohe, imponirende Gestalt und das geistvoll milde Gesicht eines ihm wohlbekannten älteren Mannes, für den er, wie alle Welt, die größte Ehrfurcht empfand.
Derselbe mochte ein angehender Fünfziger sein, obgleich er weit jünger erschien. Lange blonde Locken, welche die breite gewölbte Stirn wie ein dichter Wald umgaben und bis zu den breiten Schultern niederwallten, und die hellen blauen Augen, die einem sonnigen Gebirgssee glichen, erinnerten an seine nordische Abkunft. Seine klaren Züge trugen den unverkennbaren Stempel des schöpferischen Genies, den Adelsbrief, welchen die Natur ihren bevorzugten Lieblingen in deutlich leserlicher Schrift ertheilt. Es lag etwas Gebieterisches in seiner ganzen Haltung und Physiognomie, gemildert durch das wohlwollende, humoristische Lächeln des feingeschnittenen Mundes. Bei dem Anblick dieses Kopfes konnte man wohl an den olympischen Zeus denken, wenn der Gott mit seinem Ganymedes scherzt.
„Thorwaldsen! Herr Staatsrath Thorwaldsen!“ rief Robert, überrascht aufspringend, und den berühmten Bildhauer - denn der war es selbst – begrüßend.
„Laßt nur,“ versetzte dieser lächelnd, „den verwünschten Herrn und all’ die leeren Titel bei Seite. Ich bin, was Ihr seid, ein Künstler und Euer Camerad. Wenn Ihr nichts dagegen habt, so setze ich mich zu Euch in die kühle Laube und trinke mit Euch eine Foglietta, da mich die Hitze und das Gedränge aus der Stube vertrieben haben.“
„Es wird mir eine große Ehre sein.“
„Wer weiß? Ich halte Euch vielleicht ab, an der Fröhlichkeit Eurer Freunde Theil zu nehmen, die dem Tanze zusehen und mit den schönen Kindern scherzen.“
„Ich trage kein Verlangen danach, der Lärm in der Schenke widert mich an.“
„Das ist nicht recht; die Jugend soll sich freuen und das Leben genießen. Als ich noch jung war wie Ihr und in Kopenhagen die Zeichenschule als ein armer Bursche besuchte, da durfte ich bei keinem Tanze, bei keinem Vergnügen fehlen. Noch heute lacht mir das Herz, wenn ich an die alten Zeiten denke! Ich glaube, mein junger Freund, daß Ihr das Leben zu ernst nehmt.“
[228] „Das Leben ist ernst und zumal das Leben eines Künstlers im Beginn seiner Laufbahn.“
„Wem sagt Ihr das?“ erwiderte Thorwaldsen. „Darüber kann ich wohl aus eigener Erfahrung ein Wort mitsprechen. Es ging mir nicht besser, als ich vor Jahren hier in Rom mit meinem Modell des Jason saß und von Tag zu Tag vergebens auf eine Bestellung wartete. Kein Mensch wollte von meinem Werke etwas wissen und in bitterem Unmuth, an mir selbst und an meinem Berufe verzweifelnd, griff ich schon nach dem Hammer, um die Formen zu zerstören, als der reiche Engländer Hope in mein Atelier trat und mir den Auftrag gab, die Statue in Marmor für ihn auszuführen. Seitdem war ich ein gemachter Mann und konnte nicht nur sorglos, sondern selbst im Ueberfluß leben. Ihr seht, daß man nicht den Muth verlieren darf.“
„Nicht Jedem lächelt das Glück wie Ihnen, und die reichen Engländer scheinen wie die Engel der heiligen Schrift von der Erde verschwunden zu sein.“
„Einem so wackern Künstler wie Euch kann es ebenfalls nicht an Gönnern und Freunden fehlen. Ich selbst habe Achtung vor Eurem Talent, und wenn ich Euch in irgend einer Weise nützen kann, so thue ich es nur mit Freuden. Ihr könnt mit mir, wie mit einem Vater, offen sprechen. Wenn Ihr nicht bei Casse seid, was uns Künstlern ja nicht selten zu passiren pflegt, so braucht Ihr Euch nicht zu geniren; ich will Euch sogleich eine Anweisung auf meinen Bankier ausstellen.“
„Dank, tausend Dank!“ erwiderte Robert, warm die Hand des berühmten Bildhauers drückend. „Für meine geringen Bedürfnisse bin ich hinlänglich mit Geld versehen.“
„So sagt mir nur, wo Euch sonst der Schuh drückt, was ich für Euch thun kann.“
„Sie kennen,“ erwiderte Robert nach einiger Ueberlegung, „den Cardinal Consalvi.“
„Er ist mein Freund und besucht mich öfters in meinem Atelier.“
„Dann können Sie mir vielleicht eine Empfehlung an ihn geben.“
„Gewiß! Aber der Cardinal ist ein Knauser, der keine Bilder kauft.“
„Darum handelt es sich nicht. Ich will ihn nur bitten, mich in den Bädern des Diocletian einzusperren.“
„Mensch!“ rief der überraschte Bildhauer. „Was ficht Euch an? Ihr seid wohl nicht richtig im Kopfe? In diesen Termini sitzen ja nur die ärgsten Spitzbuben, Räuber und Mörder, das verruchteste Gesindel. Das ist doch keine Gesellschaft für Künstler, wie Ihr einer seid.“
„Aber unter diesen Räubern und Mördern findet man die herrlichsten Gestalten, die charakteristischsten Figuren, wahrhafte Helden, wie sie sich ein Künstler nicht besser wünschen kann. Ich selbst war Zeuge einer Scene, die mich tiefer ergriffen hat, als Alles, was ich bisher in Rom gesehen.“
„Laßt mich hören und ich will sehen, ob nicht wirklich Euer Kopf gelitten hat,“ scherzte gutmüthig der Bildhauer.
Mit wenigen Worten erzählte Robert sein eben erlebtes Abenteuer mit den beiden Frauen, das der berühmte Bildhauer mit steigender Theilnahme und Bewunderung vernahm.
„Jetzt verstehe ich Euch erst,“ sagte der große Thorwaldsen gerührt, als Robert geendet hatte. „Ihr seid ein wackerer junger Mann, ein echter Künstler, der das Herz auf dem rechten Flecke hat und ein offenes Auge für die ewige Schönheit der Menschennatur, wo und wie sie sich auch offenbaren mag. Das ist der einzige Weg, wie man das höchste Ziel erreichen kann. Ihr sollt die Empfehlung an den Cardinal haben, und ich selbst will mit ihm sprechen, daß er Euch nicht eine elende Gefangenenzelle, sondern ein einigermaßen anständiges Atelier in den Bädern des Diocletian anweist.“
„Wie soll und kann ich Ihnen danken, daß Sie mir die Gelegenheit geben, diese Studien zu machen!“
„Redet nicht von einer solchen Lumperei! Das ist das Wenigste, was ich für Euch thun kann. Hoffentlich laßt Ihr mich Eure Skizzen sehen, von denen ich mir einen großen Erfolg verspreche. Jetzt aber sollt Ihr Euer Glas füllen und mit mir anstoßen.“
Robert stieß mit dem Meister an, aber er fand keine Worte zu einem Trinkspruch, das Herz war ihm zu voll.
Desto lauter erklang der Gesang der heimkehrenden Tänzer, welche die Osteria verließen und, mit Weinlaub bekränzt, blumengeschmückte Stäbe in den Händen, einem Chor gottberauschter Bacchanten und Mänaden glichen.
[241]Wenige Tage nach diesen Ereignissen erhielt der Maler Robert von dem Cardinal und Staatssecretär Consalvi die erbetene Erlaubniß, seine Wohnung in den Bädern des Diocletian unter Räubern und Mördern aufzuschlagen. Sein Atelier war ein alter wüster Saal, der noch immer die Spuren früherer Pracht und Größe zeigte. Hier und da erblickte man einen zerbrochenen Säulenstumpf, eine Erinnerung an die Tage des alten Glanzes, wo dieser herrliche Bau, noch nicht von barbarischen Händen zerstört und seines Schmuckes beraubt, zu den schönsten Denkmälern des kaiserlichen Roms gerechnet wurde. Selbst seine Trümmer reichten noch hin, im sechzehnten Jahrhundert eine große Anzahl von neueren Gebäuden, ganze Kirchen zu errichten und mit mehr als zweihundert Säulen zu schmücken.
Der Fußboden war zum Theil aufgerissen und durch schwarze Steinfliesen ersetzt, aber zwischen dieser Zerstörung erblickte man die kostbarsten Mosaiken gleich Purpurflicken auf einem schmutzigen Bettlermantel. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben schien die goldene Sonne Italiens und verklärte mit ihrem Licht die traurigen Ruinen. Wilder Epheu und ein breitblättriger Feigenbaum bekleideten mit frischem Grün gleich einer lebendigen Tapete die verfallenen Mauern.
Der gefällige Sbirre hatte für Geld und gute Worte für die allernothdürftigste Ausstattung gesorgt. Einige rohe Stühle, ein wurmstichiger Tisch, ein baufälliges Bett und die unentbehrliche Staffelei bildeten den ganzen Hausrath des bescheidenen Künstlers.
Meist jedoch verweilte er in dem geräumigen Hofe, wo die Gefangenen unter dem blauen Himmelsdache mit ihren Arbeiten beschäftigt waren. Dort zeichnete er mit unermüdlichem Fleiße, machte er die interessantesten Studien, indem er die wahrhaft malerischen Stellungen seiner Originale und ihre charakteristischen Physiognomieen wiederzugeben suchte.
Auf einem umgestürzten Marmorblock saß der Räuber Francesco mit seinem Weibe, das den schönen Namen Maria-Grazia trug, wogegen ihre jüngere Schwester Teresina hieß. Robert hatte der Frau die Erlaubniß erwirkt, in Rom bei ihrem Mann bleiben zu dürfen, und dadurch ihre Erkenntlichkeit auf das Höchste gesteigert. Beide verehrten ihren Wohlthäter wie einen Gott und jedes seiner Worte dünkte ihnen heilig wie das Evangelium.
Auch die reizende Teresina hatte ihre Scheu überwunden und kauerte jetzt zu seinen Füßen auf dem Boden mit niedergeschlagenem Auge, da er sie zu zeichnen wünschte. Von Zeit zu Zeit warf sie einen ängstlichen, verstohlenen Blick nach dem weißen Blatte, worauf er mit sicherer Hand das kindlich schöne Gesicht des Mädchens entwarf.
„Francesco,“ sagte der Maler, während er den Bleistift spitzte, „Du wolltest mir ja erzählen, wie Du unter die Briganten gerathen bist.“
„Das ist eine traurige Geschichte,“ murmelte der Räuber. „An meinem ganzen Unglück ist einzig und allein die Vendetta schuld.“
„Diese Blutrache, von der ich schon so oft gehört habe, ist eine verwerfliche Sitte, die jeder gute Christ verdammen muß.“
„Das hat auch der fromme Padre gesagt, als ich ihm beichtete. Aber was soll Unsereins thun, wenn er tief beleidigt, wenn ihm ein naher Verwandter getödtet wird? Das vergossene Blut schreit zum Himmel, und wenn wir uns nicht rächen, so werden wir verachtet und wie die räudigen Hunde angesehen.“
„Es giebt dafür Gerichte, die den Schuldigen bestrafen.“
„Gerichte!“ erwiderte der Räuber mit naiver Verwunderung. „Wer wird seine Ehre diesen Richtern anvertrauen, die mit den Gesetzen nur einen Handel treiben? Der Mörder, der meinen Bruder mit einem Messerstich tödtete, war ein reicher Mann. Ich lauerte ihm auf und meine Kugel traf ihn mitten in das Herz,“ berichtete Francesco mit funkelnden Augen und wildem Lächeln, noch in der Erinnerung schwelgend.
„Und so wurdest Du zum Mörder!“ versetzte Robert streng. „Das nennt man bei uns nicht einen Mord,“ entschuldigte Maria-Grazia, „sondern nur ein Unglück. Ich hätte meinem Francesco nie wieder eine Hand gereicht und einen Kuß gegeben, wenn er anders gehandelt hätte.“
„Und was sagst Du, Teresina?“ fragte der Maler das junge Mädchen.
„O!“ erwiderte sie erröthend und leise zusammenschauernd. „Ich bin noch ein Kind und weiß nur, daß die Vendetta etwas Schreckliches ist, weil sie die Menschen elend und unglücklich macht.“
„Das ist wahr,“ bekräftigte der Räuber. „Seitdem fand ich keine Ruhe mehr. Ich mußte in die Berge fliehen, wo ich wie ein wildes Thier von den Sbirren verfolgt und gehetzt wurde. Tagelang irrte ich in den Felsen umher, ohne einen Bissen Brod zu finden, bis mich das Elend, die Noth und vor Allem der Hunger zu den Briganten trieben. Ich ließ mich vom Teufel verführen und von dem verrufenen Gasparone anwerben, mit dem ich zugleich gefangen wurde.“
[242] „Und was bist Du früher gewesen, bevor Du Brigant wurdest?“
„Ich war als Jäger in der Campagna angestellt, und Ihr könnt alle Nachbarn fragen, ob es einen besseren Schützen in der ganzen Runde gab. Daß meine Kugel nie ihr Ziel verfehlte, habe ich bewiesen,“ fügte Francesco stolz hinzu.
„Du bist in der That zu bedauern,“ entgegnete Robert, „und wenn ich die Macht hätte, würde ich Dir die Freiheit wieder geben.“
„Das würde mir doch nichts nützen,“ meinte der Räuber traurig. „Die Vendetta erlischt nicht; ich müßte doch bald wieder in die Berge flüchten. Für mich giebt es keine Hülfe, keine Rettung mehr.“
„Ja, wenn nur Teresina wollte, so könnte eine Aussöhnung stattfinden,“ warf Maria-Grazia dazwischen.
„Teresina?“ fragte der Maler verwundert. „Was kann Teresina dazu thun?“
„Sie braucht nur dem Bruder des Ermordeten, der sie zur Frau verlangt, die Hand zu reichen, und die Vendetta ist für immer begraben.“
„Nimmermehr!“ rief jetzt das junge Mädchen mit einer Heftigkeit, die stark mit ihrer sonstigen Sanftmuth contrastirte.
„Und warum willst Du nicht Deinem Bewerber, der noch dazu ein wohlhabender und angesehener Mann zu sein scheint, zum Altar folgen, den gestörten Frieden zwischen den feindlichen Familien herstellen und der Blutrache ein erwünschtes Ende machen?“
Nur ein heißer Thränenstrom und ein leises Schluchzen war die Antwort des jungen Mädchens, so daß Robert es für gerathen hielt, nicht weiter in sie zu dringen und die Sitzung abzubrechen. Am andern Morgen erschien Teresina in dem Atelier des Malers bleich, doch ruhig und gefaßt, indem sie ihn ersuchte, das angefangene Bild zu vollenden, da sie zu dem Vater zurückkehren müsse, der in der Nähe von Sonnino ein kleines Landgut von geringem Ertrage befaß.
„Verzeiht mir,“ sagte sie entschuldigend, „meine gestrige Heftigkeit, aber die Rede meiner Schwester hat mich tief geschmerzt. Ich will von keiner Heirath wissen; jetzt noch weniger als sonst.“
„So mißfällt Dir Dein Bewerber?“ meinte der Maler, während er seine Farben ordnete und dem Mädchen die geeignete Stellung anwies.
„Mattia Caputi,“ erwiderte sie, „ist ein viel begehrter Mann; aber selbst wenn er tausend Mal schöner und reicher wäre, so will ich doch nicht seine Frau werden. Lieber todt!“
„Was hat Dir der arme Mattia denn gethan, daß Du ihn nicht leiden magst?“
„Seht her!“ sagte das Mädchen, indem sie mit ihrer Hand die schweren Flechten ihres dunklen Seidenhaares mit einer heftigen Bewegung zur Seite streifte und auf ihre Schläfe zeigte, wo eine feine rothe Narbe von Zolllänge jetzt sichtbar wurde, gleich einem schmalen Purpurstreif.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Robert.
„Diese Narbe kommt von seiner Hand. Ich war acht, Mattia zwölf Jahr alt, als die Vendetta zwischen unseren Familien ausbrach, von der ich keine Ahnung hatte. Eines Tages saß ich auf dem Berge und hütete unsere Ziegen, während ich ein Liedchen sang, da schlich sich der tückische Bube in meine Nähe und schleuderte, in einem Myrthengebüsch verborgen, einen schweren Stein gegen meine Schläfen, daß ich taumelnd, blutend niedersank. Ich hörte noch sein wildes Hohngelächter, seine Verwünschungen gegen mich und all' die Meinigen, dann entfloh er und mein Bewußtsein schwand. Als eine Sterbende wurde ich aufgefunden und in die Hütte meines Vaters getragen. Meine arme Mutter pflegte mich und gelobte für meine Genesung ein silbernes Herz der heiligen Madonna, die mich vom sicheren Tod durch ein Wunder errettet hat. Der Schreck aber ist meiner Mutter in das Herz gefahren, seitdem kränkelte die Gute, und wenige Monate nach diesem Vorfall weinte ich auf ihrem Grabe.“
„Mattia war damals, wie Du selbst sagst, nur ein Kind, das nicht wußte, was es that. Jetzt bereut er sein Vergehen und bietet Dir zur Sühne seine Hand. Du mußt seine kindische That zu vergessen suchen,“
„Nie!“ rief Teresina mit glühender Röthe der bräunlichen Wangen. „So wenig wie diese Narbe jemals verschwinden wird, werde ich jemals diesem Mattia Caputi angehören.“
„Und doch scheinen die Deinigen diese Verbindung dringend zu wünschen.“
„Sie quälen und peinigen mich, daß ich verzweifeln muß; besonders der Vater, den dieser Mattia ganz in seiner Gewalt hat, da wir leider arm und verschuldet sind. Er hat durch zweite Hand dem Vater Geld geliehen und droht uns nun von unserem Gütchen zu vertreiben, wenn ich nicht einwillige. Ach! wir armen Leute sind sehr unglücklich!“
„Wie gern möchte ich Dir helfen, wenn dies in meiner Macht stünde!“ versetzte Robert, von ihrem tiefen Schmerz ergriffen.
„Ah! Sie sind gut, wie die Heiligen im Himmel. Haben Sie Barmherzigkeit! Wenn Sie mich nicht retten, so bleibt mir nichts übrig, als mich in die Tiber zu stürzen!“
Ehe sie der überraschte Maler hindern konnte, war Teresina aufgesprungen und umklammerte seine Kniee mit südlicher Heftigkeit, seine Hände mit ihren Thränen benetzend und mit heißen Küssen bedeckend, während er sie sanft zu entfernen suchte.
„Stoßt mich nicht fort,“ bat sie mit wunderbar ergreifender Stimme. „Laßt mich hier zu Euren Füßen liegen, wie vor dem Bilde des gnadenreichen Erlösers, der das Gebet der Unglücklichen und Elenden erhört. Treibt mich nicht von Euch, weist mich nicht zurück! Ich will ja nur bei Euch bleiben und verlange nichts weiter, als Euch zu dienen wie eine Magd.“
„Du weißt, daß dies nicht möglich ist. Bedenke Deinen Ruf!“ versetzte Robert, fast bestürzt über dies seltsame Anerbieten.
„Was kümmert mich mein Ruf? Ich kenne Euch. Ihr seid ein guter Mann, dem ich vertrauen darf, wie ich ein schuldloses Mädchen bin.“
„Und was wird Dein Vater, was werden Deine Schwester und Francesco sagen?“
„Sie werden sich nicht weigern, wenn Ihr mit ihnen redet. Ein Wort von Euch gilt so viel wie der Ausspruch des heiligen Vaters, der zu binden und zu lösen vermag.“
Obgleich Robert noch immer schwankte und ihr sein vielfaches Bedenken nicht verschwieg, so ließ sie doch nicht ab, ihn mit ihren Bitten und Thränen so lange zu bestürmen, bis er ihr wenigstens die Zusicherung gab, mit ihren Verwandten die nöthige Rücksprache zu nehmen.
„Ich selbst,“ sagte er freundlich, „werde Dich nach Sonnino begleiten und mit Deinem Vater reden, da ich ohnehin die Absicht hatte, jene Gegenden kennen zu lernen und daselbst für meine Bilder landschaftliche Studien zu machen.“
Die bloße Aussicht auf Robert’s Beistand genügte, die Traurigkeit des jungen Mädchens in die ausgelassenste Freude zu verwandeln. Mit jenem schnellen Wechsel, der die Natur und die Menschen des Südens charakterisirt, überließ sich jetzt Teresina der kindlichsten Heiterkeit, indem sie anmuthig von ihrer Heimath, von den schönen Bergen und Villen in der Nähe plauderte, während der Maler ihre günstige Stimmung benutzte, um das Bild zu beenden.
Als er ihr jetzt das wohlgelungene Portrait zeigte, stieß sie einen leisen Schrei aus, indem sie das lieblich erröthende Gesicht mit den Händen bedeckte, als wäre sie von ihrer eigenen Schönheit beschämt.
„Wie, das sollte ich, ich selber sein?“ fragte sie zweifelnd.
„Wer denn sonst?“
„Und das meine Augen, meine Haare? O! Ihr habt mich viel zu schön gemacht. Das muß Maria-Grazia und Francesco sehen! Darf ich sie rufen?“
Vergessen war alles Leid, und wie ein Kind, das eben noch geweint, durch, eine Kleinigkeit erfreut, laut auflacht, so schwebte sie graciös durch die offene Thür in den Hof, wo sie erregt der Schwester ihr unerwartetes Glück verkündigte. Mit Wohlgefallen sah ihr Robert nach, bis sie verschwunden war. Es schien ihm, als ob das düstere Atelier sich noch mehr verdunkelt hätte, als ob das heitere Sonnenlicht mit ihr gegangen wäre.
Trotz der Kürze ihrer Bekanntschaft fühlte er sich von dem seltsamen Mädchen, von dieser wunderbaren Mischung kindlicher Heiterkeit, Anmuth und zarter Weiblichkeit so sehr angezogen, daß auch er nur mit Widerwillen an die drohende Trennung dachte, obgleich er sich nicht die Schwierigkeit verhehlte, die sich ihren und auch seinen Wünschen entgegenstellte. Jedenfalls war er entschlossen, Alles aufzubieten, um sie von der verhaßten Verbindung [243] zu befreien, wozu es vor Allem der Rücksprache mit dem Vater Teresina’s bedurfte.
Am nächsten Morgen bestieg Robert das zu diesem Zweck gemiethete Pferd, während Teresina auf einem bescheidenen Maulesel Platz nahm, begleitet von den Segenswünschen der älteren Schwester und Francesco’s.
„Reitet mit Gott!“ sagte der Räuber, „und wenn Euch in den Gebirgen ein Brigante begegnen sollte, so nennt ihm nur meinen Namen und zeigt ihm diese Münze, die Euch mehr nützen wird, als ein Paß des Gouverneurs.“
Mit diesen Worten überreichte er dem Maler eine alte, vielfach in Form eines Kreuzes durchlöcherte Kupfermünze, die dieser sorglos in die Tasche steckte, da er eine solche Gefahr nicht fürchtete, obgleich das Unwesen noch immer nicht verschwunden war und die verwegenen Gesellen bis an die Thore der Stadt schweiften.
Schweigend ritten die Reisenden durch die noch menschenleeren Straßen über die öde Campagna, die, in dichten Herbstnebel gehüllt, einem wogenden Meere glich. Nach und nach schwanden die wallenden Schleier und die aufgehende Sonne beleuchtete mit ihrem rosigen Schimmer das weite Gefilde mit seinen uralten Trümmern prachtvoller Villen, zerfallener Grabdenkmäler und riesiger Wasserleitungen, diesen erhabenen Zeugen einer untergegangenen großen Welt. Rings umher herrschte das Schweigen des Todes, nur ein Falke, der sich hoch in den blauen Lüften wiegte, ließ seinen grellen Schrei in der Oede hören, gleich dem Geiste eines jener beutelustigen Barbaren, die sich einst gierig auf das vor ihnen zitternde Rom niederstürzten.
War es sittliche Befangenheit oder das Gefühl jener Melancholie, welches unwillkürlich die Seele beim Anblick dieser erhabenen Trümmerstätte beschleicht, daß Keines von Beiden das fast beängstigende Stillschweigen unterbrach, so lange sie durch die traurige Campagna ritten, welche nur von Heerden breitstirniger, gluthäugiger Stiere und ihren bewaffneten Hirten bewohnt erschien?
Erst als sie den Fuß des Gebirges erreichten und die Straße immer höher stieg, athmete in der reinen Luft die gepreßte Brust wieder auf, löste sich der auf ihnen lastende Bann bei dem wunderbaren Schauspiel, das sich bei jedem weiteren Schritt vor ihnen aufthat. Zu ihrer Linken erhoben sich die Höhenzüge der Albanerberge in ihren classischen Linien, mit ihren zahllosen Städten, Dörfern und weißen Villen terrassenförmig emporsteigend, während zur Rechten das blaue Meer ihnen entgegenblitzte.
„Herrlich!“ rief Robert entzückt, indem seine Blicke wie blüthentrunkene Bienen von einer Schönheit zur anderen schweiften.
„Dort liegt Frascati,“ zeigte Teresina mit der Hand, „jene hellen Mauern, über denen der silberne Wasserfall schwebt, ist Grotta Fernata, dahinter Rocca di Papa und die Thürme von Castel Gandolfo. Ist das nicht schön?“ fragte sie mit jenem Stolze, den auch der geringste Italiener auf sein herrliches Heimathland besitzt.
„Wunderbar!“ versetzte der Maler. „Wir wollen hier ein wenig ruhen, da ich gern diese herrliche Aussicht zeichnen möchte.“
„Nicht hier,“ sagte das mit der Gegend wohlbekannte Mädchen, „wo Euch die Sonne blendet und Euren Augen schaden kann. Wenn wir hier noch zehn Minuten weiter reiten, so kommen wir in den kühlen Wald, wo Ihr ungestört im Schatten weilen könnt, so lange Ihr wollt. Wir kommen immer noch zeitig genug nach Sonnino.“
Unter ihrer Führung erreichte der Maler einen wie zum Ausruhen von der Natur geschaffenen Halteplatz, rings von dichten Ulmen und prächtigen Kastanienbäumen umgeben, durch deren Zweige das Azurblau des wolkenlosen Himmels schimmerte. Ein sanfter Windhauch wehte in den Blättern, wie wenn die Hand des Geliebten mit den Locken seines Mädchens spielt. Durch die grünen Zweige stahlen sich die goldenen Sonnenstrahlen und malten zitternde Schattenbilder, helle Kreise und Ringe auf dem weichen, thaugetränkten Moose des Waldes.
In der Nähe einer alten verfallenen Capelle, auf deren Altar ein bekränztes Bild der Madonna stand, fand Robert einen geeigneten Punkt für seine Arbeit. Vor ihm lag das Gebirge, gleichsam eingerahmt von zwei mächtigen, uralten Ulmen. Zu seinen Füßen gähnte eine düstere Schlucht, an ihren steilen, mit wilder Myrthe und Lorbeerbüschen bekleideten Wänden rieselten die silbernen Quellen mit melodischem Fall.
Nachdem die Thiere festgebunden waren, breitete der Maler seine Zeichenmappe aus und begann die Skizze der romantischen Gegend flüchtig aufzunehmen, während Teresina lieblich plaudernd an seiner Seite in dem Gefühle ihrer sicheren Unschuld saß.
„Diese Schlucht,“ sagte sie, „war noch vor einem Jahre der Schlupfwinkel des grausamen Gasparone und seiner Briganten.
Ich selbst bin schon einmal mit Maria-Grazia hier gewesen, als der arme Francesco noch ein Ausgestoßener war. Aber ich habe mich nicht hingewagt unter die verwegenen Männer. Nur die Schwester ist hinabgestiegen, während ich an der Capelle niederkniete und zu der gebenedeiten Madonna für die Unglücklichen betete.“
„Aber jetzt ist doch die Gegend sicher?“ meinte der Maler, in die unheimliche Tiefe blickend.
„Seit Gasparone gefangen, hat man von keinem Anfall mehr gehört? Die Briganti sitzen jetzt im Gefängniß und die Wenigen, die entkommen, haben sich über die Grenze geflüchtet, wo sie nur noch die Reisenden auf dem Wege nach Neapel beunruhigen.“
„Wir haben also nichts zu fürchten!“ scherzte Robert, ruhig weiter malend. „Im Nothfall besitzen wir ja den kupfernen Empfehlungsbrief von Freund Francesco an seine früheren Spießgesellen.“
„Ihr dürft nicht über solche Dinge spotten,“ sagte das junge Mädchen ernst. „Oft ist die Gefahr näher, als man glaubt, und ein Wort zur Unzeit kann uns Unglück bringen.“
„Du mußt nicht so abergläubisch fein. Was kann uns hier geschehen?“
„Horch!“ rief plötzlich Teresina, von ihrem Sitze aufspringend. „Was war das?“
Aus der Tiefe der dunklen Schlucht tönte ein verworrenes Geräusch, wie von Menschenstimmen. Ueber den Rand der jähen Felswand gebeugt, lauschte das junge Mädchen mit angehaltenem Athem, während der Maler gespannt an ihrer Seite stand.
Jetzt klang deutlich ein lauter Ruf nach Hülfe, woraus die frühere Todtenstille wieder eintrat.
„Ich habe mich nicht getäuscht,“ flüsterte Teresina leise. „O, ich kenne sie nur zu gut. Es sind die Briganten, die einen armen Reisenden überfallen haben.“
„Wir müssen ihm zu Hülfe eilen!“ rief der Maler muthig.
„Wo denkt Ihr hin? Es sind ihrer wenigstens drei oder vier, und Ihr habt keine Waffen. Sie werden Euch tödten oder in’s Gebirge schleppen.“
Ohne sich jedoch an ihre Warnung zu kehren, eilte Robert, von Menschenliebe beseelt, den steilen Fußpfad hinab, der, durch das dichte Gebüsch sich schlängelnd, in den Abgrund führte, gefolgt von Teresina, welche die Gefahr mit ihm theilen wollte. Der enge Weg mündete in eine gewölbte Grotte, in die ein schöner junger Mann in Jägertracht, mit gebundenen Händen, von drei Räubern gewaltsam hineingezerrt wurde.
Als die Briganten die nahenden Schritte der Herbeieilenden hörten, ließen sie ihre Beute los, indem sie ihre gespannten Flinten gegen die Brust des Malers richteten.
„Steht,“ rief der Anführer, „oder Ihr seid ein Kind des Todes!“
Ehe aber der Brigant seine Drohung zur Wahrheit machen konnte, war ihm Teresina in den aufgehobenen Arm gefallen, den sie mit dem Muthe der Verzweiflung festhielt. Verwundert über die unerwartete Erscheinung des ihm wohlbekannten Mädchens stieß der Anführer der Briganten einen wilden Fluch aus.
„Was willst Du, Teresina?“ rief er finster blickend, gleich einem Wolfe, der bei seiner Mahlzeit gestört wird.
„Hüte Dich, Cesari,“ versetzte sie trotzig, „diesem Manne nur ein Haar auf seinem Haupte zu krümmen! Er ist ein Freund Francesco’s und steht unter dem Schutze Eures Kreuz-Bundes. Du weißt, was die durchlöcherte Münze zu bedeuten hat?“
„Wenn er Francesco’s Freund ist und das Schutzgeld bei sich trägt, so mag er ruhig seine Straße ziehn. Wir wollen nichts von ihm und verlangen weder sein Gut noch Leben. Geht mit Gott, Signor, und mischt Euch künftig nicht in fremde Händel!“
„Das ist nicht genug,“ erwiderte Robert.
„Was könnt Ihr noch mehr von uns verlangen?“
„Ihr sollt auch den Gefangenen freigeben, der sich in Euren Händen befindet.“
„Nimmermehr,“ erwiderte der Räuber, „das ist ein vornehmer [244] und reicher Herr, von dem wir ein gutes Lösegeld zu erwarten haben.“
„Und ich“ sagte Robert in entschiedenem Tone, „will lieber sein Schicksal theilen, als den Herrn in Euren Händen lassen. Ich weiche nicht von der Stelle, bis ich auch ihn in Sicherheit weiß.“
„Ich danke, Ihnen,“ sagte der Gefangene, sich in das Gespräch mischend, „für Ihre Theilnahme, aber ich wünsche nicht, daß Sie meinetwegen sich einer Unannehmlichkeit aussetzen. Vielleicht kann ich mich mit diesen Leuten einigen, wenn sie sich billig finden lassen. Auf einige Goldstücke soll es mir nicht ankommen.“
„Eccellenza wissen, was Sie werth sind,“ sagte der Räuber. „Unter tausend Ducati können wir Sie nicht freigeben.“
„Ihr sollt hundert haben und die fünfzig, die in meiner Börse sind, dagegen verlange ich meine Uhr, meinen Siegelring und mein Taschenbuch zurück, für die ich Euch auch noch fünfzig Ducaten vergüten will. Wenn Ihr damit zufrieden seid, so soll Euch der Haushofmeister meines Oheims das Geld zahlen.“
„Wer aber bürgt uns dafür, wenn wir Euch ziehen lassen?“
„Das Wort eines Edelmannes,“ versetzte der junge Mann mit persönlicher Würde.
Während die Räuber den Vorschlag in Erwägung zogen und sich heimlich beriethen, näherte sich Robert dem Gefangenen, dessen ganze Haltung eine gewisse aristokratische Vornehmheit verrieth. Er mochte ein Jüngling von achtzehn bis neunzehn Jahren sein, mit lichtbraunem Haar und blauen Augen, aus denen ebenso sehr Geist wie Herzensgüte sprach, so daß der Maler sich unwillkürlich zu ihm hingezogen fühlte.
„Wie sind Sie,“ fragte er ihn leise, „in die Hände dieser Schurken gefallen?“
„Daran trägt lediglich meine Liebe zur Kunst Schuld,“ versetzte der Unbekannte im reinsten Französisch. „Ich war auf der Jagd in der Nähe von Frascati, wo ich zum Besuch bei meinem Oheim verweilte, der in der Nähe eine Villa besitzt. Ich verirrte mich im Walde und gelangte in diese Schlucht, die mir so romantisch erschien, daß ich sie zu zeichnen beschloß. In meine Arbeit vertieft, bemerkte ich nicht die Räuber, welche mich plötzlich überfielen, ehe ich mich zur Wehre setzen konnte.“
„Sie sind demnach Maler, und ich freue mich, einem Collegen dienen zu können.“
„O, ich bin nur ein schwacher Dilettant,“ erwiderte der Jüngling lächelnd, „aber destomehr liebe ich die Kunst.“
Unterdeß sprach Teresina in dem unverständlichen Dialekt der Gebirgsbewohner eifrig mit den Briganten, welche noch immer unschlüssig schienen. Mit feurigen Worten bat, warnte und drohte sie, indem sie sich bald auf den Schutz Francesco’s, bald auf die Verdienste Robert’s um die gefangenen Räuber und auf dessen Bekanntschaft mit dem gefürchteten Cardinal Consalvi nicht ohne südliche Uebertreibung berief, bis die schwankenden Briganten, welche mit Teresina’s Familie genau bekannt und verbunden waren, ihren Vorstellungen Gehör schenkten.
„Besser ein Sperling in der Hand, als eine Taube auf dem Dache,“ sagte der Anführer, welcher de Cesari hieß. „Wir wollen Euren Vorschlag annehmen und erwarten das Geld an der Capelle, wohin es Euer Haushofmeister zum Ave Maria bringen kann. Wenn Ihr nicht Wort haltet, so werdet Ihr unserer Rache nicht entgehen. Ihr wißt, daß wir nicht scherzen und daß wir Euch überall finden werden.“
Zugleich überreichte er dem unterdeß von seinen Fesseln befreiten Gefangenen dessen Uhr, Siegelring und ein ansehnliches Taschenbuch, worauf die Räuber sich durch die Grotte entfernten, während die Reisenden den entgegengesetzten Weg in Begleitung ihres neuen Gefährten nach dein Gebirge einschlugen.
„Ich bin Ihnen zu großem Danke verpflichtet,“ sagte der junge Mann zu dem Maler, „da ich ohne Ihren Beistand nicht so billigen Kaufes fortgekommen wäre. Wahrscheinlich hätte ich eine unfreiwillige Reise in das Gebirge machen und so lange warten müssen, bis mein Lösegeld eingetroffen sein würde. Die Schurken haben es auf meine Familie abgesehen und im vorigen Jahr meinem Oheim einen Besuch auf seiner Villa abgestattet, zum Glück aber statt seiner einen armen französischen Maler, der sich zufällig in seiner Wohnung befand, ergriffen und mit sich fortgeschleppt. Doch auch er kam mit dem bloßen Schreck davon, da sie ihn wieder frei gaben, als sie ihren Irrthum gewahrten. Seitdem lauern diese Briganten auf eine bessere Gelegenheit, vor der Sie mich freundlichst bewahrt haben.“
„Danken Sie dem Zufall und nicht mir,“ entgegnete Robert, indem er seinem Begleiter über seine seltsamen Beziehungen zu den gefangenen Briganten Aufschluß gab.
„Das Alles,“ sagte der junge Mann, „klingt wie ein Märchen; „es ist das seltsamste Abenteuer, das ich bis jetzt erlebt habe.“
„Doch buchstäblich wahr, wie Ihnen das junge Mädchen bestätigen kann.“
„Ich zweifle nicht daran. Doch wohin gedenken Sie jetzt zu gehen?“
„Nach Sonnino, wo ich mich noch einige Tage aufhalten will, um daselbst Studien zu machen.“
„Ich glaube, daß sich dazu die dortige Gegend weniger eignet, als die herrliche Umgebung von Frascati. Meine Verwandten würden sich freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Aber darf ich, ohne unbescheiden zu sein, nach dem Namen meines Retters fragen?“
„Ich heiße Leopold Robert, Maler Robert.“
„Den Namen werde ich nicht so leicht vergessen,“ erwiderte der Fremde mit verbindlichem Lächeln. „Vielleicht gestatten Sie mir, Sie in Rom in Ihrem Atelier zu besuchen und unsere flüchtige Bekanntschaft zu erneuern. Ich bin,“ setzte er fast zögernd hinzu, „der Sohn des Grafen von Saint-Leu.“
„Der Neffe des Kaisers!“ rief Robert überrascht von dieser seltsamen Begegnung.
„Ein armer, verbannter Napoleonide!“ seufzte der wirklich schöne junge Mann, indem ein Schatten seine klare Stirn verdüsterte.
[257]
Nie zuvor hatte eine Gemäldeausstellung eine solche Theilnahme gefunden wie die, welche Leopold Robert von seinen Werken und Studien im Laufe der Zeit veranstaltete. Man glaubte sich in jene schönen Tage versetzt, wo unter Leo dem Zehnten die Künste eine ungeahnte Blüthe entfalteten, wo Päpste, Cardinäle, Fürsten und die ersten Staatsmänner Italiens sich um den göttlichen Raffael schaarten und seine unsterblichen Schöpfungen bewunderten.
Auch heute drängte sich die vornehmste und eleganteste Gesellschaft in den Sälen des Capitols, von deren Wänden die Bilder jener gefangenen Räuber und ihrer Frauen, wie erstaunt über den unerwarteten Erfolg, auf diese feinen Damen und Herren der Aristokratie herniederschauten.
Hier sah man die Elite des römischen Adels, reiche Kunstmäcene, wie den bekannten Bankier und Fürsten Torlonia, Gemäldeliebhaber, wie den Cardinal Fesch, dort die angesehenen Fremden, besonders Franzosen und Engländer, die geistvolle Herzogin von Devonshire und ihren schottischen Landsmann Lord Kinnaird, Künstler und Schriftsteller von europäischem Ruf, die sich sonst nur für die erhabenen Denkmäler des classischen Alterthums zu interessiren pflegten und über die Leistungen moderner Künstler verächtlich mit der Achsel zuckten.
Vor dem schönen Bilde Teresina’s, das in dem Katalog als „junges Mädchen aus Sonnino“ bezeichnet war, stand ein hoher, älterer Mann mit ausdrucksvollen, feinen, aber abgespannten Zügen, aus denen jetzt ein jugendlicher Enthusiasmus sprühte, hervorgerufen durch den verwandten Geist, der ihm aus den Arbeiten des schnell berühmt gewordenen Künstlers entgegenleuchtete.
Es war der Dichter Chateaubriand, berühmt durch seine „Atala“, der augenblicklich hier in Rom verweilte, um von seinen politischen Kämpfen auszuruhen, nachdem er als Minister der undankbaren und verblendeten Bourbonen seine Entlassung erhalten hatte.
Sein Nachbar dagegen, dessen starkgeschnittenes Profil mit dem charakteristischen Spitzbart à la Henri quatre eher den Militär als den Künstler ahnen ließ, war der nicht minder berühmte Maler Horace Vernet, der Vorsteher der französischen Malerakademie in Rom. Beide unterhielten sich lebhaft über den tiefen Eindruck dieser Bilder, von dem sie sich jetzt Rechenschaft zu geben suchten.
„Es weht ein eigenthümlicher Geist in diesen Gemälden,“ sagte der Dichter, „ein unbeschreiblicher Reiz, der mich an jene Zeiten mahnt, wo ich selbst als ein junger Mann in den Urwäldern Amerikas schweifte, und angewidert von unserer modernen Civilisation, unter den wilden Stämmen die Urbilder zu meiner Atala fand. Bei dem Anblick dieses lieblichen Mädchenkopfes aus Sonnino wachen die alten Erinnerungen wieder in meinem Herzen auf.“
„Es war ein glücklicher Zufall, der den Maler in das frische Volksleben greifen ließ,“ erwiderte Vernet, nicht ohne leise Anwandlung des Künstlerneides.
„Sagen Sie lieber eine höhere Inspiration,“ rief Thorwaldsen, der hinter den beiden Bekannten stand und freundlich grüßend sich zu ihnen gesellte.
„Sie haben Recht, lieber Thorwaldsen,“ versetzte der Dichter. „Der göttliche Instinct hat dem Künstler den wahren Weg zu der Schönheit gezeigt, die einzig und allein die unverfälschte Natur darbietet. Ich möchte wohl den jungen Maler sehen und kennen lernen.“
„Dort steht er,“ entgegnete der Bildhauer, indem er auf eine an der entgegengesetzten Seite des Saales befindliche Gruppe zeigte, in deren Mitte Leopold Robert, fast beschämt über das ihm von allen Seiten gespendete Lob, verweilte. „Er spricht soeben mit dem Prinzen Napoleon, dem Sohn des Exkönigs, der vor Kurzem seine Cousine geheirathet hat.“
„Wie? Jener untersetzte, unansehnliche Mann mit dem düsteren Gesicht soll Leopold Robert, der Maler dieser herrlichen Bilder sein?“ fragte Chateaubriand enttäuscht.
„Allerdings hat ihm das Keiner zugetraut,“ bemerkte Vernet. „Mir selbst erschien er stets als ein menschenscheuer Sonderling, von dem ich nie etwas Großes erwartet habe.“
„Auch die Nachtigall hat ein unscheinbares Gefieder,“ scherzte Thorwaldsen, „und doch muß man sie bewundern.“
Während dieser Unterhaltung feierte Leopold Robert einen neuen Triumph, der noch mehr seinem Herzen als seinem Künstlerstolze wohl that. Seit jenem Abenteuer in der Nähe von Frascati war er der Freund des liebenswürdigen Prinzen geworden, den er aus den Händen der Briganten befreit hatte.
Die flüchtige Bekanntschaft gestaltete sich mit der Zeit immer inniger, da Beide, von gleicher Liebe für die Kunst beseelt, die vielfachsten Berührungspunkte fanden. Auch ihre ernsten Anschauungen harmonirten so sehr, daß die Schranken des Standesunterschiedes bald der gegenseitigen Sympathie weichen mußten und [258] schnell von ihnen vergessen wurden. Der Prinz begnügte sich nicht nur damit, den Maler in seinem Atelier öfters zu besuchen sondern führte ihn auch seiner Familie, seinen Verwandten zu, von denen Robert mit der zuvorkommendsten Freundlichkeit, fast mit Herzlichkeit, empfangen wurde.
Der Verkehr mit dem hochbegabten Geschlechte der Napoleoniden gestaltete sich immer vertraulicher und gewährte dem Maler einen ganz besonderen Reiz, der noch durch die Heirath seines Freundes mit seiner ebenso schönen wie geistvollen und liebenswürdigen Cousine eine neue Steigerung erfuhr.
Die Gattin des Prinzen, Prinzessin Charlotte, eine Tochter Joseph Bonaparte’s, der unter dem Namen eines Grafen von Survilliers in Amerika lebte, war in Brüssel von ihrer Mutter auf das Sorgfältigste erzogen worden und verband mit allem Zauber der äußeren Erscheinung eine seltene Bildung des Herzens und der Seele.
Ihre zarte Elfengestalt, die ätherische Figur, welche kaum den Boden zu beschweren schien, das schmale, feingeschnittene Gesicht mit den großen, seelenvollen Augen, die fast durchsichtige und doch nicht krankhafte Blässe des marmorartigen Teints, die wunderbare Beweglichkeit der zarten Züge, in denen sich jeder Wechsel des Gefühls, jeder Gedanke ihrer reinen Seele wie das Licht im Krystall zu spiegeln schien, verliehen ihrem ganzen Wesen den poetischen Hauch, den Ausdruck unnennbarer Sehnsucht und Begeisterung für alles Große und Schöne, fast befremdend in der Gesellschaft, der sie vermöge ihrer Geburt und ihres Ranges angehörte, gleich einer exotischen Blüthe ans fernen glücklichen Zonen.
Selbst ihre Kleidung, obgleich der damaligen Tagesmode angepaßt, verrieth ein gewisses ideales Streben, den künstlerischen Schönheitssinn. Das weiße, leichte Gewand von durchsichtigem Stoff, das Perlendiadem in dem aschblonden Haar, das nach englischer Sitte in zwei starken Locken auf den schneeigen Nacken niederwallte, der feine Spitzenmantel um die blendenden Schultern, durch eine kostbare antike Gemme festgehalten, harmonirten mit der ganzen duftigen Erscheinung, die, Würde mit Anmuth vereinend, einer griechischen Königstochter glich; wenn sie lächelte, an die holde Nausikaa, wenn sie ernst blickte, an die priesterliche Iphigenia erinnernd.
Jetzt sprach sie dem Künstler ihre Anerkennung mit Blicken und mit Worten aus, die ihm tief in die Seele drangen; ihr sinniges Lob erfreute ihn mehr, als alle die banalen Phrasen, welche er seit einigen Tagen von allen Seiten hören mußte.
„Ich fürchte nur,“ sagte die Prinzessin mit ihrem huldvollsten Lächeln, „daß der wohlverdiente Ruhm, der Ihnen zu Theil geworden, Sie den Freunden entfremden wird. Nennen Sie mich immerhin egoistisch, aber es schmerzt mich, wenn ich daran denke, daß Sie fortan der Welt mehr als uns gehören sollen. Wir haben nicht mehr, wie bisher, ein ausschließliches Recht auf Ihre Gesellschaft. Was aber soll aus unseren angefangenen Zeichnungen werden, wenn der Lehrer und Meister fehlt, unter dessen Leitung sie entstanden?“
„Alle meine bisherigen Erfolge,“ versetzte der Künstler mit leichtem Erröthen, „vermögen nicht die unvergeßlichen Abende aufzuwiegen, wo wir an jenen flüchtigen Skizzen arbeiteten, welche gemeinschaftlich von uns entworfen und ausgeführt, unser gemeinsames Eigenthum, der Mittelpunkt unseres Strebens waren. Lieber würde ich Alles hingeben, als auf meinen Antheil verzichten.“
„Und doch,“ bemerkte der Prinz, „ist der selbsterworbene Ruhm das Höchste. Wenn ich nicht Ihr Freund wäre, der sich an Ihrem Glücke freut, so würde ich Sie beneiden.“
„Sie bedürfen nicht des Ruhms,“ erwiderte Robert, „er ist das Erbtheil Ihres Geschlechts.“
„Der Stern unseres Hauses,“ versetzte der Prinz düster, „ist erloschen.“
„Wir müssen zu vergessen suchen und unser Schicksal mit Würde tragen,“ mahnte die Prinzessin. „Kunst und Freundschaft werden uns auch ferner trösten und die Trauer der Verbannten lindern. Nicht wahr, lieber Robert?“ fügte sie mit seelenvollem Blick hinzu.
„O wenn ich das vermöchte!“ stammelte verwirrt der Künstler, indem er ehrerbietig die ausgestreckte Hand der Prinzessin an seine Lippen führte.
Wie im Traume stand er noch und starrte der lieblichen Erscheinung nach, die längst freundlich grüßend an der Seite des Prinzen den Saal verlassen halte. Erst der herzliche Zuruf Thorwaldsen’s erweckte Robert aus seinen Gedanken.
„Glück auf, junger Freund!“ rief der berühmte Bildhauer, der ihm den reichen, excentrischen Lord Kinnaird als einen enthusiastischen Kunstliebhaber und Bewunderer seines Talents vorstellte.
„Ich freue mich,“ sagte dieser, „Ihre Bekanntschaft zu machen, da mich Ihre Bilder auf das Lebhafteste interessiren, besonders jener reizende Kopf des jungen Mädchens aus Sonnino, den ich zu besitzen wünsche, wenn er Ihnen feil ist.“
„Ich trenne mich nur ungern von dem Bilde,“ entgegnete der Maler, fast verstimmt über die unwillkommene Störung.
„Fordern Sie jeden Preis; außerdem möchte ich noch eine größere Bestellung bei Ihnen machen.“
„Ihre Herrlichkeit haben nur zu befehlen,“ versetzte Robert mit einer leichten Verneigung.
„Ich bin nämlich ein großer Freund und Bewunderer der berühmten Frau von Staël, deren Roman ,Corinna’ Sie gewiß kennen und wie ich verehren.“
„Corinna, ja Corinna!“ murmelte der Künstler zerstreut, während seine Gedanken weit abschweiften.
„Der Anblick Ihrer Bilder,“ fuhr der Lord fort, „die so wunderbar das Leben des italienischen Volkes erfassen, hat mich unwillkürlich an jene Scene erinnert, wo die begeisterte Improvisatrice an der Seite ihres Geliebten auf dem Vorgebirge von Misenum vor den entzückten Fischern ihre Lieder singt. Ich denke mir, daß Sie der einzige Maler sind, der diese poetischen Gestalten würdig wiederzugeben vermag.“
„Es ist eine große, aber auch schwere Aufgabe.“
„Wenn Ihnen das Süjet zusagt, so werden wir uns über die Bedingungen leicht einigen. Gestatten Sie, daß ich Sie morgen in Ihrem Atelier besuche, wo wir ungestört das Nähere verabreden können.“
„Ich werde morgen den Besuch Ihrer Herrlichkeit erwarten.“
„Und jetzt,“ sagte Thorwaldsen gut gelaunt, „will ich Sie dem berühmten Chateaubriand zuführen, der Ihre Bekanntschaft zu machen wünscht. Ihre Lordschaft werden uns entschuldigen, aber die Kunst geht nicht allein nach Brod, sondern auch nach Ruhm.“
So genoß jetzt Robert die höchste Anerkennung seines Talentes; aus einem unbekannten Maler war er plötzlich, gleichsam über Nacht, ein berühmter Künstler geworden. Sein Atelier, das er aus den Bädern des Diocletian nach einer der vornehmsten Straßen verlegt und mit dem nöthigen Comfort ausgestattet hatte, bildete den Sammelpunkt aller Kunstfreunde, Liebhaber und Käufer, die ihn, wie Lord Kinnaird und die Herzogin von Devonshire, mir ihren Bestellungen überhäuften.
Als er endlich ermüdet, und abgespannt von all’ den Huldigungen und Erfolgen in seine neue Wohnung zurückkehrte, harrte seiner eine freundliche Ueberraschung. Er fand seine Wohnung mit Blumen geschmückt und seine Staffelei mit frischen Lorbeerzweigen bekränzt. An der Thür erwarteten ihn seine alten Freunde aus den Bädern des Diocletian, die beiden Frauen Maria-Grazia und Teresina in ihrem kleidsamen Sonntagsstaat und Francesco in der Uniform eines päpstlichen Soldaten. Alle drei bemächtigten sich seiner Hände, die sie mit ihren Küssen zu bedecken suchten, so daß er sich kaum ihrer Liebe und Freudenbezeigungen zu erwehren vermochte.
„Aber was hat das Alles zu bedeuten?“ fragte er verwundert.
„Es lebe unser Wohlthäter!“ rief Francesco, „Evviva!“
„Evviva!“ wiederholten die Frauen mit glänzenden Augen.
„Wir feiern heute,“ nahm der ehemalige Brigant das Wort, „das Fest unseres neuen Schutzpatrons, des heiligen Roberto, dem wir die Freiheit und ein sorgenloses Leben zu verdanken haben. Auf Eure Vorstellungen hat der Prinz Napoleon bei Seiner Eminenz dem Herrn Cardinal Consalvi meine Begnadigung erwirkt und mir eine Anstellung bei den päpstlichen Carabinieren verschafft, nachdem ich gelobt hatte, ein ehrlicher Mann zu werden. Evviva il principe!“
„Evviva!“ klang es von Neuem.
„Und ich,“ berichtete Maria-Grazia, „bin ebenso wie Teresina durch Euch eine berühmte Frau geworden. Wo wir gehen und stehen, werden wir überall jetzt angestarrt wie Wunderthiere. O, [259] man kennt uns ans Euren Bildern und achtet uns jetzt ebenso sehr, wie wir früher verachtet waren. Ja, wir könnten jetzt wohlhabende Leute werden und goldene Pfeile in den Haaren tragen, wenn Teresina meinem Rathe folgen wollte.“
„Nein, nein!“ sagte das junge Mädchen erröthend. „Dazu werde, ich mich niemals hergeben und auch von Dir nicht überreden lassen.“
„Was ist da weiter? Alle Welt will jetzt nur Briganten und ihre Frauen besitzen. Die Herren Maler bieten uns Geld über Geld, wenn wir ihnen als Modelle sitzen wollen. Warum sollen wir ihnen nicht den Gefallen thun, wenn wir dafür gut bezahlt werden? Teresina aber sträubt sich dagegen, als ob diese Künstler Bären und Wölfe, nicht artige, manierliche Leute wären, wenn auch keiner unserer Eccellenza das Wasser reichen kann.“
„Ich schäme mich zu sehr,“ versetzte Teresina, „außerdem halte ich es für eine Sünde, sein Gesicht zu verkaufen und für Geld seine Züge preiszugeben.“
„So willst Du auch mir nicht ferner sitzen?“ fragte Robert, sie anblickend.
„Euch!“ erwiderte sie mit vor Bewegung zitternder Stimme. „O, das ist ganz etwas Anderes! Ihr seid wie die Heiligen, denen man vertrauen darf. Auch habt Ihr mich von der verhaßten Verbindung mit Mattia befreit, wofür ich Euch bis zu meiner Todesstunde danken werde. Ich bin nur Eure Magd, über die Ihr zu gebieten habt.“
„Und ich,“ fügte Maria-Grazia naiv hinzu, „bitte Euch, auf Eurem nächsten Bilde mich nicht zu vergessen. Es ist doch gar zu schön, wenn man so von aller Welt angeschaut und bewundert wird.“
„Ihr dürft Beide auf meinem nächsten Gemälde nicht fehlen,“ erwiderte Robert freundlich. „Wir können gleich morgen, wenn Ihr Zeit habt, beginnen.“
Von jener Schöpfungskraft beseelt, die jeder bedeutende Erfolg hervorzurufen pflegt, ging Robert schon in den nächsten Tagen an die Ausführung jener Bestellung, welche der reiche Lord bei ihm gemacht hatte, nachdem er sich mit ihm über den Preis und die näheren Bedingungen geeinigt hatte. Mit Feuereifer arbeitete er an der Skizze, indem er zunächst die Gruppe der Zuhörer entwarf, welche sich um die begeisterte Corinna, deren Gesang bewundernd, schaaren sollten.
Unter diesen Gestalten erblickte man zu den Füßen der genialen Sängerin das wohlgelungene Portrait Maria-Grazia’s mit einem schönen Kinde auf dem Schooß, wodurch sie sich nicht wenig geschmeichelt fand.
Noch fehlte ihm aber die Hauptfigur, die Heldin des Romans, Corinna, für die er das zartere Gesicht Teresina’s als Modell zu benutzen gedachte. Je weiter aber das Gemälde vorrückte, desto weniger befriedigte ihn dasselbe, indem er an sich selbst die höchsten künstlerischen Anforderungen stellte. Mit Unmuth bemerkte er, daß die kindliche Schönheit Teresina’s nicht seinem Ideale entsprach, da ihr gerade jener geistige Ausdruck, die höhere Inspiration fehlte, welche das Bild der genialen Dichterin von ihm forderte.
Erst jetzt erkannte er, daß der bloße äußerliche Reiz des jungen Mädchens nicht den Mangel der inneren Bildung zu ersetzen vermochte, daß ihr jener Seelenadel, der eigenthümliche Zauber fehlte, welchen allein Cultur und Erziehung ihren bevorzugten Lieblingen verleihen, daß sie jenes anziehende Fluidum der Intelligenz, eines tieferen Verständnisses vermissen ließ, das uns aus den Blicken und den Zügen, aus den Reden und der Haltung geistig bedeutender Frauen so wunderbar anspricht.
Teresina war nur das arme, einfältige Kind der Berge, schön wie eine wilde Blume, anmuthig wie das schüchterne Reh, voll unbewußter Grazie und Poesie, die unwissende Tochter eines reich begabten, aber verkommenen Volkes.
Vergebens suchte der Künstler in ihrem Gesichte die Spuren des göttlichen Funkens, in ihren Zügen das Urbild einer Corinna. Fortwährend ließ er sie neue Stellungen einnehmen, ihren Kopf bald nach dieser, bald nach jener Seite wenden, indem er der falschen Beleuchtung die Schuld gab.
Er war mit seiner bisherigen Leistung unzufrieden, weshalb er unaufhörlich daran änderte, besserte, radirte, bis er voll Ungeduld die Staffelei bei Seite schob und die Sitzung beendete.
Zum ersten Male verabschiedete er Teresina fast unfreundlich, so daß sie ihn traurig verließ und nur mit Mühe ihre Thränen unterdrücken konnte, da sie ihn durch ihre Ungeschicklichkeit gekränkt zu haben glaubte.
„Ich will es morgen besser machen,“ sagte sie mit rührender Demuth, während sie den abgelegten Schleier in ihren Haaren befestigte.
„Vielleicht wird es mir dann besser gelingen. Ich bin heut’ nicht aufgelegt,“ entschuldigte Robert seine frühere Barschheit, die ihm jetzt leid zu thun schien.
Seine freundlichen Worte verscheuchten wie ein Sonnenstrahl die Beklommenheit des jungen Mädchens, daß es bald wieder wie eine frische Rosenknospe unter Thränen erröthend lächelte.
Wenige Augenblicke später schloß auch Robert sein Atelier und schlug den ihm nur zu bekannten Weg nach dem Palaste des Prinzen Napoleon ein, um diesem für die durch dessen Verwendung erfolgte Begnadigung Francesco’s zu danken, wozu ihm bis jetzt die Zeit gefehlt hatte.
In der durch Geburt und Schicksal gleich ausgezeichneten Familie fand er, was er schmerzlich vermißt halte, die innigste Theilnahme, das feinste Verständniß für seine künstlerischen Leistungen. Der Prinz selbst war eine tiefere Natur und besaß ein mehr als gewöhnliches Talent, während seine Gattin kleine reizende Landschaften in Sepia malte, zu denen Robert die Figuren entwarf. Diese gemeinsame Beschäftigung bildete zwischen Beiden ein zartes Band, wodurch sie immer inniger miteinander verknüpft wurden. In ihrer Nähe legte Robert seine gewöhnliche Schüchternheit ab und entfaltete den ganzen Reichthum seines Geistes, wogegen die Prinzessin durch ihre Feinheit und Liebenswürdigkeit ihn, wie alle Welt, bezauberte.
Mit ihr allein durfte er von seiner Mutter und seinen Geschwistern sprechen, die er auf das Innigste liebte; sie hörte mit dem wohlthuendsten Interesse ihm zu, wenn er von seiner Jugend, von der Schweizer Heimath erzählte, wie er als Knabe in den Bergen umhergeirrt, als Jüngling für seine Kunst gekämpft und gelitten. Selbst seine jetzigen Erfolge hatte er zum Theil dem freundlichen Zuspruch zu verdanken, mit welchem sie seinen Muth aufrecht erhielt und ihn in seiner Richtung bestärkte. Für das Alles besaß die reizende Frau nicht nur den feinsten Sinn, sondern auch die nöthige Herzens- und Geistesbildung. Kein Wunder, daß er sie wie ein höheres Wesen verehrte, daß er sich zu ihr hingezogen fühlte, wie zu keinem andern Weibe auf Erden.
Noch nie aber hatte er dies Gefühl so lebhaft empfunden, wie an diesem Abend, wo ihm die Gelegenheit geboten wurde, sie nicht nur mit der armen, tief unter ihr stehenden Teresina, sondern mit den ihr ebenbürtigen Damen aus der besten Gesellschaft zu vergleichen, die sich heute zufällig in ihrem Salon zusammenfanden.
Nicht blos durch ihre hohe, schlanke Gestalt, sondern auch durch ihre geistige Größe ragte die Prinzessin über den andern Frauen empor, indem Alles, was sie that und sprach, den Stempel wahrer Vornehmheit, des angeborenen Seelenadels trug, gemildert durch die zarteste Weiblichkeit. Unwillkürlich bildete sie den Mittelpunkt dieses Kreises mehr oder minder bedeutender Menschen, unter denen ihr Gatte, wie all’ die Andern, ihr Uebergewicht anerkannte, ohne daß sie danach strebte.
Mit ihr wetteiferte eine nahe Verwandte des Hauses, Fräulein Juliette de Villeneuve, welche die Lebhaftigkeit der Südfranzösin mit der Eleganz und dem sprühenden Witz der Pariser Salons zu vereinen wußte. Sie allein vermochte durch ihren schalkhaften Uebermuth dem ernsten Gesicht des Prinzen Napoleon ein heiteres Lächeln abzugewinnen. An der Seite ihres Verlobten, strahlend vom Glück der jungen Liebe, bildete sie mit ihren mehr pikanten als schönen Zügen, mit ihrer sprudelnden Heiterkeit und guten Laune den entschiedensten Gegensatz zu der mehr majestätischen Schönheit und dein tieferen Wesen der Prinzessin.
Während Robert zwischen den beiden ungleichen Freundinnen saß, dachte er unwillkürlich an das Bild seiner Corinna, für das er vergebens nach einem entsprechenden Ideale suchte. Jetzt erst glaubte er dasselbe gefunden zu haben, aber wie durfte er hoffen, daß die hohe Frau sich jemals dazu hergeben würde, ihm zu diesem Zwecke zu sitzen? Der bloße Gedanke erschien ihm eine Vermessenheit, wie ein Frevel an dem Heiligsten.
Abgezogen durch seinen seltsamen Ideengang, beachtete er kaum die Neckereien seiner pikanten Nachbarin, die ihn mit seiner Zerstreutheit aufzog.
[260] „Sie müssen heirathen,“ sagte Fräulein von Villeneuve lachend, „damit Sie für die Gesellschaft wieder genießbar werden. Jetzt, wo Sie ein gemachter Mann sind, brauchen Sie nur die Hand auszustrecken und es kann Ihnen nicht an den besten Partien fehlen.“
„Wo denken Sie hin, mein Fräulein?“ versetzte Robert verlegen.
„Durch eine Heirath werden Sie zugleich Ihre Position befestigen und mehr Vertrauen einflößen. Ich gestehe Ihnen offen, daß ich mich nur schwer entschließen würde, einem unverheirateten Künstler in seinem Atelier zu sitzen. Schon um mein Portrait, das ich gern von Ihrer Meisterhand meinem Verlobten schenken möchte, zu malen, sollten Sie sich beeilen, meinen wohlgemeinten Rath zu befolgen,“ scherzte die heitere Juliette.
„Und doch,“ versetzte Robert ernst, „könnte ich mich selbst um einen so hohen Preis, den Sie mir in Aussicht stellen, nicht zu einem solchen Schritt entschließen.“
„Ah!“ rief die lebhafte Französin, „das wird ja immer interessanter. Fast vermuthe ich, daß Sie bereits Ihr Herz verloren haben, daß Sie lieben, romantisch, unglücklich lieben.“
Es folgte eine fast peinliche Pause, da Robert nicht jene Leichtigkeit des Geistes besaß, um dem Witz mit Witz zu begegnen. Wie die meisten tiefer angelegten Naturen, litt auch er an einer gewissen Schwerfälligkeit, so daß ihm das rechte Wort zur rechten Zeit gewöhnlich fehlte.
„Ich glaube,“ sagte jetzt die Prinzessin, ihm in seiner Verlegenheit zu Hülfe kommend, „die Gründe unseres Freundes besser zu kennen. Herr Robert ist, wenn ich nicht irre, der Ansicht, daß der Künstler überhaupt sich nicht binden, sondern ausschließlich nur seiner Kunst leben soll.“
„Eine wunderliche Ansicht!“ bemerkte Fräulein von Villeneuve. „Ich begreife nicht, warum der Künstler nicht ebenso gut, wie jeder andere Mensch, heirathen kann.“
„Weil die Kunst,“ versetzte die Prinzessin mit leuchtenden Blicken, „eine Religion, der Künstler ihr Priester ist, weil er im Dienste seiner Gottheit durch kein irdisches Verlangen, durch keine gemeine Sorge, durch kein alltägliches Bedürfniß sich beflecken darf. Er muß sein Herz, die Freuden des Lebens, jede vergängliche Lust zum Opfer bringen, um zum Lohn den Kranz der Unsterblichkeit zu erringen. Der Lorbeer Apollo’s ist unfruchtbar, aber unvergänglich und macht den Göttern gleich. Das mit ihm geschmückte Haupt ist geweiht für ewige Zeiten.“
„Corinna!“ jubelte es in den geheimsten Tiefen des Künstlerherzens, während seine Seele, trunken vor Begeisterung, an den Lippen der Prinzessin hing, die seinen innersten Gedanken die ihm fehlenden Worte lieh.
Die Dazwischenkunft einiger Herren unterbrach die interessante Unterhaltung, oder gab ihr vielmehr eine politische Färbung, da die meisten der anwesenden Napoleoniden und ihre Freunde mehr oder minder an der damals sich vorbereitenden revolutionären Bewegung Italiens den lebhaftesten Antheil nahmen.
Man sprach von der Lage des Landes, von den Aussichten und Hoffnungen der liberalen Partei, von dem letzten mißlungenen Aufstande im Jahre 1820, der durch die Intervention der österreichischen Bajonnete unterdrückt worden war, vor Allem aber über die Stellung Frankreichs, das Land ihrer Sehnsucht, wo die verbannten Napoleoniden noch immer zahlreiche geheime Freunde und ergebene Agenten zählten.
Während die älteren Familienglieder eine gebotene Vorsicht in ihren Reden und Aeußerungen beobachteten, überließ sich das jüngere Geschlecht, besonders der Schwager und Cousin des Prinzen, der durch seine politische Exaltation bekannte Fürst von Canino, den ausschweifendsten Plänen und Aussichten auf den nahen Sturz der Bourbonen und die Beseitigung der päpstlichen Herrschaft.
Seine Aufregung theilte sich sichtlich auch dem stillen und mehr in sich gekehrten Prinzen Napoleon mit, der plötzlich wie verwandelt erschien und mit feuriger Gluth von der nahen Befreiung Italiens, von der Erhebung Frankreichs schwärmte, bis die ihn fast ängstlich beobachtende Gattin durch ein leise zugeflüstertes Wort ihn zu beruhigen suchte, worauf er sogleich verstummte.
Sie selbst benutzte die eingetretene Pause, indem sie an das geöffnete Clavier trat und das berühmte „Stabat“ von Pergolese mit der höchsten künstlerischen[WS 1] Vollendung vortrug, womit es ihr gelang, wie durch ein Wunder den aufgeregten Sturm zu beschwören und eine fast andächtige Stimmung hervorzurufen. Keiner der Anwesenden fühlte sich tiefer ergriffen, als Robert. Neben dem kostbaren Brillant an ihrer Hand, die sie ihm freundlich zum Abschied reichte, glänzte seine Thräne, auf die sie gedankenvoll blickte, nachdem er längst gegangen war.
In gehobener Stimmung saß Robert am nächsten Morgen an seiner Staffelei, ohne erst die Ankunft Teresina’s zu erwarten. Nie war ihm die Arbeit besser von Statten gegangen, nie fühlte er sich heiterer und leichter aufgelegt, als ob seiner Seele über Nacht neue Schwingen gewachsen wären.
Die helle Sonne strahlte in das Atelier und vergoldete das Bild, aber noch heller sah es in seinem Herzen, noch goldener in seinem Innern aus. Wie ein Nachtwandler oft im Traum die schwierigsten Aufgaben spielend löst, vor denen er wachend zurückschrickt, so bewältigte heute der Künstler in seiner glücklichen Stimmung das Schwerste mit bewundernswürdiger Leichtigkeit.
Immer deutlicher und klarer trat auf der Leinwand die Gestalt seiner Corinna hervor, so daß er mit Zufriedenheit auf sein halb vollendetes Werk jetzt blicken durfte, welches dem ihm vorschwebenden Ideale geistiger Größe und dichterischer Inspiration mehr und mehr zu entsprechen schien.
Ganz vertieft in seine Arbeit bemerkte er nicht das Erscheinen Teresina’s, die zur bestimmten Stunde mit leisen Schritten in das Atelier eingetreten war und jetzt erschrocken, mit weit geöffneten Augen und angehaltenem Athem auf das vorgeschrittene Gemälde starrte.
Ein schmerzlicher Seufzer, der sich der gepreßten Brust des jungen Mädchens entrang, weckte Robert aus seinen Träumen.
Jetzt erkannte er sie; das bleiche schöne Gesicht von Thränen überströmt, glich sie dem zu Stein gewordenen Schmerz, einer Marmorstatue der tiefsten Trauer.
„Was fehlt Dir?“ fragte er verwundert über ihr verwandeltes Aussehen.
„O, das ist nicht mein Bild, das sind nicht meine Züge,“ schrie sie von Eifersucht ergriffen, indem sie mit südlicher Heftigkeit auf die Gestalt der halbvollendeten Corinna deutete.
„Du träumst,“ entgegnete der Maler verwirrt. „Wer außer Dir sollte mir gesessen haben?“
„Prinzessin Carlotta, die Ihr liebt,“ versetzte Teresina in wildem Schmerz.
„Unglückliche!“ rief der Maler, wie von einem Blitz getroffen.
Die Binde war von seinen Augen gewaltsam gerissen.
Ein tiefes peinvolles Schweigen folgte der unerwarteten Entdeckung, nur unterbrochen von dem leisen Schluchzen der armen Teresina. Robert sank zusammenbrechend in den nächsten Stuhl und bedeckte mit beiden Händen das blasse, schwermüthige Gesicht; er wollte nicht mehr das verräterische Bild sehen, das ihn an seine geheime Schuld mahnte. Als er endlich wieder aufzublicken wagte, war Teresina verschwunden.
Mit schwankenden Schritten erhob er sich jetzt und trat zögernd, aber entschlossen an seine Staffelei. Ein Strich mit dem Pinsel über das Gemälde und die schöne Gestalt Corinna’s, oder vielmehr der Prinzessin Charlotte war vernichtet; es war ihm, als ob er seine Liebe getödtet hätte.
Aber ihr Bild lebte fort in seinem Herzen – das Bild der Gattin seines besten Freundes!
[273]
Durch die berüchtigten pontinischen Sümpfe schleppten sich mühselig auf abgetriebenen Pferden zwei Reiter, von denen der ältere in seinen eingefallenen Wangen und fieberhaft glänzenden Augen ein krankhaftes Leiden verrieth. Mit seiner trüben Stimmung harmonirte der bleigraue Sciroccohimmel und die traurig öde Gegend.
Der wellenförmige Boden, von der Hitze des August ausgetrocknet und geborsten, wurde nur selten von einem fruchtbaren Weizenfelde oder einer kurzen Rasenstrecke unterbrochen. Zu beiden Seiten zeigte sich der gefürchtete Buschwald, ein dichtes Gestrüpp von Korkholz, Oleaster, Mastix, Schwarzdorn und Arbutus, von Schlingpflanzen und immergrünendem Epheu umsponnen.
Hier hausen der wilde Eber, das Stachelschwein, Schildkröten und giftige Schlangen, die tückischen Büffelheerden mit rückwärts gekrümmten Hörnern, welche von Zeit zu Zeit aus dem Dickicht hervorbrechen, um sich in die nahen Sümpfe zu stürzen, wo sie vor der brennenden Gluth Kühlung suchen. Wehe dem armen Wanderer, wenn er den schwarzen Ungeheuern in den Weg tritt! Mit eherner Stirn stürzen sie ihm entgegen, wenn er ihre leicht erregte Wuth reizt, und zerstampfen mit den plumpen Knieen ihm die Brust, bis er seinen Geist aufgiebt.
Noch gefährlichere Insassen birgt der niedere Wald der pontinischen Sümpfe, den habgierigen Banditen, den gesetzlosen Räuber, der aus sicherem Versteck den Reisenden überfällt.
Meilenweit keine Menschenspur, kein Dorf, kein Haus, nicht einmal eine elende Hütte, nur verfallenes Gemäuer, in denen der Falke oder der Habicht lauert, deren Nähe die blutig zerrauften Flügel und Federn des Moorhuhns verrathen, die Reste eines wilden Mahles.
Es dämmerte bereits und aus dem schwankenden Erdreich stiegen die Dünste des Moorgrundes, jene gelblich-weißen Nebel, empor, welche Krankheit, Fieber, Verderben und Tod auf ihren feuchten Schwingen tragen.
Schweigend ritten die Reiter neben einander her, nur begleitet von dem Klagegeschrei der beutegierigen Raubvögel, dem Stampfen und Brüllen der wilden Rinderheerden, bis der jüngere von beiden die lastende Stille unterbrach.
„Ich fürchte,“ sagte er, „daß wir uns verirrt haben. Die Nacht überrascht uns, und ich sehe nirgends ein Haus, wo wir bleiben und ausruhen könnten.“
„Was sagst Du?“ erwiderte der düstere Gefährte, aus seiner bisherigen Apathie erwachend.
„Ich meine, daß wir Unrecht gethan haben, den Weg durch diese Sümpfe zu nehmen. Du bist krank und elend, wir müssen sehen, ein Obdach zu finden, bevor es dunkel wird. Die Fieberluft kann Dir schaden und außerdem ist die Gegend nicht geheuer.“
„Was kann mich Schlimmeres treffen, als mich schon getroffen hat!“ entgegnete Robert, welcher der ältere der beiden Reiter war.
Der Maler hatte seit jener unglücklichen Entdeckung weder Ruhe noch Rast gefunden. Muthig rang er gegen die verzehrende Leidenschaft, die er selbst für verbrecherisch halten mußte. Liebe und Freundschaft, Pflicht und Neigung stürmten in seiner Brust und zerrissen ihm das Herz.
Die eigenthümliche Lage, in der er sich befand, erschwerte noch den unausbleiblichen Conflict. Er war der treue Freund des Prinzen, dessen Liebenswürdigkeit, Herzensgüte und geistige Begabung er kennen gelernt hatte. Er schätzte und verehrte ihn, außerdem fühlte er sich ihm zum größten Dank verpflichtet. Die Familie der Napoleoniden war ihm mit seltener Gastfreundschaft entgegengekommen; sie hatte dem damals noch unbekannten Künstler ihr Haus geöffnet, ihn wie Ihresgleichen mit der höchsten Zuvorkommenheit, ja mit fast verwandtschaftlicher Herzlichkeit aufgenommen. Seine Erfolge waren die ihrigen, und zum Theil durch ihren noch immer bedeutenden Einfluß erhöht und gesteigert worden.
Durfte, konnte er den besten Freund, den großmüthigen Beschützer, seinen Wohlthäter so schwer beleidigen, selbst wenn er so vermessen gewesen wäre, auf die Gegenliebe der Prinzessin zu hoffen?
Diese selbst aber war, wie er nur zu gut wußte, die reinste, edelste Frau, die pflichtgetreueste Gattin, zu der er, wie zu einer Gottheit, kaum emporzublicken wagte. Ihre fast schwesterliche Neigung für Robert, selbst ihre Vertraulichkeit waren mit so vieler Würde und maßvoller Zurückhaltung gepaart, so natürlich bei ihrer Herzensgüte, so erklärlich durch das künstlerische Interesse, daß blos die frechste Selbsttäuschung, der schwärzeste Undank auch nur den leisesten Verdacht schöpfen, die schwächste Hoffnung daran knüpfen konnte.
Doch selbst wenn das Betragen der Prinzessin ihn zu einer derartigen Annahme berechtigt hätte, so war Robert trotz seiner Leidenschaft eine zu sittlich-ernste und tiefe Natur, zu ehrenwerth in seinem Denken und Thun, um solch’ einen verabscheuungswürdigen Verrath an dem besten Freund, an dem edelsten Mann zu üben. Lieber wollte er schweigen, dulden und untergehen.
[274] Nur ein Ausweg aus diesem Labyrinth blieb ihm übrig: der Versuchung zu entfliehen, Rom zu verlassen, so schwer ihm auch ein solches Opfer fallen mußte. Er konnte den häufigen Verkehr mit dem liebenswürdigen Prinzen, mit der angebeteten Geliebten seines Herzens nicht aufgeben, ohne die Freunde zu beleidigen, ohne möglicher Weise ihren Verdacht zu erwecken. Und doch fühlte er, wie dies innige Zusammenleben, dies stete Wiedersehen die mühsam erstickte und niedergehaltene Flamme wieder anfachte, die kaum vernarbte Wunde immer von Neuem aufriß; er erkannte die Unmöglichkeit, seine frühere Unbefangenheit zu bewahren, das Geheimniß seiner Seele vor verrätherischen Blicken zu schützen, ein solches Leben in der Nähe des heißgeliebten Weibes zu ertragen, ohne sich gänzlich aufzureiben.
Eine Reise nach Neapel sollte ihn zugleich zerstreuen und der Gefahr entziehen. Durch neue Eindrücke und Studien, die er an Ort und Stelle für seine Kunst machen wollte, hoffte er, wenn auch nicht Genesung, doch wenigstens Linderung für sein krankes Herz zu finden.
Aber von Tag zu Tag zögerte er, den gefaßten Entschluß auszuführen, bis eine unerwartete, traurige Nachricht aus der Heimath, deren Ueberbringer sein jüngster Bruder Aurel war, seinem Schwanken und Zweifeln ein Ende machte. Tief erschüttert erfuhr er von ihm, daß sein zweiter Bruder Alfred in einem Anfall von Schwermuth, die in Robert’s Familie erblich schien, sich das Leben genommen hatte.
Es war zu viel, mehr als er zu ertragen vermochte. Mit dem Bilde der Geliebten vermischten sich die blutigen Züge des unglücklichen Bruders, mit der Qual der Leidenschaft die Trauer um den Verstorbenen, der Gedanke an den Schmerz einer tief betrübten Mutter.
Selbst die herzliche Theilnahme seiner Freunde, denen er seinen Verlust nicht verschweigen durfte, die sanften Worte der Prinzessin, mit denen sie ihm ihre innigste Theilnahme bekundete und ihn zu trösten suchte, vermehrten nur noch sein Leiden, indem sie seine Liebe noch steigerten.
Endlich riß er sich mit blutendem Herzen von ihr los, um in Neapel, begleitet von seinem Bruder Aurel, Vergessenheit für seinen doppelten Verlust zu suchen. Anfänglich schien auch an ihm die „Circe“ unter den Städten Italiens ihre unwiderstehliche Zauberkraft zu bewähren. Das entzückende Panorama, das blaue Meer mit seinen herrlichen Küsten, Vorgebirgen und Inseln, unter denen das romantische Capri gleich einer versteinerten, riesigen Sphinx aus den Wellen emporsteigt, der erhabene Vesuv mit seiner Krone von Rauch und Flammen und seinem Gürtel von schwarzen Wäldern und grünen Reben, der berauschende Duft der Orangen- und Citronenblüthen, der ewig heitere Himmel, der über diesem glücklichsten Fleck der ganzen Welt fortwährend lächelt, das fröhliche Treiben des sorglosen Volkes, der Gesang der Marinari zum Klang der Mandoline, das lustige Drängen, Jubeln und Jauchzen der rastlosen Menge, betäubten und zerstreuten ihn, so daß er wieder Antheil an dem ihn umwogenden Leben zu nehmen anfing. Bald suchte er seine alten Studien und Arbeiten wieder hervor, darunter das halb zerstörte Bild seiner „Corinna“, an deren Stelle er jetzt die Figur eines „neapolitanischen Improvisators“ setzte, um jede Spur von den verrätherischen Zügen der Prinzessin zu verwischen.
Mit diesen Arbeiten wechselten Ausflüge in die Umgegend von Neapel, nach dem herrlichen Sorrent, nach Procida und Ischia, von denen Robert, reich beladen mit neuen Schätzen, heimkehrte, wie die honigsammelnde Biene aus dem Blüthenmeer, so daß er kaum die empfangenen Eindrücke zu bewältigen, die sich ihm aufdrängenden Gestalten kaum flüchtig festzuhalten vermochte.
Wollte er sich aber einmal der immer wieder von Neuem auftauchenden Schwermuth überlassen, so stand ihm der treue aufmerksame Bruder zur Seite, um die schwarzen Geister zu verscheuchen. Gewaltsam entriß er ihn seinem düstern Brüten, indem er ihn mit sich fortführte zu den heiteren Festen, an denen es in Neapel niemals fehlt. Dort beobachtete Robert mit dem Auge des Künstlers das bunte Leben dieser Bevölkerung, welche, gleich dem Vesuv, in ewig schäumender Bewegung sich gefällt. Bald wohnte er zu diesem Zweck dem glänzenden Corso bei, bald dem berühmten Fest der „Madonna del Arco“, an dem ganz Neapel sich zu bethätigen pflegte.
Da sah er diese Schaaren geputzter Männer und Frauen in lichten, farbenglänzenden Kleidern, zu Fuß und zu Wagen, von Pferden, Mauleseln und breithörnigen Stieren gezogen, die Hände bewaffnet mit Thyrsusstäben, rings von Epheu und Blumen umwunden, die braune Stirn mit Weinlaub, Feigenblättern und Citronenzweigen bekränzt, an denen noch die goldenen Früchte hängen. Hier fesselte ihn das liebliche Gesicht eines Kindes einem antiken Amor gleich, dort die Gestalt eines Straßenjungen, das Modell des jungen Faun, oder ein tanzendes Mädchen, das beim Schall der Castagnetten und des Tambourin ihn mit ihren edlen, abgemessenen Bewegungen und ihrer naiven Schönheit unwillkürlich an die verschwundene Teresina erinnerte.
Alle die Freuden, die Lust, der Lärm zerstreuten schnell wieder die dunklen Schatten der Vergangenheit, welche vor den lachenden, rosigen Bildern der heiteren Gegenwart verschwinden mußten. Was der Künstler gesehen, gestaltete sich zu farbentrunkenen Gemälden, die seinen schnell erworbenen Ruhm befestigten und wo möglich noch vermehrten. Schon war sein Ruf über Rom hinaus nach Paris gedrungen, wo seine „Wallfahrt zur Madonna del Arco“ und sein „Improvisator“ auf der letzten Ausstellung im Louvre die größte Sensation erregten und ihn in die Reihe der ersten Maler stellten.
In der That schien die Kunst über Robert’s Liebe zu triumphiren, aber schon nach wenigen Monaten seines Aufenthaltes in Neapel verfiel er in seine frühere Melancholie; der Lärm der ewig brausenden Stadt widerte ihn an, er sehnte sich nach Ruhe und Einsamkeit, nach den Bergen seiner Heimath, nach dem Elternhause, wo er an dem Herzen einer geliebten Mutter Trost und Frieden zu finden hoffte.
Auf dem Rückwege wandelte Robert jedoch die Lust an, die pontinischen Sümpfe kennen zu lernen, deren wilde Poesie ihn anzog, obgleich der besorgte Bruder vor den Gefahren einer solchen Reise warnte. Aber mit der ihm eigenen Reizbarkeit beharrte Robert auf seinem Entschluß, so daß der jüngere Aurel sich wider Willen fügte.
Jetzt irrten sie schon seit mehreren Stunden auf unwegsamen Pfaden, ohne einem Menschen zu begegnen, erschöpft von der Hitze des Tages und der Anstrengung des weiten Rittes, in Gefahr, nicht einmal ein Obdach zu finden, da die Nacht bereits hereingebrochen war. Ihre Lage war um so peinlicher, da Robert auf der Reise krank geworden war und nur mit Mühe sich noch im Sattel hielt.
Vergebens strengte sich Aurel an, in der Dunkelheit ein Haus oder die Spur eines lebenden Wesens zu entdecken, nirgends zeigte sich in der öden verlassenen Gegend ein willkommenes Obdach. Zwar gestattete die milde Temperatur, die sich ein wenig abgekühlt hatte, den Aufenthalt im Freien, aber ein Nachtlager in diesen von den giftigen Dünsten der „Malaria“ geschwängerten Sümpfen konnte den Tod zur Folge haben, abgesehen von der Unsicherheit des verrufenen Buschwaldes.
Seine Verlegenheit war bereits auf das Höchste gestiegen, als das Gebell eines zottigen Wolfshundes an sein Ohr schlug und den gesunkenen Muth auf’s Neue belebte. Auf seinen Ruf antwortete ein alter Mann in der Tracht der dortigen Hirten und Landleute mit Vertrauen erweckender Stimme.
„Könnt Ihr uns,“ fragte Aurel, „die Nacht über beherbergen? Wir wollen es Euch reichlich lohnen.“
„Wollt Ihr mit meiner schlechten Hütte vorlieb nehmen, so sollt Ihr mir auch ohne Bezahlung von Herzen willkommen sein. Wenn wir auch arm sind, so haben wir doch niemals einen verschmachtenden Wanderer von unserer Thür gewiesen,“ versetzte der Greis mit patriarchalischer Würde.
Schon nach wenigen Minuten erreichten die Reisenden unter Führung des Alten das niedrige Haus, noch zur rechten Zeit, da Robert an der Schwelle bewußtlos niedersank. Ein plötzlicher Fieberanfall, wie er in den Sümpfen nicht selten vorzukommen pflegt, bedrohte sein Leben; wenige Stunden später lag er auf dem ärmlichen, aber reinen Lager von Maisstroh in wilden Phantasien.
Zum Glück fand der trostlose Bruder an seinem Wirth und dessen Familie den hilfreichsten Beistand und die innigste Theilnahme, indem die armen Leute Alles aufboten, was in ihren Kräften stand, um dem Kranken beizustehen. Besonders schien die Tochter des Hauses, ein junges, bleiches Mädchen von wunderbarer Schönheit, von dem Schicksal des Leidenden tief gerührt; sie [275] erklärte sich von freien Stücken sogleich bereit, mit Aurel an dem Bette des Kranken die Nacht über zu wachen, was jener nur mit Dank annahm.
Gleich der zärtlichsten Schwester erfrischte sie die fieberheißen Lippen des Bewußtlosen mit kühlem Wasser und netzte die brennenden Schläfen mit duftendem Essig, während sie jede seiner Bewegungen mit liebevoller Sorgfalt beobachtete, seine unverständlichen Wünsche zu errathen suchte.
Mit steigender Bewunderung beobachtete Aurel die sanfte Geduld, die rührende Opferfreudigkeit, das echt weibliche Mitgefühl des stillen, blassen Kindes, das ihm wie ein vom Himmel in der höchsten Noth gesandter Engel erschien. Fast unerklärlich und räthselhaft mußte ihm der schmerzliche Antheil vorkommen, den das seltsame Mädchen an dem kranken Robert nahm, da Aurel zu bemerken glaubte, daß zuweilen, wenn sie sich unbemerkt wähnte, Thränen ihre bleichen Wangen netzten, so daß er geneigt war, ihren Schmerz wie ihre Sympathie dem vor Kurzem erst erlittenen Verlust eines geliebten Todten zuzuschreiben.
Während Aurel, von unwillkürlichem Interesse gefesselt, diese Betrachtungen anstellte, saß sie selbst stillschweigend an dem Lager des Kranken und lauschte seinen wilden unheimlichen Fieberphantasien. In seiner bewußtlosen Verwirrung verrieth der abwesende Geist das tief verborgene Geheimniß des Herzens. Die brennenden Lippen murmelten und flüsterten den theuren Namen der Geliebten.
„Charlotte!“ rief er wiederholt im sinnbestrickenden Delirium, die abgezehrten Arme ausbreitend und nach dem wesenlosen Schatten mit zitternden Händen haschend.
Bei dem Klange dieses Namens zuckte das junge Mädchen zusammen, als ob es ein plötzlicher Schlag berührt hätte, und seine blassen Wangen wurden noch bleicher.
„Warum fliehst Du mich?“ stöhnte der Kranke mit geschlossenen Augen. „Ich verlange ja nichts weiter, als Dich zu sehn, zu hören. Zu Deinen Füßen will ich sitzen wie ein Kind, ohne Wunsch und Verlangen. Laß mich nur den Saum Deines Gewandes küssen. Nein, nein! Ich bin nicht würdig solchen Glückes. Zürne mir nicht, Corinna!“
Mit dieser Aufregung wechselte eine noch peinvollere Stille, wenn er schwieg, nur unterbrochen von den heftigen Athemzügen der gequälten Brust.
„Mein armer Bruder!“ klagte Aurel.
„Die heilige Madonna wird ihn beschützen,“ versetzte das Mädchen, mit gefalteten Händen zu dem Bilde der hülfreichen Gottesmutter betend, das über dem Bette des Leidenden hing, beleuchtet von dem schwachen Schimmer der darunter brennenden Lampe.
„Was willst Du, Teresina?“ flüsterte der Kranke von Neuem. „Armes Kind! Ich kenne Deine Schmerzen, die Qualen der unglücklichen Liebe. Wir müssen Beide elend sein. Wir können nicht vergessen und daran sterben wir.“
Ueberwältigt von ihrem Schmerz, schlich jetzt die treue Pflegerin leise aus dem niedrigen Zimmer, unter dem Vorwande, frisches Wasser zu holen. Als sie wiederkehrte, fand sie den Kranken ruhiger; eine wohlthätige Krisis, die bei solchen Fieberanfällen nicht selten plötzlich einzutreten pflegt, schien auch hier einen günstigen Ausgang erwarten zu lassen. Gegen Morgen war der Kranke in einen sanften Schlaf verfallen, der nach dem Ausspruche des erfahrenen Wirthes die Abnahme des verderblichen und öfters tödtlichen Fiebers verkündigte.
Zu der That erwachte Robert nach einem mehrstündigen, erquickenden Schlummer mit vollem Bewußtsein, wenn er sich auch noch so schwach und angegriffen fühlte, daß er sein Lager nicht verlassen konnte. Als er die Augen aufschlug, erkannte er seinen Bruder, dem er mit mattem, freundlichem Lächeln die Hand reichte. Zugleich fielen seine Blicke auf die Gestalt des jungen Mädchens, das, ohne seinen Dank abzuwarten, schnell durch die geöffnete Thüre sich entfernen wollte.
„Teresina!“ rief er mit lauter Stimme, so daß Aurel die Rückkehr der kaum geschwundenen Phantasien befürchtete.
Wie gebannt blieb sie stehen, das bleiche Gesicht mit den dunklen Augen nach dem Kranken unwillkürlich wendend.
„Nein, nein!“ sagte er beschwichtigend. „Ich träume nicht mehr, ich täusche mich nicht. Du bist es. Ich habe Dich wieder erkannt.“
„O! was thut Ihr, was wollt Ihr von mir?“ murmelte sie, sich wider Willen nähernd, als würde sie von einer geheimen magnetischen Gewalt angezogen.
„Welcher Zufall hat Dich hergeführt?“ fragte er verwundert.
„Ich glaubte, Du wärst nach Sonnino zurückgekehrt und längst die Gattin Caputi’s geworden.“
„Um seinen neuen Bewerbungen zu entfliehen, habe ich meinen Vater bewogen, die Heimath zu verlassen und zu meinem älteren Bruder zu ziehen, der sich schon vor einigen Jahren in den pontinischen Sümpfen angesiedelt und verheirathet hat. Während er und seine Frau draußen mit den Knechten die Ernte besorgen, hüten wir das Haus.“
„So habe ich Dir und Deinem Vater die Rettung meines Lebens zu verdanken?“
„Wir thun nur unsere Christenpflicht,“ erwiderte Teresina. „Der Himmel hat Eure Schritte wunderbar zu uns gelenkt, zu Euren alten Freunden.“
„Du hast Recht. Auch ich glaube an ein Wunder der waltenden Vorsehung,“ versetzte Robert, in Gedanken versinkend.
Trotzdem die Gewalt des Fiebers gebrochen war, fühlte sich der Kranke noch zu erschöpft, um seine Reise sogleich fortzusetzen, wogegen sich auch der besorgte Bruder entschieden erklärte. Er selbst war um so mehr mit diesem Entschluß einverstanden, da die Gegenwart Teresina’s ihn eher beruhigte, als aufregte, obgleich ihr Anblick ihn unwillkürlich an seine früheren Leiden erinnerte.
In dem ganzen Wesen des jungen Mädchens lag für ihn etwas Besänftigendes, eine wohlthuende Milde und sanfte Resignation, die ihn zugleich befremdeten und anzogen. Sie schien ihm wie verwandelt, ernster, tiefer und reifer geworden, so daß er nicht mehr jene geistige Beschränktheit an ihr zu tadeln fand. Der Ausdruck des schönen Gesichts kam ihm gleichsam veredelt und verklärt vor, auch in ihren Reden und Bewegungen glaubte er eine gewisse Feinheit und Gemessenheit zu entdecken, die er sonst an ihr vermißt hatte. Dazu kam noch, daß Aurel nicht müde wurde, die liebevolle Sorgfalt, die treue Pflege und innige Theilnahme Teresina’s in ihrer Abwesenheit ihm anzupreisen.
Deshalb war Robert um so mehr geneigt, noch einige Tage in ihrer Nähe zu verweilen, um sich erst vollständig von seiner Krankheit zu erholen. Gern nahm er die Gastfreundschaft des würdigen Vaters und Teresina’s an, die in ihn drangen, dem nahen Erntefest beizuwohnen, welches nächstens stattfinden sollte.
An einem heiteren klaren Abend, der mit seinem goldenen Licht selbst die öde Gegend zauberhaft verschönte, ging der genesene Maler in Begleitung Teresina’s und Aurel’s den heimkehrenden Schnittern entgegen. Bald erblickte er den reichbeladenen Erntewagen, gezogen von den prächtigen Stieren. Jetzt hielt das Gespann auf Befehl des Herrn, der Teresina’s Bruder war. Einer der Knechte sprang herab und hemmte mit kräftigem Ruck, gegen das Joch gestemmt, den Schritt der widerstrebenden Thiere, während ein Zweiter, bereit ihm beizustehen, in seinen Händen den eisernen Stachel gebieterisch wie ein König seinen Scepter schwang. Zur Seite schritten zwei gebräunte Mägde, in rhythmischer Bewegung zu den Tönen des Pisseraro tanzend, der die lustige Schalmei der Hirten ertönen ließ. Gleich einer Fürstin in ihrem goldenen Stuhl thronte die Frau des Hauses auf erhöhtem Sitz mit mütterlichem Stolz auf den Säugling an ihrer Brust niederblickend. Schnitter mit Sicheln bewaffnet und Arbeiterinnen mit goldenen Aehrengarben beladen schritten zu beiden Seiten des Wagens, gleich Priestern der fruchtbaren Erde. Die ganze Scene, vom Abendschimmer verklärt, athmete den wunderbaren Frieden der Natur, eine unaussprechlich sanfte Heiterkeit, indem sie zugleich an die patriarchalischen Zustände der Bibel, wie an das goldene Zeitalter der Menschheit erinnerte.
„Wer doch wie diese glücklichen Menschen leben könnte!“ flüsterte Robert seinem Bruder zu. „Eine angemessene Thätigkeit, ein holdes Weib, ein lächelndes Kind erscheinen mir als der Inbegriff aller erlaubten Wünsche. Was darüber geht, ist Thorheit und Verblendung, die sich früher oder später an uns rächt.“
Nach dem Abendbrod, wobei der Herr mit seinen Knechten an derselben langen Tafel saß und an dem auch Robert und sein Bruder sich betheiligten, erschallten von Neuem die Klänge des Pisseraro, zwei ländliche Tänze aufspielend. Der Hausherr mit seiner schönen Frau eröffnete den Reigen, dem sich die Schnitter [276] und Mägde anschlossen. Nur Teresina hielt sich fern von der steigenden Lust, indem sie zwischen den Tanzenden mit dem irdenen Henkelkruge gleich einer Hebe anmuthig schwebte, um die leeren Gläser zu füllen.
Sinnend verfolgte Robert die liebliche Erscheinung des holden Mädchens, nachdenklich über die wunderbare Fügung des Geschickes, welches ihm einen Ausweg aus dem verworrenen Widerstreit des Herzens, die rettende Hand aus dem schwindelnden Abgrund der Leidenschaft zu zeigen schien. Wenn er diese Mahnung der Vorsehung beachtete, wenn er durch einen kühnen Entschluß die gebotene Gelegenheit ergriff und dem Kampfe ein Ende machte: vielleicht war es noch möglich, glücklich zu werden und auch sie zu beglücken.
Eine Ahnung von der Größe ihrer Liebe erfüllte ihn, als er Teresina’s Hand ergriff und mit ihr die enge Stube verließ, wo bei dem Jubel des Festes ihre Abwesenheit nicht bemerkt wurde.
Auf der weiten Ebene ruhte eine tiefe, fast feierliche Stille, der Friede Gottes; am tief dunkelblauen Himmel leuchtete der sanfte Mond, hoch im reinen Aether glänzte mit hellem Schimmer der Stern der Liebe.
„Teresina,“ sagte Robert, das Schweigen unterbrechend, „ich fühle, daß diese Stunde über mein Leben entscheidet!“
„Sagt, was Ihr von mir verlangt,“ versetzte sie voll banger Erwartung.
„Du hast mir von Neuem Deine große Liebe bewiesen, mich vom Tode gerettet, an meinem Lager gewacht und gebetet. In meiner größten Noth bist Du mir wie ein rettender Engel erschienen.“
„Ich that nur meine Pflicht. Ihr seid der Wohlthäter meiner Familie.“
„Und dennoch habe ich Dich schwer gekränkt, Deine treue Hingebung schlecht vergolten. Kannst Du mir verzeihen?“
„Ich habe Euch nie gezürnt, Euch längst vergeben. Was könnt Ihr dafür, daß ich ein so thörichtes Kind war?“
„Wir wollen Beide zu vergessen suchen. Die Zeit vermag auch die schwersten Wunden zu heilen. Mit Deiner Hülfe hoffe ich noch vollends zu genesen.“
„Mit meiner Hülfe?“ fragte sie verwundert. „Sprecht, was kann ich dazu thun?“
„Wenn Du mir folgen, mich nicht mehr verlassen willst,“ erwiderte Robert, indem er ihre Hand ergriff, die sie ihm widerstandslos überließ.
„Wie sollte das möglich sein?“
„Als mein angetrautes Weib, als die Gefährtin meines Lebens.“
„Euer Weib!“ rief sie freudig zusammenschauernd, während sie im nächsten Augenblick traurig das liebliche Gesicht mit beiden Händen bedeckte.
„Zu spät!“ murmelte sie, bleich wie der Tod. „Ich kann ebenso wenig Euer Weib werden, wie ich jemals einem andern Manne gehören darf.“
„Und warum willst Du meine Hand zurückstoßen?“ fragte Robert, schmerzlich bewegt.
„Weil ich Euch besser kenne, als Ihr selbst Euch kennt. Nur die Verzweiflung hat Euch diesen Entschluß eingegeben. Ihr liebt die Prinzessin noch immer mit derselben Leidenschaft wie früher.“
„Aber ich schwöre Dir –“
„Schwört nicht; Ihr würdet nur einen Meineid begehen. Ich habe im Fieber wider Willen Euch belauscht; nur ihr Name schwebte auf Euren Lippen, nur sie betet Ihr an, wie kein anderes Weib auf Erden.“
„Deine Nähe wird ihr Bild mit der Zeit verscheuchen, soll mir den gestörten Frieden wiedergeben.“
„Nein, nein! Ich weiß es besser, daß dies unmöglich ist. Wer einmal wahr geliebt, der hört nicht auf zu lieben bis in den Tod. Ihr könnt sie nicht vergessen und würdet mich noch elender machen, als ich ohnehin schon bin.“
„Du zweifelst an meiner Aufrichtigkeit, aber ich habe mich selbst geprüft und reiflich überlegt. Mein Entschluß ist nicht das Werk augenblicklicher Verzweiflung, kein thörichter Einfall eines unbesonnenen Knaben. Du weißt, Teresina, daß ich ein Mann bin, dem Du vertrauen darfst, wie Du sonst mir vertraut hast. Ich werde Dich achten und hochhalten als mein treues Weib, als meine beste Freundin. Du sollst den Schritt niemals zu bereuen haben, das gelobe ich Dir bei dem Andenken an meine Mutter.“
„Vergebens! Ich darf niemals, niemals Euer Weib werden!“ entgegnete Teresina entschlossen.
„Was kann Dich daran hindern? Glaubst Du nicht meinen Worten, meinen Schwüren? Liebst Du mich nicht wie früher, Teresina?“
„Fragt mich nicht!“ bat das junge Mädchen. „Dring nicht in mich. Ihr seht, wie ich leide.“
„Nein, nein! Ich will, ich muß den Grund Deiner Weigerung wissen.“
„Wohlan!“ sagte sie nach einem kurzen innern Kampf. „Ihr sollt ihn erfahren, damit Ihr mich nicht für zu schlecht oder treulos haltet. Als ich in jener Nacht an Eurem Krankenlager saß und an Eurer Rettung verzweifelte, da gelobte ich der heiligen Jungfrau, mich für immer ihrem Dienste zu weihen, wenn sie Euch vor dem sichern Tode retten würde. Die Gebenedeite erhörte erbarmungsvoll mein Gebet; ich sah, wie sie huldvoll mit dem gekrönten Haupte mir Gewährung nickte. Am nächsten Morgen waret Ihr durch ihre Hülfe genesen; ich aber bin durch mein Gelübde gebunden und werde schon in diesen Tagen als Novize in das Kloster der grauen Schwestern treten, um fortan die Kranken und Unglücklichen zu pflegen.“
„Teresina!“ rief Robert, tief ergriffen.
„Jetzt wißt Ihr,“ fuhr sie nach einer Pause mit bebender Stimme fort, „warum ich Euch nicht angehören kann, selbst wenn ich wollte. Und nun bitte ich Euch, mir den schweren Kampf nicht noch schwerer zu machen, da ich fest entschlossen bin, mein Gelübde zu erfüllen. Wir müssen scheiden für immer, auf ewig.“
„Auf ewig!“ seufzte Robert, indem er tief erschüttert das weinende Mädchen zum letzten Male in seine Arme schloß und einen Kuß auf ihre reinen Lippen drückte.
[302]Jahre waren seit jenen schmerzlichen Ereignissen verflossen, Jahre der schwersten Kämpfe, aus denen Robert endlich siegreich hervorgegangen war, so daß er es wagen durfte, nach Rom zurückzukehren und vor den alten Freunden zu erscheinen, nachdem er zuvor während seiner langen Abwesenheit neue Triumphe in Paris gefeiert und einige Zeit in dem Elternhause an dem Herzen seiner Mutter geruht hatte.
Bei seiner Wiederkehr kamen ihm der Prinz und seine hohe Gattin wohl mit der früheren Herzlichkeit entgegen, obgleich Beide eine gewisse Befangenheit und Unruhe dem aufmerksamen Beobachter nicht zu verbergen vermochten. Augenscheinlich befand sich die Familie der Napoleoniden in einer erklärlichen Aufregung, hervorgerufen durch die gleichzeitige Nachricht von der in Paris vollbrachten Julirevolution.
Das Beispiel des französischen Volkes, welches in drei heißen Tagen die verhaßte Regierung gestürzt und die Bourbonen verjagt, wirkte wie ein Feuerbrand auf die übrigen mehr oder minder geknechteten Nationen Europas, vor Allem auf die leicht entzündbaren Italiener. Das ganze Land stand in revolutionären Flammen, geschirrt von den geheimen Gesellschaften der Carbonari und dem Haß der Patrioten gegen die österreichische Fremdherrschaft.
Vermöge ihrer eigenthümlichen Stellung bildeten die Napoleoniden, die Verwandten und Erben des Kaisers, den Mittelpunkt einer weitverzweigten, über die ganze Halbinsel bis nach Frankreich sich erstreckenden Verschwörung. Es handelte sich zunächst um nichts Geringeres, als um die Einheit und die Freiheit Italiens, in zweiter Linie um den Thron des ersten Napoleon, um die Wiederherstellung der früheren Weltmacht, um die Verwirklichung der niemals aufgegebenen Pläne eines ehrgeizigen Geschlechtes.
Der Prinz selbst hatte von Paris und von Corsica her die Aufforderung erhalten, sich an die Spitze einer neuen Bewegung zu stellen. Wenn er noch zögerte, so geschah dies aus Rücksicht auf seine Mutter, die bekannte Königin Hortense, und aus Liebe für seine Gattin, welche von jedem gewagten Schritte abriethen. Um so mehr drangen die übrigen Glieder der Familie, vor allen sein jüngerer Bruder Louis, auf ihn ein, sich der täglich zu erwartenden Revolution anzuschließen.
Unter diesen völlig veränderten Verhältnissen sah jetzt Robert die befreundete Familie wieder; der stille Kreis hatte sich in einen politischen Club verwandelt, die durch Geist und Liebenswürdigkeit ausgezeichnete Gesellschaft in einen Cirkel verwegener Verschwörer. Verdächtige Elemente, fremde Emissäre und Agenten der geheimen Verbindungen, welche sich über das ganze Land ausbreiteten, kamen und verschwanden wieder. Statt der geistvollen Unterhaltung über Kunst und Wissenschaft, statt des heiter anregenden Verkehrs herrschte jetzt die patriotische Phrase oder das noch gefährlichere Flüstern und Brüten der Conspiration.
Nur die Prinzessin hielt sich von dem verdächtigen Treiben frei, das sie mit sichtlicher Trauer erfüllte, als ob sie ein nahes großes Unglück fürchtete. Mit dem früheren Vertrauen gestand sie Robert ihre Besorgnisse in einem jener jetzt seltenen Augenblicke, wo es ihr vergönnt war, ihn allein zu sprechen.
„Der gute Geist,“ sagte sie tief bewegt, „ist von uns gewichen, seitdem Sie uns verlassen haben. Unsere friedlichen Abende werden niemals wiederkehren. Sie sehen, wie sich Alles hier verändert hat. Napoleon denkt und träumt nur von Verschwörungen und Revolutionen. Er selbst ist nicht ehrgeizig, aber er wird von allen Seiten gedrängt. Ich zittere für sein Leben, für seine Sicherheit. Die Thoren werden ihn und sich verderben.“
„Und vermögen Sie nicht, ihn zurückzuhalten? Er wird gewiß auf Ihre warnende Stimme hören,“ tröstete Robert voll inniger Theilnahme.
„Ich bin nur eine arme Frau, die keine anderen Waffen hat, als ihre Bitten und Thränen. Er lächelt über meine Befürchtungen und spottet meiner Angst. In seinen Augen bin ich blos ein furchtsames Kind, vor dem er seine geheimen Pläne sorgfältig verbirgt. Ich besitze nicht mehr sein Vertrauen, er verachtet meine Warnungen, indem er sich von seinem Bruder beherrschen läßt, der ihn mit sich fort in den Abgrund reißt.“
„Ich glaube, daß Ihre Besorgnisse zu weit gehen. Wie ich den Prinzen kenne, halte ich ihn keiner solchen Thorheit fähig. Er ist zu besonnen, um sich in ein Unternehmen einzulassen, das so wenig Aussicht auf Erfolg hat.“
„Das ist auch meine Meinung, aber er hört nicht auf mich, sondern nur auf Louis, der eine dämonische Macht auf Napoleon übt. Ich zittere vor dem Augenblick, wo dieser mit seiner Mutter in Rom eintreffen wird. Wie ich sicher weiß, steht er mit den Häuptern der Carbonari, mit Orsini und Menotti, in Verbindung. Seine Ankunft wird das Signal zu einem Aufstande in Rom geben; zu gleicher Zeit soll die Revolution in Modena losbrechen. Alle Vorbereitungen sind getroffen. Nur Sie allein können mich und meinen Gatten retten.“
„Was vermag ich in dieser Angelegenheit zu thun, da ich diesem politischen Treiben fern stehe?“
„Napoleon ist Ihr Freund, er achtet und schätzt Ihre Einsicht, die Klarheit und Sicherheit Ihres Urtheils. Gerade weil Sie vollkommen unparteiisch die Verhältnisse betrachten, wird er auf Ihre Ansicht ein um so größeres Gewicht legen. Sie kommen aus Paris und kennen aus unmittelbarer Anschauung die Stimmung des Volkes, die Gesinnung der Führer. Wie ich aus den Zeitungen ersehe, hat Louis Philipp Sie ausgezeichnet und zu sich geladen. Sie haben ihn gesprochen, seine Umgebung beobachtet, mit den ersten Männern in Paris verkehrt und sich gewiß über die dortigen Zustände besser unterrichtet, als wir hier in Rom. Ich fürchte, daß Napoleon sich selbst täuscht und von seinen Freunden getäuscht wird. Sie allein können ihm den Wahn benehmen, seine Illusionen zerstören und durch die Darstellung der ungeschminkten Wahrheit ihm und mir den größten Dienst leisten.“
„Ich will es versuchen, selbst auf die Gefahr, den Prinzen durch meinen unberufenen Rath zu erzürnen,“ versetzte Robert, erfreut, der hohen Frau seine unveränderte Ergebenheit beweisen zu können.
Schon am nächsten Tage fand er die erwünschte Gelegenheit, dem Prinzen die nöthige Aufklärung über die französischen Zustände zu geben, die er aus eigener Beobachtung in Paris hinlänglich kennen gelernt hatte, wo er während seines Verweilens in den höchsten Kreisen und besonders in der Familie Orleans mit Auszeichnung empfangen wurde.
„Sie werden dem Freunde verzeihen,“ sagte Robert, „wenn ich Ihnen offen meine Besorgnisse über die eigenthümliche Lage ausspreche, in der ich Sie bei meiner Rückkehr wiedergefunden habe. Ich kann es wohl begreifen, daß die letzten großen Ereignisse auch Sie tief erschüttert und Ihr bisheriges Stillleben unterbrochen haben. Man ist nicht umsonst der Träger eines weltgeschichtlichen Namens, mit dem sich so viele und bedeutende Aussichten und Hoffnungen verbinden.“
„O! dieser Name,“ erwiderte der Prinz, „ist mein, ist unser Aller Unglück. Er legt uns Verpflichtungen auf, die mich in diesem Augenblick zu Boden drücken. Ganz Italien sieht auf uns und erwartet von mir das Zeichen seiner Befreiung. Darf ich die in mich gesetzten Hoffnungen täuschen? Ich bin der Erbe des Kaisers, seines Ruhms und seiner Größe, ein Napoleon und muß, wie er, dem Ruf des Volkes folgen.“
„Und glauben Sie wirklich, Prinz, daß das italienische Volk die Kraft besitzt, sich selbst zu befreien? Ich fürchte, daß Sie sich irren. Der beabsichtigte Aufstand wird wiederum an den österreichischen Bajonneten scheitern.“
„Hat Frankreich sich nicht gegen jede fremde Intervention im Voraus erklärt? Es wird nicht dulden, daß Oesterreich sich in unsere Angelegenheiten mischt.“
„Leider muß ich Ihnen diesen Wahn benehmen. So wie ich Louis Philipp und seine Minister kenne, wird er eher das Princip der Nichtintervention, als seinen Vortheil opfern. Er fürchtet sich mehr vor dem Schatten des Kaisers, als vor der öffentlichen Meinung. In dem Augenblick, wo ein Napoleon sich an die Spitze der italienischen Bewegung stellt, wird er Oesterreich [303] gewahren lassen und lieber auf seine Popularität verzichten, als einem Napoleoniden die Hand reichen.“
„Ganz Frankreich wird ihn zwingen, uns beizustehen. Noch schwankt sein Thron, noch ist seine Herrschaft keineswegs befestigt. Er ist verloren, wenn er Italien nicht unterstützt, die Freiheit verräth und die dreifarbige Fahne ungestraft beschimpfen läßt,“ erwiderte der Prinz mit Heftigkeit.
„Sie täuschen sich,“ versetzte Robert, „über die gegenwärtige Stimmung in Frankreich. Die allein mächtige Bourgeoisie, welche Louis Philipp auf den Thron gesetzt, sehnt sich nach Ruhe. Sie kennt nur ein Losungswort: Geld und Genuß.“
„Aber das Volk und das Heer, die den Kaiser anbeteten!“ unterbrach ihn heftig der Prinz.
„Das Volk ist von Parteien zerrissen, das Heer unentschlossen, ohne Führer.“
„Man hat uns vergessen!“ rief schmerzlich der Prinz.
„Ich bin Ihnen die Wahrheit schuldig, wenn Sie auch darunter leiden.“
„Ich glaube Ihnen, obgleich die Berichte unserer Agenten anders lauten. Unsere Freunde in Paris haben uns die Lage weit günstiger dargestellt, so daß ich im Begriff stand, mich der Revolution anzuschließen.“
„Mißtrauen Sie diesen von Leidenschaft erfüllten Fanatikern, lassen Sie sich nicht von den geheimen Agenten verführen, welche bei jeder Revolution nur zu gewinnen suchen. Namen wie der Ihrige üben einen eigenen Zauber aus, sind aber zugleich einer großen Gefahr ausgesetzt, als Spielball der Parteien zu dienen. Vergeben Sie meiner Aufrichtigkeit, aber nach meiner Ueberzeugung dürfen Sie nicht dem Schicksal vorgreifen, nicht auf die Stimmen des Ehrgeizes hören, wenn Sie nicht als Abenteurer enden wollen.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Warnung, obgleich Sie meine schönsten Hoffnungen zerstören. Was aber auch kommen mag, so rechne ich darauf, daß Sie mein Freund, der Freund meiner Familie bleiben werden.“
In der That schien der Prinz seit dieser Unterredungen seine gefährlichen Pläne gänzlich aufgegeben zu haben, indem er sich hauptsächlich auf den uneigennützigen Rath Robert’s entschloß, den Bitten seiner Gattin nachzugeben und das aufgeregte Rom mit dem ruhigen Florenz zu vertauschen, wo er fortan in der Nähe seines Vaters, des früheren Königs von Holland, fern von allen revolutionären Umtrieben, zu leben gedachte.
Indeß war die Gefahr keineswegs beseitigt, da die Verschwörung im Stillen ihren Fortgang nahm, wenn gleich der Prinz sich nicht mehr daran betheiligte. Nachdem er sich zurückgezogen, richteten die Mitglieder der geheimen Gesellschaften jetzt ihre Blicke auf seinen jüngeren Bruder Louis, der augenblicklich noch bei seiner Mutter in Arenenberg am Bodensee verweilte, aber zu dieser Zeit in Rom erwartet wurde, wo die Königin Hortense die Wintermonate bei ihrer Familie zu verleben pflegte.
Einige Wochen später fand eine Versammlung der Carbonari in den römischen Katakomben statt; unter den Verschworenen befand sich ein junger Mann von ungefähr einundzwanzig Jahren, der von allen Anwesenden mit besonderer Auszeichnung behandelt wurde.
Trotz seiner Jugend machte sich seine geistige Überlegenheit bald bemerkbar, obgleich seine Züge keineswegs seine Bedeutung sogleich verriethen. Die kurze, gedrungene Gestalt ließ ihn, besonders wenn er stand, kleiner erscheinen als er wirklich war, entbehrte aber nicht einer gewissen Kraft und Eleganz, gepaart mit selbstbewußter Würde. Auf den ersten Anblick zeigte sein Gesicht einen träumerisch apathischen Ausdruck, eine schläfrige Abspannung, die jedoch nur den oberflächlichen Beobachter wie eine vorgehaltene Maske täuschen konnte. In Momenten der Aufregung schwand plötzlich die natürliche oder nur erkünstelte Ruhe, die matten Augen leuchteten, der verschlossene Mund öffnete sich, die starre Physiognomie belebte sich wunderbar und verrieth fast wider Willen eine seltene Intelligenz, eine glühende Phantasie und Leidenschaftlichkeit, die jedoch stets durch den berechnenden Verstand gezügelt und beherrscht wurde, während eine ungewöhnliche Energie den Grundzug seines Charakters bildete und sich in seinen Reden und Bewegungen offenbarte.
Der junge Mann war der Bruder des Prinzen, Louis, der gegenwärtige Kaiser der Franzosen, damals nur noch ein unbekannter Verschwörer, verzehrt von Ehrgeiz, berauscht von den zauberischen Erinnerungen seines Geschlechtes.
„Ihr habt mein Wort,“ sagte er zu den Genossen, „das Wort eines Napoleoniden. Ich bin der Eurige und will für die Freiheit und Einheit Italiens mit Euch leben und sterben.“
„Schwöre!“ rief der Vorsitzende der Carbonari.
Auf einen Wink desselben richteten die Mitglieder der geheimen Gesellschaft ihre bisher verborgenen Dolche gegen die Brust des jungen Mannes, der trotz seiner Selbstbeherrschung kaum merkbar zitterte.
„Möge mich der Tod von Eurer Hand treffen, wenn ich jemals die Freiheit verrathen, die Einheit Italiens jemals antasten sollte!“
„Tod dem Verräther!“ riefen die Verschwornen, indem sie einzeln die dunklen Katakomben verließen.
Louis aber schlug den Weg nach dem Palaste des Fürsten Ruspoli ein, wo ihn seine Mutter, die Königin Hortense, mit Ungeduld erwartete. In ihrer Gesellschaft befanden sich sämmtliche älteren Mitglieder der Familie Bonaparte, der Fürst Lucian von Canino, Jerôme, der frühere König von Westphalen, und der Cardinal Fesch, der Oheim des Kaisers. Nur die greise Lätitia, die unglückliche Ahnherrin des berühmten Geschlechtes, fehlte heute, da sie durch einen Bruch ihres Fußes, den sie sich bei einem Ausgange zugezogen hatte, an ihr Lager gefesselt wurde. Bei seinem Eintritte richteten sich die Blicke aller Anwesenden auf den jungen Mann, der eine vollkommene Unbefangenheit heuchelte, obgleich er sogleich ahnte, daß die Versammlung zu so ungewohnter Stunde nur ihm allein gelten konnte.
„Louis,“ sagte die bekümmerte Mutter, „Deine Verwandten sind unzufrieden mit Deinem Verhalten. Sie haben sich bei mir beklagt, daß Du durch Deine Thorheiten ihren Interessen schadest, unseren Namen compromittirst.“
„Das sind harte Beschuldigungen,“ erwiderte er mit erkünstelter Ruhe, „die ich hoffentlich leicht widerlegen kann.“
„Du hast Dich,“ nahm jetzt der Cardinal Fesch das Wort, „vielfach auf dem Corso sehen lassen mit der verpönten Tricolore an der Schabracke Deines Pferdes, obgleich Du weißt, daß die dreifarbigen Bänder in Rom verboten sind.“
„Ich glaube, daß Sie mir am wenigsten einen Vorwurf daraus machen können, da Sie selbst einst die Tricolore trugen.“
„Das waren damals andere Zeiten,“ versetzte der Kirchenfürst verlegen. „Man muß sich in die gegebenen Verhältnisse schicken, um jeden Verdacht zu vermeiden. Außerdem suchst Du geflissentlich die Gesellschaft berüchtigter Verschwörer, mit denen Du vorzugsweise hier verkehrst. Die Polizei beobachtet Dich.“
„Mag sie mich beobachten, wenn es ihr Vergnügen macht. Ich verachte diese geheimen Spione und Sbirren einer ohnmächtigen Regierung.“
„Aber wir sind dieser Regierung zu großem Dank verpflichtet,“ bemerkte Lucian. „Sie allein hat uns ein Asyl gewährt, als wir von der ganzen übrigen Welt mit Verachtung zurückgewiesen wurden, verfolgt und verbannt, nirgends eine Zufluchtsstätte fanden. Der verstorbene Papst war unser Wohlthäter und hat uns zu einer Zeit beschützt, wo wir nur Feinde und Gegner hatten. Die gewöhnliche Klugheit verlangt, daß wir den römischen Stuhl schonen.“
„Der Stuhl ist zerbrochen und der geringste Anstoß wird ihn zertrümmern. Zwar verkenne ich nicht die persönlichen Verdienste des verstorbenen Papstes, aber das darf uns nicht abhalten, die weltliche Herrschaft des Papstthums zu bekämpfen, als das Haupthinderniß für die Freiheit und Einheit Italiens, gerade wie der Kaiser sie bekämpft hat.“
„O, Du bist unverbesserlich,“ rief der erzürnte Cardinal. „Wenn Du so fortfährst, vermag Dich selbst mein Ansehen nicht länger zu schützen. Der Gouverneur der Stadt ist heute schon bei mir gewesen und hat mich aufgefordert, Deiner Mutter den Rath zu ertheilen, Dich auf einige Wochen aus Rom zu entfernen, um Dir große Unannehmlichkeiten zu ersparen. Obgleich ich dem Gouverneur das Recht zu einer solchen Maßregel bestritten habe, so lange keine begründete Klage gegen Dich vorliegt, so halte ich es doch für gerathen, den gegebenen Wink zu beherzigen.“
„Und was sagt meine Mutter?“ fragte Louis, den Blick auf das liebevolle Gesicht der Königin Hortense gerichtet.
„Du weißt, mein Sohn,“ sagte die so vielgeprüfte Frau [304] mit sanfter Stimme, „wie sehr ich Dich liebe. Als ich heute unter den Hallen des Pantheon kniete, betete ich, daß es meinen Kindern wohlergehen und ich vor ihnen sterben möge. Vergiß nicht, daß das Herz einer Mutter vor jeder Gefahr zittert, die ihren Kindern droht. Deshalb bitte, beschwöre ich Dich, Dein Leben zu schonen und Dich nicht an einem Unternehmen zu betheiligen, das Dir und uns Allen nur zum Verderben gereichen muß. Nach meiner Ansicht hast Du die weit schönere Aufgabe, die Gemüther durch alle Dir zu Gebote stehenden Mittel zu beruhigen.
Der Mann, der sich von dem ersten Besten überreden und leiten läßt, ohne seine eigene Vernunft zu befragen und zu prüfen, wird zeitlebens unbedeutend bleiben. Du trägst einen großen Namen, aber Du darfst ihn nur dazu gebrauchen, in Zeiten einer Revolution die Ordnung wiederherzustellen und die Schwachen zu beschützen. Die einzige Rolle, welcher Deiner würdig ist, besteht darin, mit Geduld und Ergebenheit das Dir von der Vorsehung bestimmte Loos zu erwarten.“
[318] Während Hortense sprach, beobachtete Louis ein tiefes, ehrfurchtsvolles Stillschweigen; eine tiefe Bewegung zuckte durch das sonst so starre Gesicht und die innigste kindliche Liebe sprach aus seinen gewöhnlich glanzlosen Augen. Erschüttert beugte er sich auf ihre weiße, abgezehrte Hand, auf die er voll Pietät seine stummen Lippen drückte mit niedergeschlagenen Blicken, als wagte er nicht, ihr in das forschende, von mütterlicher Sorge erfüllte Antlitz zu sehen.
Als die Verwandten gegangen waren, blieben Hortense und ihr Lieblingssohn noch wach im lebhaften Gespräch. Wohl zitterte auf seinen Lippen das Geständniß seiner Schuld, aber der abgelegte Schwur verschloß sie wieder, selbst wenn er den Muth gehabt hätte, die zärtlich geliebte Mutter durch ein solches Bekenntniß zu betrüben. Als er erst spät nach Mitternacht zu Bett ging, träumte er von blutigen Kämpfen, von dunklen Kerkern, von einer Kaiserkrone und von seiner – Mutter. Noch schlief er, als Hortense durch ein ungestümes Klopfen an ihrer Thür geweckt wurde. Nachdem sie mit Hülfe ihrer ergebenen Kammerfrau sich angekleidet hatte, befahl sie zu öffnen.
„Was giebt es?“ fragte sie den bestürzten Diener.
„Der ganze Platz ist von Bewaffneten umstellt. Päpstliche Truppen, an deren Spitze ein Officier steht, begehren Einlaß und wollen die Herzogin von St. Leu sprechen.“
[319] „So führe ihn herein!“ befahl die zitternde Hortense, ein neues Unglück befürchtend.
„Ihre Hoheit werden verzeihen,“ sagte der eingetretene Officier, „wenn ich störe. Aber ich habe den Befehl erhalten, den Prinzen Louis aufzufordern, mir auf der Stelle, angesichts meiner Ordre, zu folgen.“
„Mein Sohn verhaftet, gefangen!“ rief die erschrockene Mutter. „Was hat er verbrochen?“
„Darüber kann ich Ihrer Hoheit keine Auskunft geben. Es handelt sich auch nicht um eine Verhaftung, sondern nur um eine Ausweisung des Prinzen aus dem Kirchenstaate. Mein Befehl lautet, ihn ohne Aufenthalt bis zur toscanischen Grenze zu geleiten.“
„Sie geben mir das Leben wieder. Doch Sie gestatten, daß ich meinen Sohn vorbereite und von ihm Abschied nehme,“ erwiderte Hortense, einigermaßen beruhigt.
Schon nach wenigen Augenblicken erschien der Prinz in Begleitung seiner Mutter, äußerlich ruhig und bereit, dem Officier ohne Widerstreben zu folgen, obgleich innerlich empört über diese willkürliche Maßregel der päpstlichen Regierung, die er lediglich seinem gefürchteten Namen und der dreifarbigen Schabracke seines Pferdes zu verdanken hatte.
Hortense selbst war mit diesem Ausgang keineswegs unzufrieden, da sie den Prinzen lieber in Florenz in der Nähe seines Vaters und Bruders wußte, als in der Gesellschaft der römischen Verschwörer. Gern wäre sie sogleich mit ihm gegangen, aber da sie von ihrem Gatten geschieden war und die leidende Lätitia, für die sie die höchste Verehrung fühlte, in ihrer Krankheit nicht verlassen wollte, sah sie sich gezwungen, auf ihren Wunsch zu verzichten.
Ohne fernere Abenteuer gelangte Louis nach Florenz, wo er vorläufig in dem Palast seines Vaters einige Zeit verweilte. Der frühere König von Holland lebte in dem düstern Hause in strengster Zurückgezogenheit, getrennt von seiner übrigen Familie, deren politischen Ehrgeiz er keineswegs theilte, weshalb er auch mit seinem jüngeren Sohn wenig oder gar nicht stimmte, der dafür der Liebling seiner Mutter Hortense war.
Um so herzlicher wurde Louis von seinem älteren Bruder begrüßt, während die Prinzessin Charlotte von Neuem seinen gefährlichen Einfluß fürchtete, indem sie unbewußt eifersüchtig auf seinen dämonischen Zauber war und ihn mit mißtrauischen Blicken fortwährend beobachtete.
Tief verletzt durch die neue Willkür der päpstlichen Regierung und den ihm zugefügten Schimpf, brütete er im Stillen über seine Rache, zu der ihm noch früher, als er erwartete, die Gelegenheit geboten wurde.
Während in Florenz die größte Ruhe herrschte, war der Aufstand in der Romagna und in Modena ausgebrochen. Hier hatte der kühne Menotti die Fahne des Aufruhrs erhoben und trotzdem er verwundet in die Hände seines grausamen Feindes fiel, den feigen, elenden Herzog Franz gezwungen, die Flucht zu ergreifen. Gleichzeitig traf die Nachricht ein, daß auch Bologna sich im vollen Aufstand befand, den päpstlichen Legaten verjagt und eine neue provisorische Regierung eingesetzt hatte.
„Sieg, Sieg!“ jubelte Louis seinem älteren Bruder entgegen. „Wir dürfen nicht länger zögern, wenn wir nicht Alles verlieren, unsere Ehre, unsern Namen einbüßen wollen. Der Tag der Rache, der große Augenblick ist gekommen, wo wir uns an die Spitze der Bewegung stellen müssen. Von Neuem leuchtet der Stern Napoleon’s seinen Erben.“
„Vielleicht nur ein Irrlicht!“ mahnte düster der besorgte Prinz.
„Wie! Du zögerst vor der großen Entscheidung? Muth, Muth, Napoleon! Nur wer da wagt, gewinnt! Italien hat sich erhoben, bald folgt ihm Frankreich nach, von der Gewalt der Ereignisse fortgerissen. Der Thron des elenden Bürgerkönigs stürzt zusammen und auf seinen Trümmern bauen wir ein neues Reich. Jetzt oder nie! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Ich habe Alles im Stillen vorbereitet, unsere Pferde stehen gesattelt. Ein kühner Ritt trägt uns in das Lager der Revolution, die wir nur als Mittel zum Zwecke nützen. Entschließe Dich, oder ich gehe allein!“
„Laß mich wenigstens mit Charlotte sprechen!“
„Wo denkst Du hin? Ein unbedachtes Wort von ihr, und wir sind verrathen. Unser Vater würde uns mit Gewalt festhalten, im Nothfall uns selbst der toscanischen Regierung ausliefern.“
„So will ich schriftlich von ihr Abschied nehmen!“
„Damit man uns nachsetzt, unsere Spur verfolgt! Fort mit dieser Schwäche! Wo es sich um Kronen handelt, dürfen wir uns nicht von Weiberthränen rühren lassen.“
„Sie wird mir nie vergeben!“
„Wenn Du ihr ein königliches Diadem in die Haare flichtst, wird sie Dir verzeihen und lächeln. Um diesen Preis ist jedes Weib zu kaufen.“
So drängte und trieb er den schwankenden Bruder, der ihm widerstandslos folgte, der geistigen Ueberlegenheit, der dämonischen Gewalt sich unwillkürlich beugend.
Wenige Minuten später sprengten zwei Reiter in wildem Galopp durch das Thor von Florenz, welches nach Bologna führte, wo sie mit offenen Armen von dem ihnen entgegenjubelnden Volke empfangen wurden.
Von banger Ahnung ergriffen, wartete die Prinzessin Charlotte von Stunde zu Stunde vergeblich auf die Rückkehr ihres Gatten, der nach der Aussage des Bedienten mit seinem jüngeren Bruder einen Ritt in’s Freie unternommen. Angsterfüllt eilte sie zu dem Vater, um bei ihm Trost und Beruhigung zu suchen. Erst gegen Morgen kehrten die von ihr ausgesandten Boten mit der unterwegs erfahrenen Nachricht zurück, daß die Flüchtlinge sich der Revolution angeschlossen.
„Das hat Louis gethan!“ grollte der Vater.
„Und Napoleon hat mich so verlassen können!“ schrie die Unglückliche, in höchstem Schmerz zusammenbrechend. „Ich werde ihn niemals wiedersehen!“
Während in Modena und in der Romagna die Revolution vorläufig siegte, überließ sich das Volk in Rom der heiteren Lust des Carnevals und der Freude über die Wahl eines neuen Papstes. Aus den Fenstern, von den Balconen hingen bunte Teppiche, gleichsam die Decorationen des beginnenden Schauspiels. Bis zu dem höchsten Stockwerk hinauf saßen Kopf an Kopf gedrängt Männer, Frauen und Kinder im besten Staat, das Publicum dieser einzigen Festvorstellung.
Die Piazza del Popolo mit den benachbarten Straßen bildete den riesigen Festsaal, dessen Wände die zum Himmel aufsteigenden geschmückten Paläste zu beiden Seiten abgaben, durchfluthet und durchbraust von der unzählbaren Menschenmenge in den verschiedensten Trachten und Verkleidungen.
Hier sah man einen gewandten Arlechin, dort den täppischen Polichinell, Doctoren mit mächtigen Spritzen bewaffnet, Advocaten mit langen Allongenperücken, welche jedem Vorübergehenden mit einem Proceß drohen, gehörnte Teufelmasken, Charlatane in rothen Tressenröcken, die ungeheure Flaschen zeigen und ihre Wunderelixire anpreisen, Mohren, Türken, wilde Indianer, der unvermeidliche Engländer mit rothen Haaren und schief im Nacken sitzenden Hut. Das Alles schwirrt, schwärmt, tobt, lacht, jauchzt in übermüthiger Ausgelassenheit.
Von den Balconen, auf denen die schönsten Frauengestalten saßen, aus den Fenstern fiel ein Regen von Confetti, Blumen, Zuckerwerk, ein Hagel von Kreidekugeln auf die vorüberströmenden Masken, welche die Neckerei mit einem ähnlichen Bombardement erwiderten. Dazwischen drängten sich männliche und weibliche Confetti-Verkäufer und Blumenhändler mit dem grellen Ruf: „Ecco fiori, ecco fiori!“
Aber trotz der allgemeinen Fröhlichkeit und der ausgelassenen Lust schwebte über dem römischen Carneval des Jahres 1831 eine eigenthümlich drückende Schwüle; mitten in dem bunten Getümmel erblickten die Eingeweihten oder die schärferen Beobachter das Gespenst der Revolution. Unter der Larve funkelte ihr blitzendes Auge, unter den Blumen barg sie ihre Waffen, unter der bunten Harlequinsjacke ihre verwegenen Anschläge.
Aus dem wogenden, lachenden, schreienden Menschenstrom tauchten allerlei verdächtige Gestalten auf, jüngere und ältere Männer mit besonderen Abzeichen versehen, die sich heimlich die Hände in eigenthümlicher Weise drückten, mit einander flüsterten und sich das Losungswort zuraunten, wenn sie sich unbeachtet glaubten.
[320] Aber der wachsamen Polizei war ihr Treiben nicht entgangen. Zahllose Sbirren waren in den verschiedenen Theilen der Stadt in den Straßen aufgestellt, größere Militärposten auf den öffentlichen Plätzen versammelt, die Wachen an den päpstlichen Gebäuden verdoppelt, ohne Aufsehen zu erregen, so daß das leichtlebige Volk diese Vorsichtsmaßregeln kaum bemerkte und sich darum nicht weiter kümmerte.
Noch hatte der prächtige Wagen-Corso nicht begonnen, noch fehlte der eigentliche Glanzpunkt des Festes, das Wettrennen der Pferde, das mit steigender Spannung erwartet wurde. Plötzlich verbreitete sich die unwillkommene Nachricht, daß die römische Regierung den Corso untersagt, das so beliebte Pferderennen der „Barberi“ verboten habe. Zugleich setzte sich eine Abtheilung von päpstlichen Dragonern und Carabinieri in Bewegung, um den Volksplatz und die daran grenzenden Straßen von dem Maskenschwarm zu säubern. Die Menge schimpfte, fluchte, drängte und stieß sich, verdrießlich über die unwillkommene Störung, von Furcht erfüllt und sich in Muthmaßung dieses unerhörten Befehls erschöpfend.
Die allgemeine Verwirrung wurde durch den plötzlichen Knall einiger Schüsse auf das Höchste gesteigert, denen eine regelmäßige Flintensalve des Militärs folgte. Zu demselben Augenblick stürzte sich auf ein gegebenes Zeichen jener verdächtige Maskentrupp auf die überraschten Soldaten; der Straßenkampf entwickelte sich und an die Stelle des heiteren Carnevals war die düster blutige Revolution getreten.
Unter den überraschten Zuschauern dieser ebenso seltsamen wie aufregenden Scene befand sich auch Robert, der sich in das bunte Maskentreiben gemischt hatte, um seinen Schmerz über die Abwesenheit der geliebten Freunde zu vergessen. Plötzlich fühlte er sich von einer weichen Frauenhand ergriffen und aus dem gefährlichen Getümmel fortgezogen. Vor ihm stand die Maske einer schönen Gärtnerin, im kurzen grünen Kleidchen, den Blumenkorb voll Grazie auf dem Haupte balancirend.
Eine schwarze Halblarve, die sie jetzt entfernte, bedeckte das reizende Gesicht.
„Maria-Grazia!“ rief er verwundert, indem er die Frau des früheren Briganten wieder erkannte.
„Was thut Ihr hier?“ sagte sie heftig. „Wollt Ihr Euch von einer verirrten Kugel erschießen lassen? Ich glaube, Ihr seid Eures Lebens müde, daß Ihr Euch einer solchen Gefahr aussetzt. Thut mir den Gefallen und begebt Euch sogleich nach Hause, oder besser noch, wenn Ihr Rom ohne Zögern den Rücken kehrt.“
„Und warum sollte ich fliehen und die Stadt verlassen?“
„Weil es hier nicht recht geheuer ist. Der Tanz geht los, und Francesco, der es als Sergeant von seinem Capitän wissen muß, sagt, daß morgen die Trasteveriner in die Stadt ziehen werden, um alle Vornehmen und Reichen zu morden und auszuplündern. Der heilige Vater hat das Gesindel zur Hülfe gegen die Carbonari aufgeboten und ihnen im Voraus Absolution ertheilt. Hauptsächlich ist es auf die Bonapartes abgesehen, die in ihren Palästen Kisten voll Geld und Diamanten aufbewahren sollen. Da ich weiß, daß Ihr der Freund des Hauses seid, so habe ich es übernommen, Euch und sie zu warnen.“
„Ich kann es nicht glauben, daß der Papst zu diesen Banden seine Zuflucht nimmt.“
„Gerufen oder ungerufen werden sie kommen und das Oberste zum Untersten kehren, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Das Volk, welches den heiligen Vater über Alles liebt, wird sich nicht bitten lassen, noch dazu, wo es Beute giebt. Francesco ist von Allem durch einen Gevatter unterrichtet, der den geheimen Auftrag von seinem Beichtvater empfangen hat, die Trasteveriner aufzuwühlen, weil die Carbonari den heiligen Vater tödten, die Peterskirche anzünden und unsern Glauben abschaffen wollen.“
„Das sind thörichte Märchen.“
„Märchen oder nicht, das Volk glaubt einmal daran und will die Feinde des heiligen Vaters, vor Allen die Bonapartes, aufhängen und sich in ihre Schätze theilen. Ich habe Teresina versprechen müssen, Euch zu warnen; das habe ich gethan, und nun macht, was Euch gut dünkt.“
„Teresina!“ rief der Maler, aus seinen Gedanken erweckt, „Wo weilt sie? Hast Du sie gesehen?“
„Im Kloster der barmherzigen Schwestern, wo sie für Euch betet.“
Ehe Robert antworten konnte, war Maria-Grazia verschwunden, erschreckt durch die immer näher rückenden Schüsse, deren Kugeln sich bereits in die abgelegene Straße verirrten. Auch Robert erachtete es für gerathen, sich aus der gefährlichen Umgebung des noch immer fortdauernden Kampfes schnell zu entfernen, um so mehr, da er sich verpflichtet hielt, die noch in Rom verweilende Mutter und Verwandte seiner anwesenden Freunde vor dem Fanatismus und der Habgier des aufgereizten Volkes zu beschützen.
Als er zu diesem Zwecke in den Palazzo Ruspoli trat, erwartete ihn eine neue Ueberraschung. Kaum traute er seinen Augen, als er in der schwarz verschleierten Dame, die weinend an der Brust der Königin Hortense lag, die Prinzessin Charlotte wiedererkannte, die er noch fern und sicher in Florenz glaubte.
Bei seinem Eintritt richtete sich die Unglückliche auf, um dem treuen, bewährten Freunde die Hand zu reichen.
„Um des Himmels willen, was führt Sie, Prinzessin, in diesem Augenblicke nach Rom?“ fragte er besorgt über ihr bleiches, krankhaftes Aussehen.
„Die Verzweiflung hat mich hergetrieben. Ich hoffte, meinen Gatten, Napoleon, hier bei seiner Mutier zu finden. Es war meine letzte Hoffnung, aber auch sie hat mich getäuscht.“
„Wir werden ihn wiedersehen!“ tröstete die durch eine so unerwartete Nachricht tief erschütterte Hortense. „Ich selbst werde meine Söhne aufsuchen und nicht eher ablassen, als bis ich sie gefunden, bis ich Napoleon in Deine Arme zurückgeführt, ihn und Louis in Sicherheit weiß.“
„Er allein trägt die Schuld an unserem Unglück’.“ klagte die Prinzessin.
„Hier ist seine Rechtfertigung,“ erwiderte die Königin, indem sie ihrer Schwiegertochter einen Brief reichte, welchen sie erst vor wenigen Stunden empfangen hatte.
[334] Das bekannte historische Schreiben Louis Napoleon’s an seine Mutter lautete folgendermaßen: „Deine Liebe wird uns verstehen; wir sind Verbindungen eingegangen, die wir nicht lösen dürfen. Der Name, den wir tragen, legt uns die Verpflichtung auf, den unterdrückten Völkern zu Hülfe zu eilen, wenn sie uns rufen. Lassen Sie mich in den Augen meiner Schwägerin als den Verführer meines Bruders erscheinen. Es schmerzt ihn tief, daß er ihr eine einzige That seines Lebens verschwiegen hat.“
Ein neuer Thränenstrom netzte die schönen Wangen der Prinzessin, als sie den Brief beendet hatte. Robert zögerte, sich in das Gespräch der betrüben Frauen zu drängen und ihren Kummer noch durch seine Befürchtungen zu mehren. Doch blieb ihm keine andere Wahl, wenn er die Freunde warnen, vor der drohenden Gefahr beschützen wollte.
„Ich fürchte nicht das Volk,“ erwiderte Hortense mit königlicher Würde, „da ich und die Meinigen stets demselben wohlgethan, uns für dasselbe geopfert haben. Den fanatisirten Pöbel, das Werkzeug unserer Feinde, verachte ich. Mag er immerhin mein Geld, meine Juwelen nehmen, wenn ich nur damit die Rettung meiner Kinder erkaufen kann.“
„Aber die Sicherheit Ihrer Hoheit ist bedroht. Sie dürfen nicht länger in Rom verweilen.“
„Nicht aus Furcht werde ich Ihren Rath befolgen, sondern aus Liebe zu meinen Kindern. Ich habe noch immer nicht die Hoffnung aufgegeben, ihnen auf meinem Wege zu begegnen. Noch heute werde ich mit meiner Schwiegertochter die Stadt verlassen.“
„Sie können unmöglich allein die Reise unternehmen. Die Umgegend von Rom befindet sich in der höchsten Aufregung, die Straßen werden von bewaffneten Banden durchzogen und unsicher gemacht. Jedenfalls bedürfen Sie des männlichen Schutzes.“
„Mein Schutz ist der Himmel. Die Bonapartes haben auf Erden keine Freunde. Selbst auf unsere nächsten Verwandten darf ich nicht rechnen. Mein Schwager Lucian sucht seinen Sohn, der, wie meine Kinder, heimlich entflohen ist und sich in das aufständische Lager begeben hat. Jerôme muß bei Lätitia, unserer Mutter bleiben, und mein Gatte lebt in Florenz von der Gicht gelähmt,“ versetzte traurig Hortense.
„So gestatten Sie, daß ich Sie begleiten darf,“ bat Robert. „Ihre Lage und meine Freundschaft für den Prinzen werden hoffentlich die Kühnheit meines Anerbietens bei den Damen entschuldigen.“
Ein freundliches Lächeln der unglücklichen Mutter, ein dankender Blick aus Charlottens Augen sagten Robert, daß sie mit Freuden seinen Schutz annahmen. In seiner Begleitung legten beide Frauen schnell und ohne jede Gefahr den Weg nach Florenz zurück, obgleich sich ihre Hoffnung nicht erfüllte, auf der Reise die Spuren der geliebten Flüchtlinge zu entdecken.
Erst von dem aufgebrachten Vater, der über die Unbesonnenheit der jungen Prinzen zürnte, erhielt Hortense die erste sichere Nachricht von den schmerzlich Vermißten, als die gemeinsame Liebe zu ihren Kindern die getrennten Gatten wieder vereinte.
„Ich habe,“ sagte der frühere König Ludwig von Holland, „endlich durch meine ihnen nachgeschickten Couriere erfahren, wo die Verblendeten weilen. Sie standen noch vor Kurzem mit den Verschworenen in Civita-Castellane, um die dort eingesperrten Staatsgefangenen zu befreien. Die Thoren! Wer weiß, ob sie nicht morgen schon dasselbe Schicksal trifft, wenn sie nicht erschossen werden. Wie Du weißt, sind die Oesterreicher, von dem Papste aufgefordert, auf dem Wege nach Bologna. Wenn unsere Söhne in ihre Hände fallen, sind sie verloren. Wie mir gestern erst Fürst Corsini mittheilte, wollen die Oesterreicher ein Exempel an unseren Söhnen statuiren und werden keinen Anstand nehmen, sie vor ein Kriegsgericht zu stellen.“
„Meine Kinder, meine Kinder!“ klagte die entsetzte Mutter.
„Das sind die Folgen einer verkehrten Erziehung,“ grollte der Vater. „Louis’ Ehrgeiz ist durch die Erinnerung an den Kaiser künstlich genährt worden, und er hat seinen Bruder angesteckt. Jetzt ernten wir, was wir gesäet.“
„Wozu die Vorwürfe? Ich habe nur den einen Gedanken, wie ich meine Söhne retten kann. Wir müssen Alles aufbieten, um sie der Gefahr zu entreißen.“
„Ich habe bereits gethan, was in meinen Kräften stand, an sie geschrieben, sie beschworen, von ihrer Thorheit abzulassen und zu mir zurückzukehren, ihnen selbst mit meinem väterlichen Fluch [335] gedroht, aber leider vergebens. Die Ungehorsamen antworteten, daß sie durch ihren Eid gebunden wären. Auch ein anderer Versuch ist nicht besser gelungen. Ich habe nämlich unter der Hand an die provisorische Regierung mich mit der Aufforderung gewendet, unsere Söhne aus ihrem Lager zu entfernen, weil sie der Sache der Revolution nur schaden müßten, und so lange sie daran sich betheiligten, Louis Philipp Italien seinen Beistand versagen, ja eher zu seiner Unterdrückung die Hand bieten, als die Neffen des Kaisers an der Spitze des revolutionären Heeres dulden würde.“
„Und was hat die provisorische Regierung gethan?“
„Meine Vorstellung schien ihr einzuleuchten. General Armandi ließ Louis kommen und forderte ihn im Namen Italiens auf, das Opfer zu bringen, seine Stelle niederzulegen und das Lager zu verlassen, wozu er sich auch sogleich bereit erklärte.“
„So sind sie glücklich der Gefahr entgangen?“
„Du triumphirst zu früh. Louis erklärte zwar, daß er auf das ihm übertragene Commando verzichten und das Lager meiden wollte, daß ihn aber nichts zurückhalten könnte, als gemeiner Freiwilliger für das Vaterland zu kämpfen. Natürlich war sein allzuschwacher Bruder damit einverstanden.“
„Ich bin stolz auf meine Söhne!“ rief Hortense mit leuchtenden Augen.
„Aber ich zittere für ihr Leben. Als ich von Neuem in sie drang, drohten sie, zwar Italien zu verlassen, aber sich nach Polen zu begeben, um sich an dem dortigen Kampfe zu betheiligen, als wenn keine Revolution ohne sie gemacht werden könnte. Wenn sie es so forttreiben, sind sie verloren.“
„Ihre Mutter wird sie beschützen!“
„Ich fürchte, daß es bereits zu spät ist. Schon ist Modena wieder in den Händen der Oesterreicher, unter deren Schutz Herzog Franz mit seinem Henker sich blutig an der Revolution rächt. Bereits steht ihre Avantgarde an den Grenzen des Kirchenstaates, sperrt ihre Flotte die Häfen und das Meer. Man spricht von einer Proclamation, worin den Insurgenten, welche die Waffen niederlegen wollen, Amnestie versprochen wird, mit Ausnahme der Häupter, unter denen sich unsere beiden Söhne befinden.“
„Um so weniger dürfen wir zögern. Schon morgen will ich zu ihnen eilen und mit ihnen entfliehen.“
„Du weißt, daß jeder Weg versperrt, die Aussicht auf Flucht ihnen abgeschnitten ist. Wohin willst Du Dich mit Deinen Söhnen wenden?“
„Noch weiß ich nur das Eine, daß mir nichts zu schwer fällt, sie zu retten, daß der Geist einer Mutter ebenso unerschöpflich ist wie ihr Herz, wenn das Leben ihrer Kinder bedroht wird. Im Augenblick der Gefahr wird ein Engel mir den Weg zum Heile zeigen.“
Am nächsten Tage verließ Hortense in tiefster Stille Florenz, um ihre Söhne aufzusuchen. Niemand, weder ihr Gatte, noch die Prinzessin Charlotte wußten um ihre geheimen Pläne, die sie sorgfältig vor aller Welt verborgen hielt.
In der schlaflosen Nacht, auf ihrem Lager, das sie mit ihren Thränen benetzte, hatte sie den kühnen Gedanken gefaßt, mit ihren Kindern den einzig offen gelassenen Weg nach England über Paris einzuschlagen, obgleich sie das Decret kannte, welches jedem Mitgliede der Familie Bonaparte das Betreten des französischen Bodens bei Todesstrafe untersagte. Sie rechnete jedoch bei ihrem gewagten Unternehmen auf ihre zahlreichen Freunde und selbst im Falle der Entdeckung, wenn nicht auf die Großmuth, so doch wenigstens auf die Dankbarkeit Loius Philipp’s, für dessen Familie sie sich bei dem Kaiser in glücklicheren Zeiten verwandt hatte.
Nachdem sie einmal den Entschluß gefaßt, ging sie mit der ganzen Energie einer Mutter in ähnlicher Lage an die Ausführung, indem sie sich die nöthigen Pässe mit Hülfe einer ihr zu Dank verpflichteten englischen Familie mit dem Visum des französischen Consuls und der toscanischen Regierung zu verschaffen wußte, was um so größere Schwierigkeiten bot, da die Polizei in Florenz in diesem Augenblick mit der größten Strenge auf alle Verdächtigen achtete und sie selbst nur zu gut daselbst bekannt war.
Zitternd, mit heruntergelassenem Schleier, aus Furcht, entdeckt zu werden, athmete sie erst wieder auf, als sie das streng bewachte Thor der Stadt hinter sich sah und so schnell als möglich auf dem Wege nach Bologna in ihrem Reisewagen dahinrollte. Noch war dieses letzte Bollwerk der Freiheit in den Händen der Aufständischen, noch vertheidigten die tapferen Freiwilligen Terni und Spoleto gegen die päpstliche Uebermacht, noch hatte das siegreiche österreichische Heer nicht die Grenzen der Romagna überschritten, so daß Hortense neue Hoffnung schöpfte.
Sie hatte einen zuverlässigen Courier mit einem Briefe vorausgeschickt, worin sie ihren Söhnen ihre Ankunft meldete und Beide aufforderte, Bologna sofort zu verlassen und mit ihr in Foligno zusammenzutreffen.
In einem elenden Gasthof dieser Stadt wartete von Stunde zu Stunde die unglückliche Mutter auf die Rückkehr ihrer Kinder mit steigender Ungeduld. Traurig dachte sie an die Tage ihres früheren Glanzes, als sie noch eine Königin war und ihre Söhne einen Thron erwarteten. Jetzt saß sie in dem niedrigen Zimmer eines italienischen Hotels als eine Verbannte, die sich vor der Welt verbergen mußte, jetzt waren die Lieblinge ihres Herzens geächtet und in Gefahr, einen schimpflichen Tod zu sterben.
Erschüttert von dem furchtbaren Contrast, suchte sie den trüben Gedanken zu entfliehen, indem sie mechanisch ihre Blicke auf die geschwärzten Wände ihrer Zelle richtete, welche die früheren Bewohner mit ihren Namen, Betrachtungen und Versen bedeckt hatten, wie es wohl müßige Reisende zu thun pflegen.
Hortense ergriff ihren Bleistift und schrieb, von ihren Gefühlen übermannt: „Wer hätte mir wohl vor zwanzig Jahren gesagt, daß ich mich hier und in einer solchen Lage wiederfinden würde!“ Darunter setzte sie ihren Namen, Tag und Stunde. Es war der 17. März 1831.
Schmerzliche Ahnungen erfüllten ihr Mutterherz, da ihre Söhne noch immer zögerten. Von Augenblick zu Augenblick erwartete sie ihre Ankunft, doch vergebens; sie kamen nicht. Die Minuten dehnten sich zur Ewigkeit, Angst und Sorge drückten die sonst so muthige Frau zu Boden. Das leiseste Geräusch erschreckte sie, bei jedem Rollen eines Wagens, bei dem Hufschlag eines vorbei eilenden Pferdes fuhr sie empor, eilte sie fieberhaft erregt an das geöffnete Fenster.
Endlich sprengte der ihnen entgegengeschickte Courier in den Hof; sie eilte ihm entgegen. Er kam allein.
„Wo sind meine Söhne?“ fragte sie enttäuscht.
„Ich habe sie gesehen, gesprochen.“
„Dem Himmel sei gedankt, sie leben! Aber wo weilen sie? Wissen sie nicht, daß ich sie mit Sehnsucht hier erwarte?“
„Sie haben bereits Bologna verlassen, wo die Oesterreicher eingerückt sind. Die beiden Prinzen haben sich deshalb nach Forli gewendet.“
„Schnell! Lassen Sie den Wagen anspannen. Wir haben keinen Augenblick zu versäumen.“
Mit klopfendem Herzen schlug Hortense den Weg nach Ancona ein, von düsteren Befürchtungen gequält. Sie war nur noch einige Stunden von Forli entfernt, als ihr ein offener, zweirädriger Wagen begegnete, der ihr in rasender Eile entgegenfuhr. Aus demselben sprang ein unbekannter Mann und trat an ihren Schlag.
„Habe ich die Ehre, Ihre Hoheit die Herzogin von St. Leu zu sprechen?“ fragte derselbe mit unsicherer Stimme.
„Was wollen Sie von mir?“ entgegnete sie zitternd vor einem neuen Mißgeschick.
„Ich habe den Auftrag, Ihrer Hoheit mitzutheilen, daß der Prinz Napoleon plötzlich erkrankt ist.“
„Mein Sohn krank!“ schrie Hortense. „Woran leidet er?“
„Am Scharlach mit heftigem Fieber in Folge der geistigen Aufregung. Er verlangt nach Ihrer Hoheit.“
„Er verlangt nach mir. Vorwärts! Mein Sohn verlangt nach mir!“
Mit geschlossenen Augen, einer Ohnmacht nahe, gab sie den Befehl zur höchsten Eile, während ihre bleichen Lippen schmerzlich murmelten: „Das Unglück ist zu groß. Unmöglich, der Himmel wird gerecht sein; es ist zu viel, mehr als ich ertragen kann. Nein, nein! Er wird, er darf nicht sterben. Er wird gerettet, mir erhalten werden. Muth, Fassung, damit ich nicht erliege!“
Von Station zu Station nahm ihre Unruhe zu; überall glaubte sie in den Mienen der ihr Begegnenden die Schreckensbotschaft zu lesen. Sie wagte nicht zu fragen, die Ungewißheit schien ihr noch ein Glück. Zuweilen hörte sie wie im dumpfen [336] Traume den düstern Schreckensspruch: „Napoleon ist todt Arme Mutter! Napoleon ist todt!“
Ihr Herz, das Mutterherz zog’ sich krampfhaft zusammen und drohte bei dieser Trauerkunde still zu stehen.
Jetzt hatte sie Pesaro erreicht; der Wagen hielt vor dem Palast eines nahen Verwandten. Aus der Thür wankte ihr ein bleicher junger Mann entgegen, das starre Antlitz von Schmerz durchwühlt, die glanzlosen Augen von Thränen geröthet. Sie erkannte ihn und streckte ihm die zitternden Arme entgegen.
„Louis!“ rief die unglückliche Mutter. „Wo ist Dein Bruder?“
Weinend sank er an ihre Brust, ohne ihr zu antworten.
„Todt,“ murmelte sie, „und ich konnte nicht bei ihm sein, ihn nicht retten!“
Mit einem lauten Schrei stürzte sie ohnmächtig in die Arme ihres einzigen, ihres letzten Sohnes.
In dem düstern Palaste, welchen der Herzog von St. Leu in Florenz bewohnte, saßen einige Wochen nach diesen schmerzlichen Ereignissen die trauernden Hinterbliebenen des unglücklichen Prinzen Napoleon, seine Gattin, ihre Mutter, die Gräfin von Survilliers, ihre Tante, Frau von Villeneuve, und deren Tochter, die einst so heitere Juliette mit ihrem Verlobten.
Die Damen in dunkler, schwarzer Tracht, welche besonders die edle Schönheit der Prinzessin hob, unterhielten sich leise, mit gedämpfter Stimme, während sie mit weiblichen Handarbeiten beschäftigt waren.
„Hast Du,“ fragte die Gräfin von Survilliers, „keine neuen Nachrichten von Hortense und ihrem Sohn?“
„Wie sie im letzten Brief mir schreibt, sind Beide glücklich in London angelangt,“ versetzte die Prinzessin, von ihrer Stickerei aufblickend.
„Ich bewundere den Muth der Herzogin,“ bemerkte die erst kürzlich angekommene Frau von Villeneuve. „Was muß die arme Mutter gelitten haben! Welch’ ein Herz, welch’ ein hoher Geist! Ich bin in der That begierig, Näheres von Dir über ihre Flucht zu hören.“
„Sobald meine Schwiegermutter,“ berichtete die Prinzessin tief bewegt, „sich von dem furchtbaren Schlage erholt hatte, der sie und mich getroffen, hatte sie nur den einen Gedanken, Louis zu retten, mit ihm über Frankreich nach London zu entfliehen.“
„Welche Kühnheit!“ rief die Tante voll Bewunderung. „Nach Frankreich zu gehen, wo sie Gefangenschaft, selbst der Tod. erwartete!“
„Kaum blieb ihr eine andere Wahl,“ fuhr die Prinzessin fort, „wenn sie nicht in die Hände der Oesterreicher fallen wollte, die ihr auf dem Fuße folgten. Zuerst eilte sie mit Louis nach Ancona, wo sie geflissentlich das Gerücht verbreitete, daß sie sich nach Corfu einschiffen wollte, während sie im Geheimen alle Vorbereitungen für ihre Reise nach Frankreich traf. Schon war die Stunde der Abreise bestimmt, als Louis plötzlich ebenfalls am Scharlach erkrankte, das er sich durch Ansteckung zugezogen hatte. Aber Hortense verlor nicht die Besinnung trotz dieses neuen Unglücks. Während sie an dem Bette ihres kranken Sohnes saß, ließ sie durch ihre Dienerschaft öffentlich ihr Gepäck, Koffer und Pakete, auf das nach Corfu bestimmte Schiff bringen, um die Welt in dem Glauben zu erhalten, als wollte der Prinz noch an demselben Tage nach Corfu entfliehen. Sie selbst aber gab sich für leidend aus, weshalb sie ihren Sohn nicht begleiten könne. Das geschickt ersonnene Märchen wurde allgemein für wahr gehalten und Niemand zweifelte in Ancona, daß Louis sich bereits auf dem Wege nach Corfu befinde.“
„Ich kenne keine zweite Frau,“ bemerkte die Gräfin von Survilliers, „die so vielen Geist, eine solche Willenskraft besitzt.“
„Unterdeß war die Avantgarde der Oesterreicher in Ancona eingerückt und der Zufall wollte, daß der Befehlshaber derselben, General Geppert, sich in demselben Palast einquartierte, den Hortense mit dein kranken Louis bewohnte.“
„O, ich wäre vor Angst gestorben!“ sagte Juliette.
„Zum Glück kannte Hortense den Adjutanten des Generals aus früheren Zeiten; durch ihn ließ sie den Baron Geppert ersuchen, in Rücksicht auf ihre Krankheit ihr die fernere Benutzung des von ihr bisher bewohnten Zimmers zu gestatten. Von Mitleid gerührt, ertheilte derselbe bereitwillig die erbetene Erlaubniß, um so leichter, da er, wie alle Welt, Louis auf dem Schiffe nicht fern mehr von Corfu glaubte, während dieser Wand an Wand unter demselben Dache mit seinen Verfolgern schlief. Er durfte nicht laut sprechen und sah sich öfters gezwungen, den quälenden Husten zu unterdrücken, um nicht seine Gegenwart zu verrathen.“
„Welche entsetzliche Marter!“
[349] „Endlich, nach achttägigem Leiden,“ erzählte die Prinzessin weiter, „war Louis so weit hergestellt, um ohne Gefahr das Bett verlassen zu können. Hortense dankte persönlich dem General, von dem sie auf ihr Ansuchen noch einen Passirschein für sich und einen Bedienten erhielt, dessen Livrée der kaum Genesene anziehen mußte. So verließen sie glücklich und unerkannt Ancona, indem sie bei Antibes die französische Grenze überschritten und zum ersten Male seit ihrer Abreise in Cannes übernachteten, wo einst der Kaiser bei seiner Rückkehr von der Insel Elba gelandet war.“
„Das sind traurige Erinnerungen!“ seufzte die Gräfin von Survilliers.
„Von hier aus wollte Louis an den jetzigen König von Frankreich einen Brief abschicken, worin er denselben bat, das ungerechte Exil aufzuheben und ihm zu gestatten, in die französische Armee [350] als Soldat eintreten zu dürfen. Aber Hortense mahnte von dem gewagten Schritte ab und hielt das Schreiben zurück. Beide setzten demnach ungehindert ihren Weg fort. Sie gingen über Fontaineblau, wo Hortense einst als Königin geweilt, und durchwanderten unerkannt die Säle des Schlosses, den herrlichen Park, unter dessen Schatten sie einst die glücklichsten Tage verlebt. Als eine Verbannte kam sie nach Paris, aber ihrem edlen Sinn widerstrebte selbst die erzwungene Lüge. Sie wollte nicht als Abenteurerin, als eine Intriguantin erscheinen und ließ deshalb durch einen früheren Freund Louis Philipp ihre Ankunft wissen, indem sie ihn um eine geheime Audienz ersuchte.“
„Ich kann mir die Verlegenheit des Bürgerkönigs denken, sein langes Birngesicht wird noch länger geworden sein,“ spottete die witzige Juliette.
„Sein Benehmen bei dieser Gelegenheit,“ versetzte die Prinzessin, „verdient unsere höchste Anerkennung. Er schickte sogleich seinen Minister Casimir Perier zu der Herzogin und ließ ihr durch ihn jeden möglichen Schutz zusichern. Eingedenk der ihm und seiner Familie erwiesenen Wohlthaten, empfing er sie im Geheimen in seinem Privatcabinet, wo er sie der Königin Adelaide vorstellte, die ihr die herzlichste Theilnahme an ihrem traurigen Geschick bewies. Der König versprach ihr nicht nur, ihre gerechten Forderungen an den Staatsschatz zu bewilligen, sondern auch ihr und Louis die Rückkehr nach Frankreich für spätere Zeiten zu gestatten. Getröstet verließ sie ihn, aber wider Willen verzögerte sich ihre Abreise, da Louis von Neuem erkrankte. Trotzdem sie in tiefster Verborgenheit lebte, erweckte dieser Umstand das kaum eingeschlafene Mißtrauen, so daß Hortense von Casimir Perier die Weisung erhielt, ohne Aufenthalt Paris zu verlassen. Von Neuem vertrieben, ergriff sie wieder den Wanderstab, bis sie endlich in England die ersehnte Ruhe fand.“
„Und will die Herzogin für immer in England bleiben?“ fragte Frau von Villeneuve.
„Sie sehnt sich nach der Schweiz, nach ihrem Arenenberg zurück und hat sich deshalb durch den französischen Gesandten noch einmal an Louis Philipp gewendet. Derselbe hat jedoch seine Erlaubniß an die Bedingung geknüpft, daß sie erst nach den Julitagen, nach der Jahresfeier seiner Thronbesteigung, ihre Rückkehr antreten darf.“
„Er fürchtet sich vor seiner eigenen Größe. Ist es denn wahr, daß Casimir Perier Louis zugemuthet hat, seinen Namen abzulegen, wenn er jemals nach Frankreich zurückkehren und in die Armee eintreten wolle?“
„Louis hat ein solches Ansinnen mit der höchsten Entrüstung zurückgewiesen. Der Name Bonaparte ist ja Alles, was ihm und uns übrig geblieben ist.“
Es folgte ein trauriges Stillschweigen, welches durch den Eintritt Robert’s unterbrochen wurde, der die Prinzessin in ihrem Schmerze nicht verlassen wollte und mehr als je zu den Freunden des Hauses sich zählen durfte. Jetzt erschien er in Begleitung eines Dieners, der ein verhülltes Bild trug und auf seinen Wink in dem Salon vor den Damen hinstellte.
Er selbst entfernte die Decke; aus dem goldenen Rahmen blickte das wohlgelungene Portrait des Prinzen Napoleon, seines todten Freundes. Ein Schrei der Bewunderung begrüßte die Gabe des Malers, während die Prinzessin ihm mit Thränen in den Augen für diesen neuen Beweis seiner Liebe dankte.
„Welche wunderbare Ähnlichkeit!“ sagte sie tief erschüttert. „Nur die Hand und der Geist des Freundes vermochte so treu die Züge eines geliebten Todten wiederzugeben. So kann nur das Auge der Liebe erfassen, ein edles, für alles Gute und Schöne empfängliches Herz eine so schwierige Aufgabe in solcher Vollendung lösen.“
„Ich fühle mich glücklich, wenn das Bild Ihren Beifall hat,“ versetzte der bescheidene Künstler.
„Aber wie war es Ihnen möglich aus der Erinnerung allein ein so gelungenes und ähnliches Meisterwerk zu schaffen?“
„Sie vergessen das kleine Miniaturbild des verstorbenen Prinzen, das ich mir von Ihnen auf einige Tage erbeten habe.“
„Ich hatte keine Ahnung, daß Sie es zu diesem Zweck von mir forderten, da Sie vorgaben, daß Sie nur die verblichenen Farben wiederherstellen wollten. Wie kann ich Ihnen für dieses zugleich so freudige und schmerzliche Geschenk lohnen? Ich vermag Ihnen Nichts zu bieten, als diesen Ring, den einst der Todte selbst an seiner Hand getragen hat. Bewahren Sie ihn zu seinem und meinem Angedenken.“
Von Neuem sah sich Robert angezogen und gefesselt von der hohen Frau, die ihn durch ihre Huld und angeborne Liebenswürdigkeit nur zu leicht den Unterschied des Standes, die Beide trennende Kluft vergessen ließ. Die gemeinschaftliche Trauer um den geliebten und verehrten Todten, die vielfachen Dienste, die er ihr leistete, die mannigfachen Beweise ihrer Freundschaft waren nur zu sehr geeignet, auch die letzte Schranke zu beseitigen.
Der Schmerz der Prinzessin machte sie nur um so empfänglicher für seinen milden Trost, für die wohlthuende Zerstreuung, die ihr sein Umgang, der Verkehr mit dem durch Geist und Gemüth gleich ausgezeichneten Künstler gewährte, während die entgegenkommende Freundlichkeit der Prinzessin, ihre durch das Leid verklärte Schönheit den alten Zauber auf sein Herz ausübten.
Die kaum bekämpfte Neigung erwachte wieder mit der ganzen früheren Leidenschaft, um so mächtiger, da sie ihm jetzt weniger strafbar schien, seitdem Charlottens Gatte nicht mehr lebte. Beide ahnten nicht die drohende Gefahr und überließen sich unbefangen einer Vertraulichkeit, die unter der unschuldigen Maske der Freundschaft sie über ihre wahren Empfindungen täuschte.
Wie früher in Rom, so war Robert auch jetzt fast ein täglicher Gast in dem Palaste seiner Freundin, gehörte er nach wie vor zu dem engsten Familienkreise während ihres Trauerjahrs um einen geliebten Todten, indem er ihren Schmerz wie ihre Unterhaltung theilte. Diese stillen Abende in der Gesellschaft der Damen erhielten bald durch das geistvoll anregende Gespräch, bald durch das Vorlesen eines classischen Dichters und die an dessen Person oder Werke sich anknüpfenden Betrachtungen einen unwiderstehlichen Reiz im gegenseitigen Austausch der Gedanken und Empfindungen.
Die Prinzessin interessirte sich besonders seit einiger Zeit lebhaft für die neuere italienische Literatur, vorzugsweise für den bekannten Dichter Alfieri, der in Florenz gelebt hatte und daselbst erst im Jahre 1803 gestorben war. Da sie öfters den Wunsch äußerte, das Grab des berühmten Schriftstellers in der Kirche Santa Croce zu besuchen, so erbot sich Robert, sie dahin zu begleiten, was sie auch ohne Bedenken annahm.
An seiner Seite betrat sie die ehrwürdigen Hallen dieses italienischen Westminsters, wo die großen Todten vergangener Jahrhunderte, die erhabensten Denker, Dichter und Künstler Italiens an geweihter Stätte ruhn; neben dem titanenhaften Maler und Bildhauer Michel Angelo der seine geniale Politiker Macchiavelli, zwischen denen sich das Denkmal Alfieri’s von Canova’s Meisterhand erhebt, ein trauernder Genius aus steinernem Sarkophag, der ihn und seine Geliebte, die Gräfin Albany, die Gattin des englischen Prätendenten, des letzten Stuart’s, bedeckt. Ergriffen von der Heiligkeit des Ortes, von dem Schauer der Ewigkeit, erfüllt von dem erhabenen Cultus des Genius, standen Robert und die Prinzessin an dem Grabe der Liebenden, lautlos stumm, in Gedanken versunken, während um sie das Schweigen des Todes herrschte, die letzten Strahlen der untergehenden Sonne gleichsam mit einer Glorie die Erinnerung der Unsterblichen umgaben.
„Glücklicher, beneidenswerther Dichter!“ rief Robert unwillkürlich, indem er die goldene Inschrift an dem Denkmal Alfieri’s las.
„Warum beneidenswerth?“ fragte die Prinzessin verwundert.
„Weil ihn der Tod mit der Geliebten seines Herzens vereinigt hat.“
„Und sie dankt der Liebe ihres Dichters ihre Unsterblichkeit,“ versetzte sie, hingerissen von ihren Gefühlen.
„Sie war seine Muse, der verkörperte Genius der Poesie; die Göttin, welche ihn zu seinen schönsten Schöpfungen, zu seinen erhabensten Dichtungen begeisterte.“
„Und doch verdammte sie die Welt,“ bemerkte die Prinzessin mit bebender Stimme.
Ein leiser Seufzer entrang sich ihrer Brust und verrieth wider Willen die geheimsten Gedanken ihrer Seele, die sie sich selbst nicht zu gestehen, die Robert nicht zu hoffen wagte. Beide verfielen in ein gefährliches Schweigen, als fürchteten sie, die Geister der Liebenden heraufzubeschwören, die Ruhe der Todten, oder vielmehr ihre eigene Ruhe zu stören.
„Kommen Sie,“ sagte die Prinzessin, nachdem sie sich zuerst gefaßt hatte. „Es wird bereits kühl in der Kirche. Man erwartet uns zu Hause.“
[351] Tief bewegt verließen sie das Grab des Dichters, an dem sie unbewußt den geheimen Bund des Lebens und der Liebe geschlossen hatten. Kein Wort, kein Laut entweihte die gehobene und doch zugleich befangene Stimmung, als ahnten sie die neuen, sie bereits erwartenden Kämpfe mit der sie umgebenden Welt.
So traten sie den Rückweg nach dem alten Palaste an, wo sie zur gewohnten Stunde die bereits bekannte Gesellschaft erwartete, in der sich heute außer dem Herzog von St. Leu noch der Graf von Ganay, ein alter Freund der Familie und eifriger Verehrer der Kunst und der Literatur, befand.
Wie ich so eben gehört habe,“ sagte er, die Prinzessin begrüßend, „kommen Ihre Hoheit von dem Grabe Alfieri’s. Wenn ich nun Ihre Wallfahrt gewußt hätte, so würde ich mit Vergnügen mich Ihnen angeschlossen haben, da ich den Dichter und die Gräfin von Albany persönlich gekannt habe und vielfach mit Beiden in Berührung gekommen bin.“
„Es muß ein seltsames Paar gewesen sein,“ bemerkte der Herzog von St. Leu, der Schwiegervater der Prinzessin.
„Im höchsten Grade interessant,“ erwiderte der Graf. „Ich habe nie wieder zwei Menschen kennen gelernt, die so kühn sich über das Urtheil der Welt hinwegsetzten, so rücksichtslos alle Schranken der Gesellschaft durchbrachen.“
„Ich kann diese Extravaganzen nicht gut heißen,“ versetzte der strenge Herzog.
„Und am wenigsten kann ich einer Frau eine solche Verachtung der Sitte und des Anstandes verzeihen,“ fügte die Gräfin von Survilliers hinzu.
„Sie vergessen, gnädige Frau,“ entschuldigte der Graf, „daß die Gräfin von Albany Wittwe war, nachdem sie Jahre lang die unwürdigste Behandlung von ihrem brutalen Gatten erfahren hatte.“
„Aber dieser Gatte, wie er auch gewesen sein mochte, stammte von dem erlauchten Hause der Stuarts ab. Wenn auch nicht ihm, so war sie seinem Namen die höchste Achtung schuldig. Indem sie einem Dichter ihre Liebe schenkte, hat sie sich nach meiner Meinung tief erniedrigt, ist sie von ihrer Höhe herabgestiegen.“
„Das Herz fragt nicht nach Rang und Stand,“ entgegnete die geistvolle Juliette, indem sie ihrem Verlobten zulächelte.
„Solche Grundsätze liest man zwar in Romanen,“ sagte Frau von Villeneuve, „aber sie passen nicht für die Wirklichkeit. Unsere Geburt, unsere Stellung legt uns Verpflichtungen auf, die wir nicht ungestraft verletzen dürfen.“
„Sie haben mir ganz aus der Seele gesprochen,“ bekräftigte der Herzog. „Ich weiß am besten, wie der Kaiser in dieser Beziehung gedacht hat, und wenn ich auch sonst nicht immer mit seinen Ansichten übereinstimmen konnte, so muß ich ihm doch in diesem Punkte Recht geben.“
„Ich selbst,“ setzte die Gräfin von Survilliers hinzu, „habe am meisten von der Strenge des Kaisers leiden müssen. Er hat es Joseph nie verziehen, daß er gegen seinen Willen sich mit der Tochter des Seidenhändlers Clary aus Marseille vermählte. Aus eigner Erfahrung habe ich all’ die Kämpfe und Widerwärtigkeiten einer solchen Mesallianz kennen gelernt, weshalb ich sie meinen Kindern ersparen wollte.“
„Und was ist Deine Meinung, Charlotte?“ sagte das Fräulein von Villeneuve.
„O,“ stotterte die Prinzessin verlegen, wie aus einem tiefen Traum erwachend. „Ich weiß kaum, wovon gesprochen wird, da ich mich in der Kirche wahrscheinlich erkältet habe und jetzt die heftigsten Kopfschmerzen fühle.“
„Das kommt davon,“ scherzte Juliette, „wenn man das Grab eines Dichters besucht. Noch im Tode verwirren sie uns das Köpfchen.“
Der Witz des Fräulein von Villeneuve gab dem ernsten Gespräch eine unerwartet heitere Wendung, ohne jedoch gänzlich die dadurch hervorgerufene Mißstimmung zu verwischen, so daß die Gesellschaft sich zeitiger als gewöhnlich trennte.
Während Robert, von den mannigfachsten Gefühlen bestürmt, den Weg nach seiner Wohnung einschlug, suchte die Prinzessin vergebens den Schlummer, der heute ihre Augen floh. Vor ihrer Seele stand die bedeutungsreiche Scene in der Kirche Santa-Croce an dem Grabe Alfieri’s. Unwillkürlich dachte sie jetzt an das Schicksal der Gräfin Albany, die der Liebe zu einem Dichter Rang, Stand und selbst ihren Ruf geopfert hatte.
Die Prinzessin wußte erst seit wenigen Stunden, daß sie den Maler Robert liebte. Sein unerwartetes Geständnis? in der Kirche, und noch mehr das darauf folgende Gespräch ihrer Angehörigen hatte plötzlich die Binde von ihren Augen gerissen. Gleich einer Nachtwandlerin, wenn man ihren Namen ruft, war sie aus ihrem Traum geweckt worden, sah sie den Abgrund zu ihren Füßen.
Nach und nach hatte sich diese Neigung in ihr’ Herz geschlichen, unter der Maske der Freundschaft sie und ihn verlockt, schwesterliche Zärtlichkeit geheuchelt, um sie desto sicherer zu bestricken. War sie doch nur ein halbes Kind gewesen, als sie dem Prinzen ihre Hand reichte, weil ihre Familie es wünschte, weil sie ihn, als ihren nächsten Verwandten, zu lieben glaubte. Seine Gutmüthigkeit, seine geistigen Vorzüge, sein edler Charakter machten ihre Ehe zu einer glücklichen, so daß nicht der leiseste unerlaubte Wunsch ihre reine Seele befleckte.
Erst die Eifersucht auf den Einfluß ihres Schwagers und die heimliche Flucht des Prinzen trübten ihr bisheriges Glück und ließen sie schmerzlich den Mangel seines Vertrauens empfinden. Unwillkürlich blieb ein Mißton in ihrem Herzen zurück, der jedoch vor den nachfolgenden traurigen Ereignissen verschwinden mußte. Der große Versöhner Tod halte in ihren Augen die schwere Schuld gesühnt und das Bild des Prinzen von allen jenen Flecken gereinigt.
Sie betrauerte ihn aufrichtig und reiche Thränen flössen seinem Andenken, wobei ihr Robert als der treueste Freund mit seinem Trost zur Seite stand. In diesen schreckensvollen Tagen hatte er sich von Neuem ihr bewährt, mehr als je die Fülle seines reichen Gemüthes, die unerschöpflichen Tiefen seiner Seele, seines Herzens ihr erschlossen. Mit jedem Tage war er ihr theurer und unentbehrlicher geworden, so daß sie nicht mehr den Gedanken fassen konnte, sich jemals von ihm zu trennen.
Jetzt erst wußte sie, daß sie ihn liebte, die Tochter der Napoleoniden den zwar berühmten, aber ihr nicht ebenbürtigen Maler. Die plötzlich hereinbrechende Helle erschreckte sie und ließ ihr keinen Zweifel über die wahre Natur ihrer gegenseitigen Gefühle.
Zugleich erkannte sie die unübersteiglichen Hindernisse, die sich ihrer Neigung entgegenstellten. Hatte sie doch an dem heutigen Abend die Ansicht der Welt, das Urtheil der Gesellschaft, die Meinung ihrer nächsten Verwandten über jede derartige Verbindung wider Willen hören müssen. Wenn sie auch selbst erhaben über eine solche Beschränktheit stand und sich durch die Liebe eines edlen Mannes, eines großen Künstlers hoch geehrt fühlte, so konnte sie sich doch nicht die unausbleiblichen Folgen einer von allen Seilen angefeindeten Neigung verschweigen.
Sie selbst war ihrer Familie die gebotene Rücksicht schuldig. Durfte sie eine zärtlich geliebte, noch dazu durch das Geschick schwer gebeugte Mutter noch mehr betrüben, so nahe Verwandte durch einen so gewagten Schritt beleidigen, das Andenken ihres verstorbenen Gatten noch im Grabe durch eine neue Liebe beflecken, ihren bisher so reinen Ruf der böswilligen Verleumdung, dem Gespötte der Welt preisgeben?
[353] Solche Vorstellungen bestürmten die Seele der unglücklichen Prinzessin, welche ruhelos, das schöne Haupt auf ihren Arm gestützt, die bange Nacht durchwachte. Wohin sie bei dem bleichen Schimmer der Lampe auf ihrem Tische blickte, umgaben sie die Erinnerungen an ihre hohe Abstammung, an den unsterblichen Ruhm ihres gleichsam prädestinirten Geschlechtes, an die großen Traditionen ihres Hauses.
Gespenstisch schaute von der Wand das Bild des Kaisers auf sie nieder mit den durchbohrenden Adleraugen, vor denen einst die Könige Europas zitterten und Throne wankten, als zürnte er der entarteten Tochter seines Hauses. Erschrocken barg sie das Gesicht in ihre Kissen und wagte nicht zu ihm aufzusehen. Neben ihm hing die schlanke, fast leidende Gestalt seines Sohnes, des unglücklichen Herzogs von Reichstadt, der langsam dem nahen Tode entgegensiechte, und dort das Bild des Prinzen von Robert’s Hand gemalt, die Züge des Verstorbenen, der traurig sie zu warnen, sie zu mahnen schien, sein Andenken im Grabe zu ehren, seinen edlen Namen vor Beschimpfung zu bewahren.
„Nein, nein!“ rief sie in fieberhafter Aufregung. „Fürchtet nicht, daß ich Euch untreu, Euer unwerth werde. Ich will, ich muß das schwere Opfer bringen. Die Napoleoniden sind nicht zum Glück geboren, das Haus des Tantalus, der an dem goldenen Tisch der Götter saß, ist dem Untergang geweiht. Der Fluch der Größe trifft uns Alle, Alle!“
Der Kampf war ausgekämpft; sie war entschlossen, Robert nicht wiederzusehen.
Kaum graute der Morgen, als sie von ihrem Lager aufsprang und an ihren Schreibtisch eilte, um von ihm für immer Abschied zu nehmen. Während ihre Thränen flossen, schrieb sie ihm, daß eine unerwartete Nachricht sie zwinge, plötzlich Florenz zu verlassen und sich zu ihrem Vater nach London zu begeben, wo sie fortan leben müßte.
Noch an demselben Tage reiste die Prinzessin ab, nachdem sie allein ihrer Mutter die Gründe ihrer Handlungsweise mitgetheilt hatte, die von dieser vollkommen gebilligt und gut geheißen wurden.
Der Brief der Prinzessin traf Robert wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel, all’ seine Hoffnungen vernichtend, sein Herz zu Tode verwundend.
„O,“ murmelte er zusammenbrechend, „ich habe mich getäuscht, noch einmal wie ein thörichter Knabe von der blinden Leidenschaft verführen lassen. Thor, der ich war, daß ich jemals glauben konnte, daß die Tochter der Napoleoniden den armen Maler lieben, jemals ihren Stolz besiegen würde!“
Eine tiefe Schwermuth lagerte seitdem auf dem Geiste Robert’s, der gleich nach der Abreise der Prinzessin das heitere Florenz mit dem melancholischen Venedig vertauschte. Seine düstere Stimmung harmonirte mit der stillen Trauer der gefallenen Meerkönigin. Ihm gefielen diese öden Paläste, die Zeugen einer untergegangenen Größe, deren Steintreppen mit Seetang sich bedeckten, bespült von der dunklen Fluth der Lagunen; deren Marmorfaçaden langsam verwitterten, durch deren zerschlagene Fenster der Wind gleich dem Seufzer eines Sterbenden zog.
In dem alten Palazzo Pisani hatte er sein Atelier aufgeschlagen, mehr noch für seinen Bruder Aurel, der sein Schüler geworden war, als für sich, da ihn die Arbeit anekelte, obgleich er mit Aufträgen und Bestellungen von allen Seiten überhäuft und bestürmt wurde.
Robert stand damals auf dem Höhepunkt seines Ruhms, er war anerkannt als der größte Künstler der Gegenwart. Seine „heimkehrenden Schnitter in den pontinischen Sümpfen“ hatten auf der letzten Ausstellung in Paris die höchste Bewunderung erregt und wurden als das größte Meisterwerk gepriesen, er selbst mit dem ehrenvollen Namen des modernen Raffael’s begrüßt. Stolz auf die neuen Triumphe seines berühmten Bruders, zeigte ihm Aurel die letzte Nummer des „Journal des Debats“, worin eine glänzende Kritik in den überschwänglichsten Ausdrücken das Bild als die Perle des Louvre bezeichnete und die Verdienste des genialen Meisters feierte.
„Was kümmert’s mich?“ versetzte er mit trübem Lächeln. „Der Ruhm macht nicht glücklich und kann mir nicht den gestörten Frieden meiner Seele wiedergeben.“
„Du mußt zu vergessen suchen,“ mahnte der besorgte Bruder. „An Deiner Stelle würde ich hier eine neue Arbeit anfangen.“
„Mich widern diese ewigen Wiederholungen an, immer nur Räuber aus Sonnino zu malen, immer dieselben Figuren aus der Campagna zu pinseln. Ich bin es müde, nur mich selbst zu copiren. Da hat der Graf Raczinsky aus Berlin wieder die Schnitter bei mir bestellt und mir eine bedeutende Summe dafür geboten. Ich weiß noch nicht, ob ich darauf eingehen soll.“
„Du mußt Dich mehr zu zerstreuen suchen. Die ersten Häuser Venedigs, an der Spitze der Vicekönig selbst, schätzen Deine Gesellschaft als eine Ehre. Graf Cicegnara ist heut’ schon zwei Mal dagewesen, um Dich persönlich zu seiner Soirée einzuladen. Du mußt hingehen, wenn Du nicht den liebenswürdigen Nobile beleidigen willst.“
[354] „Was soll ich da?“ erwiderte er mißmuthig. „Diese geschminkten Larven ekeln mich nur an, diese freundlich grinsenden Gesichter langweilen mich zu Tode, die süßen Reden und banalen Phrasen haben für mich jeden Reiz verloren. Ich weiß ja, was hinter der täuschenden Maske sich verbirgt, falsche Herzen, Lüge und Verrath.“
„So laß uns eine Spazierfahrt auf den Lagunen machen,“ bat der bekümmerte Bruder, um ihn seiner düsteren Stimmung zu entreißen.
„Das ist ein guter Gedanke, das wollen wir thun!“ erwiderte Robert beistimmend. „Nur die Natur, die ewige Fluth vermag noch Trost und Ruhe meinem kranken Herzen zu gewähren. Rufe unseren Gondolier!“
„Wohin soll uns Pietro fahren?“
„Mir ist es gleich, je weiter, desto besser; hinaus zu den Murazzi, an deren steinernen Wällen sich das schäumende Meer seit Jahrhunderten bricht! Wir können in Chioggia oder Palestrina landen und den Fischern zusehen, wie sie von ihren Frauen und Kindern Abschied nehmen, wenn sie auf ihren gebrechlichen Barken sich hinauswagen auf die tückische See. Ich liebe und bewundere diese armen Leute, das gute Volk, von dem ich niemals hätte lassen sollen. Nur bei ihm findet man noch Wahrheit und Treue, Hingebung und Opferfreudigkeit, wie sie Teresina mir bewiesen hat.“
„Wozu diese trüben Erinnerungen?“
„Du hast Recht. Ich will, ich darf nicht mehr an die Vergangenheit denken,“ erwiderte Robert mit einem schmerzlichen Seufzer.
Beide bestiegen die schwarze, sargähnliche Gondel, die lautlos durch die ruhigen Canäle glitt, gleich dem Nachen des die Schatten der Gestorbenen zur Unterwelt leitenden Fährmanns. Von den kräftigen Ruderschlägen Pietro’s getrieben, flogen sie vorüber an dem Kloster der Armenier, wo einst Byron’s rastloser Geist in mönchischer Zurückgezogenheit Ruhe suchte, vorüber an dem Kirchhof der Armen, wo der fanatische Religionseifer den fremden Ketzern, die in Venedig sterben, kaum einen Fuß breit Erde gönnt.
„Ecco San Servolo!“ rief der Gondolier, auf ein düsteres Gebäude deutend, das gespenstisch aus den dunklen, schwarzen Lagunen emportauchte.
Es war das Irrenhaus von Venedig, ein unheimlicher Anblick mit seinen traurigen Bewohnern hinter den eisernen Gitterstäben. Auf der Schwelle saß zusammengekauert solch ein Unglücklicher mit eingefallenen Wangen, hohlen Augen und gestörtem Wesen, in armselige Lumpen gekleidet. Er sang mit wohlklingender Stimme eine tief ergreifende Melodie.
„Das ist der verrückte Musikus,“ sagte Pietro, der ihn zu kennen schien. „Der arme Mensch gab früher Unterricht in den Häusern der Nobili; dabei hat er sich in eine schöne Contessa verliebt und darüber den Verstand verloren.“
„Wollen wir nicht weiter fahren?“ mahnte Aurel, den traurigen Bericht des Gondoliers mit Absicht unterbrechend.
„Nur noch einen Augenblick!“ entgegnete Robert. „Der Gesang des armen Menschen klingt so rührend schön.“
„Das ist wahr,“ bekräftigte Pietro. „Einen besseren Säuger gab es nicht in ganz Venedig, als den närrischen Maestro dort. Wenn er zu der Mandoline seine Stimme hören ließ, waren alle Frauen bezaubert. Kein Wunder, daß er seine Augen bis zu einer Contessa erhob. Die stolze Dame aber trieb nur ihren Scherz mit ihm, und als er eines Tages vor ihr niederkniete, ließ sie ihn durch ihren Bedienten mit Schimpf und Schande aus dem Palast jagen, worüber er seinen Verstand verloren hat.“
„Schweig still!“ gebot Aurel heftig dem geschwätzigen Gondolier.
„Gott schütze mich vor einem ähnlichen Geschick!“ murmelte Robert schaudernd.
Mit einer grellen, herzzerreißenden Dissonanz schloß der Wahnsinnige sein Lied, plötzlich abbrechend, da er die Zuhörer in der naheliegenden Gondel erst jetzt bemerkte.
„Nehmt mich mit,“ schrie er, verzweiflungsvoll die Arme ausstreckend. „Erlöst mich aus dieser Hölle, wo ich die Qualen der Verdammten leide!“
Zugleich rüttelte er wie ein wildes Thier an dem eisernen Gitter, von Zeit zu Zeit in ein Wuthgeheul ausbrechend, durch das die Wärter des Irrenhauses herbeigerufen wurden. Gewaltsam suchten sie den Unglücklichen zu entfernen, der sich mit Löwenkraft an den Eisenstäben anklammerte, so daß er ihren Angriffen Trotz bot. Schon faßten ihn die rohen Fäuste der Wärter, um ihn mit Stricken zu binden, während der Wahnsinnige sich verzweiflungsvoll dagegen wehrte.
In diesem Augenblick erschien auf der Schwelle des Hauses eine Nonne in der grauen Kleidung der barmherzigen Schwestern, deren verklärtes Gesicht den himmlischen Frieden nach schwerem innerem Kampfe verrieth.
„Laßt den Armen! Ich werde ihn schon besänftigen,“ sagte sie den Wärtern, die ihr ohne Widerspruch sogleich gehorchten und sich tief vor ihr verneigten.
Was der vereinten Kraft der Männer nicht gelingen konnte, vollbrachte die schwache Frau mit wunderbarer Leichtigkeit. Sie näherte sich dem Wüthenden ohne Furcht und faßte seine Hand, die er ihr ohne Sträuben überließ. Ein Blick, ein Wort genügte, die Wuth des Wahnsinnigen zu bändigen, so daß er ihr wie ein gehorsames Kind in das Innere des Hauses folgte, wo sie mit ihrem unglücklichen Begleiter verschwand.
Mit steigender Theilnahme verfolgten die Zuschauer in der Gondel, vor Allen aber Robert, den eigenthümlichen Zwischenfall, der ihn seiner Apathie entriß. Die ganze überirdische Erscheinung der Nonne erinnerte ihn unwillkürlich an vergangene Zeiten, an ein längst verschwundenes Bild.
„Kennst Du,“ fragte er den Gondolier, „die fromme Schwester?“
„Ob ich sie kenne!“ versetzte Pietro stolz. „Ganz Venedig verehrt die Schwester Teresa gleich einer Heiligen. Es giebt keinen Unglücklichen, den sie nicht tröstete; keinen Kranken, den sie nicht pflegt. Daß sie Wunder thut, habt Ihr ja selbst gesehen und ich zweifle nicht daran, daß sie der heilige Vater noch bei ihrem Leben selig sprechen wird.“
„Sie ist keine Venetianerin?“ forschte Robert, unsicher, ob er sich nicht getäuscht.
„Gott behüte!“ erwiderte der Gondelier. „Wo denkt Ihr hin, Signore? Eine Venetianerin und eine Heilige, das paßt zusammen, wie Orangen und Parmesankäse. Unsere Donnas gehen lieber auf den Carneval als in ein Kloster und tanzen lieber mit gesunden Cavalieren, statt am Bette der Aussätzigen und Verrückten zu wachen. Wie ich gehört habe, ist die Schwester Teresa ein armes Mädchen, das wegen einer unglücklichen Liebe Nonne geworden ist.“
„Ich muß sie sehen, sie sprechen,“ flüsterte Robert seinem Bruder zu, während Pietro seine Gondel nach der anstrengenden Fahrt fröhlich in dem kleinen Hafen von Chioggia anlegte.
Das lebendige Schauspiel, das sich jetzt auf der bekannten Insel seinen Augen bot, zerstreute wenigstens für einige Zeit seine traurigen Erinnerungen an Teresina, die er in jener Nonne erkannt zu haben glaubte. Hier fand Robert, was er in der vornehmen Gesellschaft vergebens suchte, ein unverdorbenes Geschlecht von kräftigen Männern, schönen Frauen und würdigen Greisen, die arm, aber zufrieden mit ihrem kärglichen Loose, unter dem blauen Himmel und im Angesicht des großen heiligen Meeres lebten, das bald ihr Wohlthäter, bald ihr Vernichter ist.
Von Neuem regte sich die Schaffenslust des Künstlers, als er die herrlichen Gestalten der Fischer in ihrer originellen Tracht und die pittoreske Umgebung der Insel erblickte, so daß er mit frischem Eifer seine früheren Studien aufnahm und längere Zeit in Chioggia verweilte.
Mit wahrhafter Freude bemerkte Aurel bei ihrer Rückkehr nach Venedig, daß Robert wieder sein Atelier besuchte und vom frühen Morgen bis zum späten Abend an seiner Staffelei saß, mit einem neuen großen Gemälde für die nächste Ausstellung beschäftigt.
„Dem Himmel sei Dank,“ sagte der treue Bruder, „daß Du wieder malen, kannst. Nun zweifle ich nicht länger, daß Du von allen Deinen Leiden genesen wirst.“
„Ich hoffe es wie Du,“ entgegnete Robert mit dem ihm eigenen Lächeln.
„Wer aber hat dies Wunder bewirkt?“
„Ein Engel, den der Himmel mir zur rechten Zeit gesendet hat.“
„Teresina!“
„Jetzt Schwester Teresa. Ich habe sie in ihrem Kloster [355] aufgesucht und im Sprachzimmer mit ihr eine längere Unterredung gehabt.“
„Und ihre Worte haben mehr vermocht, als alle meine Bitten und Ermahnungen. Du liebst sie, liebst eine Nonne!“
„Frage mich nicht, forsche nicht!“ versetzte Robert. „Laß Dir damit genügen, daß ich wieder Antheil am Leben nehme, daß ich von Neuem hoffen darf.“
„Und Teresina?“
„Fürchte nichts, nicht für mich und noch weniger für die Reine, die durch keinen irdischen Wunsch mehr befleckt wird. Sie lebt, betet und sorgt nur noch für ihre Kranken und Leidenden. Auch mich hat sie getröstet und wunderbar gestärkt, so daß ich mit ihrer Hülfe genesen werde. Ihr allein danke ich es, daß ich wieder Lust an der Arbeit finde.“
„Und wie heißt der Balsam, womit sie dies Wunder gethan?“
„Glaube und Hoffnung, Liebe und Vertrauen,“ erwiderte Robert geheimnißvoll.
Unter diesen Umständen hielt es Aurel für gerathen, seine Neugierde zu bezwingen, obgleich es ihn schmerzte, daß Robert zum ersten Mal vor ihm ein Geheimniß zu haben schien. Gegen seine sonstige Gewohnheit ging derselbe jetzt zuweilen allein, ohne Begleitung des treuen Bruders aus; auch empfing und schrieb er öfters Briefe, die er sorgfältig vor Jenem verborgen hielt. Gewöhnlich pflegte er diese Correspondenz selbst fortzutragen, statt sie, wie sonst, seinem Commissionär zu übergeben; auch vernichtete er sogleich die eingegangenen Antworten, wie Aurel beobachten konnte, als er ihn zufällig überraschte, wie er einen solchen soeben erhaltenen Brief, dessen Aufschrift eine Frauenhand verrieth, in den Flammen des Kamins verbrannte.
Anfänglich wurde Aurel durch dieses seltsame Benehmen beunruhigt, so daß er aus Furcht vor einem ebenso sträflichen als gefährlichen Liebesverhältniß mit Teresina die Schritte Robert’s im Geheimen überwachte, um ihn vor den möglichen Folgen einer neuen Thorheit zu bewahren. Bald aber mußte er seinen Irrthum erkennen und jeden derartigen Verdacht um so mehr schwinden lassen, da Teresina, wie er von dem Gondolier erfuhr, seit einigen Tagen Venedig verlassen hatte, um auf Befehl der Oberin die Pflege einer hochgestellten Kranken in Florenz auf deren besonderen Wunsch zu übernehmen.
In der That schien Robert’s letzte Unterredung mit Teresina eine wohlthätige Umwandlung seines zerstörten Gemüthes hervorgerufen, seine bisher so gedrückte Stimmung wieder gehoben zu haben. Mit früherer Lust arbeitete er jetzt an seinem neuen Gemälde, das eine Fischerfamilie in Chioggia darstellte in dem Augenblick, wo die Männer sich zur Abfahrt rüsten und von ihren Familien Abschied nehmen. Nur die sanfte Melancholie, welche auf seinem Bilde ruhte und unwillkürlich die Seele des Beschauers ergriff, verrieth dem tieferen Beobachter die geheimen Leiden des Künstlerherzens.
Seit jenem verhängnisvollen Abende in der Kirche Santa Croce, wo er mit der Prinzessin an dem Grabe Alfieri’s einen ewigen Bund geschlossen, litt Robert alle Höllenqualen einer unglücklichen Liebe. Er glaubte sich verrathen, verachtet von der einzigen Frau, die er anbetete wie nie ein anderes Weib. Ihre plötzliche Abreise, das vorangegangene Gespräch mit ihren nächsten Verwandten zeigten ihm nur zu klar den unübersteiglichen Abstand, welcher den Maler von der Fürstentochter trennte. Der Gedanke, daß sie ihn getäuscht, nur ein leichtfertiges Spiel mit ihm getrieben, verletzte seinen Stolz, verwundete ihn um so tiefer, je höher er sie gestellt, je reiner und vollendeter sie ihm erschienen war.
Ihr Abschiedsbrief hatte wie ein Blitzstrahl das luftige Gebäude seines Glückes vernichtet, seinen Liebestraum unbarmherzig zerstört, er war erwacht zu einem schrecklichen Dasein.
Matt und gebrochen schleppte sich Robert nach Venedig, wo er vergebens Vergessenheit suchte. Umsonst kämpfte er gegen die Leidenschaft seines Herzens, suchte er das Bild der Ungetreuen, die Erinnerung an seine Liebe aus der kranken Brust zu reißen.
Nicht die Auszeichnungen, die dem berühmten Künstler zu Theil wurden, nicht der Reiz der gebotenen Zerstreuung, die besten Gesellschaftskreise, welche sich ihm bereitwillig öffneten, noch die Verehrung der ersten Männer, die Zuvorkommenheit der schönsten Frauen, selbst nicht die Liebe zu seiner Kunst, die Treue des besorgten Bruders vermochte seine täglich wachsende Schwermuth zu besiegen.
Jener unüberwindliche Ekel des Daseins, welcher gerade die edelsten und größten Geister anzuwandeln pflegt, hatte Robert unbarmherzig erfaßt und den sonst so klaren Verstand umdüstert. Er fürchtete, wahnsinnig zu werden wie Tasso, der gleich ihm zu kühn seine Augen zu der Fürstentochter Leonore von Este emporgehoben, der wie er geliebt und unaussprechlich gelitten.
Zuweilen starrte er minutenlang in den ihm gegenüberstehenden Spiegel und beobachtete sein bleiches, von Leiden abgezehrtes Gesicht, das ihn mit Schauer und Furcht vor sich selbst erfüllte.
„Welch’ eine Physiognomie!“ sagte er zu dem erschrockenen Aurel, „welche hohle, gespenstische Augen! Die Fremden, denen ich auf der Straße begegne, bleiben stehen, weil sie mich für wahnsinnig halten.“
„Um des Himmels willen!“ rief der geängstigte Bruder. „Wie kommst Du zu diesem Gedanken, der mich unglücklich macht?“
„Du hast Recht,“ erwiderte er, sich gewaltsam fassend. „Ich will nicht mehr in den verwünschten Spiegel sehen, der meine Züge verzerrt. Habe Geduld mit mir und meinen Leiden.“
Mit einem erzwungenen Lächeln suchte Robert die Besorgnisse Aurel’s zu verscheuchen, den er über Alles liebte. Aber bald verfiel er wieder in sein früheres dumpfes Brüten; vor seiner Seele stand das blutige Gespenst seines Bruders Alfred, der durch Selbstmord geendet hatte. Im nächtigen Traume erschien ihm die bleiche Gestalt und deutete auf die klaffenden Wunden, unheimlich verlockende Worte ihm zuflüsternd, daß er verstört aus dem unruhigen Schlafe emporfuhr.
So verflossen für Robert die Stunden und Tage in namenloser Pein, aus der ihn jedoch, wie durch ein Wunder, die unerwartete Dazwischenkunft Teresina’s erlöst zu haben schien, obgleich er über ihre Mittheilungen selbst dem vertrauten Bruder gegenüber das tiefste Stillschweigen beobachtete.
Wie der Frühling das starre Eis schmilzt und die erstorbenen Blüthen weckt so hatte der milde Zuspruch der Nonne die finsteren Schatten von Robert’s Seele verscheucht und frischen Lebensmuth in sein wundes Herz gegossen. Wieder wurde sein Atelier der Sammelplatz der vornehmen Welt, aller Kunstfreunde, die aus der Nähe und Ferne herbeiströmten, um seine neueste geniale Schöpfung zu bewundern. Ja er verstand sich dazu, hauptsächlich aus Rücksicht für seinen Bruder, die Salons der hohen Aristokratie zu besuchen. Am liebsten jedoch verkehrte er jetzt mit den bürgerlichen Familien einiger in Venedig angesessenen Schweizer Landsleute, vor Allen aber in dem Hause eines deutschen Arztes, für dessen schöne und geistvolle Schwester Aurel sich zu interessiren schien.
„Folge meinem Rath,“ sagte er eines Tages zu dem Bruder „und heirathe so bald als möglich das holde Kind, um glücklich zu werden.“
„Du vergißt, daß ich noch nicht selbstständig, nicht in der Lage bin, eine Frau und eine Familie zu ernähren.“
„Das wird meine Sorge sein. Ich besitze und erwerbe ja genug für uns Beide.“
„Aber ich kann unmöglich eine solche Unterstützung von Dir annehmen, auch will ich Dich nicht verlassen, so lange Du noch leidend bist.“
„Wir werden uns auch nicht trennen, sondern mit einander leben wie bisher. Grüße Deine Johanna von mir.“
„Willst Du nicht mit mir kommen? Sie erwartet Dich.“
„Ich will, so lange es noch hell ist, an meiner Copie für den Grafen Raczinsky arbeiten. In einer Stunde folge ich Dir zu Deinen Freunden.“
Kaum aber hatte Aurel das Atelier verlassen, so legte auch Robert Pinsel und Palette bei Seite. Heimlich stahl er sich aus der Thür und rief den treuen Gondolier, dessen Stillschweigen er durch ein ansehnliches Geschenk erkaufte.
„Schnell zu dem Kloster der barmherzigen Schwestern!“ rief er, verzehrt von Ungeduld.
„Ich weiß schon,“ sagte Pietro. „Da muß man sich anstrengen und ein Uebriges thun.“
„Für jede Minute, die wir früher ankommen, erhältst Du einen Lira.“
Mehr bedurfte es nicht, um den Gondolier anzuspornen, aber so schnell auch das leichte Fahrzeug unter den kräftigen Stößen [356] dahinflog, so klagte Robert doch über dessen Langsamkeit und trieb immer von Neuem zur höchsten Eile, als hinge von jedem gewonnenen Augenblick, sein Glück, sein Leben ab.
Mit einem raschen Sprung stürzte er die Treppen zum Kloster hinauf, an dessen verschlossenen! Thore er so heftig klingelte, daß die alte Pförtnerin erschrocken aus ihrem Lehnstuhl emporfuhr, um dem ungestümen Besucher zu öffnen.
„Dachte ich doch, daß Ihr es seid,“ sagte sie. „Man kennt Euch schon an Eurem starken Läuten.“
„Ist Schwester Teresina zurückgekehrt?“ fragte er hastig, ohne sie beenden zu lassen.
„Noch nicht. Wir haben sie jeden Tag erwartet, aber die Gräfin in Florenz scheint wieder kränker geworden zu sein und hält sie noch zurück, obgleich ihre Gegenwart hier nöthig ist.“
„Und hat sie nicht geschrieben, ist kein Brief für mich von ihr eingegangen?“
„Da muß ich wohl die Frau Oberin fragen, durch deren Hände alle Briefe gehen, obgleich Schwester Teresina eine Ausnahme macht, thun und lassen darf, was sie will.“
Es dünkte Robert eine Ewigkeit, bis die Alte von der Oberin zurückkehrte mit dem so sehnlichst erwarteten Briefe in der Hand.
Ohne ihre Gegenwart zu beachten, erbrach er hastig das wohlbekannte Siegel, durchflog er mit seinen Blicken Teresina’s Zeilen.
Je länger er las, desto heller glänzten seine Augen, desto mehr rötheten sich seine Wangen, selbst ein schon lange nicht gekanntes Lächeln umschwebte seine Lippen.
Wie ein Sterbender, dem ein Wundertrank des Arztes neues Leben in das stockende Herz gießt, so belebten sich sichtlich seine Züge. Plötzlich aber stieß er einen leisen Schrei, aus, als er angeschlossen an den Brief der Nonne einige mit Bleistift flüchtig geschriebene Worte von der ihm nur zu gut bekannten Hand der Prinzessin bemerkte:
„Muth, Muth, theurer Freund!“ schrieb sie ihm. „Ich weiß Alles. Bald werden unsere Leiden enden. Groß sind die Hindernisse, die uns noch trennen, aber unsere Liebe wird sie besiegen. Erwarten Sie mich sicher in Venedig bis zum 20. März.
Wenn ich nicht komme, so ist unser Schicksal für immer entschieden und wir dürfen uns auf Erden nicht wiedersehen. Treu bis in den Tod. Charlotte.“
„Sie liebt mich, hat mich stets geliebt!“ jubelte Robert, indem er die Zeilen der Prinzessin mit seinen Küssen bedeckte, von neuen Hoffnungen belebt.
[369]Seit einigen Tagen war die Prinzessin Charlotte von London, wo sie bisher bei ihrem Vater Joseph Bonaparte lebte, nach Florenz zurückgekehrt, um ihre unterdeß schwer erkrankte Mutter wiederzusehen. An dem Bette der Leidenden fand sie die Nonne, welche die Pflege der Gräfin von Survilliers auf deren ausdrücklichen Wunsch übernommen hatte, da Schwester Teresa’s Ruf bis zu ihr gedrungen war.
Auch die Prinzessin fühlte sich seltsam zu dem frommen Mädchen hingezogen, dessen freudige Hingebung, Geduld und Ausdauer sie bewundern lernte, während sie selbst mit ihr an dem Lager der geliebten Mutter wachte. Sie glaubte, schon früher dieses sanfte, verklärte Gesicht gesehen zu haben, obgleich sie vergebens ihr Gedächtniß anstrengte, wo sie diese sympathischen Züge einst erblickt.
„Ich muß Ihnen, Schwester Teresa, schon im Leben begegnet sein,“ sagte die Prinzessin in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft, als Beide an dem Bette der vor Ermattung eingeschlafenen Kranken saßen.
„Wohl möglich,“ flüsterte die Nonne, um die Gräfin nicht zu wecken. „Ich habe früher in Rom gelebt.“
„Je länger ich Sie betrachte, desto bekannter erscheinen Sie mir. Kommen Sie meinem schwachen Gedächtniß zu Hülfe. Der Gedanke quält und beschäftigt mich, wo ich Sie früher schon gesehen habe.“
„Vielleicht in dem Atelier des Malers Robert, mit dem ich damals bekannt war.“
„O,“ rief die Prinzessin überrascht, „ich wußte, daß ich mich nicht täuschte. Jetzt erinnere ich mich deutlich, Sie sind das Original zu seinem Mädchen von Sonnino, die schöne ernste Gestalt auf seinem herrlichen Bilde ‚die heimkehrenden Schnitter aus den pontinischen Sümpfen‘.“
„Das war ich einst,“ versetzte Teresina mit einem leisen Seufzer.
„Und jetzt sind Sie Nonne,“ entgegnete die Prinzessin nachdenklich.
Es folgte eine unwillkürliche Pause, nur unterbrochen von den ungleichen fieberhaften Athemzügen der kranken Gräfin, die jetzt zu träumen schien und im Schlafe unverständliche Worte, unzusammenhängende Reden murmelte. Erst nach längerer Zeit nahm die Prinzessin das abgebrochene Gespräch wieder auf, wobei sie ein lebhaftes Interesse verrieth.
„Wie ich höre, lebt Herr Robert augenblicklich in Venedig. Sollten Sie vielleicht zufällig ihn gesehen, oder von ihm gehört haben?“
„Ich habe ihn selbst gesprochen,“ erwiderte Teresina, ihre durchdringenden Augen auf die Prinzessin gerichtet, als wollte sie auf dem Grunde ihrer Seele lesen.
„Und wie geht es ihm, wie haben Sie ihn verlassen?“ fragte sie erröthend. „Er war oder ist vielmehr der beste Freund unserer Familie, den wir nie vergessen werden,“ setzte sie gleichsam entschuldigend hinzu.
„Ich weiß es.“
„Hat er von uns gesprochen, unsere Namen genannt?“ forschte sie mit sichtlicher Spannung.
Die Blicke beider Frauen begegneten sich und verriethen deutlicher, als Worte vermögen, das Geheimniß ihrer Herzen, die verborgensten Gedanken ihrer Seele. Sie hatten sich gegenseitig erkannt, in ihrer gemeinsamen Liebe gefunden, so daß jede Scheidewand zwischen ihnen geschwunden war.
„Ich darf Ihnen vertrauen,“ sagte die Prinzessin, während sie sich zu der Kranken niederbeugte, die noch immer zu schlummern schien.
„Wie dem Priester in der heiligen Beichte,“ flüsterte die Nonne.
„Auch ich habe eine schwere Sünde Ihnen zu gestehen, eine große Schuld an dem edlen Mann zu sühnen.“
„Er hat Ihnen verziehen, aber er leidet und stirbt an gebrochenem Herzen.“
„Was kann, was soll ich thun?“
„Ihn retten und dem Leben wiedergeben, ehe es zu spät ist.“
„Sie vergessen meine Lage, die unüberwindlichen Hindernisse, die mir überall, wohin ich mich wende, entgegentreten.“
„Die Liebe siegt über Alles. Kein Opfer darf ihr zu schwer fallen.“
„O, Sie wissen, was Liebe ist!“
„Jetzt gehört mein Herz nur Gott allein, meine Gedanken dem Himmel, mein Leben den Kranken und Hülfsbedürftigen. Auch Er ist krank, elend und darum muß ich an ihn denken.“
„Sie beschämen mich. Ich kann nur die Größe Ihres Opfers bewundern, aber mir fehlt der Muth und die Kraft, Ihrem Beispiele zu folgen.“
„Ein Wort von Ihnen genügt, den Unglücklichen aufzurichten. Wollen Sie den Durstenden verschmachten lassen, wenn ein [370] Tropfen aus dem Quell Ihrer Liebe ihn für immer retten kann? Soll der große Künstler in langsamen Qualen hinsterben, wenn Sie nur die Hand auszustrecken brauchen, um ihn der Welt, dem Leben und seiner Kunst zu erhalten? Was kümmert Sie die Meinung der Welt, selbst der Zorn Ihrer Familie, wenn das eigene Herz Sie frei spricht? Wenn Sie sich aber noch länger besinnen, aus irdischer Rücksicht zögern, so ist Robert für immer verloren. Zeigen Sie, daß Sie seiner würdig sind, daß Sie hoch genug stehen, um all’ den ärmlichen Tand zu verachten, daß nicht nur Ihr Name, sondern auch ihr Herz von Adel ist.“
Mit steigender Bewunderung blickte die Prinzessin auf die Nonne, welche mit gerötheten Wangen und überirdisch strahlenden Augen vor ihr stand, hingerissen von ihrer Begeisterung, gleich einer gottgeweihten Seherin. Das war nicht mehr das schlichte Mädchen von Sonnino, nicht mehr das arme Kind der Berge, sondern die Priesterin der reinsten Liebe, vom Hauche Gott’s, von heiliger Inspiration erfüllt.
Vor der Tochter des Volkes beugte sich die Tochter des Fürstenhauses, besiegt durch die Größe dieses einfältigen und doch so erhabenen Herzens, vor dem aller Geist, alle Bildung, jedes Vorurtheil und aller Standesunterschied wie Schatten vor dem siegenden Sonnenlicht erbleichen mußten.
„Ich werde ihn retten,“ flüsterte die Prinzessin, indem sie ihre Hand zur Bekräftigung der neuen Freundin reichte.
Seit diesem Tage war die Nonne die Vertraute ihrer Liebe, ihre Rathgeberin, ihre einzige Stütze in dem schweren Kampfe des Herzens mit der Welt, der Neigung mit dem Vorurtheil. Durch Teresina wurde das zerrissene Bündniß wieder angeknüpft, erfuhr Robert, daß er nicht vergessen war, daß die Prinzessin ihn liebte und sich entschlossen hatte, ihm jedes, selbst das größte Opfer zu bringen, daß sie nur noch zögerte, weil die kindliche Pflicht sie an dem Krankenbett der Mutter festhielt.
Das war das Wunder, welches Robert so gänzlich umgewandelt hatte, das Geheimniß, das er selbst vor seinem Bruder so sorgfältig bewahrte. Deshalb stahl er sich heimlich aus seinem Atelier nach dem Kloster der barmherzigen Schwestern in Venedig, wartete er mit steigender Ungeduld auf Nachrichten von Schwester Teresa und auf ihre Wiederkehr.
Unterdeß schlichen Tage und Wochen für die Liebenden in verzehrender Sehnsucht hin, da der Zustand der Gräfin sich in der letzten Zeit trotz der sorgfältigsten Pflege so sehr verschlimmert hatte, daß nach der Aussage der hinzugezogenen Aerzte ihr Leben in Gefahr schwebte.
Gerührt von der aufopfernden Pflege der Prinzessin, welche nicht von ihrer Seite wich, schien sich die Kranke nur noch ausschließlich mit dem Schicksal ihrer zurückbleibenden Tochter zu beschäftigen, deren geheime Neigung sie von früher kannte, deren gegenwärtigen Kummer sie zu ahnen schien.
„Charlotte,“ sagte die besorgte Mutter, „ich habe Schwester Teresa ersucht, uns auf einige Zeit allein zu lassen, weil ich mit Dir vor meinem Scheiden über manche wichtige Angelegenheit noch zu sprechen wünsche. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich schuld an Deinem Unglück bin.“
„Sie irren sich. Ich bin nicht unglücklich.“
„Ich weiß es besser. Du willst mich nur täuschen, aber ich lese wider Willen in Deinem Herzen. Du kannst den Mann nicht vergessen, der Dir und uns so viele Beweise der innigsten Freundschaft gegeben, uns Allen so große Opfer gebracht hat.“
„O meine Mutter!“ bat Charlotte. „Schonen Sie mich, verurtheilen Sie mich nicht, bevor Sie mich gehört haben.“
„Ich bin weit entfernt, Deine Liebe noch ferner zu verdammen.“
„Wie ist das möglich, da Sie an jenem traurigen Tage mich in meinem unglückseligen Entschluß bestärkten und, als ich schwankte, in mich drangen, den verhängnißvollen Scheidebrief an Robert abzusenden, der ihn zur Verzweiflung trieb?“
„Damals folgte ich nur meiner Ueberzeugung, die sich seitdem wesentlich verändert hat. Ich fürchtete für Dich die Folgen eines Schrittes, der Dich Deiner Familie entfremden, mit der Welt in unausbleiblichen Conflict bringen und nach meiner Ansicht erniedrigen mußte. Seitdem ist meine Anschauung erschüttert worden, habe ich meinen Irrthum einsehen gelernt.“
„O, Sie wollen mich nur prüfen, nur hören, ob ich noch wie früher Robert liebe!“
„Dessen bedarf es nicht, da ich unwillkürlich Zeuge Deines Gespräches mit der frommen Schwester war. Während ich im Halbschlummer lag, habe ich genug gehört, um Dein Geheimniß zu kennen.“
„So wissen Sie Alles?!“ rief die Prinzessin überrascht.
„Fürchte nicht, daß ich Dir deshalb zürne. Wie Du, habe auch ich die Mahnungen der frommen Schwester mit Bewunderung vernommen und über ihre Worte auf meinem Krankenlager nachgedacht. O, sie hat vollkommen Recht, den irdischen Tand zu verachten. Im Angesicht des Todes, an der Pforte der Ewigkeit, vor der ich stehe, ist auch von meinen verblendeten Augen die Binde gefallen, bin ich zu der Erkenntniß gelangt, daß Rang und Stand, Geburt und Vermögen nur vergängliche Güter, eitel Täuschung sind.“
„Und Sie vergeben mir, daß ich dein theuren Freund von Neuem Hoffnung gab?“
„Ich verzeihe Dir und will mich nicht länger Deinen Wünschen widersetzen. Habe ich doch aus eigener Erfahrung die Nichtigkeit unserer eingebildeten Größe kennen gelernt. Wohin ich in unserer Familie blicke, sehe ich nur Leiden und selbstverschuldete Qual: Hortense von ihrem Gatten getrennt, der Sohn des Kaisers todt, Louis in der Verbannung, von Ehrgeiz verzehrt, über verwegenen Plänen und Verschwörungen brütend, ich selbst einsam und verlassen, krank und elend in Florenz, während Dein Vater in London lebt. Das ist das Glück der Napoleoniden, vor dem ich Dich zu bewahren hoffe.“
„Was wollen Sie thun?“
„Alles, was eine besorgte Mutter für eine geliebte Tochter vermag. Ich werde noch heut, so schwer es mir auch fällt, an Deinen Vater schreiben und ihn beschwören, sich nicht länger Deinen Wünschen entgegenzusetzen. Er wird und muß auf die Bitten einer Sterbenden hören. Das Glück, das mir versagt war, werde ich meiner Tochter sichern und dann ruhig von dem Leben scheiden.“
„Nein, nein! Sie dürfen nicht sterben, Sie müssen leben und sich Ihres Werkes freuen!“ rief die Prinzessin niederknieend und die Hand ihrer Mutter mit Küssen und Thränen bedeckend.
Trotz der vorangegangenen Aufregung erholte sich die Kranke nach diesem Zwiegespräch, das sie gleichsam erleichtert und beruhigt zu haben schien, in so auffallender Weise, daß die behandelnden Aerzte fast mit Sicherheit ihre nahe Genesung hoffen ließen. Unter dem freudigen Eindruck dieser doppelt glücklichen Wendung ihres Looses schrieb die Prinzessin jene Zeilen, worin sie Robert ihre Ankunft in Venedig spätestens bis zum zwanzigsten März anzeigte.
Aber schon nach wenigen Tagen erwies sich die günstige Annahme der Aerzte als eine schmerzliche Täuschung, indem in dem Befinden der Kranken ein unerwartet heftiger Rückfall eingetreten war, so daß ihr Leben von Neuem in Gefahr schwebte.
Unter diesen Umständen war es der Prinzessin unmöglich, ihr Wort zu halten und die bereits beschlossene Reise nach Venedig anzutreten. Mit Recht fürchtete sie, durch ihr Zögern den Geliebten, dessen mißtrauische, zur Melancholie geneigte Stimmung sie hinlänglich kannte, zu täuschen, um so mehr zu verletzen, je größer die ihm gegebene Hoffnung war. Teresina, die mit ihr sich in die Pflege der Kranken theilte, war die Vertraute ihres Kummers, ihrer Verzweiflung, daß sie dem treuen Freunde ihr Versprechen brechen mußte.
„Robert erwartet mich,“ klagte sie schmerzlich der Nonne, „und ich kann und darf meine Mutter nicht verlassen.“
„Ich will ihm sogleich schreiben.“
„Ich fürchte, daß ein Brief ihn nicht beruhigen wird. Wie ich ihn kenne, wird er von Neuem an meiner Liebe zweifeln und sich von mir verrathen glauben.“
„Leider muß ich Ihnen beistimmen. Aber was sollen wir in unserer Lage thun?“
„Ich weiß keinen Ausweg,“ versetzte die Prinzessin tief betrübt.
„Und doch dürfen wir Robert nicht ohne Nachricht lassen. Bei seiner Reizbarkeit, seiner unglücklichen Schwermuth wird er das Schrecklichste denken. Die Ungewißheit kann ihn tödten.“
„Rathen Sie, helfen Sie, theure Schwester!“ flehte die Prinzessin mit Thränen in den Augen.
„Es giebt nur eine Möglichkeit: wenn ich selbst nach Venedig gehe, da er mir vollkommen traut.“
[371] „Aber meine Mutter wird Sie nicht entbehren können.“
„Schwester Beate, welche die Frau Gräfin kennt und gern sieht, kann mich auf einige Tage vertreten. Meine Abwesenheit wird ihr um so weniger auffallen, da sie weiß, daß die Frau Oberin in Venedig nach mir verlangt. Sobald ich Robert gesprochen, kehre ich sogleich zurück, um unsere Kranke ferner zu pflegen.“
„Sie geben nur das Leben wieder,“ versetzte die Prinzessin. „Ich selbst will bei meiner Mutter wachen und Ihre Stelle zu vertreten suchen, so weit mir dies möglich ist. Aber wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn Sie noch zur bestimmten Frist in Venedig eintreffen und Robert wegen der unverschuldeten Verzögerung beruhigen wollen.“
So sehr auch Teresina ihre Reise beschleunigte, so sah sie sich doch noch genöthigt, einige Tage länger, als sie beabsichtigt hatte, in Florenz zu verweilen, da ihre Stellvertreterin durch anderweitige Beschäftigungen verhindert wurde, sie sogleich zu ersetzen.
Unterdeß erwartete Robert von Stunde zu Stunde mit steigender Ungeduld die Ankunft der Prinzessin. Anfänglich zerstreuten ihn die mannigfachen Vorbereitungen, die er zu ihrem Empfange traf. Sein Atelier in dein Palazzo Pisani hatte sich in den letzten Tagen in einen Blumengarten verwandelt, seine Wohnung in ein kleines Feenschloß. Laubgewinde und Guirlanden von immergrünen Zweigen bekleideten die Wände, zwischen denen seine Bilder, besonders die „Abfahrt der Fischer auf Chioggia“ aus den goldenen Rahmen hervorschauten.
„Was hat das Alles zu bedeuten?“ fragte verwundert der Bruder. „Willst Du ein Fest geben?“
„Ich erwarte Besuch.“
„Wenigstens eine Königin, nach Deinen Vorbereitungen zu schließen.“
„Du hast es errathen,“ versetzte Robert mit geheimnißvollem Lächeln.
Aber die Blumen verwelkten, die Kränze vertrockneten, und ein finsterer Schatten lagerte wieder auf der klaren Stirn des berühmten Malers. Von Neuem verfiel er in seine finstere Schwermuth, den leicht geweckten Zweifel, die angeborene Melancholie, der er sich gewaltsam zu entreißen suchte. Er konnte nicht glauben, daß die Geliebte ihn so grausam täuschen, daß sein Vertrauen ihn wiederum belügen sollte.
„Sie wird, sie muß kommen!“ sagte er sich wohl hundertmal des Tages, um die aufsteigenden Besorgnisse zu verscheuchen. – Den schwersten Stand hatte der Gondolier, der fortwährend auf dem Wege nach dem Kloster der barmherzigen Schwestern war und vom Morgen bis zum späten Abend keine Ruhe fand. So oft aber Robert auch nach Teresina fragte, schüttelte die alte Pförtnerin den Kopf. Weder eine Nachricht, noch ein Brief von ihr war der Oberin zugekommen, die selbst über das lange Ausbleiben der Nonne besorgt schien und sich den Mangel an jeglicher Nachricht aus Florenz nicht zu erklären vermochte.
„Ein Brief kann leicht verloren gehen,“ tröstete er sich selbst. Um sich zu zerstreuen, schlug er den Weg nach dein Marcusplatze ein, wo, wie er wußte, Aurel in dein bekannten „Café Floriani“ ihn erwartete. Nachdem er einige Worte mit dem Bruder gewechselt, griff er mechanisch nach der nächsten besten Zeitung, in die er flüchtig hineinblickte, weniger um zu lesen, als um seinen quälenden Gedanken zu entfliehen.
Plötzlich verfärbte sich sein Gesicht, mit einer heftigen Bewegung reichte er Aurel das Blatt hin, welches eine ebenso ungerechte, als verletzende Kritik seines letzten Gemäldes enthielt. Ein neidischer Italiener, den der Ruhm des fremden Malers verdroß, borgte die Figur eines venetianischen Gondoliers, dem er seinen Tadel über Robert’s Bild in den Mund legte, die Unnatur dieser Fischer von Chioggia ihm vorwerfend, welche in der Wirklichkeit nirgends existiren sollten.
In jeder anderen Zeit hätte Robert vielleicht selbst über die witzige Einkleidung gelacht, aber bei seiner jetzigen Reizbarkeit reichte der geringste Widerspruch hin, ihn aufzubringen.
„Welche Ungerechtigkeit!“ sagte er erzürnt. „Wenn ich die Natur darstellen sollte, wie ich sie finde, so würde ich noch heute meinen Pinsel fortwerfen, meine Palette zerbrechen.“
„Rege Dich nicht unnöthig auf! Man sieht es ja sofort der Kritik an, daß sie ein Italiener geschrieben hat, der sich über Deine großen Erfolge ärgert. Was er über Deine Fischer sagt, ist um so ungerechter, da er diese guten Leute von Chioggia gar nicht zu kennen scheint und sie ohne Zweifel mit dem elenden Gesindel verwechselt, das sich auf dem Marcusplatz und an der ,Riva degli Schiavoni’ herumtreibt. Kein Vernünftiger wird auf ein solches Gewäsche achten.“
„Am meisten betrübt es mich, daß er meinem Bilde politische Motive unterschiebt, daß er mir vorwirft, auf Kosten des Adels das Volk zu erheben und aus jedem gemeinen Herumtreiber einen Helden zu machen. Ich bin mir bewußt, daß ich nur gerecht gegen das Volk bin, wenn ich es so darstelle, wie es mein Künstlerauge erblickt.“
„Was kümmert Dich der einfältige Mensch, der allerdings besser zum Gondolier als zum Kritiker paßt? Dein Bild hat den Beifall aller Kenner und damit kannst Du zufrieden sein.“
„Wenn er aber doch Recht hätte!“ versetzte Robert nachgrübelnd, „wenn ich wirklich, wie er sagt, auf einem falschen Wege wäre, wenn ich, statt fortzuschreiten, Rückschritte machte! Ich fühle, wie meine Kraft abnimmt, wie meine Leistungen weit hinter meinen Idealen zurückbleiben. Dir allein darf ich es gestehen, daß ich an meinen Gestalten eine gewisse Härte des Ausdrucks, in meiner Farbe eine gewisse Trockenheit zu bemerken glaube. Wenn ich meine Bilder mit denen eines Tizian, eines Bellini oder Veronese vergleiche, so komme ich mir selbst wie ein elender Stümper vor. Ich fürchte, daß der Gondolier nur die Wahrheit sagt.“
„Nein, nein! Auch Deine Bilder werden unsterblich sein.“
„Wenigstens würde ich eine Niederlage nicht überleben,“ entgegnen Robert mit einer Anwandlung seiner früheren Schwermuth.
Vergebens suchte Aurel den Aufgeregten zu beruhigen. – Wenn der Becher voll ist, genügt ein Tropfen, um ihn zum Ueberlaufen zu bringen und der leiseste Luftzug reicht schon hin, um dem Verwundeten die furchtbarsten Schmerzen zu bereiten. So hing sich unsichtbar Kette an Kette, Gewicht an Gewicht, um den Unglücklichen zu Boden zu drücken, bis er der unerträglichen Last erliegen mußte.
Wieder regten sich die kaum eingeschlummerten Geister des Mißtrauens, obgleich er sie noch gewaltsam niederzukämpfen suchte; wieder erschien ihm im Traume die blutbefleckte Gestalt seines Bruders, unheimliche verlockende Worte flüsternd; wieder verlebte er die langen Tage in aufreibender Erwartung, die schlaflosen Nächte in namenloser Qual.
Bald glaubte er, daß ihn die Prinzessin von Neuem täuschen wollte, bald fürchtete er, daß ihr ein Unglück zugestoßen; fortwährend schwankte er zwischen belebender Hoffnung und düsterer Verzweiflung, ein Spielball seiner wechselnden Stimmung. Je näher die versprochene Ankunft der Prinzessin rückte, desto unruhiger, desto verstörter erschien er dem besorgten Bruder, der sich diesen plötzlichen Rückfall in die frühere Schwermuth nicht zu erklären vermochte.
Nur gezwungen folgte ihm Robert in das Haus des deutschen Arztes, wo er sonst ebenso gern verkehrte, wie er gern daselbst gesehen wurde. Die besonders musikalisch hoch gebildeten Damen, welche seine Vorliebe für classische Musik kannten, suchten ihn durch ihr Spiel und Gesang wie gewöhnlich zu erheitern, indem sie sich ganz seinen Wünschen fügten und ihm mit zuvorkommender Liebenswürdigkeit die Wahl der von ihnen vorzutragenden Compositionen überließen.
Er verlangte an diesem Abend Mozart’s Requiem, den Schwanengesang des großen Meisters, dessen düstere Todtenklage mit seinen Todesgedanken harmonirte. Plötzlich aber wechselte seine Traurigkeit mit einer überraschenden, fast krankhaften Heiterkeit, die um so mehr bei seinem ernsten Wesen befremden mußte. Gegen seine sonstige Gewohnheit blieb er in lebhafter Unterhaltung bis spät nach Mitternacht in der befreundeten Familie, von der er mit dem in seinem Munde bedeutungsvollen Zuruf Abschied nahm: „Auf Wiedersehen!“
Am andern Morgen fand ihn Aurel damit beschäftigt, den letzten Brief der Prinzessin, der vorn 8. März 1835 datirt war, zu verbrennen. In seinen Zügen verrieth sich die unheimliche Ruhe des festen Entschlusses, so daß der Bruder sich einer leisen Befürchtung nicht zu erwehren vermochte.
„Ich finde Dich,“ sagte er bekümmert, „seit einigen Tagen wieder leidend, gänzlich verändert. Ich glaube Dein Geheimniß zu kennen. Wie es scheint, trägt allein die Liebe Schuld an Deiner Verstimmung. Vertraue mir, was Dich quält.“
[372] „Du irrst Dich,“ erwiderte Robert ausweichend. „Ich bin jetzt gänzlich geheilt von meiner Neigung und denke nicht mehr daran.“
„Wenn Du auch Deine Leidenschaft überwunden hast, so sind die Spuren derselben noch nicht aus Deinem Herzen getilgt. Nachdem Du das Bild der Geliebten aus Deiner Brust-entfernt hast, mußt Du natürlich eine traurige Leere empfinden. Die Wunde blutet noch, wenn auch der Pfeil herausgezogen ist. Jetzt scheint mir der Augenblick gekommen, wo Du für immer Genesung suchen mußt. Wir wollen nach der Schweiz, nach Paris reisen, wo Du Dich zerstreuen, vielleicht ein neues Glück an der Hand einer Deiner würdigen Gattin finden wirst.“
„O nein theurer Bruder!“ seufzte der Unglückliche. „Es ist zu spät. O Gott, wenn ich die letzten Jahre zurückkaufen könnte, was würde ich darum geben!“
Um ihn nicht noch mehr aufzuregen, beendete Aurel das schmerzliche Gespräch, indem er sich entfernte, einen nothwendigen Gang vorschützend. Noch einmal rief Robert, als er sich allein fand, den verschwiegenen Gondelier und ließ sich von ihm nach dem Kloster der barmherzigen Schwestern rudern.
„Keine Nachricht von Schwester Teresa?“ fragte er die alte Pförtnerin hastig mit zitternder Stimme.
„Keine!“ lautete die gleiche Antwort, die er schon so oft im Laufe der letzten Tage gehört hatte.
Es war die Bestätigung seines Todesurtheils.
„Auch Teresina hat mich verlassen!“ klagte er bitter. „Die Liebe ist todt, die Treue gestorben. Was soll ich noch auf dieser Erde?“
Man schrieb den 20. März. Gerade an demselben Tage, zur selben Stunde hatte vor zehn Jahren Robert’s Bruder sich selbst getödtet. Daran dachte der Unglückliche, als er nach seinem Atelier zurückwankte, dessen Thür er sorgfältig hinter sich verschloß. Noch einen Blick warf er auf die verwelkten Blumen und vertrockneten Kränze, begleitet von dem schmerzlichen Lächeln der getäuschten Erwartung.
„Wenn ich bis zum 20. März nicht nach Venedig komme, so dürfen wir uns auf Erden nicht wiedersehen. Treu bis in den Tod. Charlotte,“ murmelte er, die verhängnisvollen Zeilen der Prinzessin mit bereits irrendem, wandelndem Geiste wiederholend.
Eine Stunde später fand Aurel die Leiche des geliebten Bruders im Blute schwimmend; an demselben Abend langte Teresa in Venedig an.
Mit klopfendem Herzen eilte sie nach dem Atelier des Künstlers, um ihm sein nahes Glück zu verkünden.
Sie kam zu spät!
Neben der theuren Leiche, auf die jetzt die letzten Strahlen der untergehenden Sonne verklärend fielen, kniete die Nonne, für die Ruhe des geliebten Todten betend.
Drei Tage darauf fuhr der treue Pietro eine schwarze Gondel, welche den Sarg Robert’s trug, nach der kleinen Insel St. Michael de Murano, begleitet von seinem Bruder, seinen Freunden, zahlreichen Künstlern, einheimischen und fremden Verehrern seines großen Talentes.
Ein einfacher Stein an der verfallenen Mauer des Kirchhofs, dem Grabe gegenüber, bezeichnet die letzte Ruhestätte des unsterblichen Künstlers; er trägt die einfache Inschrift:
„Leopold Robert, gewidmet von seinen Freunden und Landsleuten.“
An den Ufern des Arno aber, in dem glänzenden Florenz, erhebt sich in der Kirche San Spirito, nicht fern von dem Palazzo Serristori, den sie einst bewohnt, eine Grabcapelle, worin die Prinzessin Charlotte an der Seite ihres Gatten ruht, nachdem sie Robert bis zu ihrem frühen Tode beweint hatte, der nur drei Jahre später erfolgte. Sie selbst schrieb an Aurel nach Empfang jener Schreckensnachricht: „Ich habe nur noch Thränen, um ihn zu beweinen.“
Schwester Teresa aber betete für Beide und fand den einzigen Trost und Ersatz in der treuen Pflege aller Unglücklichen und Kranken, von denen sie wie eine Heilige verehrt wurde.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: künstlerschen