Zum Inhalt springen

Ein Morgen in Trianon

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Morgen in Trianon
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 142–145
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[142]
Ein Morgen in Trianon.


Es war an einem schönen Herbsttage des Jahres 1870, als ich mich von Versailles aufmachte, Klein-Trianon, den Lieblingsaufenthalt der Königin Marie Antoinette, zu besuchen. War es die herbstliche Jahreszeit oder das Andenken an die unglückliche Fürstin – ich fühlte mich von einer Art von wehmüthiger Trauer ergriffen und ein dunkler Schleier schien über die mich umgebende Landschaft ausgebreitet. Indem ich das Auge auf jenem Schlößchen, halb im Gebüsch verborgen, ruhen ließ, mußte ich unwillkürlich der Frau gedenken, deren Name durch das Unglück geheiligt und gleichsam mit dem Schmerz identisch geworden ist. Man hat stets den Ausgang dieser Tragödie vor Augen; die endliche Katastrophe derselben ist so traurig und so schrecklich zugleich, daß man in der That sich Gewalt anthun muß, um wenigstens für kurze Zeit sich diesen Betrachtungen zu entziehen und vor dem Auge der Seele noch einmal jene kurze, glückliche Zeit emporsteigen zu sehen, wo es nichts als Feste und Jubel hier gab.

Im Jahre 1774, als Ludwig der Sechszehnte kaum den Thron bestiegen, sagte er eines Tages zu seiner jungen Gemahlin: „Sie lieben die Blumen? Wohlan, ich habe Ihnen ein Bouquet zu überreichen – es ist Klein-Trianon.“ Welch ein Geschenk konnte der jungen Fürstin wohl willkommener sein, ihr, der enthusiastischen Freundin des Landlebens und der Natur?

Klein-Trianon liegt an dem äußersten Ende des Parks von Groß-Trianon und besteht aus einem viereckigen Pavillon römischer Architektur. Dies Miniaturpalais hat nur ein Erdgeschoß und zwei Stockwerke, deren Façaden mit Säulen korinthischer Ordnung geschmückt sind. Der Architekt Gabriel hatte es für Ludwig den Fünfzehnten gebaut, der es in den letzten Jahren seines Lebens zu seinem Lieblingsschlosse erkor. Er ließ es mit einem botanischen Garten umgeben; und hier, inmitten einer damals in Frankreich fast noch unbekannten Flora, pflegte er nach einer in wüsten Orgien verbrachten Nacht in Gemeinschaft mit einem seiner Hofschranzen zu botanisiren.

Trianon wurde der liebste Aufenthalt der jungen Marie Antoinette, die damals noch kinderlos war und den Staatsgeschäften fern stand. Hier konnte sie neue Schöpfungen in’s Leben rufen und schon Vorhandenes vergrößern oder verschönern lassen, hier, in ihrem kleinen Königreich, ein Volk von Gärtnern und Künstlern befehligen, um endlich nach so vielen Anstrengungen und nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten ein trautes Daheim zu haben, das sie, in Erinnerung an ihre glückliche Kindheit, ihr kleines Wien nannte. Es lag damals in der Zeitströmung, die Natur von der lästigen Bevormundung und dem steifen Regelzwange der Lenôtre’schen Gartenkunst zu befreien. Das Buch des Engländers Sir Thomas Wathely „Ueber die moderne Gartenkunst“ hatte den ersten Anstoß und die erste Anleitung gegeben, diese neue Geschmacksrichtung zu entwickeln. Seitdem wollte jedes Landhaus einen sogenannten „jardin chinois“ haben. Marie Antoinette war mit dem bisher geleisteten mit nichten zufrieden;

[143]

Marie Antoinette.
Nach dem Oelgemälde von Vanloo auf Holz gezeichnet von Ad. Neumann.

wollte sie doch in ihrem jugendlichen Ehrgeiz, wenn möglich, Alles überbieten, was die Mode bis dahin gegen Lenôtre’s Kunst unternommen. Welch anmuthiger Plan: eine Königin, des Thrones müde, will die sie umgebenden Gärten aus der ihnen angelegten Zwangsjacke befreien, und indem sie selbst die Fesseln ihres Ranges abstreift und zur reinen Menschlichkeit zurückkehrt, giebt sie die Natur ihrem Schöpfer zurück!

„Hier lebe ich mir selber,“ pflegte sie wohl entzückt von der Verwirklichung dieses so lange im stillen gehegten Planes auszurufen. In einem einfachen weißen Kleide, das zierliche Haupt mit einem breitränderigen Strohhute bedeckt, durchstreifte sie, das Herz geschwellt von Jugendlust und Glück, ihre jungen Schöpfungen. Ins Schloß zurückgekehrt, unterbrach ihr Eintritt in den Salon weder die Beschäftigung der Damen noch die Partie Billard der Herren. Nach Trianon kam der König zu Fuß und allein, ohne jegliches Gefolge. Die von der Königin Eingeladenen langten um zwei Uhr zum Mittagsessen an und kehrten gegen Mitternacht nach Versailles zurück. „In Trianon,“ schreibt der Prinz von Ligne, „athmet man in einer Atmosphäre von Freiheit und Glück. Der Rasen scheint hier frischer, das Wasser klarer zu sein. Man glaubt sich hundert Meilen vom Hofe fern.“ Aus dem Schlosse kommend, das sich im Innern durch nichts, als durch seine Einfachheit auszeichnet, treten wir in einen Vorbau hinaus (la salle des fraîcheurs) bestehend aus einer Reihe von Bogengängen und Gitterwerk, die ganz mit Schlingpflanzen bedeckt sind. Rechts vom Schlosse ist der neue Garten mit seinen seltsam verschlungenen Gängen, Grotten und Bäumen, deren Laub in allen Farbenschattirungen, vom dunkelsten Grün bis zum tiefsten Roth, spielt.

Auf einer mäßigen Anhöhe, umgeben von Jasminen, Myrthen [144] und Rosenbüschen, erhebt sich ein zierliches Belvedere, von wo aus die Königin ihr kleines Reich mit einem Blick überfliegen konnte: die Grotte, der Wasserfall mit der darüber geschwungenen kunstlosen Brücke, die Mühle mit ihrem einförmigen Geklapper, die Insel mit dem Liebestempel, das Schweizerdorf, wo der König den Müller, und sein Bruder, der Graf von Provence (Ludwig der Achtzehnte) den Schulmeister spielte. Dort war es auch, wo die Königin und ihre Gesellschaft, die Träume der Schäferromane verwirklichend, die Schafe mit goldenen Scheeren schoren, die Kühe in einer marmornen Milchkammer melken und die Ernte auf Leitern von Mahagoni zu Boden brachten. Nachdem Trianon bereits bei Gelegenheit eines Besuches Kaiser Joseph des Zweiten mit einem großartigen Feuerwerk, begleitet von einer feenhaften Beleuchtung der Gärten, seine feierliche Einweihung gehabt, wurde den 10. August 1780 das Theater mit dem Lustspiel „König und Pächter“ eröffnet. Selten hat man wohl Gelegenheit, eine so vornehme Schauspielertruppe und ein so gewähltes Auditorium beisammenzusehen. Die Königin gab in dem Stück die Rolle der Jenny und spielte sehr natürlich und anspruchslos. Eines Abends, als sie die dienstthuenden Gardes du Corps als Zuschauer zugelassen, näherte sie sich ihnen und sagte: „Ich habe mein Möglichstes gethan, Sie zu amüsiren, und ich wollte nur, daß ich besser spielte, um Ihr Vergnügen vollständig zu machen.“ Ein anderes Mal hatte die Königin im „Dorfwahrsager“ eben eine Arie geschmackvoll vorgetragen, als plötzlich aus einer der Logen ein Pfeifen ertönte. Sie trat bis an die Rampe vor und sagte in einem halb bescheidenen, halb spottenden Tone: „Mein Herr, wenn Sie nicht mit uns zufrieden sind, so gehen Sie an die Casse und lassen sich Ihr Geld wiedergeben!“ Wie es sich später zur allgemeinen Belustigung ergab, war es der König gewesen, der sich einen Scherz mit seiner Gemahlin erlaubt.

Hernach war das Milchmädchen von Trianon wieder mit ebenso vieler Würde die Königin von Frankreich und Navarra. Was auch ihre Verleumder dagegen gesagt haben, sie wußte sich in allen Lagen Respect zu verschaffen. „Ihre angebliche Galanterie,“ sagt der Prinz von Ligne, „war nie etwas Anderes, als ein tiefes Bedürfniß der Freundschaft für eine oder zwei Personen und eine leichte Coquetterie der Frau, der Königin, die so gerne aller Welt gefallen wollte. Selbst zu der Zeit, wo ihre Jugend und ihre Unerfahrenheit leicht dazu verleiten konnten, sich ihr gegenüber allzu sehr gehen zu lassen, ist es Keinem unter uns, die wir doch täglich das Glück hatten, sie zu sehen, beigefallen, jemals die geringste Unschicklichkeit zu begehen. Sie war immer die Königin, ohne sich selbst dessen bewußt zu sein. Man verehrte sie, ohne daß jemals ein unlauteres Gefühl sich hineinmischte.“

Die Königin gab sich dem idealen Traume hin, jene Einfachheit der deutschen Höfe, wo die Größe eine gewisse Gemüthlichkeit nicht ausschließt, nach Frankreich verpflanzen zu können, und die strenge Etiquette, die eine beständige Marter ist, zu besiegen. Dies war gewiß eine große Unbesonnenheit, denn abgesehen davon, daß die vornehme Hofgesellschaft durch das zurückgezogene Leben der Königin in Trianon, wohin ihr nur eine kleine Anzahl Auserwählter folgen durfte, ihren natürlichen Mittelpunkt verlor und schmollend und unzufrieden sich um die mißgünstigen Tanten des Königs schaarte, kann auch das französische Volk im Allgemeinen so viel Herablassung und Güte nicht auf die Dauer vertragen. Es will, wie Graf Ségur richtig bemerkt, trotz des Leichtsinns, den man ihm vorwirft, und vielleicht eben deshalb, die Gewalt, die es beherrscht, von einer gewissen Gravität umgeben sehen. Es bedarf einer ernsten Güte, die es in angemessener Entfernung hält und keine Vertraulichkeit aufkommen läßt.

Marie Antoinette sah die menschliche Natur in zu gutem Lichte; sie beurtheilte die Herzen Anderer zu sehr nach ihrem eigenen. Aber dieses Uebermaß von Edelmuth und Vertrauen ist gewiß ein sehr verzeihlicher Fehler. Was sie uns so sympathisch macht, ist, daß sie mit einem durchaus offenen Charakter alle guten und schönen Eigenschaften des zarten Geschlechts, Güte, Zärtlichkeit, Aufopferung, Enthusiasmus, verbindet, daß sie ihr Ideal nicht in aufgeblähtem Stolz und unnahbarer Größe fand, sondern in den Freuden des Familienlebens und der Freundschaft, in den Annehmlichkeiten des Landlebens und in der Betrachtung der Naturschönheiten. Wenn man ihr einige Thorheiten vorwirft, denen man erst lauten Beifall gezollt, um sie ihr dann später als unverzeihliche Verbrechen vorzuwerfen, so erscheint sie uns darum um so liebenswürdiger.

Umgiebt nicht ein magischer Zauberkreis diese Frau, die den Festen von Trianon präsidirt? Welch anmuthiges Bild! Alle Reize, die dem Dasein Werth verleihen, finden sich auf diesem Fleckchen Erde vereinigt. Wie unter dem Zauberstabe einer Fee verwirklichen sich hier alle Träume der Einbildung, alle Traumgebilde der Phantasie.

Man sollte denken, eine solche bevorzugte Existenz hätte nur Freuden in ihrem Schooße geborgen und die Schloßfrau von Trianon wäre die Glücklichste unter den Sterblichen gewesen. Und dennoch nicht! All’ dieses Glück ist nur ein künstliches. Schon in den schönsten Tagen zeigen sich Anwandlungen von Verstimmungen und Ahnungen kommenden Unglücks. Während noch ganz Frankreich seiner künftigen Herrscherin zulächelte, begannen schon leise im Verborgenen die Machinationen der altfranzösischen Partei – deren Politik bekanntlich Choiseul durch das Bündniß mit Oesterreich gebrochen und als dessen Pfand Marie Antoinette nach Frankreich gekommen –, die keinen andern Zweck verfolgte, als Marie Antoinette als Deutsche, als Oesterreicherin bei dem Volke verhaßt zu machen. Der Erfolg hat leider nur zu sehr gezeigt, welch leichtes Spiel diese Partei, begünstigt durch die Unerfahrenheit der jungen Königin, bei der leichtgläubigen Menge hatte.

Marie Antoinette mit ihrem unverdorbenen deutschen Gemüthe suchte Freunde, und sie fand nichts als Ehrgeizige, Intriganten und Laffen. Sie mußte zu ihrem Schmerze erkennen, daß Königinnen keine Freunde haben. So viele Freundschaften, an deren Aufrichtigkeit sie geglaubt, waren nur von Interesse und Berechnung eingegeben. Diese elegante Gesellschaft der Polignac, Besenval etc., welche die vertraute Umgebung der Königin bildete, entpuppte sie sich nicht als eine Reihe von Ehrgeizigen? Alle wollten sie, daß Trianon für sie der Weg zu Ehre und Ruhm, zu Rollen und Glücksgütern würde. Und wenn es so mit ihren Freunden sich verhielt, wie sah es erst auf Seiten ihrer Feinde aus! Trianon war beständig von listigen Spähern umgeben. Da sich nichts von Belang gegen die Aufführung der Königin aufbringen ließ, so suchte man sein Heil in der Spionage, um dann hinterher die kleinsten Vorkommnisse, entsetzlich entstellt, in’s Publicum zu bringen.

Die Prinzen und Prinzessinnen des Königshauses konnten es ihr nicht vergessen, daß sie durch sie in Schatten gestellt wurden; die Minister suchten das Mißtrauen des Königs gegen sie als Oesterreicherin zu reizen. In der That, Ludwig der Sechszehnte liebte die Königin, und zwar in einer Weise, wie sie die Bourbons bisher nur gegen ihre Maitressen gezeigt, und es ist daher eine richtige Bemerkung eines Zeitgenossen, daß Marie Antoinette mit der Liebe gleichzeitig den Haß geerbt, mit dem man die Maitressen der Könige verfolgte. Bisher hatte die Gunst der öffentlichen Meinung die Königinnen über die Untreue ihrer Gatten getröstet, jetzt hatte sich dieselbe gegen die rechtmäßige Gattin gewandt, da der Einfluß einer Pompadour, einer Dubarry auf sie übergegangen war.

Wir sehen, wie Marie Antoinette, vor der sich anscheinend Alles im Staube neigte, nichts destoweniger wie von einer feindlichen Atmosphäre umgeben war. Der Prinz Ligne sagt in Bezug hierauf: „Ich habe sie keinen einzigen Tag vollkommen glücklich gesehen. Selbst während der glänzendsten Epoche ihrer Laufbahn war ihr Geist nie von traurigen Vorahnungen frei.“

Bei dem herannahenden Verhängnisse, das die Königsfamilie so schrecklich ereilen sollte, verstummten allmählich die Feste des Trianon. Am 19. August 1785 wurde im Trianon „Figaro’s Hochzeit“ zur Aufführung gebracht. Das war das letzte derartige Fest. Der bisherige Schauplatz des Vergnügens wurde von nun an ein Ort der Einsamkeit. Hierher flüchtete die Königin, um ihre Traurigkeit und ihre düsteren Ahnungen vor den Augen des Hofes zu verbergen. Hier entstand auch das schöne Familienbild der Madame Lebrun, welches ich noch jetzt in der historischen Portraitgalerie des Versailler Schlosses sah und dessen ergreifender Ausdruck mich so sehr an die Kinder Karl’s des Ersten von Van Dyck gemahnte. Wir sehen hier nicht mehr die angebetete Souveränin, umgeben von Glanz und Pracht, sondern eine Frau, die bereits die Beute tiefer Melancholie und geheimnißvoller Traurigkeit geworden. Die [145] kleine Madame Royale (spätere Herzogin von Angoulême) liebkost ihre Mutter, wie um sie zu trösten; der Dauphin, der nur noch wenige Monate zu leben hat, zeigt mit dem Finger auf die leere Wiege seiner entschlafenen Schwester, der kleinen Prinzeß Beatrice Sophie, die kurz zuvor gestorben. Auf dem Schooß seiner Mutter sitzt der Herzog von der Normandie; dies arme Kind, das den Titel Ludwig der Siebzehnte führen sollte, hat etwas ungemein Rührendes, als ob es eine Ahnung seines dunklen Schicksals hätte. Ein äußerst charakteristisches Zeichen für die herannahenden Stürme war es, daß die gaffende Menge nur noch feindselige Blicke für dieses liebliche Bild hatte. Man sah sich genöthigt, die Ausstellung desselben im Louvre 1787 abzukürzen, da das Publicum selbst dem Bilde der Monarchin nur noch Haß und Hohn entgegentrug.

Trostlos und entmuthigt, kam Marie Antoinette nur noch nach Trianon, um sich einsam in den Gängen des Parks zu ergehen und sich die Bilder vergangener Tage zurückzurufen. Am 5. October 1789 saß sie in der Grotte des Gartens, in schmerzliche Betrachtungen versunken, und sah dem herabfallenden Laube zu, als man ihr meldete, daß sich revolutionäre Banden Versailles näherten.

Die schönen Tage von Trianon sind nun vorüber! Marie Antoinette erschien dort hinfürder nicht mehr. Noch kurze Frist – und man las über den Eingangspforten die Worte: „Zu verkaufendes Eigenthum“. Es fehlte wenig, so wäre der Pflug über die reizenden Anlagen hinweggegangen. Den 28. Nivose des Jahres Drei machte die Versailler Commune ihren Mitbürgern bekannt, daß Klein-Trianon, welches so lange der Bodencultur entzogen gewesen, um dem Luxus und dem Vergnügen der Tyrannen zu dienen, der Arbeit zurückgegeben werden solle. Das Ameublement des Schlosses wurde für viertausendachthundert Livres bei einem Trödler der Straße Neuve d’Egalité zum Verkauf ausgeboten, und 1797 miethete ein Limonadenverkäufer der Umgegend das Schloß, um eine Restauration darin zu etabliren.

Ehe Marie Antoinette noch den Weg zur Richtstatt mit auf dem Rücken zusammengeschnürten Händen, auf einem Karren neben einem ihr aufgedrungenen Geistlichen und ihren Henkern sitzend, antrat, hatte sie bereits den Kelch des moralischen Schmerzes bis auf die Hefe geleert. Der Tod ihrer treuen Freundin, der fast unter ihren Augen ermordeten Prinzessin von Lamballe, die Hinrichtung ihres Gatten, endlich die Trennung von ihren Kindern – dies Alles durchlitten, was konnte sie da noch schmerzen?

Als sie den Tempel verließ, um dieses Gefängniß mit der Conciergerie zu vertauschen, vergaß sie, sich bei der niedrigen Ausgangsthür zu bücken, und stieß sich daher an den Kopf. Als man sie fragte, ob sie sich wehe gethan, antwortete sie: „O nein – nichts kann mir hinfort noch wehe thun!“ – In Wahrheit, sie hat in ihrem Dasein alle Angst umschlossen, die ein Frauenherz zerreißen kann, und man fragt sich mit Chateaubriand, ob es einen Schmerz giebt, der an ihr vorübergegangen? –

„Die Weltgeschichte ist das Weltgericht!“ Dieses Wort unseres Schiller hat sich in dem Schicksale der deutschen Fürstentochter, deren Bild ich in der vorliegenden Skizze zu zeichnen suchte, nur zu traurig bewährt. Aber wie so oft in der Geschichte mußten auch hier die unschuldigen Nachkommen für die Sünden der Väter büßen. Ludwig der Fünfzehnte hatte während fünfzig Jahren durch seine Ausschweifungen die Krone um ihren Nimbus gebracht. Das arme schwergedrückte Volk hatte schweigend zusehen müssen, wie sein König sich ganz der Herrschaft von sittenlosen Weibern ergab, die nur die tiefste Verachtung verdienten; wie das Land, durch ihre Erpressungen verarmt, nach außen hin durch unfähige Minister und Generale, ihre Creaturen, um seinen Credit gebracht wurde. Als nun Ludwig der Sechszehnte, einer der wohlwollendsten und tugendhaftesten aller bisherigen französischen Könige, den Thron bestieg, da wurden auf ihn die gerechten Anklagen gegen das bisherige Regiment übertragen. Wie man seine Vorgänger beschuldigt hatte, sich dem Einflusse ihrer Maitressen ergeben zu haben, so warf man ihm vor, seiner Gemahlin gegenüber zu willfährig zu sein. Die Königin ihrerseits ward angeklagt, leichtsinnig über die öffentlichen Gelder und Stellen zu verfügen, mit Oesterreich gegen Frankreich zu conspiriren, die Minister stürzen zu wollen, um sie durch ihre Günstlinge zu ersetzen, gerade wie es die Maitressen so häufig unter den früheren Regierungen gethan. Die Revolution in ihrer unerbittlichen, schrecklichen Logik traf mit ihrer Vergeltung die Häupter der Unschuldigen wie der Schuldigen; sie führte Ludwig den Sechszehnten und Marie Antoinette zu demselben Schaffot, auf dem die letzte Maitresse der vorhergehenden Regierung, die zu einer Gräfin Dubarry umgewandelte Freudendirne, ihr Haupt verlor.