Ein New-Yorker Millionär

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Titel: Ein New-Yorker Millionär
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 9–11
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Hierzu Nachträgliches zu dem „New-Yorker Millionär“ in Heft 39
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Ein New-Yorker Millionär.


Der Sonnabend Abend, am 22. November 1873, bot in New-York dem aufmerksamen Beobachter des stets unruhig, fast möcht’ ich sagen, krampfhaft fluthenden Lebens in der typischen Yankeestadt ein ganz ungewöhnliches Bild. Eine eigenthümliche, tief gehende, aber keineswegs laute Aufregung hatte sich aller Classen der gewaltigen Metropole bemächtigt. In der sogenannten „Abendbörse“ des Fünfte-Avenue-Hôtels drängten sich Massen von eifrig discutirenden Männern, die Crême der Geldprotzen, Börsenspieler, Eisenbahn-Actien-Speculanten und Anderer. Wie ernst sie sich unterhielten! Aber auf den Mienen fast Aller lag Befriedigung, ja eine gewisse Feierlichkeit. Sie redeten also wohl nicht über die jüngste Panik (Krach), – nein, in der That nicht, es fehlen ja gänzlich die gewohnten Schlagwörter ihres Börsenrothwelsches. Auf den Straßen, in den Omnibus, in den Pferdebahnwagen schütteln sich Leute vergnügt mit bedeutungsvollem Blicke die Hände, und trennen sich wieder oder ziehen ihre Abendblätter hervor, ohne mehr zu äußern, als eine oder die andere jener kurzen und doch so ausdrucksvollen Einsilben der englischen Sprache. In den Restaurationen, auf den harten Bänken der Lagerbiersalons sitzend, vor den Schenktischen der Giftbuden – bar-rooms genannt, – stehend, dieselbe tiefgehende Aufregung, in letzteren nicht ohne einige Kraftausdrücke, die einem Fluche so ähnlich sehen wie ein Ei dem andern, – am hellerleuchteten Abendtische des Reichen, in dem freundlichen Speisezimmer des wohlhäbigen Kaufmannes, Bürgers und Handwerkers, wie in dem engern Raume, wo der ermüdete Arbeiter die Seinigen um sich versammelt hat – überall dieselbe Aufregung, derselbe Gegenstand der Unterhaltung. War es der mit Spanien wegen des bestialischen Santiago-Autodafés drohende Krieg denn? Nein, auch das nicht. Was nur konnte die Millionen Menschen in einem Grade beschäftigen, wie ich es seit dem Tage nicht gesehen, als im Jahre 1861 die Nachricht von der Beschießung Fort Sumters tausendstimmig durch die Straßen gerufen wurde? Der Mund der zehntausend kleinen Zeitungsträger und Verkäuferinnen in ihrem eiligen Laufe über die Trottoirs, in ihrem katzenartigen Aufspringen und Abspringen von den Pferdebahnwagen verkündet es laut bis in das sechste Stockwerk der Paläste, bis in die tiefsten Bier- und Schnapsspelunken, von der fünften Avenue bis zum schmutzigsten, verrufensten Gäßchen, von Wallstreet bis zu den stillen Gartenhäusern der Vorstädte: „Boss Tweed condemned“ (Meister Tweed verurtheilt)!

Wer ist Tweed? und was hatte er verbrochen?

Wilhelm M. Tweed, ein Irländer, war bis vor etwa zehn Jahren dem großen Publicum gänzlich unbekannt, ein Advocat dritter Classe, der mit einer zahlreichen Familie in keineswegs glänzenden Verhältnissen lebte. Er galt für einen tüchtigen Geschäftsmann, von durchschnittlicher Redlichkeit, und hatte sich zu einem der Leiter der ultrademokratischen geheimen Gesellschaft „Tammany“ aufgeschwungen, einer politischen Verbindung, die, mit kurzen Unterbrechungen, die Politik des Staates New-York geleitet hat, und nicht ohne Einfluß auf die der Vereinigten Staaten gewesen ist. In dieser Gesellschaft vereinigten und vereinigen sich noch heute alle Elemente, die, bei einer auf allgemeinem und directem Wahlrechte beruhenden Verfassung und der in Republiken schwer vermeidlichen Laxität der Gesetzesanwendung, derselben eine ungeheure, fast unwiderstehliche Macht geben mußten. Die raffinirtesten Leiter, absolut rücksichtslos in den von ihnen zu ergreifenden Maßregeln, mit großartigen Mitteln ausgestattet, von den schlausten Advocaten berathen, von einem Haufen der gewissenlosesten und verwegensten Wahlfälscher unterstützt, an der Spitze der jeden Augenblick zu einem offenen Faustkampfe fertigen Fälscher, Meineidigen, „Repeaters“ (solche, die fünfzigmal und mehr bei einer Wahl stimmen) und wie sie der Katalog des Strafgesetzbuches sonst noch benennen mag, aller Nationen, besonders aber der irischen, und das Alles inspirirt, unterstützt und gesegnet von den Jesuiten und dem ganzen katholischen Pfaffenthum – sollten diese [10] nicht ein hübsches Werk zu Stande bringen? Es zeugt von der geistigen Bedeutung Tweed’s, daß er sich zum Dictator dieser noblen Gesellschaft aufzuschwingen wußte. Allein damit war weder sein Ehrgeiz noch seine Geldgier befriedigt. Für ihn war diese Stellung blos eine Staffel zu größeren Erfolgen. Sein Endziel war, die Casse der Stadt New-York in seine Hand zu bekommen. Zu dem Zwecke wußten er und seine Genossen es dahin zu bringen, daß sie in die Gesetzgebende Versammlung des Staates New-York gewählt wurden. Dort legten sie eine Anzahl von Gesetzen vor, welche die Verfassung der Stadt gänzlich neugestalteten und deren verschiedene Departements einer Anzahl von Commissionen übertrugen. Mit den ihm zu Gebote stehenden reichlichen Mitteln erkaufte Tweed in schamlosester Weise die Stimmen von Senatoren und Repräsentanten, und die Gesetze gingen durch. Natürlich wurden durch den Einfluß der Irländer und leider auch vieler Deutschen Herrn Tweed’s Genossen und Gehülfen bei der nächsten Wahl zu denjenigen Aemtern erwählt, die sie sich vorher planmäßig ausgesucht. Dies geschah im Jahre 1867. Die Rollen waren meisterhaft vertheilt. Die unglückliche Stadt blutete aus allen Poren. Massen von Sinecuren wurden den um Tweed verdienten Schurken gegeben. Die Gehälter wurden bedeutend erhöht, unbegreifliche und im Betrage fabelhafte Rechnungen präsentirt und bezahlt; die Presse wurde bestochen oder erkauft. Nichtswürdige Subjecte, zu Richtern erwählt, schützten die Verschwörer durch Rechtsverdrehung und selbst schamloses Zuwiderhandeln – kurz ein Corruptions- und Raubsystem wurde organisirt und in’s Werk gesetzt, von dessen Vollkommenheit und Ergiebigkeit die Geschichte kein zweites Beispiel kennt. Natürlich wurden auch die treuen Dienste der Jesuiten auf’s Freigebigste belohnt. Die katholischen Schulen und sogenannten wohlthätigen Anstalten erhielten eine jährliche Durchschnittsunterstützung von sechshunderttausend Dollars, nach der Zahl der Katholiken im Vergleich zu Andersdenkenden das Vierfache von Dem, was für letztere abfiel, obwohl gewiß neun Zehntheile der Steuern von den Nichtkatholiken bezahlt wurden. Um nur den unersättlichen Magen der von dem Knechte der Knechte in Rom infallibilistisch dirigirten Kirche versuchsweise auf kurze Zeit zufrieden zu stellen, schenkte der ganz aus Tweed’schen Marionetten der untersten Classe bestehende Stadtrath dieser Kirche zur Erbauung einer Kathedrale, die alle auf dem neuen Continente an Pracht überbieten soll, zwei Stadtviertel, dessen Werth zwei Millionen betrug.

In wenigen, etwa drei Jahren, hatte die Tweeds’sche Wirthschaft die städtische Schuld von einigen zwanzig aus nahezu hundert Millionen gebracht. Er selbst und seine Helfershelfer gediehen natürlich trefflich dabei. Er besaß jetzt einen der herrlichsten Paläste der daran so reichen fünften Avenue, von dessen verschwenderischer Einrichtung man sich annähernd einen Begriff machen kann, wenn man erfährt, daß sein Pferdestall mit dem schönsten Mahagoniholz sowohl innen wie außen versehen und viel besser ausgestattet war, als die Wohnungen des größten Theiles seiner irischen Landsleute. Und so fest war Tweed’s Macht begründet, so genau war jede Eventualität vorgesehen, so trefflich arbeitete unter dem Schutze der nichtswürdigen Richter Dowling, Curdozo, Mac Cunn etc. die Corruptionsmaschine, so vergeblich erwiesen sich alle Anstrengungen der Besseren in den Wahlen und vor den Gerichten, daß Viele an der Möglichkeit einer Besserung zu verzweifeln begannen.

Wo aber nichts mehr half – da that es die freie Presse. Eines der besten New-Yorker Blätter, „The New-York Times“, ließ im Stillen und mit Aufwand erheblicher Summen durch eine Anzahl seiner Berichterstatter, die Tag und Nacht bei Hoch und Niedrig, im Palaste wie in den Hütten herumspionirten, das oder doch ein Sündenregister des „boss“ (so wurde Tweed von dem nobeln Gesindel genannt, auf das er sich stützte) zusammenstellen und veröffentlichte dasselbe in einer Reihenfolge von täglichen Nummern. Die Wirkung war eine kaum glaubliche, denn es war nun nicht mehr möglich sich zu der überall so großen Partei der Leisetreter zu bekennen, „die sich noch keine Meinung gebildet hatten“ (had not made up their mind). Jetzt hieß es: Farbe bekannt, entweder für Tweed oder gegen ihn! Die großen täglichen Zeitungen, die eine Macht sind nicht nur für die Stadt New-York, sondern für die ganzen Vereinigten Staaten, traten nun mehr oder weniger entschieden, je nachdem ihre Hauptredacteure Redlichkeit und Charakter besaßen oder aber mit dem Tweedismus bisher aus der Ferne geliebäugelt hatten und dafür sehr anständig honorirt worden waren, gegen Tweed auf, unter ihnen auch – eine späte Bekehrung! – das größte deutsche Blatt, das früher ebenfalls zur Inthronisation Tweed’s beigetragen – die „New-Yorker Staatszeitung“.

Die öffentliche Erbitterung wuchs mit jedem Tage und in gleichem Grade der kühle, freche Trotz der von Tweed geführten Gaunerbande, die bis zum Oberbürgermeister Hall hinaufreichte; denn noch standen die Pfeiler ihrer Macht, jene nichtswürdigen Richter, unerschüttert. Aber bald fingen auch sie zu zittern, zu wanken an vor der allgemeinen Erbitterung. Mac Cunn beging Selbstmord; zwei Andere wurden von dem Senate der Gesetzgebenden Versammlung zur Absetzung verurtheilt; Einer zog sich freiwillig zurück. Jetzt fingen einzelne der Diebe, denen jene Richter noch immer Galgenfrist dazu verschafften, an zu verschwinden. Es bildete sich aus den besten Elementen des Kaufmanns-, Bürger- und Advocatenstandes ein Comité von Siebenzig, denen die Aufgabe gestellt wurde, alle gesetzlichen Mittel zu ergreifen, die Verbrecher vor die Gerichte zu bringen. Es war dies ein höchst mühseliges, beschwerliches und nicht ungefährliches Werk, das nur theilweise zu vollenden beinahe zwei Jahre dauerte.

Boß Tweed fühlte sich – und dies war der erste Fehler, der ihm in seinen großartigen Raubzuge passirte – im Besitze seiner Millionen (man spricht von fünfundzwanzig) so sicher, daß er blos auf einige Wochen unsichtbar wurde, dann aber wieder erschien und gegen Stellung einer Sicherheit von zwei Millionen Dollars bis zur gerichtlichen Verhandlung auf freiem Fuße blieb. Die ersten gerichtlichen Bestrebungen gegen die Diebesbande blieben erfolglos, obwohl unter ihren Gegnern die ersten Advocaten, wie O’Connor und Evarts, sich befanden. Die von Tweed ausgesetzten Honorare, die in die Hunderttausende gingen, sicherten auch ihm und seinen Genossen, die wie eine geschlossene Phalanx fochten, Talente ersten Ranges. Diese Schritte verschleppten sich fast durch ein Jahr, und noch immer war die Schlachtreihe der Diebe unerschüttert, ja sie hatte meistens Siege davongetragen. Wie dies möglich, ist einem mit dem englischen Rechte unvertrauten Verstande schwer begreiflich zu machen; jedenfalls scheint es mir außer meiner Aufgabe zu liegen. Vielleicht war es ein Fehler, daß man zuerst die Civilklage, das heißt die auf Rückerstattung des Gestohlenen und auf Entschädigungen, in den Vordergrund schob. Jedenfalls begann endlich gegen den Boß selbst die Verhandlung der Privatklage. Er erschien vor dem Richter Davis, umgeben von einem Stabe von sieben Vertheidigern, unter denen der unverschämte, aber äußerst schlaue und gewandte Graham die erste Rolle spielte, mit seiner gewöhnlichen Ruhe und verächtlichen Gleichgültigkeit, die zu sagen schien: „Wie! Ihr Zwerge wollt mich, der den ganzen Staat seit Jahren als Despot beherrscht, der Millionen zur Verfügung hat und bereit ist, sie zu verwenden, Ihr wollt mich in New-York, wo ich den Preis eines jeden Einzelnen kenne, verurtheilen? Erspart Euch doch die Farce!“

Nachdem der Versuch der Vertheidiger, den Richter Davis, von dem sie wegen seiner anerkannten großen Befähigung, Unparteilichkeit und Ehrenhaftigkeit Alles zu fürchten hatten, zu beseitigen, gescheitert war, nahm die Bildung der Geschworenenbank drei Tage in Anspruch. Viele hundert Bürger erschienen, blos um nicht angenommen zu werden. Unter den Gebliebenen waren fünf Deutsche, und diese waren, wie die amerikanischen Blätter anerkennen, die entschiedensten. Die interessanten Verhandlungen, beständig von den Vertheidigern unterbrochen, endigten mit einem Schuldig von einundfünfzig dem Tweed zur Last gelegten Vergehen. Richter Davis verurtheilte demnach Tweed zu zwölf Jahren Zuchthaus und zwölftausendfünfhundert Dollars Geldstrafe.

Ich kann nicht umhin, einen Theil der Anrede, die Richter Davis dann an Tweed hielt, hier in der Uebersetzung mitzutheilen. Sie dürfte auch in gewissen Regionen in Deutschland dem Durchlesen und Beherzigen empfohlen werden.

„Wilhelm M. Tweed!“ sprach der Richter Davis. „Sie sind durch den Wahrspruch von verständigen und redlichen Geschworenen einer großen Zahl der in der Anklageschrift enthaltenen Beschuldigungen überführt. Dieser Wahrspruch konnte, nach Ansicht des [11] Gerichtes, nicht anders ausfallen, ohne Verletzung des von den Geschworenen geleisteten Eides. Der den Geschworenen vorgelegte Beweis war einfach eine mathematische Demonstration Ihrer Schuld. Im Besitze eines hohen Amtes, geehrt und geachtet von einer zahlreichen Classe der Gemeinde, in der Sie lebten, und geliebt, wie ich nicht zweifle, von Ihren Gefährten, haben Sie, bei all diesem in Sie gesetzten Vertrauen, bei all den vielen Gelegenheiten zu treuer Pflichterfüllung, wodurch Sie Ehre und die Achtung des ganzen Gemeinwesens gewinnen konnten, es vorgezogen, die Macht, mit der Sie bekleidet waren, auf eine nichtswürdigere und schändlichere Weise zu mißbrauchen, als dies je in der Geschichte irgend einer civilisirten Nation geschehen. Statt das Gemeinwesen zu schützen, haben Sie es geplündert. Anstatt bei dem Schatze, der Ihnen anvertraut, Wache zu stehen, haben Sie ihn weit geöffnet gehalten, nicht nur Ihrer eigenen Gier, sondern auch der Ihrer Gefährten, und zwar unter Umständen, die keinen Zweifel lassen, daß zwischen Ihnen und Jenen eine Verschwörung zur Beraubung desselben und zu Ihrer und Jener Bereicherung bestand. Der Beweis über diesen Punkt läßt keinen Zweifel über Ihre moralische Verschuldung zu.

Am 5. Mai begannen Sie Ihr Amt mit der Organisation des Rechnungshofes und Annahme der Bestimmungen, wie Rechnungen vorgelegt und belegt werden sollen. Am 6. Mai und von da ab hintereinander, bis die hundertneunzig Rechnungen angenommen und angewiesen und die Beträge bezahlt waren, ist der Beweis unumstößlich, daß Ihr ganzes Verfahren blos ein wohlüberlegter Plan war, sich selbst und Ihre Gehülfen zu bereichern. Gäbe es keine weiteren Umstände, um es darzuthun, so würde, meines Bedünkens, die Thatsache genügen, daß Ihr Raubantheil an jeder einzelnen Rechnung, wie sie zugelassen und bezahlt wurden, ein für allemal auf vierundzwanzig Procent bestimmt war, und der Antheil Ihrer Genossen scheint ähnlich fixirt gewesen zu sein. Es ist unmöglich, anzunehmen, daß Ihr Antheil in hundertneunzig Vertheilungsfällen des geraubten städtischen Geldes stets vierundzwanzig Procent sein sollte, wenn das nicht Ihr voraus vereinbarter Antheil gewesen wäre.

Wenn wir eine Maschine bei jeder Umwälzung ein bestimmtes gleichmäßiges Product liefern sehen, so schließen wir aus diesem Erfolge, daß er das Werk des Nachdenkens und Beschlusses Eines Gedankens ist. Und wenn wir erfahren, daß die Maschinerie, deren Sie und Ihre Genossen sich bedienten, ein ebensolch gleichmäßiges Resultat ergab, dann bleibt kein anderer Schluß möglich als der, daß kraft einer wohlorganisirten Verschwörung Sie mit Andern die Beute theilten. Es ist also vergeblich zu behaupten, daß politischer Haß oder Aemtergier in der Untersuchung mitgewirkt habe. Nein, der ganze Kampf war zwischen Ehrlichkeit und Tugend auf der einen, und Betrug und Verbrechen auf der andern Seite. Wohl hat eine große Zeitung der republicanischen Partei zuerst den Augen der Bürger die infamen Betrügereien vorgelegt, allein redliche Männer aller Parteien haben sich vereinigt, um Licht in die Sache zu bringen, so die demokratischen Leiter Karl O’Connor und Jilden. Ihre Schuldigerklärung ist nicht das Ergebniß von Verfolgungssucht Einzelner oder von Parteien, nein! sondern von einer Beweisaufnahme so einfach und klar, daß ich mich nicht erinnere, weder in meiner Praxis noch in meiner Lectüre einen Fall getroffen zu haben, wo der Beweis so überwältigend und es so unmöglich für die Geschworenen war, sich zu irren. Durch die ganze Untersuchung hindurch bis zu Ihrer Schuldigerklärung blieben Sie so ruhig und heiter, als ob Sie sich für Ihre Freisprechung ganz auf Ihre Unschuld verließen, während es so klar wie die Sonne, daß Ihre Heiterkeit nichts war als Dreistigkeit, Vertrauen auf die Allmacht der Corruption eher als Verlaß auf Unschuld und reines Gewissen. Es ist meine Pflicht, über Sie eine Ihrem Verbrechen einigermaßen angemessene Strafe auszusprechen.“

Tweed’s Benehmen während der Verhandlungen war so, wie es Richter Davis geschildert, ja es war geradezu impertinent. Es drückte sich darin die Bulldogköpfigkeit seiner Race mit der Ueberhebung des verhätschelten Parvenu aus. Das für unmöglich, ja für geradezu lächerlich gehaltene „Schuldig“ schmetterte ihn zusammen wie ein Blitzstrahl. Vorher ein schöner kräftiger, fein aussehender Mann der besseren Jahre, voll geistiger und animalischer Federkraft, erschien er wie durch Wunder in einen hinfälligen, theilnahmlosen, gebrochenen alten Mann verwandelt. Und in der That sind die zwölf Jahre bei seinem Alter gleichbedeutend mit „lebenslänglich“. „Lebenslängliches Zuchthaus in Sträflingstonsur und Jacke für einen Mann, der Millionen auf Millionen besitzt, der in der Stadt und um sie herum Paläste und prachtvolle Landhäuser sein nennt, der seit zehn Jahren Stadt und Staat New-York despotisch regierte, vor dem Hunderttausende schmutzwinselten und den die Besten fürchteten!

Bereits sind gegen zwei seiner Spießgesellen weitere Verurtheilungen ergangen, und es unterliegt keinem Zweifel, daß die ganze Bande, soweit sie nicht den atlantischen Ocean zwischen sich und die Nemesis geschoben, bald im Staatszuchthaus, das den melodischen Namen Sing-Sing führt, sich zusammenfinden wird.

So hat sich denn des Erdballes Lasterhöhle gereinigt; Redlichkeit ist nicht mehr lächerlich, und die Stadt, der Staat und das ganze Land athmen nach einem schwerem langedauernden Alpparoxysmus wieder auf.

Darf man es nun übel nehmen, wenn wir stolz auf dieses Resultat sind und neugierig, was nun im alten Vaterlande mit ähnlichen Millionären und Candidaten der Criminalzelle geschehen wird? Vivat Sequens!