Aus dem Lebens- und Leidensbuche eines Dichters
Von allen Dichterheroen unserer classischen Periode hat neben Lessing, Goethe und Schiller keiner sich bis auf den heutigen Tag ein so bleibendes Andenken im Herzen der Nation bewahrt wie Gottfried August Bürger.
Seine „Lenore“, sein „Lied vom braven Manne“, die ergreifende Ballade „Des Pfarrers Tochter von Taubenhain“, das lustige Märlein „Der Kaiser und der Abt“ leben in Jedermanns Munde. Durch ihre Volksthümlichkeit führen sie heute noch wie vor hundert Jahren in Gemeinschaft mit den Schiller’schen Balladen unsere Jugend zuerst in das Wesen und Verständniß der Dichtkunst ein, und wie manche deutsche Jungfrau hat beim Erwachen der ersten Liebesgefühle sich an den süßen Klängen der Molly-Lieder berauscht und über des Dichters Lust und Leid wie über ein selbsterlebtes Geschick gejauchzt und geweint!
Aber es sind nicht allein die innere Wahrheit, der duftige Schmelz und die zaubervolle Melodie dieser Lieder, sondern es ist ebenso sehr der tragische Verlauf seines Lebens, was dem Dichter von jeher die Theilnahme aller Herzen zuwandte. Wenn jemals Leben und Poesie sich nahezu vollständig deckten, wenn je ein Dichter den Stoff zu seinen Liedern den thatsächlichsten Anlässen seiner äußeren und inneren Erlebnisse entnahm, so war das bei Bürger der Fall. Ein vollkommenes Verständniß und eine gerechte Würdigung seiner Werke setzen daher bei ihm, mehr als bei jedem Andern, eine genaue Kenntniß seines Lebens voraus. Diese sichere Kenntniß hat uns bisher gefehlt, denn den bisherigen Biographen Bürger’s stand nur ein verhältnißmäßig geringes Material zu Gebote. Ein günstiger Zufall hat vor einem Jahre den gesammten literarischen und brieflichen Nachlaß Bürger’s in meine Hände geführt, und durch allseitige freundliche Unterstützung meiner Nachforschungen ist es mir möglich gewesen, die Lücken desselben aus öffentlichen und Privatsammlungen, aus Staats- und Familienarchiven der Art zu ergänzen, daß das ganze Leben des Dichters sich in klarster Beleuchtung enthüllt. Es steht nicht zu befürchten, daß das hellere Licht, welches auf sein Leben fällt, den Zauber seiner Dichtungen zerstören oder die warme Theilnahme für seine Persönlichkeit im Geringsten abschwächen werde. Im Gegentheil, wenn das schöne Wort der Frau von Staël, daß Alles verstehen Alles verzeihen heißt, in irgend einem Falle als wahr gelten darf, so wird die genauere Kenntniß von Bürger’s Schicksalen, von den schweren Prüfungen und Kämpfen, welche er zu erdulden gehabt, unser Urtheil selbst über seine Verirrungen nachsichtiger und milder gestalten.
Ich glaube den Wünschen der Leser und Leserinnen der „Gartenlaube“ zu entsprechen, wenn ich vor dem Erscheinen des Bürger’schen Briefwechsels und der nach neuen Quellen bearbeiteten Biographie aus vergilbten Papieren Einiges über die Beziehungen des Dichters zu seinen beiden ersten Frauen und deren Familien berichte.
Nach einer toll verstürmten Universitätszeit war der vierundzwanzigjährige Jüngling fast direct von der Studentenbank als Justizamtmann des von Uslar’schen Gesammt-Gerichts Altengleichen nach dem einsamen Dorfe Gelliehausen verschlagen worden. Welche Kämpfe es ihn gekostet, sich in den Besitz seines Richterstäbchens zu setzen, hat unlängst Karl Goedeke in seiner actenmäßigen Darstellung der vom Obristen Adam Henrich von Uslar angezettelten Kabalen erzählt. Es ist hier nicht der Ort, des Breiteren zu schildern, wie dem armen Dichter ein Amt, das er mit den besten Vorsätzen und dem regsten Arbeitseifer antrat, durch die fortgesetzten Chicanen mehrerer seiner zahlreichen Principale nach und nach völlig verleidet ward, wie er sich mit diesen, mit dem boshaften Lästermaule des Pastors Zuch, mit den Gaunereien der Werber und hunderterlei anderen Widerwärtigkeiten herumschlagen mußte, wie er genöthigt war, jahrelang auf die Auszahlung seines kargen Gehaltes zu warten, wie er hierdurch und durch seinen gutherzigen Drang, fremde Noth zu lindern, von Anfang an tief in Schulden gerieth. Sein Unstern fügte es, daß er gleich bei seiner Ankunft in Gelliehausen die nahe Bekanntschaft des feingebildeten, aber übelberufenen württembergischen Hofraths Ernst Ferdinand Listn machte, eines leichtfertigen Schuldenmachers und herzlosen Ränkeschmieds, über dessen Schicksalen und verbrecherischen Handlungen immer noch ein gewisses Dunkel schwebt. So viel erhellt aus vorliegenden Documenten, daß er in früheren Jahren die Gerichtsamtmannsstelle zu Altengleichen bekleidet hatte und seit seinem Abgang von diesem Posten in sehr zerrütteten Vermögensverhältnissen lebte. Er verstand trefflich die Kunst, seine Bekannten auszubeuten und seine arglistigen Pläne unter der Maske einschmeichelnder Freundlichkeit und offenherzigen Biedersinns zu verbergen. Dabei besaß er ein vornehmes, aristokratisches Wesen, das den Meisten, die mit ihm in Verkehr traten, imponirte. Hatte doch auch der mißtrauisch vorsichtige Großvater Bürger’s die Caution von sechshundert Thalern, welche er für seinen Enkel auf Anfordern der Herren von Uslar hinterlegte, nirgends sicherer als in den Händen des Hofraths Listn aufbewahrt geglaubt. Ja, Bürger selbst, dem es an jeglicher tieferen Menschenkenntniß gebrach, ließ sich durch die heuchlerische Zuvorkommenheit des schlauen Gesellen alsbald vollständig umgarnen. Wie sein Amtsvorgänger Eggeling, wohnte er anfangs in dem Listn’schen Hause, und er holte sich, bei seiner Unerfahrenheit in Geschäftssachen, über die oftmals schwierigen und verworrenen Rechtsangelegenheiten Rath bei dem gewandten Rabulisten, der ihn zu eigenem Vortheil mehr als einmal auf bedenkliche Irrwege verlockte.
Gegen Ende Januar 1773 entwischte der stark verschuldete Mann seinen ihn ringsher bedrängenden Gläubigern nach Hannover, wo er nun Geldmittel aufzutreiben hoffte. Er blieb monatelang fort und überließ Bürger die Sorge, den ritterlichen Beschützer der Frau Hofräthin zu spielen, die drohende Execution abzuwenden und aus eigener Tasche die Mittel zur Bestreitung des Haushalts, wie zur Bestellung der Aecker und des Gartens herbeizuschaffen. Kaum in Hannover angelangt, wußte er dem mitleidigen Dichter seine Noth in einem verzweiflungsvollen Schreiben so rührend vorzuspiegeln, daß dieser ihm sofort den [810] ganzen Rest seiner Baarschaft sandte und dadurch in die schlimmste Verlegenheit gerieth. Bekanntlich wurde er durch den Hofrath Listn schließlich nicht allein um mehr als siebenhundert Thaler betrogen, sondern dieser machte sich obendrein später, als er ihn nicht mehr ausbeuten konnte, zum dienstwilligen Werkzeug seiner erbittertsten Gegner.
Die Hofräthin war nach allen Zeugnissen eine ungewöhnlich geistvolle, schwärmerisch exaltirte Frau, eine „schöne Seele“, die viel Sinn für Poesie besaß und manchen jungen Dichter zu blenden und zu fesseln wußte. Gemmingen, Zachariä und J. M. Miller haben sie besungen. Karl Friedrich Cramer, mit dessen Mutter sie befreundet war, und der sich ihr und ihrem Gatten vielfach gefällig erwies, beehrte sie in der damals üblichen Hainbundsprache mit dem stolzen Titel einer „Adlerin“, lernte aber später ungünstiger von ihr denken. Boie, der sie ebenfalls in einem Gedichte gefeiert und ihr die größte Hochachtung zollte, erklärte die Briefe, welche sie an Gemmingen geschrieben, vielleicht für die besten, welche in deutscher Sprache vorhanden seien, ein Urtheil, das die wenigen, sehr unorthographischen Briefe der Dame, welche mir zu Gesicht gekommen, allerdings nicht bestätigen. Dabei war sie eine enthusiastische Verehrerin Lavater’s und behauptete schon in gesunden Tagen, in Verkehr mit der Geisterwelt zu stehen. Die „Lenore“, welche im Sommer 1773 entstand, machte so starken Eindruck auf ihr Gemüth, daß sie nach Anhörung einiger Strophen in die höchste Aufregung gerieth und Nachts nicht zu schlafen vermochte. Der Umgang mit ihr spornte Bürger lebhaft zu dichterischen Arbeiten von eigenartigem Gepräge an.
„Meine freundliche engelgute Wirthin,“ schrieb er schon ein Jahr früher am 18. Mai an Boie, „ermuntert mich recht oft, ein Frühlingslied zu singen, welches eine eigene, von allen bisher gesungenen verschiedene Wendung hätte.“ Und am 2. August schreibt er demselben Freunde: „Das Frauenzimmer, welches Ihre ganze Hochachtung vereinigt, soll einst meine Genossin in den paradiesischen Lauben werden, und eine neue Art von Gesang, so ich mir zu bilden beschäftigt bin, dieser schönen Seele hinfort geweyhet seyn. Denn wo ist eine ihres Geschlechts, die einer Engelseele so ähnlich wäre?“
Das am 17. December desselben Jahres verfaßte Gedicht „An Agathe. Nach einem Gespräch über die Unsterblichkeit“ ist in der That ganz von der seraphischen Verzückung durchhaucht, in welcher die seltsame Schwärmerin Trost und Ersatz für die prosaischen Leiden des Alltagslebens suchte.
Trotz der überschwänglichen Sprache dieses Liedes und jener Briefstelle veranlaßt uns nichts zu der Annahme, daß Bürger der um viele Jahre ältern Frau, der „honetten Matrone“, wie sie Cramer in seinen Briefen zu nennen pflegt, mehr als eine enthusiastische Freundschaft und ein sympathisches Mitgefühl gewidmet hätte. Auch erkrankte sie schon im Sommer 1773 und verfiel im Herbste desselben Jahres in einen unheilbaren Irrsinn, dessen trübe Nacht selten durch lichte Intervalle unterbrochen ward. Der tägliche Anblick ihrer Leiden verdüsterte mehr und mehr Bürger’s Gemüth, und im November mußte sich endlich der Hofrath zur Rückkehr bequemen, um die Sorge für seine Gattin, welche bis dahin allein seinem jungen Freunde zur Last gefallen war, mit demselben zu theilen.
In dieser traurigen Zeit bot der häufige Umgang mit der Familie des Amtmanns Karl Leonhart zu Niedeck dem Dichter die einzige Erquickung. Die erste Bekanntschaft mit dem Vater vermittelte der Umstand, daß Bürger vor demselben auf Befehl der hannoverschen Regierung am 31. December 1772 den vorgeschriebenen Huldigungseid ablegte. Der Amtmann Leonhart hatte eine sehr zahlreiche Familie. Aus erster Ehe besaß er vier Söhne und drei Töchter, welche, mit Ausnahme eines früh verstorbenen Knaben, noch sämmtlich am Leben waren. Nach dem Tode der ersten Frau, einer geborenen Schädeler, heirathete der Vater, wie es scheint, gegen Ende der sechziger Jahre des vorigen Säculums eine gleichnamige Verwandte, vielleicht eine Schwester derselben, die Wittwe eines Dr. Strecker, welche ihm noch zwei im katholischen Glauben erzogene Stieftöchter, Franciska und Wilhelmine, zuführte. Der Amtmann Leonhart war ein braver, rechtlicher Mann, der in seinem gastlichen Hause allezeit offene Tafel hielt und durch seine joviale Gutherzigkeit bei Jedermann beliebt war. Die Einkünfte seines den Geschäften nach ziemlich unbedeutenden Amtes bestanden hauptsächlich in dem Gewinn, den er aus den weiten, fruchtbaren Ländereien seiner fiscalischen Pachtstelle zog; aber der kostspielige Haushalt und die langmüthige Nachsicht, welche er seinen unbemittelten Schuldnern erwies, bewirkten, daß er mit der Zahlung der stipulirten Pachtsumme an die Regierung oft Jahre lang im Rückstande blieb. Er liebte die Jagd, das L’hombrespiel und ein fröhliches Gespräch beim Glase Wein in anregender Gesellschaft; um das Uebrige machte er sich wenig Sorgen. Seine Knaben und Mädchen wuchsen ohne strenge Aufsicht und ernstlichen Unterricht frei und wild heran; ihren trefflichen Anlagen wurde kaum die nothdürftigste Pflege zu Theil, und sie hatten es nur der eigenen Tüchtigkeit zu danken, wenn ihre Geistes- und Herzensbildung sich dennoch über das Durchschnittsmaß der Menge erhob.
Bürger, der seit dem Sommer 1773 das Amthaus zu Niedeck häufig besuchte, fühlte sich bald heimisch in diesem geselligen Kreise. Ihn fesselte die unverdorbene Natürlichkeit, das herzliche Wesen dieser anspruchslosen Menschen, zu denen er sich mehr und mehr hingezogen fühlte, je drückender ihm der Aufenthalt im Listn’schen Hause ward. Sein intimer Verkehr mit denselben veranlaßte Boie im October des Jahres zu der Bitte, der Freund möge ihm doch den Namen eines der Mädchen zur Niedeck für die Subscriptionsliste zu Klopstock’s „Gelehrtenrepublik“ schaffen, denn „an Mädchen fehlt’s, und die zieren die Rolle“. Als der Amtmann Leonhart gegen Ende Januar 1774 seinen Geburtstag feierte, wußte Bürger dieses Familienfest sinnvoll dadurch zu erhöhen, daß er die Frau Amtmännin und sämmtliche Kinder bei Ueberreichung ihrer Geschenke kleine Gedichte hersagen ließ, die er in Gemeinschaft mit seinem Freunde J. M. Miller verfaßt hatte. Die noch erhaltenen Verse, welche er für das zehnjährige römisch-katholische Stieftöchterlein schrieb, lauteten recht artig:
„Vater, nimm dies Blühmchen an,
Weil ich sonst kein Opfer habe,
Sieh den Wehrt der kleinen Gabe
Minder, als des Herzens an.
Bester Vater, o wie lieb,
O wie lieb hab ich Dich, Vater!
Zweyter, zärtlicher Berather
Meiner Kindheit! O wie lieb! –
Mutter Gottes, sprich für mich,
Sprich für mich zu Deinem Sohne,
Daß er diesen Vater lohne!
Mutter Gottes, sprich für mich!“
Wahrscheinlich fand die Verlobung Bürger’s mit der zweitältesten der Leonhart’schen Schwestern an eben diesem Tage oder kurz nachher statt, und wenige Wochen später verließ der Dichter sein „Bedlam“ in Gelliehausen, wo er weder Ruhe noch Rast hatte, um sein Hüttchen unter den freundlichen Gesichtern auf der Niedeck zu erbauen. Dorothea (geb. 5. Octbr. 1756) – oder wie sie sich stets in ihren Briefen unterschreibt, Dorette – war ein hübsches siebzehnjähriges Mädchen, mit feinen, regelmäßigen Zügen, klein und zierlich gebaut, heiteren und doch sinnigen Gemüthes, von sanft gefälligem Charakter, etwas phlegmatisch vielleicht, aber jetzt in ihrer frischen Jugendblüthe strahlend vor Glück und Zärtlichkeit. Sie las viel und gern, besonders Romane und Schauspiele, ja, sie hatte nicht blos ein lebhaftes Interesse an poetischer Lectüre, sondern sie warf gelegentlich auch wohlgesetzte Verse auf’s Papier, wie das anmuthige Lied „Muttertändelei“, welches im Göttinger Musenalmanach für 1780 unter ihrem Namen erschien und später von Bürger in die Sammlung seiner eigenen Gedichte aufgenommen ward. Es ist ein Irrthum, zu wähnen, daß er sie niemals, oder nur ein kurzes Weilchen geliebt hätte. Es dürften wohl alle seine Briefe aus dem Jahre 1774 bezeugen, daß er mit einer schwärmerischen Gluth an ihr hing, ja, daß er seine Freunde und die ganze Welt über seine Minne vergaß. Der edle Vater Gleim hatte ihm zur Verbesserung seiner Lage die Annahme einer Gerichtshalterstelle bei dem Geheimrath von Asseburg auf Moisdorf empfohlen, zu welcher er ihn in Vorschlag gebracht. Die Bedingungen waren günstig und stellten nicht allein eine sorglose Existenz, sondern auch hinlängliche Muße zu dichterischen Arbeiten in Aussicht; nur sollte sich Bürger verpflichten, zwei Jahre lang nicht zu heirathen, da das Haus noch nicht fertig war. Dieser Aufschub dünkte seinem leidenschaftlichen Herzen unerträglich; er schlug ohne Besinnen die Stelle aus.
[811] „In den Armen eines Mädchens, welches mich zum ewigen Gefangenen gemacht hat,“ schrieb er dem väterlichen Freunde, „beantworte ich Ihren Brief. Und wenn ich auch an des Kaisers Thron, ja in ein Paradies gerufen würde, so hielte mich doch der Arm, der mich jetzt umschlingt, zurück, dem Rufe zu folgen. Die Welt hat für mich, wie für den Liebenden, dessen Geschichte uns Rousseau beschrieben, nur zwei Theile, den, wo Sie ist, und den, wo Sie nicht ist. Jener ist der himmlische Freudensaal und dieser das dunkle Jammerthal. Ich sollte meines süßen Mädchens noch zwei Jahre entbehren? Das wäre ja eine angstvolle Ewigkeit! Immer solle demnach der Vorhang nieder und verschließe meinem Blick die Aussicht auf Glück und Ehre!
Minnesold läßt Amt und Ehren,
Goldnen Sporn und Ritterschlag.
Lässet ohne Neid entbehren,
Was der Kaiser geben mag.
Ehre lacht nicht halb so hold,
Als der Minne Freudensold!“
„Wißt Ihr‘s schon, Freund,“ heißt es in einem gleichzeitigen Brief an Boie, „daß ich mich hier verplempert habe? Vermuthlich
wird der hundertzüngige Ruf auch für dieses Histörchen ein Zünglein übrig gehabt haben. Sehen Sie, mein liebster Boie, endlich haben wir denn auch die Schuld der Natur bezahlen und uns bis zum Heirathen verlieben müssen. – Ach, da kommt sie her, die Minnigliche, die mein Herz mit allen ihren Tugenden und Fehlern, so wie sie da ist, über Alles in der ganzen weiten Welt liebt. Mag sie doch Andern nichts sein, mir ist sie Alles.
Jeder Minner hat die Seine,
Und die Seine lobe, wer da will!
Mag er doch in gleichen Weisen
Seines Herzens Huldin preisen!
Nur die Meine lass‘ er mir!
Lobt er dort, so lob‘ ich hier.“
Scherzhaft lautet die Gratulation des Grafen Friedrich Leopold Stolberg: „Und Sie armer Adler sind verliebt! O paaren Sie sich geschwind! herzlich freue ich mich, daß Sie ein liebes Mädchen gefunden haben! eya, wäre ich auch da! Sie wissen, was Salomon von einem guten Weibe sagt: Sie ist lieblich wie ein Rehe und holdselig wie eine Hinde, oder, wie Michaelis übersetzen würde: sie ist lieblich wie eine Ricke und holdselig wie ein Schmalthier.“ – Gleim widmete „Der Freundin Herrn Bürger‘s, in seine Seele gesungen von dem Verfasser,“ nachstehendes Schäfergedicht:
Zwei schöne Tage sind verloren,
Ich sahe meine Doris nicht.
In ihrer Pracht sah ich Auroren,
Ich sahe Cynthien und Floren
Und Hespers stilles Silberlicht,
Und meine Doris sah ich nicht –
Zwei schöne Tage sind verloren.
Ach hätt‘ ich diese Tage wieder,
Verleben wollt‘ ich sie mit ihr.
Mit ihr fäng‘ ich Auroren Lieder,
Die Grazien und ihre Brüder,
Die Liebesgötter alle hier
Um sie herum gewänn‘ ich mir –
Ach hätt‘ ich diese Tage wieder!“
So sehr fühlte sich Bürger beseligt im Genusse der vollen Liebeswirklichkeit, daß ihm jedes Wort und Lied im Vergleich zu derselben arm erschien. Boie hatte erwartet, die Muse des Freundes werde sich nun zu erhöhtem Aufschwunge gespornt sehen. „Aber,“ frug er vorwurfsvoll, „begeistert Sie die Liebe zu keinem Gesange? Sie hätten die Liebe feurig singen müssen, oder kein Dichter kann‘s! Sie wissen doch:
Il faut n’écrire des vers amoureux
Que sous les yeux de sa maîtresse.
Fragen Sie nur Ihr Mädchen, ob sie nicht auch gern ein Lied hätte!“
Bürger antwortete dagegen: „Sie werden es, mein lieber Boie, ganz natürlich finden, daß ich jetzt täglich an Sie schreiben und zu Ihnen nach Göttingen kommen will, und doch Beides nicht bewerkstellige. Wenn das so fortgeht, so sterbe ich den Musen, der Freundschaft und der ganzen Welt noch ab, um nur allein der Minne zu folgen. Ich kann jetzt nichts als lieben; lieben beim Entschlummern, lieben beim Erwachen, lieben in Träumen. Verse mag und kann ich jetzt gar nicht machen. Alle Ideen fliegen in Rauch auf; und einen Reim bin ich so wenig vermögend zu finden, daß mich dünkt, die ganze Welt hätte keine zwei Wörter, welche sich reimten.“ Auch der Graf Christian Stolberg wunderte sich, daß Bürger nicht „sein Mädchen und die Freuden des ersten Kusses“ besang. „Aber liebster Adler – warum so stille? ich hatte gehofft, daß die allmächtige Liebe Sie recht fruchtbar beseelen würde, daß Ihnen Ströme von Liedern entfließen und Sie Ihr Mädchen wie Petrarca besingen würden, aber stumm wird er nach der Liebe.“
Nach der Vermählung Bürger’s mit seiner geliebten Dorette – die Hochzeit wurde am 22. Oktober 1774 in dem stattlichen [812] Saale des Amthauses zu Niedeck gefeiert – kehrte endlich der Geist der Lieder zurück. Schon am 1. December erhielt Boie von dem jungen Ehemanne, der seine Freunde nun nicht länger zu vernachlässigen versprach, ein schönes Lied: „Das neue Leben“, welches in hymnenartigem Jubel die glücklichste Erfüllung seiner Liebesträume aussprach:
„Liebe! deine Wunderkraft
Hat mein Leben neu geboren,
Hat zu hoher Götterschaft
Mich hienieden schon erkoren!
Ohne Wandel! ewig so!
Ewig jung und ewig froh!“
Die Zeugnisse Boie’s, Goekingk’s und anderer nahen Freunde, denen Bürger sein ganzes Herz erschloß und die im vertrautesten Verkehre mit ihm blieben, stimmen darin überein, daß seine Ehe mit Doretten in der ersten Zeit eine durchaus glückliche war, und daß die Flamme seiner Liebe erst später erkaltete. Boie suchte und fand mehr als einmal Erheiterung und Erholung bei dem jungen Ehepaare, und Goekingk weiß in seinen Briefen an Bürger nicht herzlich genug von dessen „Dortheychen“ zu reden. „Mein kleines Weib, das beste, sanfteste, redlichste Geschöpf unter der Sonne,“ schrieb der Dichter im Sommer 1775 an Gleim, „hat mir vor wenigen Wochen ein kleines Mädchen mit Lebensgefahr geboren. Weib und Kind sind meine ganze und einzige Freude.“ Und um dieselbe Zeit richtet er an Boie die Frage: „Saget, Freund, wie fängt man’s wohl an, um glücklich zu leben? Das ist, um zu seinen Bedürfnissen Geld zu haben? Schimpfen hin, schimpfen her auf den glänzenden Koth! lauter moralische, poetische Albernheiten! Manche können freylich bei seinem Ueberfluß unglücklich seyn, aber weit mehrere sind es durch seinen Mangel. Ich, zum Beyspiel, wüßte nicht, was mir sonderlich abginge, wenn ich, meiner Schulden entladen, zu meinen – gewiß nicht großen – Bedürfnissen ein Hinreichendes hätte.“
In dem ersten Jahre seiner Ehe wohnte Bürger mit seiner jungen Frau in einem (jetzt abgebrochenen) Nebengebäude des Niedecker Amthauses, dessen Ostseite von einer riesigen Doppellinde beschattet war. Der eine Stamm des prächtigen Baumes mußte leider unlängst gefällt werden, weil er vor Alter morsch geworden war und den dahinter stehenden Holzschuppen zu zertrümmern drohte. Am Hause lag ein großer, wohlgepflegter Garten, in dessen gemauertem Bassin damals Goldfische unter dem Strahle einer Fontaine umherplätscherten. Der Garten ist fast noch ganz in demselben Zustande erhalten; eine Partie links am Ende an der Landstraße nach Duderstadt, von acht himmelhohen Pappeln umsäumt und unten mit dichtem Rosengebüsche bepflanzt, wird in alten Schriftstücken schon vor mehr als hundert Jahren, wie heute noch, „der Rosenberg“ genannt. Auch eine dichte Laube von Hainbuchen und eine ungeheure Linde auf der rechten Seite des Gartens, deren Aeste sich mit dem Laubwerke eines epheuumrankten Syringenbaumes zu einer herrlichen Laube verzweigen, werden oft der Ruheplatz des jungen Ehepaares gewesen sein. Der hochgelegene Garten gewährt eine herrliche Aussicht nach den Gleichen mit ihren alten Burgtrümmern; an hellen Tagen sieht man deutlich den Brocken und den Rabensberg in der Richtung von Ellrich und Walkenried. Zu Füßen des Gartens senkt sich ein tannenbewachsener Abhang hinab, welcher den Namen „das Bürgerthal“ führt und in dessen Mitte sich eine grottenartige Felsbank befindet, die Bürger selbst während seines Aufenthaltes zu Niedeck in den weichen Randstein gehauen haben soll. Erst am 21. September 1775 bezog er das neuerbaute Haus des Bauern Henrich Andreas Kreps zu Wöllmershausen, in welchem das verhängnißvolle Geschick seines Liebesromans mit der Schwester seiner Frau, der vielbesungenen „Molly“, ihn ereilte. Dieser Liebesroman wird der Hauptgegenstand des nächsten Artikels sein.
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Wie kam es, daß der Friede einer Ehe, die offenbar nicht aus äußeren Rücksichten, sondern aus inniger Herzensneigung geschlossen ward, so kurzen Bestand hatte? Denn so viel ist sicher, daß Bürger jedenfalls unter dem Einflusse einer trügerischen Erinnerung stand, wenn er später in der sogenannten „Beichte“ an das Schwabenmädchen Elise Hahn behauptete, daß er seine erste Frau geheirathet habe, ohne sie zu lieben. Auch war Molly-Auguste zu der Zeit, als er mit ihrer Schwester vor den Altar trat, keineswegs ein „Kind von vierzehn bis fünfzehn Jahren“; sie hatte das erste Viertel ihres siebenzehnten Jahres vollendet und war kaum zwei Jahre jünger als Dorette. Wenn Bürger damals wirklich „schon den Zunder der glühendsten Leidenschaft für sie im Herzen trug“, so ist gewiß seiner weiteren Versicherung zu glauben, daß er dies aufkeimende Liebesgefühl aus mangelnder Selbstkenntniß „höchstens für einen kleinen Fieberanfall hielt, der sich bald geben würde“. Es lag ja durchaus im Charakter jener empfindsamen Zeit, die Begriffe „Liebe“ und „Freundschaft“ im Verkehr der Geschlechter auf eine uns heute fast unverständliche Art zu verwechseln. Theilte doch zum Beispiel auch Schiller lange nach der Verlobung mit Lotte von Lengefeld seine Neigung zwischen seiner Braut und ihrer lebhafteren Schwester, ohne diese Doppelliebe in seinem Gewissen für Sünde zu erachten! Bei der Befriedigung, welche Bürger in der ersten Zeit seiner Ehe empfand, hätte er vielleicht die aufflackernde Leidenschaft für Augusten ebenso wohl zur ruhigen Flamme einer unschuldigen Freundschaft herabgedämpft, wenn nicht besondere Verhältnisse den glimmenden Funken unablässig geschürt hätten.
Verhängnißvoll war zunächst der Umstand, daß das junge Ehepaar ein volles Jahr nach der Hochzeit auf Niedeck wohnen blieb. Schwankte Bürger, nachdem er Doretten zur Gattin gewählt, in allem Ernste über die Natur des Gefühles, das ihn zu der jüngeren Schwester hinzog, so konnte der Ruhe seines Herzens nichts gefährlicher sein, als der tägliche Anblick Augustens, die im Hause ihrer Eltern, gleichsam unter einem Dach mit ihm, wohnte und, bei dem zärtlichen Verhältnisse zwischen den Geschwistern, auch als er nach dem nahegelegenen Wöllmershausen übersiedelte, den regsten Verkehr mit ihm und Doretten unterhielt. [12] Molly-Auguste stand in jenem pikanten Alter, das auf poetisch angelegte Gemüther so großen Reiz zu üben pflegt: – Bürger sah den schelmischen Backfisch, den ausgelassenen Springinsfeld sich vor seinen Augen zur herrlich blühenden Jungfrau entfalten, in deren elfenhaft zierlicher, feurig beweglicher Gestalt sich „die schönste Weiberseele“ offenbarte.
Dorette war ernster, schüchterner, verschlossener. Sie verstand es nicht, auf die Dauer ihrem durch einen geistvollen Universitätsverkehr verwöhnten Manne dichterische Anregung zu gewähren, und da sie im elterlichen Hause, wo man auf großem Fuß zu leben gewohnt war, weder Sparsamkeit noch Ordnung gelernt hatte, wußte sie sich nicht in beschränkte Verhältnisse zu schicken und die Pflichten einer wirthschaftlichen Hausfrau, wie es nöthig war, zu erfüllen. Dadurch verstimmt, unterschätzte Bürger zuletzt ihren Werth und war überrascht, als er zufällig einmal dahinter kam, daß sie sogar Verse schrieb, „die erstaunlich
viel Anlage verriethen“. Kopfschüttelnd theilte er einem Freunde die Entdeckung mit: „Es ist aber ein gar schnurriges Weib. Von alledem läßt sie keinem Menschen, am allerwenigsten mir ’was sehen. Wüßte sie, daß ich ’was davon ausspionirt hätte, so wäre Alles aus. Ich muß sie also in der Stille beginnen lassen und verstohlen sehen, was heraus kommt.“
Ein so schweigsam stilles Wesen, das vielleicht den besten Theil seines inneren Lebens in sich verschloß, paßte schlecht zu einem Manne, der in kindlicher Offenheit stets sein Herz auf der Zunge trug. Er wurde es müde, hinter der spröden Schale den süßen Kern zu suchen, und scheint nicht ganz Unrecht zu haben, wenn er behauptet, daß sie in ihrem Mangel an Eifersucht „durch einige Herzensgleichgültigkeit unterstützt“ wurde. Ihrem jüngsten Bruder schreibt sie selbst einmal über dieses Thema: „Für Deine schöne pathetische Lobrede auf meine Zurückhaltung und Enthaltsamkeit mache ich Dir in Gedanken den tiefsten Knix. Ich glaube aber wirklich, daß ich eine gute Portion Neugierde weniger muß empfangen haben, wie meine theuren Mitschwestern, denn es fällt mir nie ein, Etwas, das für Bürger bestimmt ist, durchwühlen zu wollen, wäre ich auch überzeugt, daß er es mir nicht übel nehmen würde. Es ist also noch die Frage, lieber George, ob dies Tugend oder Temperament ist?“
Auch fremden Besuchern gegenüber mag Dorette nicht sehr gesprächig gewesen sein. In den Briefen der Freunde Bürger’s, welche sie kannten, ist selten von ihr die Rede. Die Dichterin Philippine Gatterer schreibt charakteristisch bei der Erinnerung eines Besuches im Bürger’schen Hause: „Mehr als einmal wünschte ich nach Wöllmershausen zu kommen, und Ihre liebe sanfte Frau und Ihr pfiffiges kleines Mädchen wieder zu sehen. Damals, wie ich sie sah, war das letzte einige Wochen alt; ich sah, wie ihm Zwieback-Brey in’s Mäulchen geschmiert wurde, und hörte es schreyen; das war nicht viel, mehr konnte man damals aber nicht fordern, jetzt würde sie mich gewiß sehr ergözen. Ihre Frau Gemahlin war noch nicht ganz wieder hergestellt, sah sehr krank aus und schien nicht viel Lust zum Reden zu haben. Ich hoffte es wenigstens und schrieb’s ihrer Schwächlichkeit, und ihr Stillseyn keiner Abneigung gegen mich zu. Sie saß so zärtlich und sittsam auf dem Kanapee. Hatte sich und ihr Kind in einen Mantel gehüllt und schlug die Augen auf das Kind wie eine Madonna.“ Diesen Eindruck der Mater dolorosa, der sanft ergebenen Dulderin, machte Dorette also schon damals, zu einer Zeit, wo ihr häusliches Glück noch durch keine Kämpfe gestört war.
Die erste verschleierte Andeutung solcher Kämpfe findet sich in einem Billet an Goethe vom Januar 1776. „Ich habe,“ schreibt Bürger, „ein gutes Weib und ein schönes Kind vom zweyten Geschlecht, aber was helfen die einem Herzen, über welchem Basilisken brüten? Wie oft ärgere ich mich, daß die mich nicht ärgern können und wollen.“ Und in einem andern Briefe an Boie vom Sommer desselben Jahres heißt es: „Ach, Freund, was für Projecte und Phantome wälzen sich nicht Kopf unten Kopf oben in meiner Seele herum! Bisweilen denke ich, ich will die Revenüen meines Bischen ererbten Vermögens meiner Frau und Kind zu ihrem Lebensunterhalte anweisen und mich dann nackt und bloß in den weiten Ocean der Welt stürzen. Komm’ ich um, so komm’ ich um! Erreich’ ich aber irgendwo ein schönes gesegnetes Eiland, so will ich die Meinigen nachholen.“ – „Ja, hättest Du nicht Weib und Kind,“ antwortet der warnende Freund, „so möchtest Du immer sagen: Haec schola me non capit, und den Staub von deinen Füßen schütteln.“ [13] Der Hauptgrund zu dem Unmuthe des Dichters war indeß jetzt noch nicht sein Liebesschmerz, sondern die unfruchtbare Quälerei seiner Amtspflichten, deren Erfüllung ihm durch die beständigen Chicanen des Obristen von Uslar völlig verleidet ward. „Gott erlöse mich aus dem Moraste dieses Verdrusses!“ rief er aus. „Schwehr ist mir’s, daß ich Weib und Kind habe, und noch schwehrer, daß ich beyde liebe … Wenn Du das Heurathen nur einigermaßen lassen kannst, so laß es! Die Ehe – und wenns auch aufs köstlichste mit ihr ist – ist Mühe und Arbeit.“
Aehnlich schrieb er mit erzwungenem Humor im Januar des nächsten Jahres an Voß, welcher sich kurz nach seiner Verlobung mit der Schwester Boie’s um eine Lehrerstelle zu Hamburg beworben hatte. „So helfe Sie denn der Himmel zum Conrectorat am Johanneo und Ihrem Mädchen. Das wünscht Ihnen, weil Sie’s doch nicht anders werden haben wollen, Ihr Freund aus treuem Herzen. Sollten Sie mit der Zeit von beyden gern wieder losseyn wollen, wie sich dergleichen hin und wieder in der Welt zutragen soll, so mögen Sie sich das selbst wünschen. Ich habe so meine eigene Schadenfreude, wenn ich das wonne- und hoffnungstrunkene Völklein um den bunten gleißenden verschlossenen Tempel Hymens herumtaumeln und nach der Eröffnung seufzen höre. Wir, die wir drinn sind, könnten Euch draußen wohl manches zur Beherzigung eures Wohls und Wehes herausrufen. Allein weil wir angeführt sind, sehen wir gern, daß auch Andere mit uns es werden. Man denkt: Abraham zwing dich, ich habe mich auch gezwungen. – Liebster Voß, wie werdet Ihr Euch verwundern, daß in eben dem Tempel, dessen Außenseite so herrlich erscheint, dessen Kuppeln von Azur und Gold ins Feld glänzen, dessen marmorne Außenseiten mit Statuen, Gruppen, Basreliefs und Mahlereyen al fresco so herrlich verziert sind, daß, sag
ich, in diesem Tempel die schönsten Hallen und Gemächer nur mit Tapeten von altem Wachstuch bekleidet und mit ganz ordinären Geräthschaften versehen sind. Mit den Blumen, die manche raffinirte Leute in Töpfen und Gläsern drin aufziehen wollen, ist es lauter Hudeley gegen die Blumen der Natur in freyer Flur unter dem unermeßlichen blauen Himmel. Hieraus, Freund, müßt Ihr nicht schließen, als ob mir etwa ein Stall oder Keller zu Theil geworden wäre. Mit Nichten! Ich bewohne eins von den besten Zimmern. Aber es ist doch darin überall so ordinair als auf einer Studentenstube.“
Dies war das erste Stadium seiner Leidenschaft. Wie fast alle Gedichte Bürger’s ein Spiegel persönlichster Erlebnisse sind, so erzählt die am 2. Februar 1776 vollendete Ballade „Schön Suschen“ mit ergreifender Wahrheit die Geschichte seiner Liebe zu Doretten und das allmähliche Erkalten dieser Liebe:
Und wieder kam gar andre Zeit,
Gar anders ward es mir:
Doch alle Tugend, Sittsamkeit
Und Schönheit blieb an ihr.
Ich kam und ging, ich ging und kam,
Wie Ebb’ und Fluth zur See.
Ganz wohl mir that es, wann ich kam,
Doch, wann ich ging, nicht weh.
Das einige Monate nachher entstandene Lied „Das Mädel, das ich meine“, schildert noch in beglückter, von inbrünstigem Danke gegen Gott erfüllter Bewunderung den Zauberreiz Molly’s, die ihm wie ein Engel des Himmels erschien, und die elegische Schlußwendung:
Doch ach! für wen auf Erden lacht
Das Mädel so in Liebespracht? –
O Gott, bey deinem Sonnenschein!
Bald möcht’ ich nie geboren sein,
Wenn nie in solcher Liebespracht
Dies Mädel mir auf Erden lacht –
ist in ihrer wehmüthigen Resignation, wie das gleichzeitige „Schwanenlied“, noch weit entfernt von der stürmischen Gluth, welche in den späteren Ergüssen alle Dämme der Vernunft und des Pflichtgefühls durchbricht.
Einen dämonischen Einfluß scheint auf Bürger’s Gemüth die Lectüre von Goethe’s „Stella“ geübt zu haben, welche ihm dieser als Antwort auf seine Klagen gesandt hatte, damit sie ihm „Liebes- und Lebenswärme in den Schnee bringe“. Diese kraftgenialische Verherrlichung einer Doppelliebe, die mit dem Auskunftsmittel einer Doppelehe schloß, wurde durch ihre beredte Dialektik nicht allein Bürger, sondern auch mancher anderen schwärmerischen Seele verderblich. „Mir schwindelt vor mir selbst!“ ruft sein Freund Sprickmann aus, der im Herbste 1776 einige Monate in dem benachbarten Benniehausen verlebte und seitdem eine lebhafte Correspondenz über Herzensangelegenheiten mit ihm unterhielt. „Stellas sind keine Träume; aber weiß Gott, auch Fernandos nicht! und wer weiß – Bürger schreibt mir um Gotteswillen!“
Sprickmann scheint der Erste gewesen zu sein, dem Bürger seinen ganzen Liebeskummer enthüllte, und das rückhaltlose Aussprechen desselben, die beständige Berührung der Wunde in dem Briefwechsel der Freunde ist das zweite Stadium dieser tragischen Herzensgeschichte. Bürger verzweifelte daran, die wachsende Gluth insgeheim zu ersticken, er führte ihr neue Nahrung zu, indem er sie offen eingestand, obschon er sie im tiefsten Gewissen verdammte.
„Daß es mir“ – schrieb er an Sprickmann – „in meiner Lage gar nicht behäglich ist und seyn kann, und warum es nicht seyn kann? werden Sie wohl wissen. Phantasie und Herz werden mir wohl bis an das Ende ihre tollen Streiche spielen. Ich brumme so einen Tag nach dem andern hin und bin schier mit Nichts als meinen Schwachheiten zufrieden: und doch sind es bloß diese, die mir wehren, glücklich zu seyn. Es ist ein elend jämmerlich Ding um das Menschenleben. Warum hab ich doch keine Einsiedeley auf dem Pico!“ – Ueberreizt und krank von der verzehrendem Gewalt seiner Seelenqual, gedenkt Bürger im nächsten Sommer Heilung durch den Gebrauch einer Brunnencur in Hofgeismar zu suchen. „Aber ach!“ fügt er ahnungsvoll hinzu, „alle Gesundbrunnen der weiten Welt werden den Brand nicht kühlen, der mir in allen Adern und in dem [14] innersten Marke wüthet. Gott! Gott! Was ist das im Menschen, was die Leute Liebe nennen?
Drum Lieb’ ist wohl wie Wind im Meer;
Sein Sausen ihr wohl hört,
Allein ihr wisset nicht, woher
Er kommt? wohin er fährt?
Wär’ er doch nur schon wieder zu allen T– gefahren!“ – „Sie sind also krank gewesen,“ heißt es im nächsten Briefe, „oder noch krank?“ Das ist auch von Herzen albern. Es geht mir indessen nicht viel besser. Ich befinde mich fast nie in einem Gefühl vollkommener Gesundheit; werde auch wohl nie wieder dazu gelangen, es wäre denn, daß dieser oder jener Traum erfüllt würde. Einer von diesen Träumen ist, befreyet von allen meinen Hand- und Beinschellen, als ein vollkommener Hans ohne Sorgen unter den Hirten der Alpen, so lange es mir behagte, meinen Aufenthalt aufschlagen zu können.
Gentle youth, oh tell me true,
Is it not the same with you?
Könnte ich nur meiner Frau ein hinlängliches Auskommen anweisen, so ließ’ ich mir morgen bei Bruder Bethgen ein Pilgerkleid machen und wanderte mit Stock und Ranzen immer zum Dorf hinaus. Aber ach! – würde ich dem Geyer entfliehen, der mir täglich und stündlich das immer wieder wachsende Herz aus dem Leibe hackt? Gott im Himmel! Was soll daraus noch werden? … Ich darf nicht einmal wünschen, denn die Wünsche, die allein zu meinem Heil abzwecken könnten, scheinen mir schwarze Sünde, wovor ich zurückschaudere.“
In dieser verzweiflungsvollen Stimmung gewährt ihm ein vierwöchentlicher Besuch bei Boie, der als Stabssecretär des Feldmarschalls von Spörken nach Hannover berufen war, heilsame Erquickung. Der kluge Freund vermied es, ihn zu fruchtlosen Herzensergießungen zu veranlassen, versuchte ihn zu zerstreuen und auf andere Gedanken zu bringen, indem er ihn in seinen tüchtigen Umgangskreis, in das Kestner’sche und Mejer’sche Haus, einführte und ihn mit seinen literarischen Freunden und dem berühmten Schauspieler Schröder bekannt machte, für welchen die Hexenscenen aus Shakespeare’s „Macbeth“ übersetzt wurden. In heiterster Laune kehrte Bürger Ende März 1777 nach Hause zurück. Wenige Wochen nachher wurde sein Schwiegervater unvermuthet durch ein bösartiges Brust- und Gallenfieber hinweggerafft, was auf Bürger einen tiefen Eindruck machte und seine Gedanken auf Momente von dem Gegenstande seiner Leidenschaft ablenkte. Die aufopferungsvolle Energie, mit welcher er sofort die Ordnung der verwickelten Geschäfts- und Vermögensverhältnisse seines Schwiegervaters und die Sorge für dessen zahlreiche Familie in die Hand nahm, nöthigte seinen Freunden die wohlverdienteste Bewunderung ab. Er bewarb sich sofort um die erledigte Amtmannsstelle in Niedeck, die er freilich, trotz Boies warmer Fürsprache, nicht erhielt. Die interimistische Führung der Amtsgeschäfte daselbst, die Pacht- und Vormundschaftsangelegenheiten führten Bürger wieder täglich in Molly’s Gegenwart, welche später mit ihrer Mutter und den beiden Stiefschwestern nach dem eine Meile nördlich gelegenen Bösinghausen zog. Neue schmerzliche Kämpfe erwuchsen ihm, in denen jedoch immer noch das Pflichtgefühl Sieger blieb. Wieder war Sprickmann der Vertraute seines Kummers. Bürger schrieb ihm im Sommer 1777:
„Die Sorge für mein Nest voll Schwäger und Schwägerinnen liegt mir schwer auf dem Halse. Wär’ es nur allein für das Mädel, das ich meine, dann … Was soll ich zu dem übrigen Inhalt Eures Briefes sagen? Es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben! Dies Sprüchlein ist mir so geläufig geworden, daß ich’s in alle Stammbücher schreibe. Mir steht nun bald Trennung von der Geliebten meines Herzens bevor. Was wird aus mir, und was aus Ihr werden? O, daß mich so viele heilige, wiewohl schwehre, saure Pflichten gegen Andere an die Welt fesseln! Die gegen mich scheinen mir Träume, die ich abschütteln würde. – O Sprickmann, hab’ ich Euch wohl von Robinson Crusoe’s Insel jemals gesagt? Wie herrlich, wenn wir da wären! Tausend Meilen weit rings umher von den Wogen des Weltmeers umströmt! In süßer, seliger Ruhe und Einsamkeit! Ha! – doch was hilft’s? Man muß die Zähne zusammenbeißen, die Augen zudrücken und mit zerfezter Stirn vorwärts durch die sperrigen Dornenhecken dringen.“ – „Hör’ einmal, Pursche,“ heißt es in dem nächsten Briefe an denselben Freund, der für eine unglückliche Ehe in den wechselvollsten Liebesabenteuern Ersatz suchte, „ich habe einen gar verdammten Gedanken. Nehmlich den: Alles zusammenzuraffen, in Ordnung zu bringen, mein Haus zu bestellen, die Meinigen zu versorgen, und dann … erwerthern nicht! aber allenfals bewaschingtonen. Denn unsere Weiber, wenn wir sie versorgen, verliehren nichts an uns. Oder, was meint Ihr, wenn wir so viel noch zusammentragen und mitnehmen könnten, um uns am Rhein oder einer andern anmuthigen geseegneten Gegend ein Häuschen und einen Weinberg zu kaufen? Darinn als ein Bauer zu arbeiten, zu leben und zu sterben, stelle ich mir gar paradiesisch vor. Aber ach! wird der Wurm unserer Qual dort sterben?“
So ist’s immer, hier wie dort, der laute Ruf des Gewissens, welcher den stets wiederkehrenden Gedanken einer gewaltsamen Zerreißung der ehelichen Fessel, kaum ausgesprochen, zurückweist.
Um diese Zeit sollte das Herz Bürger’s einen neuen herben Verlust erleiden, der ihn auf’s Tiefste erschütterte. Ein Fieber entriß ihm sein einziges Kind, Antoinette, das er mit abgöttischer Zärtlichkeit liebte.
„Mein kleines Mädel, hatte er noch vor Kurzem in stolzer Vaterfreude geprahlt, „soll einmal was Rechts werden. Das ist Dir ein Mädel! Andere Leute haben auch Mädels, sehn auch aus wie Mädel, sind auch Mädel, aber mein Mädel ist doch allein ein Mädel. Ich erschrecke manchmal ordentlich über die unerwartete Klarheit und die Strahlen, die aus dieser jungen Seele hervorgehn. Und eine Munterkeit! Ein Leben!“
Und Boie hatte mit theilnehmendem Scherze geantwortet: „Deinem kleinen Mädel gieb einen Kuß von mir. Wenn ich so in meinen Jahren stehen bleiben könnte, solltest Du sie für mich erziehen.“
Nun traf ihn ihr Tod wie ein Donnerschlag. „Verwichene Nacht,“ schrieb er dem Freunde von Niedeck aus, „haben sie mich nebst meiner Frau von unserm einzigen sterbenden Kinde weggerissen und hierher gebracht. „Jetzt merk ich, ob man’s schon noch verhehlt, daß meine ganze einzige Freude, ach! daß die Seele meines Lebens aufgeflogen ist. Gott erbarme sich unser! Laß mich für heute schweigen, liebster Boie, und meinen Jammer, meinen unendlichen Jammer, den Du nicht zu fassen vermagst, in die wüste Nacht ausheulen. So ein enormer Schmerz hat mein Herz noch nie belastet, und später konnt’ ich kaum sonst was auf Erden empfinden. Ach! Du hast mein Kind nicht gekannt; aber es war ein Mädchen von Anlagen des Geistes und Herzens, welches auch Blutfremde einen Engel nannten. Vor vierzehn Tagen blühte es noch in seiner wunderschönen Gesundheit. Nun hat ein Fieber – Gott weiß, woher es kam – die schöne Rose entblättert. Barmherziger Vater im Himmel, warum so hart? – Meine einzige Freude! – meine einzige! – Nachschrift. Ich hatte mich in meiner Muthmaßung, als ich Obiges schrieb, betrogen. Das Kind lebte noch und gab Hoffnung zur Besserung. Aber wozu? – Um mit gedoppeltem Schmerz mir diesen Morgen abzusterben.“
Bürger suchte die schmerzliche Erinnerung seines Verlustes zu übertäuben, indem er mit Eifer an die Sammlung und Ueberarbeitung seiner Gedichte ging. Anfangs wollte der lähmende Druck nicht weichen, der auf seinem Gemüthe lag, obschon Dorette ihn nach wenig Monden wieder mit einem Mädchen beschenkte, das viel Aehnlichkeit mit dem verstorbenen Schwesterchen besaß.
„Blos um meinetwillen,“ klagte er, „würde ich keinen Schritt mehr thun. Denn mir ist alles Erdenglück alleweile gar erstaunlich gleichgültig.“
Bald jedoch erwies die Muse sich ihm als treue Trösterin, und manches herrliche Lied entstand noch während des Drucks seiner Gedichte, so daß er, trotz des anfänglichen Zweifels, die versprochene Bogenzahl füllen zu können, zuletzt noch Vieles für eine künftige Sammlung zurücklegen mußte. Aber es war nur ein vorübergehender Anlauf von Kraft, und die Schwingen des Genius sanken müde herab, sobald ihm nicht mehr „das Feuer auf den Nägeln brannte“. Er verfiel in die alte Unlust und Traurigkeit, ehe noch seine Gedichtsammlung erschienen war – der Ruhm reizte ihn nicht mehr; überall umschwebte ihn das Bild der fernen Geliebten.
Ernstlicher trat der Gedanke einer längern Reise an ihn [15] heran, für welche der ansehnliche Ertrag der Subscription auf seine Gedichte ihm genügende Mittel bot. Er teilte Boie seinen Plan mit:
„Von meiner Seelenverfassung ist nicht viel Angenehmes zu sagen. Ich brüte über hundert Entwürfen, die Glückseligkeit meines Lebens betreffend, kann aber zu keinem Entschluß kommen. Es scheint fast um mich gethan zu seyn, da mein Geist und Körper noch nie so erschlafft gewesen sind, als jezt. Es ahndet mir, als stürbe, ich bald. Eine vollkommene Zerstreuung würde mir, glaub’ ich, allein noch zuträglich sein. Aber wo finde ich die? Ich kann mich doch nie von allen Sorgen, die mein Leben aufzehren, losmachen. Ich mögte wohl mein Amt aufgeben, meine Frau und Kind auf eine Zeitlang anderwärts unterbringen und etwa auf ein Jahr in irgend ein anderes Land (England, Spanien, Portugal) reisen. Was sagst Du dazu? Mich dünkt, wenn ich alsdann gesund an Leib und Geist wiederkäme, so wäre das ja besser, als so noch länger zwischen Leben und Sterben hinzusiechen.“
Boie, der Gefahr im Verzuge sah, rieth zu einer Reise durch Deutschland. „Mag die Welt sagen, was sie will; wenn Deine Frau zufrieden damit ist, so geht’s keinem Menschen weiter was an. Ich fürchte, Du hast irgend einen Seelenkummer, den Du mir nicht sagst, der Dich abspannt und Dich unthätig macht. Dawider ist kein besser Mittel.“
„Ach! freilich,“ antwortet Bürger, „belastet geheimer Kummer schon seit einigen Jahren mein Herz, und jetzt geht mir das Wasser fast bis an die Kehle. Entweder ich gehe bald zu Grunde oder genese. Aber kann ich genesen? Schwerlich anders, als der Halbgeräderte, zum Krüppel. Gott stehe mir bei, daß die Verzweiflung mich wenigstens nicht eher überrascht, als bis ich mein Haus bestellt habe. Werde ich wohl reisen können, ohne daß die schwarze Sorge sich mit hinter meinen Sattel setzt? – Gott geb’ es!“
Statt zu reisen, beging Bürger die Thorheit, ein Pachtgut des Generals von Uslar in Appenrode zu übernehmen und dadurch seine eben in besseren Zustand gerathenen Finanzen vollends zu ruiniren. Zuerst freilich nahm er sich kräftig der landwirthschaftlichen Angelegenheiten an und hoffte ein gutes Geschäft zu machen, wenn er all die Feld- und Gartenfrüchte, die er sonst theuer hatte kaufen müssen, fortan auf eigenem Boden gewinne. „Ich glaube,“ schrieb er muthvoll, „diese Veränderung wird mir wohl thun. Ich wühle in meinem Garten wie ein Maulwurf und springe von den Gleichen zu dem Eschenberge und vice versa wie ein junges Reh. Der Geist und die Kraft des Herrn soll, denke ich, wiederkehren.“ Das hochgelegene Appenrode war allerdings ein gesünderer Aufenthaltsort, als das in sumpfiger Niederung sich hinstreckende Wöllmershausen.
Häufig besuchte der Dichter auch die wildmalerischen Partien der Umgegend zwischen Bremke und Reinhausen. Ein herrliches, von wogenden Kornfeldern umsäumtes Wald- und Felsenthal bei letztgenanntem Orte, das er besonders geliebt und wohin er oft seine Gäste geführt haben soll, führt jetzt noch den Namen „das Bürgerthal“. In seinem Garten zog er einen Flor der schönsten Blumen; Rosen und Reben umrankten sein Haus. Aber seine Kenntnisse der Landwirthschaft waren gering für den Betrieb eines so großen Geweses, und Dorette war in der Haushaltung noch nachlässiger, als er selbst. Binnen Kurzem sah er sich tief verschuldet und mußte Jahr für Jahr, bei der hohen Pachtsumme, ein Erkleckliches zusetzen. Die ewige Finanznoth verstimmte ihn und raubte ihm Muth und Kraft. „Wenn ich recht mit Aufmerksamkeit den Quellen meines Unmuts nachspüre,“ schrieb er an Boie, welcher um diese Zeit Landvoigt von Dittmarschen geworden war, „so ist das eine der Hauptquellen, daß ich bei meinen Scherereien kein hinreichendes Auskommen habe. Mein eigenes Armüthchen setze ich zu und gerathe noch obenein in Schulden. Das, das schlägt mir Leib und Geist am meisten darnieder. Mit dem Uebrigen, was mir nicht behagt, hätte es allenfalls nicht so viel zu sagen.“ – „Verdruß,“ fährt er fort, „wird mir sonst von andern wenig gemacht, außer demjenigen, den ich mir selbst mache, daran sind die infamen Finanzaffären Schuld. Freund, Du solltest Dein blaues Wunder sehen, wenn meine Schulden bezahlt wären und ich ein Amt hätte, daß mir ein hinlängliches Auskommen gewährte! Schaff mir nur auch so eine stattliche Landvoigtey!“
[42] Die Pflege ihres schwer erkrankten ältesten Bruders, der im folgenden Herbste an der Schwindsucht starb, führte zum Unglück Molly-Augusten gegen Weihnacht 1780 auf die lange Zeit von anderthalb Jahren in Bürger’s Haus. Sie hatte bis dahin theils bei der Stiefmutter, theils bei der verheiratheten Schwester in Bissendorf gelebt und den Geliebten nur selten bei einem flüchtigen Besuche in Gesellschaft Dorettens wiedergesehen.
Die Gedichte Bürger’s, vor Allem die „Elegie, als Molly sich losreißen wollte“, verrathen uns, daß ihr frommes, keusches Gemüth noch strenger und pflichtgetreuer, als Jener, die allverzehrende Liebe bekämpft, daß sie dem stürmischen Drängen seiner Leidenschaft, so sehr sie dieselbe theilte, Jahre lang unter den stärksten Prüfungen widerstanden hatte. Der erneuerte Anblick des Geliebten, der ohne das Lächeln ihres Mundes, den beseligenden Strahl ihres blauen Auges, das „süße Huldgekose“ ihrer Flötenstimme einem frühen Grabe entgegen zu siechen schien, brach endlich den Heldenmuth ihrer Tugend. Nicht als Sünde, sondern als ein vorbestimmtes Verhängniß, als eine unheilbare Krankheit oder ein allmächtiges Gebot der Natur erschien es den Liebenden, wenn sie dem „blöden Wahne“ der „Menschensatzung“ Trotz boten und dem lockenden Sirenenliede ihrer Herzen folgten.
Die Sonne, sie leuchtet; sie schattet, die Nacht;
Hinab will der Bach, nicht hinan;
Der Sommerwind trocknet; der Regen macht naß;
Das Feuer verbrennet. – Wie hindert ihr das? –
O laßt es gewähren, wie’s kann!
Und Dorette? – Ohne Zweifel hatte das jahrelange eigene Leid und der tägliche Anblick ihres Gatten, der „wie ein Schlaftrunkener, in ein dumpfes Grab verschlossen“, umherschwankte und sich nur noch den Tod wünschte, ihrer tief erschütterten Seele jedes besonnene Denken und sichere Fühlen geraubt. Und dann – auch sie hatte Goethe’s „Stella“ gelesen und wieder gelesen. Cäcilie wies ihrer großmüthigen Dulderseele den Weg. Wie die Gemahlin des thüringer Grafen, als dieser ihr die junge Morgenländerin brachte, welche seine Fesseln gelöst und ihn aus der Sclaverei gerettet hatte, rief sie der Schwester – auch wohl „unter tausend Thränen“ – zu: „Nimm Alles, was ich Dir geben kann! Nimm die Hälfte Deß, der ganz Dein gehört. – Nimm ihn ganz! Laß mir ihn ganz! – Du hast ihn gerettet, von ihm selbst gerettet – Du giebst mir ihn wieder.“
Es ist nicht unseres Amtes, diese Sophisterei der Leidenschaft zu entschuldigen oder zu verdammen. Wir suchen einzig, aus dem uns vorliegenden Material das psychologische Verständniß einer Verirrung zu gewinnen, die ein Glied in der langen Kette seltsamer Herzensgeschichten an Ende des vorigen und Anfang des jetzigen Jahrhunderts ist. „Werther“, „Stella“, „Die Geschwister“, „Die Wahlverwandtschaften“ führen den Leser nur darum in das Nachtgebiet elementarer Leidenschaft, weil die Krankheit, welche sie schildern, wie eine geistige Epidemie auf den Gemüthern der Zeitgenossen lag. Der Frevel wider das ewige Gesetz der Sittlichkeit rächte sich zudem ja bitter genug an Denen, welche sein in toller Verblendung spotteten.
Während ihres Aufenthaltes in Appenrode malte Auguste in Pastellfarben das wohlgelungene Bild ihrer Schwester Dorette und, vor einem Spiegel sitzend, ihr eigenes Bild, als Geschenk für ihren jüngsten Bruder George, aus dessen Nachlasse mir die beiden Portraits von ihrem jetzigen Besitzer zur Nachbildung für die Gartenlaube freundlichst übersandt worden sind. Ein anderes, [43] von unbekannter Hand gemaltes Molly-Bild, das sich in Bürger’s Nachlaß befand und nach seinem Tode in den Besitz seiner Tochter Marianne kam, ist, wie die Vergleichung mit dem mir vorliegenden Original erweist, durch die Kunstanstalt von A. H. Payne in Reudnitz bei Leipzig nicht allzu glücklich nachgebildet worden; namentlich der Ausdruck des schöngeformten Mundes ist durch eine seltsame Zuspitzung der Oberlippe unangenehm entstellt.[1]
Das naturwidrige Verhältniß einer zwischen den Schwestern getheilten Liebe konnte nicht von Bestand sein. Im Sommer 1782 entriß sich Auguste den Armen des Geliebten, um zunächst bei seiner in Langendorf verheiratheten Schwester Friederike, der Mutter des Dichters Müllner, zu verweilen, und kehrte erst nach dem Tode Dorettens als angetraute Gemahlin in sein Haus zurück. Der Verkehr zwischen den Gatten gestaltete sich nach ihrem Fortgange um Vieles erfreulicher als in den verflossenen Jahren; Bürger begegnete der schwer gekränkten Frau mit warmer Herzlichkeit, und Dorette sah aufathmend einer besseren Zukunft entgegen.
Rührend klingt der innige Weihnachtsbrief, den sie dem Bruder sendet:
„Ich seze mich heute früh nieder, Dir einige Stunden dieses Tages zu widmen. Das Wetter ist so erschrecklich, daß man nicht denken darf in die Kirche zu kommen. Doch die Unterhaltung mit meinem Bruder wird eben so süße, so heilige Empfindungen in mir erregen, wie das was mir von dem heutigen Feste gepredigt würde. Froh sein und fröliche Geschöpfe zu machen, ist nach meinem Gefühl die innigste Dankbarkeit für die Güte unsers Gottes. Lieber George, heute mögte ich beinah Deinen Ausspruch wiederlegen, wo Du sagst, ‚es sey unser Loos Unglücklich und traurig zu sein! etc.‘ – ich fühle in diesen Augenblicken, daß es doch Gefühle giebt, die alles Elend überwiegen, und uns zu seeligen Geschöpfen machen. Du wirst lachen, George, wenn Du nun eigentlich die Ursache erfährst, die mich so froh und heiter macht, wirst sagen, daß es gar kein Vorzug sei, sich auf diese Art heitre Laune zu verschaffen, weil es nichts auserordentliches sei, daß ein Geschöpf seine Pflicht erfülle? Recht, lieber George, ich habe auch nichts weiter gethan, aber herzliche innige Freude durchglüht mich, daß Gott mir die Wonne schenkte, die Pflichten der Wohlthätigkeit ausüben zu können … O George, so ein Gesicht welches mir mit dankbarer Freude entgegen lächelt – bei Gott, der gnädigste Blick des größten Monarchen würde mir nicht so angenehm sein! Könnte ich mir den nicht auch durch weniger Gute und Edle Mittel erwerben? – Du wirst lachen über mich, George, daß mich die Austheilung einiger Weihnachtsgeschenke an unsere Leute so frohes Muths gemacht hat: – und doch ists nicht anders. Der Dank, welcher aus ihren Seelen in die meinige überging, und hier innige Anbetung gegen Gott wurde, der mir die Mittel gab, Freude verbreiten zu können, hat mich mit diesen Leben auf lange wieder ausgesönt … Uebrigens jage nur immerhin alle dunklen Grillen zum Henker, daß wir nun gerade just zum Unglück sollten geboren sein, ich protestire öffentlich dawider. Besonders in meiner heutigen Laune. Es wird Dir schon gut genug gehn, George, Du bist ein guter Junge, und sieh nur, ich bin ja auch seit einiger Zeit glücklicher, Du weist, wie wenig ich sonst auf den Sinn dieses Worts Anspruch machen konnte! ich freue mich des herzlich, ob ich gleich fürs Künftige vom Schicksal keinen Freibrief erhalten habe. … Dank noch für Deine Sorge um meine Augen. Gott sei Dank, noch habe ich sie. Dies ist Beweis davon. Auch glänzen sie gleich 2 hellen Sternlein des Himmels, und lächeln dem Bruder meines Herzens hier Liebe und Dank für seine Liebe und die Versicherung ewiger Treue von seinerNicht lange nachher erlag sie derselben auszehrenden Krankheit, an welcher auch ihr Bruder Karl gestorben war. Zuvor gab sie noch einer Tochter das Leben, einem schwächlichen Kinde, das ihr bald in die Gruft folgte. Sie litt lange und schwer, auf’s Treueste von ihrem Gatten und ihrer Stiefschwester Wilhelmine gepflegt, und schied ungern aus der Welt, die ihr doch so wenig ungetrübter Freuden bescheert hatte.
„Die ganze Zeit her,“ schrieb Bürger ihrem Bruder in einem ausführlichen Berichte über ihre Krankheit, „hat die arme Leidende dennoch die durstigste Liebe zum Leben geäußert; aber seit einigen Tagen scheint sie das Herannahen des Todes zu fühlen und sich mehr darein zu ergeben. – Gott mache alles nach seiner Barmherzigkeit! Ich weiß, er wird es gut machen.“
Wir eilen zum Ende; denn der Abschluß dieser ergreifenden Liebestragödie ist bekannt. Bekannt ist, wie Bürger, der sein „Hungeramt“ niedergelegt und die Laufbahn eines Universitätslehrers in Göttingen ergriffen hatte, um endlich vor dem Altare mit der „Ganzvermählten seiner Seele“ verbunden ward, wie sein hinwelkendes Leben unter dem Sonnenblicke ihres Lächelns „aufzugrünen und zu blühen“ begann, wie sich Molly-Auguste durch Fleiß und Sparsamkeit auch der Verbesserung seiner zerrütteten Finanzen befliß, und wie nach kurzem Wonnetraume ein hektisches Fieber sie jählings entraffte, nachdem sie ihm zu dem Sohne, den sie früher geboren, fünfzehn Tage vor ihrem Tode noch eine Tochter geschenkt hatte. Nur das sei erwähnt, daß George Leonhart, der in diesen Trauertagen im Hause seines Schwagers verweilte und neben dem treuen Schwager, Dr. Althof, am Sterbelager seiner Schwester stand, mit den Worten: „Sie hat vollendet!“ in das Vorzimmer trat, um dem wortlos zusammenbrechenden Bürger und seiner Tochter Marianne, welcher dieser Moment stets unvergeßlich blieb, das entsetzliche Geschick zu verkünden. Vor mir liegt, während ich diese Erinnerungen aufzeichne, eine seidenweiche, lichtblonde Locke, die George Leonhart, wie die von ihm herstammende Inschrift der vergilbten Papierhülle bezeugt, am Todestage Augustens von ihrem Haupte abgeschnitten. Sie ist zu einem Kranze geflochten und mit einer verblichenen rosaseidenen Schleife befestigt. – –
Sollen wie noch des unseligen Nachspiels jener dritten Ehe gedenken, zu der sich Bürger durch das anscheinend so treuherzige Gedicht des „Schwabenmädchens“ verlocken ließ? Ach, er mußte es hart genug büßen, daß er einen Augenblick gewähnt hatte, dieses „Kind der Unnatur“ würde ihm seine „Molly-Adonide“ ersetzen. Er war fortan ein an Leib und Seele gebrochener Mann, den nur die Sorge für seine Kinder zu fieberhaft rastloser Thätigkeit spornte, und dem diese schwere Sorge noch die letzten Stunden verbitterte. Deutsches Dichterelend! Empfing doch der Sänger unsterblicher Lieder, die sein ganzes Volk entzückten, von der hannoverschen Regierung nach zehnjähriger angestrengter Lehrthätigkeit statt des erbetenen bescheidenen Professorengehalts auf seinem Sterbelager kaum den Bettlerpfennig von fünfzig Thalern, um ihn vor dem Hungertode zu schützen!
Ohne die thatkräftige Hülfe des wackeren Althof würde das Schicksal der armen Waisen traurig genug gewesen sein. Er ließ sich die Vormundschaft über dieselben übertragen, suchte für sie durch Verhandlung mit den Gläubigern aus der stark verschuldeten Erbschaftsmasse zu retten, was möglich war, und nahm den Sohn Agathon aus der unglücklichen letzten Ehe zu seinen eigenen Kindern in’s Haus. Der kränkliche, geistig verkrüppelte Knabe starb schon in seinem elften Lebensjahre. – Marianne, die Tochter Dorettens, kam zu der jüngeren Schwester Bürger’s in Langendorf bei Weißenfels, welche auch den Sohn Augustens, Emil, erzog. Später folgte sie einer Einladung der ältesten Schwester ihres Vaters, der Wittwe des Pfarrers Oesfeld, nach Waldenburg, und blieb nach dem Ableben derselben bei ihren Kindern und Enkeln, in deren Armen sie hochbetagt und unvermählt am 11. November 1862 zu Remse entschlief.
Die Tochter Molly’s, welche gleich ihrer Mutter Auguste hieß, wurde bei der Elderhorst’schen Familie in Bissendorf erzogen und vermählte sich dort mit dem Amtsassessor Mühlenfeld, der 1813 in Winsen an der Luhe als Friedensrichter starb. Sie hatte das trübe Geschick, ihren Gatten, einen erwachsenen Sohn, der als Hauptmann im Geniecorps zu Hannover stand, und eine blühende Tochter, die sich eben verlobt hatte, jählings durch Schlaganfälle in’s Grab sinken zu sehen. Sie selber starb zu Celle am 11. November 1847. Zwei ihrer Söhne sind noch am Leben, der älteste als Obergerichtsdirector zu Nienburg an der Weser, der jüngere als Apotheker zu Hoya.
[44] Das unglücklichste Loos fiel dem Sohne Molly’s, Emil, und seinen noch lebenden Hinterlassenen zu. Seine ersten Kindheitsjahre verbrachte er, wie erwähnt, bei der Tante in Langendorf; nach der Scheidung Bürger’s von seiner dritten Frau verweilte er kurze Zeit im väterlichen Hause. Seine spätere Ausbildung empfing er in der Schulpforte bei Naumburg; als er diese Anstalt verließ, trat er zur Erlernung des Buchhandels bei dem Freunde seines Vaters, J. Ch. Dieterich zu Göttingen, in die Lehre. Nachdem er in mehreren renommirten Buchhandlungen Deutschlands servirt hatte, fand er im F. A. Brockhaus’schen Geschäft zu Leipzig eine Anstellung. Dort verlobte er sich, und der Wunsch, bei Begründung eines eigenen Herdes sich zugleich eine feste Lebensstellung zu schaffen, veranlaßte ihn, sich 1821 in Naumburg zu etabliren. Zwei Jahre später vermählte er sich mit seiner Braut, der am 6. Februar 1801 geborenen Marie Concordia Wilhelmine Anton, die ihn im December desselben Jahres mit einer Tochter, Friederike, und im Sommer 1825 mit einem zweiten Kinde, Emilie, beschenkte. Letztere ist jetzt mit dem Buchdruckerei-Factor einer Leipziger Officin verheirathet.
Trotz des emsigsten Fleißes wollte es Emil Bürger mit seiner Buchhandlung nicht glücken. Ohne ausreichende Mittel, hatte er sich aus Localrücksichten bewegen lassen, den Verlag einiger kostspieliger Werke zu übernehmen, und mußte schließlich sein Geschäft liquidiren. Er zog nach Leipzig zurück, konnte aber als verheiratheter Mann keine seinen Wünschen und Fähigkeiten entsprechende, gut salarirte buchhändlerische Stellung finden. Die Pflicht des Gatten und Vaters nöthigte ihn, ein Unterkommen mit nur spärlichem Ertrag anzunehmen; doch bei dem unterstützenden Fleiße der Mutter hätte der bescheidene Erwerb wohl ausgereicht, wenn nicht der Vater bald erkrankt und nach langem Siechthum am 28. März 1841 seinen Leiden erlegen wäre. Zwar arbeitete die treue Mutter unermüdlich Tag und Nacht mit der Nadel, um die schlimmste Sorge von den Häuptern der geliebten Kinder fernzuhalten, und diese, welche nach zurückgelegter Schulzeit die Anfertigung künstlicher Blumen erlernten, halfen der Mutter nach Kräften, die mäßigen Bedürfnisse der Familie durch den Ertrag ihrer Hände zu bestreiten.
Aber wie karg ist der Gewinn, den weibliche Handarbeit erzielt! Friederike steht heute noch, wie seit achtundzwanzig Jahren, einem Blumengeschäfte vor; allein sie hat in vollstem Maße die Schwere des Kampfes um das Dasein erfahren.
„Gern,“ schreibt mir das brave Mädchen, welches mir diese Anführung ihrer Worte verzeihen wolle, in einem ihrer anspruchslosen Briefe – „gern möchte ich der Mutter nach einem so vielgeprüften, an Mühen überreichen Leben einen heiteren Lebensabend bereiten, aber der Wunsch bleibt hinter der zwingenden Macht der Verhältnisse zurück. Zumal da alle, auch die unentbehrlichsten Lebensbedürfnisse eine so enorme Steigerung erfahren, reducirt sich der ohnehin mäßige Gewinn auf noch weniger. Wir haben, so weit meine Erinnerung zurückreicht, entbehrt und ertragen, ohne den weniger Eingeweihten ahnen zu lassen, wie schwer es uns oft zu tragen wurde.“ Wie Friederike mir in demselben Briefe mittheilt, ließ der verstorbene König Friedrich August von Sachsen den Hinterbliebenen des Dichters eine Summe von hundert Thalern anweisen. Die Schillerstiftung erfreute sie zweimal mit einer Pension.
Möge der „Unstern“, der bis jetzt über den letzten Erbinnen des großen Dichternamens geruht hat, erbleichen, und mögen sie, belohnt durch das Bewußtsein treu erfüllter Lebenspflicht, dereinst das müde Haupt versöhnter mit dem ihnen beschiedenen Geschicke zur Ruhe legen, als ihr unglücklicher Großvater![2]
- ↑ Das im Jahre 1855 von Herrn Rudolph Neuburg in Göttingen veröffentlichte angebliche Molly-Bild ist von der damals noch lebenden Tochter des Dichters sofort als das Portrait der Stiefschwester Augustens, Franziska Strecker, erkannt und dem Herausgeber als solches bezeichnet worden. Der Umstand, daß keine öffentliche Anzeige dem Publicum Nachricht von der zu spät ermittelten Unechtheit dieses Bildes gab, mag es erklären, daß eine Copie desselben auch in der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ vom 13. März 1858 als „Bürger’s Molly“ erschien.
- ↑ Ohne Zweifel werden manche der freundlichen Leser und Leserinnen dieser Nachrichten den Wunsch hegen, für die vielen genußreichen Stunden, welche sie den Dichtungen des so schwer vom Schicksale geprüften Mannes verdanken, einen Theil des Unrechts, das ihm seine Mitwelt zugefügt, nun an seinen noch lebenden Nachkommen gut zu machen, damit der greisen, fast dreiundsiebenzigjährigen Frau seines Sohnes und ihren wackeren Töchtern, die den harten Lebenskampf bis hierher so tapfer gekämpft und die Ehre des gefeierten Namens, den sie tragen, vor jedem Makel rein bewahrt haben, ein sorgloserer, froherer Lebensabend beschieden werde. Von der gleichen Empfindung beseelt, hat der Besitzer der oben erwähnten Haarlocke Molly’s mir dies sein theuerstes Kleinod mit der Bitte überantwortet, es zum Besten der Hinterbliebenen des Dichters zu verwerthen. Ich werde die kostbare Reliquie dem Edlen übersenden, der mir zu dem angedeuteten Zwecke bis zum 31. März dieses Jahres das höchste Gebot auf dieselbe zukommen läßt. Zugleich erkläre ich mich mit Freuden bereit, Gaben der Liebe und Theilnahme für die Bürger’sche Familie in Empfang zu nehmen und an dieselbe zu übermitteln, worüber seiner Zeit öffentliche Rechenschaftsablage erfolgen wird.
Adolf Strodtmann,Henni’s Villa in Steglitz bei Berlin.