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Eine Weihe

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Textdaten
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Autor: Hermann Allmers
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Titel: Eine Weihe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 8–9
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Entwurf einer alternativen, nichtreligiösen Tauffeier für den Sohn des Evolutionsbiologen Ernst Häckel
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Eine Weihe.


Ein Gespräch über Glaubenssachen mit Orthodoxen hatte von je großen Reiz für mich, vorausgesetzt natürlich, daß dieselben weder Heuchler, noch Flachköpfe, noch Fanatiker waren, sondern auch der Meinung Anderer Gerechtigkeit widerfahren ließen. Eine solche Unterhaltung hatte ich vor längerer Zeit mit dem Regierungsrath F., welcher ebenso strenggläubig und fromm wie geistvoll und duldsam war. Der Gegenstand des Gesprächs waren die Sacramente, die für mich altehrwürdige symbolische Bräuche sind, aber auch nichts weiter, und als solche auch für den Nichtgläubigen immerhin bestehen können, wenn nur Jedem die Kirche das Recht zu Theil werden läßt, sie nach seiner Auffassung zu nehmen; zum Beispiel das Abendmahl einfach als die schöne und rührende Feier zum Gedächtniß des Edelsten und Herrlichsten aller Menschen, die je für ihre sie erfüllende Idee ihr Leben hingaben; die Taufe, entkleidet aller alten Religionslehren, als den einfachen Act der Aufnahme in die christliche Gemeinde, welche vielleicht noch durch viel schönere und sinnvollere Symbole bezeichnet werden könnte.

Dieser Ansicht widersprach mein Gegner auf’s Heftigste. „Ja,“ rief er am Ende unserer Unterhaltung, „ihr Neuerer zerwühlt und zerspült nur den Boden der Glaubenslehren, zersetzt und zerfetzt nur die alten heiligen Dogmen. Ihr werdet sehen, wohin Das führt. Und verwerft ihr den Inhalt derselben, dann werft nur auch die leeren Formen hinterdrein als unnützen Ballast. Aber bald werdet ihr mit Schrecken sehen, welch formenloses Chaos und welch trostlose Oede euch umgiebt, und werdet jammernd euch zurücksehnen nach dem verlorenen Gute.“

„Für neuen Wein werden sich auch neue Schläuche finden lassen,“ erwiderte ich, „ein neuer Inhalt wird auch schon seine neuen entsprechenden Formen entwickeln und zwar in echter Freiheit, Wahrheit und Schönheit.“

Wir brachen das Gespräch ab, das schon hitzig zu werden anfing, und bei dem ja doch nichts weiter heraus kam, wie bei allen solchen Wortgefechten.

Heimgekehrt, fand ich einen Brief auf meinem Schreibtische mit dem Postzeichen „Jena“, der mir viel zu denken geben sollte. Er kam von meinem lieben Freunde und Wandergefährten, dem jungen Professor Häckel, dem berühmten Verfechter und Weiterbildner der Lehre Darwin’s, und lud mich ein, als Pathe bei der Taufe seines Erstgeborenen zu fungiren.

Es war im späten November. So lieb ich meinen wackeren Freund auch habe, spürte ich doch wenig Lust, zu so rauher Jahreszeit die weite Reise zu unternehmen; aber auch davon ganz abgesehen – was sollte ich dort? Zeuge sein und gar Pathe bei einer Handlung, zu welcher der Standpunkt des Pathen wie des Vaters so wenig paßte, um nicht zu sagen, in ausgesprochenem Gegensatz stand – das widerstrebte meinem innersten Gefühle. Mußte dadurch die Ceremonie nicht ihre eigentliche Bedeutung verlieren? Und war überhaupt zu hoffen oder vorauszusehen, daß auch der Täufling jener gläubige Christ werden würde, wie ihn die Taufe wollte? –

Doppelt lebendig erhob sich abermals der Gedanke des letzten Gesprächs in meiner Seele. Neuen Wein in neue Schläuche!

Sollten sich denn für ein Glaubensbekenntniß, wie das meines lieben Freundes und das meinige war, nicht auch neue bedeutungsvolle Formen finden? Sollte sich nicht auch für das Kind eines Naturforschers, wenn es der Welt und der menschlichen Gesellschaft dargebracht wird, eine weihevolle Feier bereiten lassen, eine in echter Freiheit, Wahrheit und Schönheit? –

Gedanke auf Gedanke durchzog noch spät in stiller Nacht meine Seele, und endlich entstand aus ihnen eine dem Tauffest meines naturforschenden Freundes gewidmete Dichtung, ein Versuch, in dramatischer Weise die Weihe eines jungen Erdenbürgers vorzuführen, bei der Jeder, welchem Glaubensbekenntnisse er zugethan sei, mit ruhigstem Gewissen seine Pathenstelle einnehmen könnte.

Hier ist meine Dichtung:

 Weihe,
ausgedacht und dargebracht dem Erstgebornen seines lieben
 Ernst Häckel.

(Scene: Festlich geschmückter Gartensaal. Die versammelten Gäste im Halbkreise. Der Knabe wird hereingetragen, und eine feierliche Musik, etwa Mozart’s Chor: „O Isis und Osiris!“ empfängt ihn. Wenn die Klänge verhallt sind, wird der Knabe zur Sonne emporgehalten. Einer der Pathen [Astronom] legt seine Hand auf dessen Haupt.)

 Der Sprecher.
Das ist die Sonne, die hohe, die helle,
Des Lichts und der Wärme erhabene Quelle,
Die Strahlen versendende,
Segen ausspendende,
Das ist die Sonne, das gold’ne Symbol
Ewiger Klarheit,
Ewiger Wahrheit.
Freue Dich ihrer, strebe zum Licht,
Sonst verdienst Du sie nicht!

(Der Knabe wird nun auf die Erde gesetzt. Drei andere Pathen [Geognost, Botaniker, Zoolog] legen ihre Hände auf ihn.)

[9]

Das ist, o Sohn, die Allmutter, die Erde.
Drinnen und drauf herrscht ein ewiges Werde;
Das ist die mild in der Sonne erglühende,
Das ist die freundliche, grünende, blühende.
Doch in der Tiefe sind düstere Gluthen;
Unter den Bergen und wallenden Fluthen,
Allüberall ist ein wunderbar Weben,
Sinken und Heben, Streiten und Streben,
Ewiges Sterben, ewig Beleben,
Ewig Verschwinden, ewig Entfalten,
Geschlecht auf Geschlecht und Gestalt auf Gestalten.

Auf ihr sollst Du wohnen, Dich freu’n und genießen,
Sie sollst Du erforschen, sie sollst Du erschließen.
Strebe und streife,
Schwelge und schweife,
Dringe hinein!
Sie sei Dein, sie sei Dein!
Und Du selbst magst der Beste, der Bravste drauf sein!

(Die Eltern nehmen jetzt den Knaben in ihre Mitte. Alle Anwesende treten, ihn zum Willkommen begrüßend, hinzu.)

Das sind die Menschen – ergreif’ ihre Hände
Und habe sie lieb, sei getreu bis an’s Ende,
Doch fliehe die Falschen, die Schlechten, Gemeinen
Und halte Dich nur zu den Echten und Reinen!
Sei stark in Bedrängniß, sei muthig im Streit,
Doch weich, wenn bei Andern Du Noth siehst und Leid!
Erkennen und Helfen – Genießen und Streben
Und – das Glück des Beglückens, das fülle Dein Leben!

(Kurze Musik von heiterem Charakter. Ein bekränzter Becher mit Wein wird hereingetragen.)

Empfange denn nun die fröhlichste Weihe,
Nicht klebt sie am Dogma, die schöne, die freie,
Empfange der Traube Wundersaft,
Des Geistes Symbol und der Lebenskraft!

Entquollen den Brüsten der Allmutter Erde,
Durchglüht von den Strahlen der himmlischen Sonne,
So ward er bereitet, auf daß er werde
Den irdischen Herzen zur himmlischen Wonne

(Dreimal werden jetzt seine Lippen damit benetzt.)

Lerne sie kennen, die liebliche Labe,
Koste die edle, die köstliche Gabe,
Noch sei sie Dir nur
Symbol der erfreuenden Mutter Natur!

(Indem der Sprecher den Wein über ihn ausgießt:)

Einst werde zu Theil Dir in Ueberfluß
Des Daseins hochherrlicher Vollgenuß! –

(Eine jubelnde Musik fällt ein, die aber bald in eine sanfte und ernste Weise übergeht, während der Knabe wieder in die Arme der Mutter gelegt wird.)

Nun schließe die Augen am Mutterherzen,
Bist frei noch von nagenden Sorgen und Schmerzen.
In der Mutter Arm
Ruht sich’s gar warm.
So schlaf’ und gedeihe und sammle Dir Stärke
Zum schönen Berufe, zum heiligen Werke!
Doch wirst Du zum Letzten die Augen einst schließen,
Ist’s aus mit des Daseins Kampf und Genießen,
Umsteh’n sie Dein Lager mit Klagen und Weinen,
Die treu Dir Verbund’nen, die Lieben, die Deinen,
O mögest Du dann, wenn Dein Auge will brechen,
Zu Deinen Getreuen getrost können sprechen:
„Ich ward ein Mensch, und es war meine Sendung
Zu helfen mit Euch an der Menschheit Vollendung.
Ich that, was ich konnte; – was ich gesollt,
In redlichem Streben hab’ ich’s gewollt.“

Hermann Allmers.