Ein Sängerfest im „Deutsch-Athen“ Nordamerikas

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Autor: G. M. H.
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Titel: Ein Sängerfest im „Deutsch-Athen“ Nordamerikas
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 449, 450, 441
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Matthias Stein’s Blockhütte in Milwaukee vor fünfzig Jahren. (S. 449.)

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Ein Sängerfest im „Deutsch-Athen“ Nordamerikas.

Ansicht von Milwaukee.
Originalzeichnung von Richard Püttner.

Deutsche Sängerfeste bilden in Nordamerika keine Seltenheit. Unsere Brüder unter dem Sternenbanner pflegen deutsche Weisen mit demselben Eifer, wie dies innerhalb der Reichsgrenzen der Fall ist. Zahllose deutsche Sängervereine blühen in den Vereinigten Staaten und besitzen in dem „Nordamerikanischen Sängerbund“, der im Jahre 1857 gegründet wurde und heute die größte Vereinigung dieser Art in der Union bildet, einen wichtigen Mittelpunkt. Und dennoch sehen sangesfrohe Scharen jenseit des Oceans mit spannender Erwartung der Zeit vom 21. bis 25. Juli entgegen, wo in dem lieblichen Mllwaukee das 24. Sängerfest des genannten Bundes abgehalten werden soll.

Schon der Umstand, daß für dieses Jahr die deutscheste Stadt Amerikas zum Festort gewählt wurde, würde diese Erwartung rechtfertigen. Sie wird aber noch gesteigert durch den großen Aufwand für die Vorbereitungen zum Feste, wie solcher bei allen bisherigen Feiern dieser Art in der neuen Welt noch nicht erreicht wurde – verfügt doch das Festkomité allein über einen Garantiefond von dreiviertel Millionen Mark. Ueber 90 deutsch-amerikanische Vereine werden in Milwaukee zusammentreffen, und auch Gäste aus Deutschland werden nicht fehlen. So wird der königliche Musikdirektor Hermann Mohr von Berlin auf dem Fest erscheinen, um seine 1865 auf dem ersten Deutschen Sängerfest zu Dresden preisgekrönte Hymne „Jauchzend erhebt sich die Schöpfung" persönlich zu dirigiren; auch ist es sehr wahrscheinlich, daß Herr Professur E. Brambach von Bonn, der den von dem Milwaukeer Bürger John Plankington ausgesetzten Preis von 1000 Dollar für die Festkomposition „Columbus" erhielt, die Aufführung seines Werkes leiten wird.

Die Leitung des Festes, an deren Spitze die Herren Heinrich M. Mendel, Bundespräsident, und E. Catenhusen, Musikdirigent, stehen, liegt in den Händen umsichtiger Männer. Herr Mendel ist ein Breslauer Kind. Er wanderte 1854 nach den Vereinigten Staaten aus, kam nach Milwaukee und wurde 1859 Mitglied des Musikvereins, in welchem er wiederholt zu den verschiedensten Ehren- und Vertrauensposten gewählt wurde.

Herr E. Catenhusen wurde zu Ratzeburg im Großherzogthum Lauenburg im Jahre 1841 geboren, besuchte daselbst das Gymnasium und dann die Universitäten Göttingen und Leipzig, wo er Philosophie und Geschichte studirte. Er ist ein Schüler Ignaz Lachner’s. Jn den Städten Riga, Königsberg, Köln, Chemnitz, Hamburg und Berlin (Friedrich Wilhelmstädtisches Theater) wirkte er als Operndirigent. Während seiner Hamburger Thätigkeit komponirte er die beiden Görner’schen Volksstücke: „Der Rattenfänger von Hameln“ und „Frau Holle“. Das erstere Stück wurde zweihundertdreißigmal in Berlin aufgeführt. Dann folgte die Komposition der Musik zu dem Beaumarchais’schen Stück „Die Hochzeit des Figaro“, das Dingelstedt neu bearbeitet hatte und für das Wiener Hofburgtheater ankaufte. Von Berlin ging Catenhusen nach New-York, um die Stelle des Kapellmeisters ain Thalia-Theater zu übernehmen. Nach sechs Monaten aber vertauschte er diesen Platz schon mit einer Thätigkeit an der englischen Bühne. In dieser Stellung als Kapellmeister und Regisseur des Kasino brach er die Herrschaft der Londoner Oper und führte die deutsche zum Sieg. Im Sommer 1884 wurde er zum Dirigenten des Milwaukeer Musikvereins gewählt und in dieser Stellung auch mit der musikalischen Leitung des großen Bundessängerfestes betraut. –

Noch in einer Beziehung ist das bevorstehende Fest bemerkenswerth. Zum ersten Male wird sich an demselben auch ein englischer Verein betheiligen. Nicht mit Unrecht darf man diese Thatsache als eine Errungenschaft der deutschen Musik betrachten. Denn wirft man einen Blick rückwärts und erinnert sich, mit welcher Verachtung vor ungefähr 40 Jahren das Stockamerikanerthum auf die deutschen Sänger herabsah, ja wie selbst vor 15 Jahren eine bedeutende Zeitung in Cincinnati über das Programm des berühmten Theodor Thomas’schen Orchesters sich dahin aussprach: sie – die Amerikaner – hätten noch nicht genug Sauerkraut und Limburger Käse gegessen, um die Programme verdauen zu können, so kann man sich jetzt nicht genug wundern, wie es gekommen, daß heute dieselben Amerikaner Beethoven, Mozart, Gluck, Haydn, Schubert, Bach, Wagner etc. als die vorzüglichsten Heroen der Musik anerkennen und förmliche Pilgerfahrten zu den Sängerfesten der Deutschen machen. Es ist dies von vielen ein Beispiel, daß der deutsche Geist sich immer mehr Bahn bricht in Amerika.

Nach dem verdienstvollen deutsch-amerikanischen Geschichtsforscher G. A. Rattermann in Cincinnati ward die älteste Musik, die in Amerika gepflegt wurde, von spanischen Geistlichen und Mönchen nach der neuen Welt verpflanzt. Sie bestand ausschließlich in dem zum Gottesdienste gehörigen gregorianischen Gesang. Mit den Puritanern, welche im Jahre 1620 mit der „Mayflower" auf Plymouth Rock landeten, ward das erste Kirchenlied eingeführt. Die Melodien waren höchst einfach und dem von Morot und Beza herausgegebenen Psalmbuch entlehnt, zu welchem der Elsasser Wilhelm Frank passende Choralmelodien schrieb und wahrscheinlich auch komponirt hat. Bis zum Jahre 1815, als in Boston die „Haydn and Händel Society“ gegründet wurde, diente der Gesang ausschließlich dem Gottesdienste. Durch diese Gesellschaft trat die Musik, das heißt der Gesang, aus der Kirche in den Koncertsaal über, freilich noch die religiöse Richtung im Auditorium, dem sich zunächst die Messen der größeren Komponisten anreihten, verfolgend.

Merkwürdig ist es jedenfalls, daß die Einführung des ersten mehrstimmigen Gesanges in Amerika, soweit man fühlbaren Grund in dieser Beziehung hat, von einem Deutschen ausging. Dieser Pionier des vierstimmigen Gesanges und auch wohl der Instrumentalmusik in Amerika ist der zu Rechegg, jetzt Recha, bei Kaltern an der Etsch in Tirol geborene deutsche Jesuitenmissionar Pater Antonius Sepp, welcher am Rio Plata in Paraguay bereits im Jahre 1692 einen vierstimmigen Chor, Sopran, Alt, Tenor und Baß, sowie ein dazu gehöriges Orchester aus den Indianern eingeübt hatte, welche lateinische und deutsche Gesänge – Messen, Vespern, Litaneien etc. – mit Musik und Orgelbegleitung sangen. Pater Sepp selber war Musiker und spielte alle damals bekannten Instrumente mit ziemlicher Fertigkeit. Er hatte in Augsburg Theorie – Generalbaß und Harmonielehre – studirt und komponirte selbst viele der Tonwerke, welche er mit seinen Indianern aufführte. Er hatte somit den ersten deutschen Gesang- und Musikverein ins Leben gerufen.

Die Feststadt Milwaukee am Michigansee, obgleich noch sehr jung – sie feierte im vergangenen Jahre das fünfzigste Jahresfest ihrer Gründung – [450] ist eine Großstadt, denn ihre Bevölkerung zählt 160 000 Einwohner, von denen wohl rund 100 000 deutsch sprechen. Dementsprechend herrscht in ihr auch ein recht reges deutsches Leben. Zahlreiche Gesangvereine pflegen das deutsche Lied. Funf Turnvereine blühen, und die neuesten von ihren Hallen würden jeder Großstadt Europas zur Zierde gereichen, so prachtvoll sind sie ausgeführt. Neun deutsche Zeitungen, darunter drei tägliche, „Herold", „Seebote" und „Freie Presse“, versorgen das deutsche Lesepublikum. Von den Wochenblättern verdient die „Germania", deren Auflage 80 000 Exemplare übersteigt, genannt zu werden. Die hauptsächlichsten Aemter der Stadt befinden sich ihrer Mehrzahl nach in Händen der Deutschen, auch das Oberhaupt der Stadt, der Bürgermeister Emil Wallber, ist ein Deutscher. Wer Mllwaukee besucht hat, der erkennt willig an, daß es mit Recht den ehrenvollen Beinamen „Deutsch-Athen" führt.

E. Catenhusen,
Festdirigent des 24. Sängerfestes des N.-A. Sängerbundes.

H. M. Mendel,
Festpräsident des 24. Sängerfestes des N.-A. Sängerbundes.

An der Stelle, wo sich heute die Stadt befindet, wohnten schon in grauer Urzeit Menschen, die jedoch, nach den zu Tausenden gefundenen Schädeln, nicht der Rasse der Rothhäute angehörten. Nach ihrem Verschwinden ließen sich hier verschiedene Indianerstämme nieder. Dr. Rud. Koß erzählt in seiner Chronik, daß die Hügel und Höhen, auf denen Milwaukee liegt, ein geweihter, heiliger Platz waren. Ehe die Indianer denselben betraten, wurden die Tomahawks vergraben, die Waffen abgelegt, und vor Eröffnung des dem Großen Geiste geweihten Festes führten die Rothhäute den Pauwau – Friedenstanz – auf. Dereinst begraben zu werden am Fuße dieser Hügel, war der sehnlichste Wunsch manches Indianers. Als Solomon Juneau, der erste wirkliche Ansiedler und spätere Gründer Milwaukees, sich mit einer Frau und einem Kinde am 14. September 1818 unter den Rothhäuten ansiedelte, lag das Indianerdorf Milwaukee an der Mündung des gleichnamigen Flusses. Es wurde von Pottawatomies bewohnt, deren Häuptling Onaugesa hieß. Im Gegensatz zur Mehrheit der berüchtigten Milwaukee-Indianer, war er ein freundlicher würdiger Mann, der sich die Zuneigung der Weißen in hohem Grade zu gewinnen wußte. Er erreichte ein hohes Alter, und sein Name wird von den noch lebenden alten Ansiedlern mit Achtung genannt.

Nahezu 16 Jahre wohnten Juneau und die Seinen als die einzigen Weißen unter den Rothen. Dann erst kamen andere Pioniere. Der erste Deutsche traf schon 1834, von Detroit in Michigan kommend, ein. Er hieß Bleyer und war seines Handwerks ein Drechsler. Drei Jahre später ließ sich der Büchsenschmied Matthias Stein nieder. Die Illustration auf S. 441 zeigt uns die Blockhütte dieses Pioniers auf einem Berge im Waldesdickicht. Am Fuße des Berges haben Pottawatomies ihre Wigwams aufgeschlagen. Das Wild war so zahlreich, daß es bis an die Behausung der Bewohner kam. Der alte Stein, dessen Bild unten links auf der Illustration sichtbar ist, erfreut sich noch des Lebens, während sein Freund, der Häuptling Onaugesa (dessen Portrait rechts auf der Illustration angebracht ist), nach dem Glauben seiner Stammesgenossen längst in den ewigen Jagdgründen weilt. Nichts ist mehr geeignet, das Emporblühen einer Stadt in den Hinterwäldern des Nordwestens zu veranschaulichen, als wenn man mit diesem Bilde die Gesammtansicht der Stadt vergleicht, die sich jetzt, 50 Jahre später, an demselben Orte erhebt, wo früher nur vereinzelt unter den Bäumen des Urwaldes Blockhütten standen. Welch kurze Zeit! Welch große Veränderung! Dort, wo vor 50 Jahren das Geheul der Wilden durch die Luft erscholl, erklingen heute deutsche Weisen; dort, wo die Rothhäute in ganzen Stämmen nach ihrem Brauche Feste feierten und Gebete zum großen Geiste emporsandten, werden in wenigen Wochen die Sänger aus der ganzen Union zusammenströmen, um deutsche Lieder an dem Ufer des Michigan ertönen zu lassen zum Ruhme und zur Ehre des Germanenthums. G. M. H.