Ein Tag auf der Berliner Augustconferenz

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Textdaten
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Autor: Albert Kalthoff
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Titel: Ein Tag auf der Berliner Augustconferenz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 650–652
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Tag auf der Berliner Augustconferenz.[1]
Vom Prediger Dr. Kalthoff.

Am 24. und 25. August hat in Berlin wieder einmal die sogenannte evangelisch-lutherische Conferenz getagt, die sich seit einer Reihe von Jahren eine gewisse Berühmtheit in weiteren Kreisen erworben hat. Je weniger die Verhandlungen dieser Conferenz für die wissenschaftliche Theologie jemals etwas Neues zu bieten vermögen, desto interessanter pflegen sie als Symptome des allgemeinen Zustandes unserer Kirche zu sein. Die Augustconferenzen haben die Erbschaft der orthodoxen Kämpen einer früheren Zeit, der Herren Hengstenberg, Stahl und von Gerlach, angetreten. Auf ihnen wird regelmäßig vor aller Welt das Bündniß der reaktionären Parteien erneuert; auf ihnen giebt der pommersche Landjunker dem märkischen Superintendenten den Bruderkuß. Was unsere Kirche an Orthodoxie und Pietismus aufzuweisen hat, ist auf der Augustconferenz vertreten.

Wer aus dem bunten Leben der Reichshauptstadt in eine solche Conferenz hineintritt, glaubt sich plötzlich in eine andere [651] Welt versetzt. Schon der äußere Eindruck der Versammlung läßt über den Charakter derselben keinen Zweifel: der lange schwarze, bis an die weiße Halsbinde zugeknöpfte Luther-Rock, mit dem man bekanntlich vor der Welt das Zeugniß unverfälschter Rechtgläubigkeit ablegen will, ist hier die vorherrschende Tracht. Scharfgeschnittene Gesichter mit unheimlich stechenden Augen verrathen den zelotischen Geist, der diese Eiferer für die reine Lehre beseelt. Dann wieder begegnen wir jenem süßlichen Gesichtsausdrucke, jenem himmelnden Blicke, der für einen natürlich organisirten Menschen zu dem Unangenehmsten gehört, was ihm geboten werden kann. Hier und dort begegnet man auch einer Physiognomie, der man es ansieht, daß ihr Besitzer sich eigentlich draußen am Büffet viel wohler fühlen würde, als bei den Beratungen seiner Gesinnungs- und Amtsgenossen. In diesem Jahre war die Augustconferenz unter ganz besonders günstigen Auspicien zusammengetreten. Als vor zwei Jahren ein Redner der Versammlung das frivole Wort aussprach: „Gott segne die Reaction!“ mochte er wohl selbst nicht gedacht haben, daß sein Herzenswunsch, dem er in diesem Worte Ausdruck verlieh, sobald in Erfüllung gehen würde. Noch vor einem Jahrzehnt wurde die Augustconferenz vom preußischen Kirchenregiment durchaus mit mißtrauischen Augen angesehen. Weil die Conferenz eine entschieden feindliche Stellung gegen die Union einnahm, bildete die Theilnahme an derselben ein Hinderniß der Ernennung zum Superintendenten. Heute nimmt der Präsident des Provinzialkirchenregiments Hegel neben dem Generalsuperintendenten Büchsel an der Versammlung Theil, und hervorragende Mitglieder eines unirten Kirchenregiments hören ruhig zu, wenn der erste Referent der diesjährigen Verhandlungen den Reformirten gegenüber das Wort erneuert: „Ihr habt einen anderen Geist als wir,“ oder wenn er als das Ziel der Versammlung die Umwandlung der Union in eine confessionell lutherische Kirche proclamirt. Heute wird den Theilnehmern der Augustconferenz von dem Minister freie Rückfahrt auf allen Staatsbahnen bewilligt! Die Vorkämpfer kirchlicher Reaction erhalten Unterstützung aus staatlichen Mitteln!

Der erste Tag der Verhandlungen begann früh Morgens um acht Uhr mit einem Gottesdienst in der Matthäi-Kirche, bei dem Generalsuperintendent Büchsel die Predigt hielt. Büchsel gehört bekanntlich nicht zu den oratorisch oder wissenschaftlich irgendwie bedeutenden Predigern der Berliner Orthodoxie. Den Grund für die Anziehungskraft, die er nichtsdestoweniger auf seine Zuhörer ausübt, möchte man vielmehr in der Kühnheit suchen, mit der sich Büchsel über die einfachsten kanzelrednerischen und logischen Regeln hinwegsetzt. Das Publicum seiner Predigten gehört fast durchweg der vornehmen Welt an, und wenn die vornehme Welt einmal anfängt „fromm“ zu werden, so pflegt sie meistens in Folge ihres überreizten Gaumens einen ganz absonderlichen Geschmack zu haben. Indeß widerstrebt es dem Gefühl der Pietät, die wir einer der gemeinsamen Andacht geweihten Stunde gern entgegenbringen, diesen Theil der Augustconferenz näher zu beleuchten wenn auch Büchsel selbst durch die Ausfälle gegen den Liberalismus, die er sich auch diesmal wieder von der Kanzel herab erlaubte, in keiner Weise Anspruch auf diese Pietät haben mag.

Gegen elf Uhr eröffnete Graf Krassow die Verhandlungen in der Berliner Flora. Am Vorstandstische hatten unter Anderem Platz genommen von Kleist-Retzow , vielleicht, der äußeren Erscheinung nach, die ansprechendste Persönlichkeit ans der ganzen Versammlung, Professor Grau aus Königsberg und der seiner Zeit zum Märtyrer der Augustconferenz gestempelte Superintendent Meinhold. Nach Erledigung einiger Formalien begann der erste Referent, Professor Sohm aus Straßburg, in weiteren Kreisen als Führer der Agitation gegen die Civilehe bekannt, seinen Vortrag über die Frage: „Was hat die Kirche vom Kirchenregiment zu verlangen?“

Schon die Wahl des Themas kann als ein Zeichen der Zeit gelten. Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen. Hat das preußische Kirchenregiment einmal angefangen, den Gelüsten der Orthodoxie nachzugeben, so darf es sich auch nicht wundern, wenn von jener Seite immer ausschweifendere Forderungen an dasselbe gestellt werden. Man muß es dem Redner nachrühmen, daß seine Ausführungen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Das ist überhaupt immerhin das Sympathische an den Augustconferenzen, daß auf ihnen die theologischen Diplomaten noch nicht das große Wort führen, aber dafür ist auf denselben in der Regel dem Publicum die beste Gelegenheit geboten, einen Einblick in die ganze Unnatur der protestantischen Orthodoxie zu thun. Die lutherische Orthodoxie will eben ihre Stellung zwischen zwei absolut unvereinbaren Gegensätzen nehmen, zwischen dem kirchlichen Glaubenszwang und der protestantischen Glaubensfreiheit. Sie hat nicht den Muth, offen die Unfehlbarkeit der Kirche zum Dogma zu erheben, factisch aber bleibt ihr die Autorität der Kirche überall die letzte Instanz für die Fragen des Glaubens und Gewissens. Das Bekenntniß ist die rechtlich feststehende Norm des Glaubens – so belehrt uns Professor Sohm. Aber der Lutheraner, so werden wir weiter belehrt, glaubt nicht etwa, wie der Katholik, an das Bekenntniß, weil es die Kirche lehrt, sondern – weil es mit der Bibel übereinstimmt. Ja, wer controllirt denn diese Uebereinstimmung? Nicht die freie Kritik, sondern die Kirche. Sie hat behauptet, daß Bekenntniß und Bibel übereinstimmen, und wehe Dem, der diese Uebereinstimmung etwa einmal nicht finden sollte! Und wer hat denn bestimmt, daß alle Glaubensnormen der Kirche mit der Bibel übereinstimmen müssen? Doch eben wieder die Kirche, welche die Bibel nur aus denjenigen Büchern zusammengesetzt hat, von welchen sie annahm, daß sie mit den Anschauungen der schon bestehenden kirchlichen Glaubensregel übereinstimmten

Ist nun aber das lutherische Bekenntniß die einzige Regel des öffentlichen kirchlichen Lebens, so ist es auch völlig consequent, wenn der Referent der diesjährigen Berliner Augustconferenz fordert, daß ein Jeder, auch der Laie, der ein Amt in der Kirche bekleidet, auf das Bekenntniß verpflichtet wird. Also jedes Mitglied eines Gemeindekirchenraths, jedes Mitglied einer Synode, jedes Mitglied des Kirchenregiments muß in seiner Wirksamkeit an das Bekenntniß des lutherischen Glaubens gebunden werden und hat einen Eid auf dasselbe abzulegen. Wenn das geschieht, dann ist die goldene Zeit für die Kirche gekommen, in der, wie der Referent sich ausdrückte, die geistliche Aristokratie das alleinige Regiment führt, und daß das geschehe, das ist die Forderung der Kirche an ihr Kirchenregiment! Nun ist aber doch in den deutschen protestantischen Nationalkirchen der Landesfürst oberster Träger des Kirchenregiments. Insbesondere ist in Preußen das Summepiskopat Vorrecht der Krone. Die allerdings kluger Weise unausgesprochene Forderung der Augustconferenz geht also in letzter Consequenz dahin, daß der Landesfürst nur dann in den Vollbesitz aller Rechte seiner Krone eintreten dürfe, wenn derselbe einen Eid auf das lutherische Bekenntniß ablege und sich zum Glauben an die Dreieinigkeit, die Erbsünde, an Christi Himmel- und Höllenfahrt bekenne, überhaupt wenn die Pastoren mit seiner Rechtgläubigkeit zufrieden sind.

Was hülfe es aber der Kirche, wenn auch Könige und Consistorien, Synoden und Presbyterien alle im rechten lutherischen Glauben ständen und sie nähme doch Schaden – am Kirchenvermögen! Noch ist ja das Kirchenregiment in Preußen, auch wenn es das gläubigste wäre, ohnmächtig, weil es nicht frei über die Millionen verfügen kann, die nach der Absicht der Augustconferenz zur Hebung gläubigen Sinnes nöthig sind. Das confessionslose Abgeordnetenhaus hat zum Aerger aller gutgesinnten Lutheraner das Budgetbewilligungsrecht für die Kirche. Das muß anders werden, denn die Geldfrage ist nach der Meinung des Professor Sohm das Herz der Kirche. Alles säcularisrte Kirchengut muß der Kirche zurückgegeben werden, damit Generalsynode und Oberkirchenrath über dasselbe frei zur größeren Ehre des lutherischen Glaubens verfügen können.

Das also ist das Kirchenideal dieser Herren: eine Kirche, in der das Bekenntniß das Kleid und das Kirchenvermögen das Herz ist! Um diesem Ideal zum Leben zu verhelfen muß die Zeit ausgekauft werden, solange sie wie gegenwärtig so günstig ist – das war wiederum der kurze Sinn des langen Vortrags, den der zweite Referent Superintendent Holzheuer an das Referat des Professor Sohm anschloß.

Nachmittags gegen 41/2 Uhr beschäftigte sich ferner die Conferenz mit der Frage, wie den Gefahren zu begegnen sei, welche die Unkirchlichkeit und Sittenverderbniß der großen Städte für das Land bietet. Daß die großen Städte die eigentlichen Brutstätten des Lasters seien, daß die ländliche Einfalt nicht ängstlich genug vor jeder Berührung mit dem Leben der Großstädte bewahrt werden könne, ist ja schon längst eine Lieblingsbehauptung der ländlichen Pastoren. Wer freilich die Verhältnisse nicht durch die pastorale Brille ansieht, weiß, daß die Sittenverderbniß auf dem Lande auch ohne Einfluß der Städte groß genug ist, um den Landpastoren [652] den ernsten Rath zu geben, sie sollten zuerst einmal vor ihrer eigenen Thür kehren. Es handelt sich ja auch eigentlich für die orthodoxer Herren weniger um die Sittlichkeit als um die Gläubigkeit. Da ist allerdings der Einfluß der größeren Städte gefährlich. Das von denselben ausgehende geistige Leben klärt auch die Köpfe der Landbevölkerung auf, und der Bauer fängt allmählich an stolz darauf zu sein, daß er nicht mehr so dumm ist, alles zu glauben, was ihm vorgeredet wird. Natürlich wird das der Orthodoxie unbequem; sie klagt deshalb die großen Städte an, daß sie die Hauptschuld an der „Mißachtung der Autoritäten“ tragen

Besonders aber war es die Presse, über welche sich die ganze Schale des pastoralen Zornes ergoß, und bei dieser Gelegenheit wurde auch der „Gartenlaube“ die Ehre zu Theil, vom Hofprediger Stöcker als Repräsentantin der „Schandpresse“ bezeichnet zu werden. So sind ja jene Heeren: die Begriffe von sittlich und unsittlich sind ihnen übergegangen in die Begriffe von gläubig und ungläubig. Man kann nach besten Kräften für die Verbreitung edler Gesittung, für die Förderung humaner Bestrebungen arbeiten – das rettet Niemand vor dem Bannfluche, sobald diesen Arbeiten der Stempel specifischer Kirchlichkeit fehlt. Wer erst gar wagt, dem Volke die Ketten zu zeigen, welche die Hierarchie dem Geist schmiedete, wer die Lüge und Heuchelei aufdeckt, welche die Orthodoxie im Gefolge hat, der ist unrettbar dem Verdammungsurtheil verfallen Ein achtzigjähriger katholischer Bischof hat am Anfang dieses Jahrhunderts auf dem Sterbebett den Ausspruch gethan: es gäbe keinen unversöhnlicheren Haß als den der Sclavenhalter und – der Priester.

Es ist einmal die scherzhafte Bemerkung gemacht worden das Beste wäre, wenn Stöcker zum preußischen Cultusminister erhoben würde; dann hätte er in vier Wochen abgewirtschaftet, und wir wären ihn für alle Zeiten los. Man könnte von der ganzen Augustconferenz sagen: das Beste wäre, wenn einmal alle ihre Forderungen erfüllt würden; dann könnten wir sicher: sein, daß unser Volk sich nur um so mächtiger gegen den geistigen Druck empören würde, der es alsdann zu erdulden hätte. Indeß, wenn es auch ewig wahr bleibt, daß neues Leben aus den Ruinen erblüht, ist es darum nothwendig daß stets erst Ruinen da sein müssen, wenn neues Leben entstehen soll? Müssen denn immer erst die stolzesten Errungenschaften unserer Cultur in Frage gestellt, die niedrigsten Leidenschaften der Menschen entfesselt werden, damit die träge Masse von brennender Sehnsucht nach Besserem erfaßt werde und ein neuer Aufschwung der Geister sich fühlbar: mache?

Eine angesehene liberale Zeitung tröstete sich beim Rückblick auf die Augustconferenz damit, daß die von derselben beschlossenen Resolutionen ohne jede praktische Wirkung bleiben werden. Ist das aber nicht schon eine praktische Wirkung, wenn nun ein halbes Tausend Pastoren nach der Conferenz in ihre Gemeinden zurückkehren, um dort die neuen Schlagwörter, mit derer sie sich in Berlin durch ihre Führer haben ausrüsten lassen, weiter zu geben und die alte Minirarbeit gegen unser modernes Culturleben mit neuen Kräften wieder zu beginnen? Was haben wir denn jener Arbeit entgegenzusetzen? Als vor wenigen Wochen in Berlin der Protestantentag aus ganz Deutschland zusammentrat, betrug die Zahl der activen Theilnehmer an demselben etwa den vierten Theil derjenigen, die sich zur Augustconferenz allein aus Preußen eingefunden hatten. Man sieht: wenn es sich um die Arbeiter des kirchlichen Gemeindelebens handelt, bietet die confessionelle Partei ihre tüchtigsten und rührigsten Kräfte auf, aber unter den Freisinnigen hält es meistens schwer, nur nothdürftig die Zahl der erforderlicher Candidaten zusammenzubringen, während die einflußreichsten und leistungsfähigsten Kräfte von der Arbeiten der kirchlichen Reform sich zurückziehen. Dort Rührigkeit, Macht und Ansehen, hier Schlaffheit, Gleichgültigkeit, im besten Falle ein momentanes Aufflackern ohne Ausdauer das ist im Großen und Ganzen die Signatur der Heerlager, die sich im kirchlichen Kampfe gegenüberstehen. Wenn diese Signatur sich nicht wesentlich ändert, werden wir bei jedem Schritt, den wir rückwärts machen, bekennen müssen: Nicht die Stärke der Gegner, sondern unsere eigene Schwäche ist die Ursache der Reaction.




  1. Unser Herr Referent war leider verhindert, den Verhandlungen des zweiten Tages beizuwohnen.
    D. Red.