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Ein Veteran der Freiheit

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Titel: Ein Veteran der Freiheit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 171–172
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[171] Ein Veteran der Freiheit. An demselben Tage, an welchem wir die vorletzte Nummer der Gartenlaube mit dem Artikel „Wie Mühlhausen französisch wurde“ herausgaben, erhielten wir die betrübende Nachricht, daß dessen Verfasser, Jakob Venedey, unser langjähriger, treuer Mitarbeiter, nach kurzer Krankheit aus dem Leben geschieden sei. Zwar daß sein Zustand bedenklich gewesen, war uns schon vorher bekannt geworden: die Gattin Venedey’s hatte uns geschrieben, daß unsere letzten Briefe diesem nicht mehr übergeben worden seien wegen seiner schweren Erkrankung. Er selbst hatte in den letzten Wochen in den Briefen an uns wiederholt geklagt und eine zweite Reise, die er auf unsern Wunsch nach Straßburg unternehmen sollte, wegen Unwohlseins stets auf’s Neue hinausgeschoben – dennoch war es unmöglich, auch nur zu ahnen, daß der Hintritt eines Mannes so nahe sein sollte, der sich eben noch mit den weitgreifendsten Plänen und mit Arbeiten trug, die auf Jahre hinaus seine ganze Thätigkeit reichlich in Anspruch genommen hätten.

Wie Jakob Venedey mitten in Sorge und Arbeit dem Leben entrissen wurde, so war dieses auch in seiner ganzen Dauer nur Sorge und Arbeit gewesen; aber beide hatten nur Einem Ziele, Einem Preise gegolten: der Freiheit des von ihm über Alles geliebten Vaterlandes. Mit Venedey ist wieder einer jener wackern Schaar in das Grab gesunken, welche, die Seele mit den Idealen der Freiheitskriege genährt, gegen den Despotismus, die Reaction und die Polizeiherrschaft angekämpft haben bis auf’s Blut, mit dem Einsatz der persönlichen Freiheit und unermattet, bis jene finsteren Mächte zu Boden gerungen sein würden. Diesen Kampf hielt Venedey für den Zweck seines Lebens und ihm ist er, ein ehrlicher, begeisterter Streiter, ein fest in sich gegründeter, unwandelbarer Charakter, treu geblieben bis an sein Ende. Lehrend und streitend, so ist er seinem Volke immer vorangewandelt und so wird er auch in dessen dankbarem Gedächtniß fortleben.

Es ist wohl anzunehmen, daß sich in Venedey’s Nachlaß zahlreiches, werthvolles Manuscript vorfindet, wie auch eine Correspondenz, deren Reichhaltigkeit noch dadurch an Werth gewinnt, daß Venedey mit den bedeutendsten Staatsmännern und Schriftstellern Frankreichs wie Deutschlands in dauerndem Verkehr stand. Der Vollendung nahe dürfte die Arbeit sein, welche, hervorgerufen durch die großen Ereignisse der Gegenwart, ihn in der letzten Zeit am lebhaftesten beschäftigte, und die unter dem Titel „Ein dreißigjähriger Federkrieg um den Rhein, gegen Freund und Feind“ schon demnächst an die Oeffentlichkeit treten sollte. Ebenso reifte in Venedey während der letzten Monate der Gedanke, eine Darstellung der Erlebnisse von 1830–1848 in Paris zu schreiben, welche ähnlich wie die „deutschen Republikaner unter der französischen Republik“ die deutschen Freiheitsbestrebungen von 1830–1848 umfassen und dann auch unter dem Titel „die deutschen Republikaner unter dem Julikönigthum“ ein Ganzes bilden sollten. Es ist tief zu bedauern, daß es Venedey nicht mehr vergönnt war, Hand an dieses Werk zu legen, das eine reiche Fundgrube für den Historiker zu werden versprach. Um so mehr aber muß der Wunsch rege werden, daß wenigstens das vorhandene und, wie es scheint, bereits geordnete Material dem deutschen Volke nicht verloren gehe, das auch das Unfertige und Unvollendete als ein theueres Vermächtniß begrüßen wird.

[172] Aber auch ein anderes Vermächtniß des Heimgegangenen hat sein deutsches Volk anzutreten: die Pflicht der Sorge für seine Lieben. Venedey hat sechszehn Jahre in glücklicher, nur von seinem Schicksal getrübter Ehe gelebt. Zwei Söhne sind noch der Erziehung bedürftig. Es ist doppelt schmerzlich, daß die Kunde von der Noth, in welcher der treue deutsche Kämpfer seine Lieben zurückgelassen, uns zugleich mit den Ausbrüchen politischer Rohheit mitgetheilt wird, mit welchen man nicht einmal die Sterbestunde eines Venedey verschonte. Als Schriftsteller wie als Volks- und Parlamentsredner hat Venedey stets seine politische Ueberzeugung offen und klar ausgesprochen; die Geschichte und seine eigene Erfahrung hatten ihm, als der Streit, ob „durch Freiheit zur Einheit“ – oder „durch Einheit zur Freiheit“, die Deutschen in zwei Lager auseinanderhetzte, seine Stelle auf der Seite der ersteren angewiesen, und in der Folgetreue seiner Logik hatte auch er sich gegen die zwangsweise Einverleibung von Elsaß-Lothringen in Deutschland ausgesprochen. Indeß war er Realpolitiker und deutscher Patriot in gleichem Maße und genug, um nicht aus Principienreiterei einen Windmühlenkampf zu beginnen. Nachdem durch den großen Kampf des deutschen Volks die Einheit errungen war, beugte er sich dem Beschluß der Mehrheit, überzeugt, daß der Kampf für die Freiheit nun von selbst beginnen werde. Und das ist’s, was man einem Venedey als Verrath vorzuwerfen wagte. Seine Frau schreibt aus Badenweiler über Venedey’s Ende: „Während seiner neuntägigen Krankheit glaubte er auf der Tribüne zu stehen. Er sprach Tag und Nacht von den Rechten des Volkes, besonders für die Glaubensfreiheit. Sein letztes Wort war: ‚Luxemburg muß deutsch werden, Lothringen französisch bleiben?‘ Elf Tage vor seinem Tode wurde er in anonymen und unterzeichneten Briefen des Verraths angeklagt: Bismarck solle ihn bezahlen. Und hätte er nicht selbst am 10. Januar unser Silberzeug auf dem Leihhause in Freiburg versetzt, so hätte ich ihn nicht begraben lassen können.“ Bedarf es mehr als dieser wenigen Worte, um das deutsche Volk daran zu mahnen, was es seinem Geschichtschreiber, Kämpfer und Dulder schuldig sei?

Sogar die „Wespen“ verläßt der Scherz vor einem solchen Grabe; sie schmücken es vielmehr mit dem folgenden poetischen Kranze:

Ein Held der Freiheit und der Wissenschaft,
Vom Volk in guten und in schlimmen Stunden
Als treuer Eckardt sonder Falsch befunden,
Der nur im Dienst des Volkes wirkt und schafft,

So strittest tapfer Du und heldenhaft.
Und ward Dir nie ein Lorbeerkranz gewunden,
Dir galt es gleich, Dich schmückten Deine Wunden
Und das Bewußtsein Deiner edlen Kraft.

Doch ach! zu lange wüthete der Streit,
In dem die beste deutsche Kraft verdorben.
Es brach Dein Herz im Zwist der eh’rnen Zeit.

Jedoch den höchsten Ruhm hast Du erworben:
Dein Leben war dem Vaterland geweiht,
Ihm bist Du auch den Heldentod gestorben[WS 1]!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gestorbeu