Ein deutscher Märtyrer in Schleswig

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Autor: Gustav Rasch
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Titel: Ein deutscher Märtyrer in Schleswig
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 712–714
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Vom verlassenen Bruderstamme.

2. Ein deutscher Märtyrer in Schleswig.

In der Stadt Sonderburg starb an einem warmen und sonnigen Frühlingstage dieses Jahres in tiefer Armuth ein wahnsinniger und schwer kranker Mann. Nur im ganz hellen Sonnenlicht und gestützt auf zwei Stöcke war der Unglückliche im Stande, einige Schritte zu gehen. Das Licht seiner Augen reichte in den Momenten, wo nicht die finstere Nacht des Irrsinns seine Seele umdunkelte, nur bis zu dem Stück Boden, auf dem seine schwankenden Füße standen; wenn aber der Wahnsinn mit seinen schwarzen Fittichen heranzog, dann träumte er, er sei ein steinreicher und glücklicher Mann, besitze viele Millionen in Gold, Perlen und Diamanten und wohne in einem glänzenden, mit orientalischem Luxus ausgestatteten Schlosse, bis die Gestalten dänischer Gensd’armen und Soldaten ihn aus seinen Prunkgemächern jagten und in die elende Wirklichkeit voll Armuth, Blindheit und Elend zurückstießen.

Der Unglückliche hat mehrere schreckliche Jahre in diesem Zustande verlebt, bis der Todesengel, mitleidiger als der Wahnsinn und die Dänen, ihn endlich, als der Frühling wieder mit frischem Grün, mit schimmernder Blumenpracht und mit süßem Blüthenduft von Neuem über die schönen Küsten von Alsen wehte, aus seinen Qualen erlöste.

Der Unglückliche war nicht immer so arm und elend gewesen. Einst war er ein reicher, glücklicher Mann, weithin angesehen und geachtet in Schleswig, Holstein und Jütland, ein Mann von Energie, Intelligenz und reichem geistigen Wissen, in den letzten zehn Jahren ein tapferer Kämpfer unter den Deutschen in Schleswig. Es war der Apotheker Karberg aus Apenrade. Jedermann in Schleswig kennt seinen Namen und nennt ihn mit Hochachtung und einem Gefühle innigen Mitleids. Wenige aber kennen die Qualen und Martern, denen sein energischer Geist endlich unterlag. Er war ein Opfer von Gewaltthaten, welche sich die österreichische Regierung in Venetien und in der Lombardei niemals erlaubt hat; sein zerstörtes Leben ist unter die Acte dänischer Gerechtigkeit zu zählen, welche in Schleswig während der letzten zehn Jahre vielfach an Deutschen Angesichts Deutschlands verübt worden.

Der Apotheker Karberg kam im Jahre 1848 in das Land. Er hatte die Apothekerkunst in Lübeck erlernt, studirte Pharmacie in Kiel und Berlin, erhielt in dem Staatsexamen, welches er im Jahre 1831 vor dem Sanitätscollegium in Kiel ablegte, die erste Nummer und kehrte im Besitz eines Vermögens, welches er theils erheirathet, theils als Apotheker in Wiltingen in Hannover erworben hatte, in die Heimath zurück, um die Apotheke in Apenrade für eine Summe von 48,000 Thaler anzukaufen. Die Apotheke war immer eine der besten und einträglichsten im Lande. Und doch starb der Wahnsinnige in Sonderburg als ein armer Mann, dessen elendes Leben nur durch die Wohlthaten seines Bruders und Schwagers erhalten wurde. – Und wer waren diejenigen, welche ihn, den einst reichen, glücklichen und angesehenen Mann in diese Armuth und in diese Nacht von Irrsinn und körperlichen Schmerzen gestoßen hatten? Es waren die dänischen Beamten in Schleswig. Ich werde sie im Laufe meiner kurzen und traurigen Erzählung mit Namen nennen. Sie thaten das, was sie thaten, mit Bewußtsein, mit Absicht, ohne Erbarmen, ohne Mitleid! – Ein Mann, dessen Name in dem schleswig-holsteinischen Lande als Arzt, als wissenschaftlicher Schriftsteller, als Mensch und als Streiter für das Recht und die Freiheit seines heimathlichen Bodens hochgeehrt ist, übergab mir auf meiner Reise durch die Herzogthümer ein Manuscript, welches eine actenmäßige Darstellung der an dem Apotheker Karberg verübten Vergewaltigung enthielt.

Vor des Unglücklichen Tode hatte er nicht gewagt, es zu veröffentlichen. Er fürchtete, daß man aus Rache über die Veröffentlichung neue Gewaltthaten an dem Unglücklichen verüben könne. Als das Opfer dänischer Gerechtigkeit in Schleswig ausgelitten hatte, da versuchte er das Manuskript drucken zu lassen. Aber kein Buchhändler und kein Buchdrucker wagte, das Manuscript zu drucken. Er übergab es mir sodann mit der Bitte, in Deutschland diesen Fall dänischer Gerechtigkeit zu veröffentlichen, und ich erfülle nun seinen Wunsch durch Freund Keil in der gelesensten Zeitschrift in Deutschland, vor einem imposanten Publicum von mehr als Hunderttausend, damit man in Deutschland wissen möge, in welcher Art und Weise in Schleswig von den dänischen Beamten und Polizisten mit Deutschen umgegangen wird. Ich füge hinzu, daß meine Darstellung in den Thatsachen sich dem mir vorliegenden Manuscript genau anschließt, daß sie also ebenfalls actenmäßig ist, daß ich aber absichtlich meine Erzählung jedes rhetorischen Schmuckes entkleide. Man erstaune aber nicht; man wundere sich nicht über eine Reihe von Ungerechtigkeiten und administrativen Gewaltthaten.

Die Karberg’sche Vergewaltigung steht leider in der Leidensgeschichte des unglücklichen Schleswig nicht vereinzelt da. Mir sind viele ähnliche Dinge bekannt geworden. Von den vielen nenne ich hier nur zwei, die Vergewaltigungen, welche dem Apotheker Paulsen in Husum und dem Apotheker Funke in Quere widerfahren sind. Der Verlauf derselben war ein ganz ähnlicher; nur endete das Drama nicht so schrecklich. In der Schlußscene des letzten Actes trat dort nur die Armuth auf, nicht der Irrsinn und die Verzweiflung. Alle diese einzelnen Beispiele sind nur Fälle der konsequenten Verfolgung eines Princips. Das Princip ist die Danisirung eines deutschen Landes, und in diesem Princip liegt es, die Deutschen in Schleswig jeder Stellung als Aerzte, als Beamte, als Lehrer, als Geistliche zu berauben, sie zum Auswandern zu zwingen.

Apenrade ist eine sehr gewerbthätige und wohlhabende Stadt im nördlichen Schleswig. Neunzig Segelschiffe liegen in ihrem Hafen; ein einziger Rheder besitzt allein zwanzig Schiffe. In Apenrade war immer viel Intelligenz; aber in Apenrade wurden auch von jeher die deutschen Interessen mit großer Consequenz und Selbständigkeit vertreten. Das Apenrader Wochenblatt nahm immer in der die deutschen Interessen vertretenden Journalistik einen sehr ehrenvollen Platz ein. Deshalb hatten die Dänen auch einen bittern Groll auf die Stadt, und als die Schlacht bei Idstedt ihnen die Macht in die Hände gab, da fielen sie mit einer wahren Erbitterung über die deutsche Bevölkerung her. Sechsunddreißig Preßprocesse und über hundert Confiscationen tödteten das Leben des Apenrader Wochenblattes. Der Apotheker Karberg wurde aber besonders von ihnen gehaßt, weil er deutsche Sitte und Intelligenz mit Energie und mit dem Besitz eines bedeutenden Vermögens verband. In den Jahren 1848 bis 1850 war er Commandeur der Bürgerwehr gewesen, und hatte sich als solcher durch mehrere energische Handlungen, welche ihm die Dänen nicht vergessen konnten, ausgezeichnet. Seine Betheiligung an der politischen Bewegung in den Herzogthümern war indeß niemals von Bedeutung gewesen, weil schon damals die ersten Spuren eines Rückenmarkleidens bei ihm auftraten. Nach dem Erlaß des Amnestiepatents vom 8. Juli 1851 kehrte Karberg nach Apenrade zurück.

Er war kaum angekommen, da begannen schon die kleinlichen Plackereien, denen alle Amnestirte ausgesetzt waren. Die Maßregeln, welche die österreichische und päpstliche Polizei in Italien gegen politisch Compromittirte anwendet, und welche man unter dem Namen des Precetto zusammenfaßt,[1] wurden auch in Apenrade in Scene gesetzt. Sie wurden in der Stadt confinirt und es wurde ihnen bei schwerer Geld- und Gefängnißstrafe verboten, ihre Gärten vor der Stadt zu besuchen. Abends nach acht Uhr durften sie ihre Häuser nicht mehr verlassen; Nachts war es ihnen nicht gestattet, außer dem Hause zu schlafen. Alle drei Tage wurden sie vor den Polizeimeister zu einer bestimmten Stunde vorgeladen, um ihre Anwesenheit in der Stadt zu constatiren. Wehe ihnen, wenn sie nicht auf die Minute erschienen! Drei Thaler, acht und mehr Thaler Strafgelder waren die Folge jeder Versäumniß, und der Executor erschien am andern Morgen, um das Geld abzuholen. Waren sie aber zur vorschriftsmäßigen Zeit erschienen, dann ließ man sie stundenlang warten. Der Apotheker stand unter denen, welche in dieser Weise gemaßregelt wurden, obenan; ja, man dehnte das Precetto bei ihm noch in einer unerhörten Weise aus. Täglich mußte er der Polizei ein Verzeichniß sämmtlicher an ihn ankommenden Briefe einreichen, und in diesen, Verzeichnis; auf das Genaueste Ort und Namen des Absenders angeben. Da alle Briefe auf der Post erbrochen wurden, so wurde die Controlle seiner Angabe sehr leicht. Schwere polizeiliche Strafen trafen ihn, sobald er eine unrichtige oder falsche Angabe gemacht [713] hatte. Ferner mußte er täglich ein Verzeichniß sämmtlicher Personen einreichen, welche die Apotheke besuchten, und zwar nicht nur ein Verzeichniß solcher Personen, welche ihm selbst Besuche abstatteten, sondern auch derjenigen, welche Apothekerwaaren kauften. Der Apotheke gegenüber wohnte ein Buchbinder, der zu seinem Aufseher bestellt wurde und den Auftrag hatte, den Besuch in der Apotheke zu controlliren. Wehe dem Apotheker, wenn auf der Liste des Buchbinders ein Name figurirte, der nicht auf den Listen Karberg’s verzeichnet war! Neue, immer höhere Geldstrafen mahnten ihn zu einer strengern Aufmerksamkeit. Diese geistreichen Specialitäten des Precetto habe ich weder in Venetien, noch in Rom, noch in Modena entdecken können. Die Polizeibeamten des Papstes könnten wirklich in Schleswig erfolgreiche Studien machen.

So ging es viele Monate. Mancher wurde der täglichen Plackereien und Geldstrafen müde und verließ das Land. Karberg war aber ein konsequenter und energischer Mann. Er blieb. Mit unerschütterlicher Ruhe reichte er alle Tage seine Verzeichnisse ein, erschien täglich zur bestimmten Minute auf der Polizei, und bezahlte Brüche über Brüche. Den Dänen dauerte die Sache zu lange. Man mußte andere Mittel ersinnen, um Karberg los zu werden.

Eines Tages erschien in der Apotheke ein junger Mann, der sich für einen Candidaten der Pharmacie ausgab und sich Worsaal nannte. Er fragte Karberg, ob er nicht geneigt sei, seine Apotheke zu verkaufen. Karberg schien eine Ahnung seiner schrecklichen Zukunft zu haben. Er sagte Ja, führte den Käufer in der Apotheke umher, zeigte ihm die Waarenvorräthe, legte ihm die Bücher vor und bestimmte dann seinen Preis. Aber kaufen wollte der Mann die Apotheke nicht. Er wollte sie umsonst haben. Der Mann war ein Vetter des dänischen Amtmanns in Apenrade, des Kammerherrn und Ritters vom Danebrog, Heltzer. In die Apotheke Karberg’s kam er nicht wieder. Er kaufte sich in Apenrade ein Haus, und als er das Haus hatte, da richtete er sich dort eine Apotheke ein. Als Karberg eines Tages aufstand und auf die Polizei gehen wollte, um seine Listen einzureichen und seine Anwesenheit in der Stadt zu constatiren, erblickte er zu seinem nicht geringen Erstaunen eine neue Apotheke. Die Sache war mit großer Schnelligkeit und Heimlichkeit betrieben worden. Das Haus, worin die Apotheke über Nacht hergerichtet wurde, war einer sehr achtbaren Frau unter dem Verwande, man wolle in demselben eine Bierbrauerei anlegen, abgekauft worden. Zur Anlegung einer Apotheke hätte sie es niemals hergegeben. Das Realprivilegium hatte der neue Apotheker schon in der Tasche, als er Karberg’s Apotheke besah. Er hatte es aus Kopenhagen mitgebracht. Karberg hatte freilich das Realprivilegium seiner Apotheke mit 30,000 Thaler bezahlt, und am 23. Januar 1846 war dies Privilegium von König Christian VIII. auf ihn extendirt worden. Indeß auf solche Kleinigkeiten kommt es in Schleswig gar nicht an. Der Baron Hobe von Gelting wird seit mehreren Jahren von Seiten der Dänen angegangen, ihnen seine Baronie zu verkaufen. Wenn er dann sagt, sein Grundbesitz sei Fideicommiß, und er sei schon deshalb gar nicht berechtigt, denselben zu verkaufen, so giebt man ihm lachend die Antwort, darin liege gar keine Schwierigkeit, die Fideicommißangelegenheit würde man ihm sehr leicht in Ordnung bringen. So bot der Umstand, daß Karberg bereits im Besitz eines Realprivilegiums war, gar keine Schwierigkeiten.

Karberg reichte nun einen Protest bei dem Sanitätscollegium in Kiel ein, er wandte sich im Beschwerdewege an die Polizeibehörde, an die oberste Medicinalbehörde, an das Ministerium in Kopenhagen, er berief sich auf sein Privilegium – er bekam entweder eine abweisende, oder gar keine Antwort. Seine Apotheke war durch die Anlegung einer neuen Apotheke auf die Hälfte ihres frühern Werthes gesunken. Der jetzige Werth erreichte nicht mehr die Höhe der auf das Grundstück eingetragenen Hypothekenschulden. Karberg war bereits ein armer Mann geworden.

Aber der Amtmann und sein Vetter und das Ministerium in Kopenhagen hatten dennoch die Rechnung ohne den Wirth gemacht, wie man zu sagen pflegt. Zu einer Apotheke gehören Kunden, welche Recepte machen lassen und Waaren kaufen. In der neuen Apotheke war und blieb es still und leer. Kein Recept wurde bestellt, nicht das Mindeste gekauft. Die Deutschen in Schleswig sind groß im zähen, passiven Widerstande, wenn ihnen auch die Initiative in der Handlung abgeht. Da gab der Amtmann den dänischen Beamten, der städtischen Armencasse, der Verwaltung des Krankenhauses und der Gefängnißdirection auf, von nun an ihre Apothekerwaaren nur von dem neuen Apotheker, seinem Vetter, zu beziehen. Der neue Apotheker mußte aber auch verdienen. Karberg hatte der Armencasse, dem Krankenhause und der Gesängnißverwaltung immer einen Rabatt von 25 Procent bewilligt. Der Amtmann befahl, von diesem Rabatt jetzt abzustehen. Die Anstalten wurden freilich aus dem städtischen Vermögen verwaltet, und die Stadt büßte den Rabatt ein. Aber darauf kommt es in Schleswig wieder nicht an. Von den Beamten, aus der Armencasse und von den Kranken in den Gefängnissen konnte indeß die neue Apotheke nicht allein bestehen. Der Amtmann war um neue Mittel nicht verlegen. Wo wäre das jemals bei einem dänischen Beamten in Schleswig der Fall? Der Amtmann berief die zwölf Kirchspielvögte des Amtes zu sich. Er stellte ihnen vor, daß der Regierung Alles daran gelegen sei, daß die neue Apotheke reussire. Die Regierung befehle Jedem von ihnen durch seinen Mund, und zwar bei Strafe der höchsten Ungnade, durch alle möglichen Mittel dahin zu wirken, daß die Bauern und Hofbesitzer bei dem neuen Apotheker ihre Recepte machen ließen. – Aber die Kirchspielvögte waren brave und charakterfeste Männer. Sie erklärten dem dänischen Amtmann, Kammerherrn und Danebrogsritter, daß sie sich zu solchen Dingen nicht hergeben würden, daß sie sich den Teufel um die Gnade oder Ungnade der Regierung bekümmerten, und daß der Apotheker Karberg ein vortrefflicher Apotheker und ein hochgeachteter Mann sei. Nur Einer von den Zwölfen war der Ischarioth; er ging auf den Befehl des Amtmanns ein. Ich nenne deshalb seinen seit dieser Zeit in der ganzen Umgegend von Apenrade nicht mit Freude genannten Namen. Es war der Kirchspielvogt Reuter – ein Deutscher.

Aber trotz alledem blieb es in der neuen Apotheke still und leer. Alle Anstrengungen des Kirchspielvogts Reuter waren vergebens. Keiner von den in seinem Kirchspiel wohnenden Hofbesitzern und Bauern kaufte auch nur für einen Bankschilling in der neuen dänischen Apotheke. Es mußten andere Mittel in Bewegung gesetzt werden, um den Widerstand zu brechen und dem verhaßten Karberg das Handwerk zu legen – das sah der Amtmann von Apenrade, das sah das Ministerium in Kopenhagen ein.

Es wurde nun ein eigenes Sanitätscollegium für Apenrade errichtet, und der neue dänische Apotheker wurde zum Mitgliede desselben ernannt. So wurde Worsaal der Vorgesetzte Karberg’s, wurde Mitvisitator der Landesapotheken und konnte in dieser Eigenschaft bei Tag und bei Nacht in Karberg’s Apotheke kommen und dieselbe visitiren und inspiciren. Dies geschah auch. Bei jeder Gelegenheit wurde Karberg’s Apotheke auf’s Genaueste visitirt. Indeß auch mit den Visitationen kam man nicht weiter. Die Ordnung in Karberg’s Apotheke war so musterhaft, daß selbst der neue Apotheker keinen Makel entdecken konnte. Da verfiel man auf ein neues und wirklich teuflisches Mittel. Karberg erhielt unter Androhung einer schweren Geldstrafe den polizeilichen Befehl, seine beiden deutschen Gehülfen abzuschaffen und zwei Dänen zu engagiren, angeblich, weil die deutschen Gehülfen sich mit dem dänisch redenden Theil des Publicums nicht verständigen könnten. Die Absicht, welche diesem Polizeibefehl zu Grunde lag, war natürlich eine ganz andere. Man wollte gewaltsam Versehen provociren, Karberg dann schwerere Brüche auferlegen und auf Grund der Versehen die Apotheke schließen. Karberg wurde wirklich gezwungen, einen seiner guten deutschen Gehülfen zu entlassen und den Dänen zu engagiren, den ihm die Polizei vorschlug. Aber er merkte die Absicht der Polizei; er paßte genau auf. Der Däne war nicht im Stande, Versehen zu provociren, weil der deutsche Gehülfe und Karberg selbst ihn keine Minute in der Apotheke allein ließen. Aber der Däne hatte noch eine zweite Rolle in der Apotheke übernommen, die Rolle des Spions. Karberg hatte immer die Gewohnheit gehabt, mit seinen Gehülfen gemeinschaftlich zu Mittag zu speisen – er konnte den dänischen Gehülfen von dem gemeinschaftlichen Mittagsessen nicht ausschließen. Der Däne rapportirte nun jedes Wort, was bei Tisch gesprochen wurde. Als Karberg die zweite Rolle seines neuen Gehülfen durchschaute, warf er ihn aus dem Hause.

Man sah, auch so kam man nicht zum Ziele. Alle kleinen Mittel und Quälereien halfen nicht; es mußte zu andern Maßregeln geschritten werden. Andere Federn, andere Personen wurden in dem Karbergschen Drama in Bewegung gesetzt. Es ist das immer so in Schleswig.

Am 17. Februar 1855 erhielt Karberg ein Rescript des [714] Ministeriums aus Kopenhagen. Minister Raaslöff zeigte ihm in demselben an, daß auf ein vor sieben Jahren eingereichtes Gesuch, welches Karberg nach dem Tode des frühern Königs, nur um die Formalitäten zu wahren, eingereicht hatte und welches die nochmalige Bestätigung seines früher bereits bestätigten Privilegii Seitens des jetzigen Königs betraf, nicht eingegangen werden könne. Zu gleicher Zeit erhielt der Amtmann in Apenrade Seitens des Ministeriums den Befehl, die Apotheke zu schließen. An demselben Tage noch wurde von einem Polizeidiener ein Zettel an die Apotheke geklebt, worauf die Vorübergehenden staunend in dänischer Sprache die Worte lasen: „Die Apotheke ist geschlossen.“

Der Apotheker Karberg war ein energischer und muthiger Mann. Er wurde nicht bleich vor Schrecken, als er den Zettel sah, den der Polizeidiener an seine Hausthür klebte. Er ließ jedem seiner Gehülfen eine Flasche Wein geben und trank selbst eine Flasche, „weil doch so Etwas noch nicht in Schleswig passirt sei,“ sagte er. Dann protestirte er gegen dies unerhörte Verfahren bei dem Sanitätscollegium, und wandte sich zu gleicher Zeit im Beschwerdewege an den höchsten Gerichtshof des Landes, an das Appellationsgericht in Flensburg und an das Ministerium in Kopenhagen. Er erhielt die abweisende Antwort, daß es bei dem eingeschlagenen Verfahren sein Bewenden haben müsse. Nun wandte er sich mit der Bitte an den Minister in Kopenhagen, daß es ihm gestattet werden möge, die Apotheke noch ein Jahr lang fortzuführen, um dieselbe in der Zwischenzeit zu verkaufen. Der Minister Raaslöff wies ihn auch mit diesem Gesuche ab.

Ein zufälliger Umstand bewog das Ministerium indeß, von dem eingeschlagenen Wege in Etwas abzuweichen. Auf der Apotheke standen Pupillengelder und Capitalien dänischer Landleute hypothekarisch eingetragen. Diese Hypothekengläubiger erhoben in der Gefahr, vollkommen ruinirt zu werden, ein Geschrei durch das ganze Land. Man fürchtete in Kopenhagen, daß der Lärm zu groß werden würde, und so wurde Karberg gestattet, die Apotheke für eine von einer Medicinalcommission zu bestimmende Summe an einen bestimmten Pharmaceuten, den man ihm nennen würde, zu verkaufen. Diese Commission sollte aus drei Personen bestehen, von denen der dänische Medicinalrath Schleißner die eine, der zukünftige Inhaber der Apotheke die andere sein, und Karberg die dritte wählen möge. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß es auf diese Weise ganz in die Hand der Dänen gegeben war, welchen Preis man für das Eigenthum Karberg’s fixiren wollte. Einige Tage später zeigte auch der Medicinalrath Karberg an, daß ein Däne, Namens Stißgaard, zum zukünftigen Besitzer der Apotheke bestimmt sei. Nun schritt man zur Taxation der Apotheke. Dieselbe lautete auf 10,250 Thaler und 10,000 Thaler für das Privilegium. Zur Charakteristik dieser Taxation diene, daß die Bruttoeinnahme der Apotheke sogar während des letzten Jahres, wo bereits die zweite Apotheke bestand, jährlich 4282 Thaler betrug, daß ferner, selbst nach dänischer Schätzung, das Realprivilegium einen Werth von 30,000 Thaler, und daß Karberg 48000 Thaler für die Apotheke bezahlt hatte. Karberg verlor durch diesen Zwangsverkauf also fast 18,000 Thaler. Man sollte nun denken, die Sache sei zu Ende gewesen. Noch nicht! Man hatte gar nicht daran gedacht, dem jetzt bereits armen Apotheker 18000 Thaler zu bezahlen. Man verlangte die Apotheke umsonst. Ich werde nun mit wenigen Worten eine Reihe von Intriguen schildern, die den Zeitraum eines ganzen Jahres in Anspruch nahmen und den Unglücklichen vollkommen arm und elend machten.

Es wurde Karberg eine Punctation zum Abschluß des Kaufes vorgelegt, nach der der neue Apotheker die Apotheke für die Summe von 22,500 Thlr. zu übernehmen hatte. Hierauf zahlte er bei der Uebernahme der Apotheke nur 2000 Thaler. Die übrigen 19,500 Thaler sollten drei Jahre lang unkündbar stehen bleiben. Die Einwilligung der Creditoren habe Karberg zu beschaffen. Außerdem habe er sämmtliche Kosten und Steuern bis zur Uebernahme zu tragen. Als Karberg diese Punctation sah, erklärte er, er werde und könne sie schon aus dem Grunde nicht unterschreiben, weil er selbstverständlich nicht im Stande sei, seine Creditoren zu vermögen, ihre Capitalien drei Jahre unkündbar stehen zu lassen.

Man erwartete diese Weigerung Karberg’s, um ihm härtere Bedingungen aufzuerlegen. Die Veranlassung war gefunden. Sofort erhielt er ein weiteres Schreiben des Käufers, worin ihm dieser anzeigte, daß nun auch er von dem stipulirten Kaufe zurücktrete, und er ihm durch seinen Sachwalter andere Bedingungen stellen lassen werde. Diese Bedingungen wurden dem unglücklichen Karberg auch sofort mitgetheilt. Sie waren unerhört und bestanden in nichts Geringerem, als Karberg sollte seine Gläubiger dahin bringen, von ihren Forderungen 35 Procent fallen zu lassen, angeblich aus dem Grunde, um die letzten beiden Gläubiger zu decken, welche sonst ausfallen würden. Der neue dänische Apotheker dachte auf diese Weise noch 3487 Thlr. zu lucriren.

Natürlicherweise schlug Karberg dies neue Ansinnen ab und verlangte contractmäßige Abnahme der Apotheke. Der dänische Apotheker sagte Nein, um das Unmögliche durchzusetzen. Man vergesse nicht, daß während der ganzen Zeit, nämlich seit fast einem Jahre, wo diese Verhandlungen schwebten, die Apotheke geschlossen war, daß die Waarenvorräthe und das Verkaufslocal versiegelt waren, daß also sämmtliche Waaren verdarben, daß Karberg aber sämmtliche Lasten und Steuern, welche auf der Apotheke ruhten, tragen mußte. Der Arme war in einem verzweifelten Zustande. Das Vermögen, das ihm aus dem Erlös der Apotheke noch übrig blieb, verminderte sich von Tage zu Tage. Er mußte Steuern und Lasten bezahlen, ohne einen Schilling Einnahme zu haben.

Sein Gesundheitszustand wurde täglich schlechter. Nochmals wandte er sich verzweifelnd in einer ganzen Reihe von Bittschriften, Angaben und Rechtausführungen an die Polizeibehörde, an den Amtmann, an das Appellationsgericht, an das Ministerium. Entweder er erhielt gar keine oder nur abschlägliche Bescheide. „Es giebt in Schleswig gar kein Recht!“ Diese Worte habe ich alle Tage in Schleswig gehört, und Karberg hat die schreckliche Wahrheit dieses Ausspruchs im reichsten Maße erfahren. Der Unglückliche begriff immer noch nicht, daß die Dänen seine Apotheke umsonst haben wollten, und daß noch ein neuer Streich gegen ihn geführt werden solle. Es wurden neue Anschläge gemacht. Genug, diese beispiellose Vergewaltigung endigte damit, daß die beiden letzten Gläubiger auf ihre eingetragenen Forderungen zum Betrage von 675,0 Thalern verzichteten, wenn die Apotheke sofort von dem neuen Käufer übernommen werden würde. Das geschah am 6. Januar 1856, fast ein Jahr nach dem gewaltsamen Schluß der Apotheke. Alle Manövres und Intriguen waren nur auf dies letzte Ziel berechnet gewesen. Diese Verzichtleistung hatte man von Anfang an beabsichtigt und sie dadurch, daß man Karberg’s Lage täglich verzweifelter machte, zu erzwingen versucht. Man wußte, daß diese Verzichtleistung gelingen würde, denn – – die zuletzt eingetragenen Gläubiger waren Karberg’s Bruder und Schwager.

Das Märtyrerthum des unglücklichen Apothekern war zu Ende. Er war ein ganz armer Mann geworden und auf das Gnadenbrod bei seinen Verwandten, welche selbst einen großen Theil ihres Vermögens eingebüßt hatten, angewiesen. Er lebte noch fünf Jahre in schwerer Krankheit und im Wahnsinn. Dann starb er, ein beklagenswertes Opfer unerhörter Zustände und einer unerhörten Vergewaltigung, zu der sich Behörden, Gerichte und Minister wechselseitig die Hände gereicht hatten, um sie zu vollbringen.

Ich aber schließe meine Erzählung eines Actes dänischer Gerechtigkeit in Schleswig mit den Worten, mit denen das mir vorliegende Manuscript beginnt. Nachdem darin von den lieblosen und auf vollständiger Unkunde der Verhältnisse beruhenden Urtheilen über Schleswig-Holstein, welche der Verfasser bei einer Reise durch Deutschland hat hören müssen, die Rede gewesen ist, heißt es: „Schreiber dieser Zeilen, ein dem Greisenalter nahestehender Mann, geborner Schleswig-Holsteiner, des Landes und des Volkes, unter dem er gelebt, in aller und jeder Hinsicht kundig, im Genuß einer unabhängigen Muße, welcher von den Dänen, weil er ihrer Macht entzogen, Nichts zu fürchten, von den Deutschen Nichts zu erbetteln hat, hält es für seine Pflicht, da er dergleichen Urtheile bei Gelegenheit einer Reise durch Deutschland hörte, ein Zeugniß abzulegen in Sachen Schleswig-Holsteins und Dänemarks.

Gustav Rasch. 



  1. Ueber das Precetto s. „Frei bis zur Adria“. Leidensgeschichte Italiens etc. von Gustav Rasch. Capitel: Venetien, Modena, Rom.