Ein italienischer Priester!

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Autor: Moritz Hartmann
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Titel: Ein italienischer Priester!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 409–410
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein italienischer Priester!

Von Moritz Hartmann.

General U… erzählt:

In meiner Jugend einmal, also schon vor geraumer Zeit, machte ich in Begleitung mehrerer Freunde und Diener von Neapel, meiner Vaterstadt, aus eine Reise nach Salerno. Obwohl wir als Neapolitaner an die schauderhaftesten Mord- und Räubergeschichten aus den Provinzstädten und Gebirgsdörfern gewöhnt waren, hatte das, was wir von dem damals höchst verfallenen Neste Salerno zu hören bekamen, unsere Neugierde so sehr gereizt, daß wir uns trotz aller Gefahren zu diesem Ausfluge entschlossen. Salerno hatte für uns die Anziehungskraft des Schauderhaften, Unheimlichen; die Reise den Reiz eines Ausfluges in längst vergessene Zeiten, in denen sich zugetragen, was heute unglaublich und romantisch erscheint. Es hieß, daß sämmtliche Einwohner Salerno’s sich in Räuber und Mörder umgewandelt haben, und es war gewiß, daß dort eine geschlossene Gesellschaft bestehe, die für Geld in ihrer Gesammtheit oder in einzelnen Mitgliedern zu jeder That, zu Mord, Ueberfall, Raub, Entführung bereit war. Das Leben des Menschen war da so sehr im Preise gesunken, die Gewissen so verhärtet, daß man auf einen Vorübergehenden schoß, nur um Pulver zu probiren.

Wir begaben uns in dieses Nest ohne Sorgen. Nicht weil wir zahlreich und bewaffnet waren, sondern weil die Salernitaner bei Ankunft solcher Galantuomini, wie wir, voraussetzten, man komme mit ihnen ein Geschäft zu machen, oder mit andern Worten, Individuen zur Ausführung irgend einer blutigen Rache oder einer andern ähnlichen Unternehmung zu miethen. In solchem Falle war man ganz sicher; ja man wurde mit Zuvorkommenheiten, mit Gastlichkeit, mit allen möglichen Rücksichten aufgenommen.

In der That gesellten sich in der Nähe von Salerno einzelne Individuen zu uns, die auf’s Höflichste ihre Dienste anboten, uns die Wege zeigten, auf mancherlei Interessantes aufmerksam machten und von den Heiligenbildern, an denen wir vorüberritten, mit Andacht und Glauben Legenden erzählten. Mit einem kleinen Gefolge kamen wir auf dem Marktplatze an. Dort waren wir bald von einer ebenso zuvorkommenden Bevölkerung umgeben, die uns aber trotz ihrer Zuvorkommenheit nicht zum Besten gefiel. Es waren meist die Weiber, die sprachen und uns offenbar zum Sprechen bringen wollten. Sie klopften auf den Strauch, sie versicherten, daß die Salernitaner tapfere Leute seien und zu jeder That bereit. Das Lächeln und die lauernden Blicke, mit denen sie ihre Worte begleiteten, machten ihre großen schwarzen Augen und die breiten schwellenden Lippen, die von Natur schön gebildet waren, nicht schöner. Einzelne Männer standen in unserer Nähe, malerisch an den Brunnen gelehnt oder auch ferner an den Häusern, und beobachteten uns schweigend, nur daß sie manchmal mit einer Bewegung oder einem lauten Auflachen die deutlichsten Anspielungen der Weiber begleiteten. Sie näherten sich mit einem Male von allen Seiten, als einer unserer Reisegefährten, ein leichtsinniger Marinelieutenant, auf die Anspielungen der Weiber einging und verrieth, daß er sie verstehe. Ich glaube, wir hätten in diesem Momente auf offenem Markte und vor hundert Zeugen ein Geschäft von hundert blutigen Rencontres abmachen können. Ich fürchtete, die Zwecklosigkeit unserer Reise zu verrathen, und benutzte die späte Stunde, um zur Ruhe aufzufordern und ein Gasthaus aufzusuchen. – „Bravo,“ rief eine Alte mit Beifall, „der Herr, Se. Excellenz wollen wichtige Geschäfte mit ausgeruhtem Geiste, in der Frische des Morgens abmachen! Man lasse die Herren in Ruhe: Niemand folge ihnen in die Herberge!“ – Ich nickte ihr zustimmend und so einverständig als ich vermochte.

Im Gasthause, einem alten, verfallenen, weitläufigen Gebäude, das ehemals ein Kloster gewesen sein mag, wollte man uns mehrere Zimmer anweisen, wir aber zogen es vor zusammen zu bleiben und bereiteten unser Lager gemeinschaftlich in einem großen Saale, durch dessen Decke hie und da der blaue Himmel mit lächelnden Sternen blickte. Als Alles im Hause stille war, versäumten wir nicht, die Thüre zu verriegeln, sogar ein wenig zu verrammeln. Auch wachten die Diener abwechselnd an der Thür sitzend. Doch verging die Nacht vollkommen ruhig, ohne die geringste Störung, ohne das kleinste Abenteuer.

Andern Morgens durchzogen wir die Stadt – immer von einigen einheimischen Individuen gefolgt – besahen mehrere alte Gebäude, die an die wissenschaftliche Größe des mittelalterlichen Salerno erinnerten, und traten endlich in eine Kirche. Hier beginnt die Geschichte, die ich eigentlich erzählen wollte und die viele Neapolitaner bestätigen können, denn sie machte damals viel Aufsehen und war in Neapel Stadtgespräch.

Die Kirche war ziemlich besucht. Die Gläubigen, Männer und Weiber, knieten auf dem Steinpflaster und beteten mit jener Heftigkeit, mit der man anderswo zankt und die man nur im tiefsten katholischen Süden an Betenden beobachten kann. Ihre Lippen bewegten sich so rasch und ausdrucksvoll, als ob sie Jemand Vorwürfe machten, oder als ob sie Drohungen aussprächen; die Hände hielten den Rosenkranz, als ob sie einen Dolch hielten, mit dem sie erzwingen wollten, was man ihren Bitten oder Drohungen nicht gewähren würde. Der Geistliche stand am Altar und las die Messe. Er machte das heilige Geschäft wie viele andere Geistliche handwerksmäßig ab und sah auch aus wie hundert andere neapolitanische Geistliche; gut genährtes, doch nicht dickes Gesicht, braune Farbe, magere Hände mit langen Fingern und eine unverhältnißmäßig große Tonsur auf spitzigem, eckigem Kopfe. Er wäre uns weiter nicht aufgefallen, wenn nicht der Ministrant, ein hübscher Junge von ungefähr zwölf Jahren, unsere Aufmerksamkeit auf den Altar und die Messe gelenkt hätte. Wir standen in der Nähe und konnten bemerken, daß der kleine Junge sehr zerstreut war. Er ließ oft lange auf die sacramentalen Antworten warten, fuhr sich dann, wenn ihn der celebrirende Priester zornig ansah, [410] mit der Hand über die Stirne, stotterte dann die lateinischen Worte, um einen Augenblick darauf eben so zerstreut zu sein, wie vorher. Er vergaß das Meßbuch zu nehmen, dann es an die rechte Stelle zu legen, dann den Weihrauchkessel zur rechten Zeit zu handhaben. Einige der Gläubigen bemerkten die Zerstreutheit des Knaben und murrten. Mein Marinelieutenant lächelte. Wir glaubten anfangs, daß das fromme Geschäft das Kind langweile und daß er an ein Spiel oder an irgend welche Allotria denke. Als wir aber aufmerksamer hinsahen, bemerkten wir, daß der arme Junge am ganzen Leibe zitterte, daß sein Auge manchmal starr und voll Entsetzen auf einer und der andern Stelle vor dem Altare haftete, daß er mit unsagbarer Angst auf dem bleichen Gesichte den Bewegungen des Geistlichen folgte, der, nach dem Ritus, am Altare bald nach der einen, bald nach der andern Seite ging. Endlich schüttelte er sich wie im Fieber, blickte um sich und sah aus, als wollte er die Flucht ergreifen oder als wußte er nicht was zu beginnen.

„Der arme Junge ist offenbar krank!“ lispelte einer meiner Reisegefährten, und es schien wirklich, als wollte er den Priester um Entlassung bitten, denn er streckte mehrere Male die Hand aus, zupfte ihn am Meßgewande und wollte etwas sagen. Der Priester aber bemerkte es anfangs nicht. Doch mußte er endlich in dem Momente, da er das Allerheiligste erhebt und den Gläubigen zeigt, sich mit dem Gesichte dem Knaben zuwenden; das benutzte dieser und faßte, wie es schien, mit der letzten Kraft, das Meßgewand, riß daran mit der einen Hand, während die andere starr ausgestreckt, von den gläsernen Blicken des Knaben gefolgt, auf den Boden der Altarstufe zu Füßen des Priesters zeigte. Der Priester sah hinab, fuhr erschrocken zusammen, warf die Monstranz auf den Altar und stürzte voll Entsetzen in die Sacristei.

Die Aufregung in der Kirche war ungeheuer. Die Gläubigen schrien auf und warfen sich in einem Knäuel schreiend dem Altar entgegen, an dessen Fuße der Knabe ausgestreckt lag, noch immer mit der einen Hand auf eine Stelle deutend. Diese Stelle war ein Blutflecken und gleich daneben ein zweiter, dann ein dritter, vierter; der ganze Platz vor dem Altar war blutig beträufelt. Bei diesem Anblick verstummten die Einen, während die Anderen noch heftiger zu schreien, zu fluchen oder die Heiligen anzurufen begannen. Ein Theil der Gläubigen stürzte dem Priester in die Sacristei nach, ein anderer blieb bewegungslos vor den Blutstropfen stehen. Man hob den Knaben auf, der wie aus einer Ohnmacht erwachte und in abgebrochenen Worten erzählte, wie während der ganzen Messe unter dem Priestergewande hervor Blut und immer Blut träufelte. Das Volk drängte sich nun voll Angst vom Altare fort und zur Thür hinaus. Draußen fing eine Matrone sofort zu predigen an, daß es die Hostie gewesen, die geblutet habe, und das sei die Strafe für die ungeheuern Verbrechen der Salernitaner, und bei der Gelegenheit nannte sie den und jenen der Umstehenden und warf ihm die Zahl der Morde in’s Gesicht, die er begangen, und erzählte solche Gräuel von Salerno, daß wir erkannten, wie wenig das Gerücht übertrieben habe.

Das Bluten der Hostien, sagte die Predigerin, komme nur in außerordentlichsten Fällen vor und nur wenn die furchtbarsten Strafgerichte Gottes drohen. Sie prophezeite den Salernitanern den Untergang; der Vesuv werde sein Feuer bis hierher wälzen und sie in Flammen begraben, wie ehemals Pompeji und Herculanum, als diese Städte nicht vom Heidenthume lassen wollten, oder das Meer werde austreten und sie allesammt verschlingen. Sie riß das Tuch vom Kopfe und fuhr sich mit beiden Händen in die grauen Haare, die in Wellen über Gesicht und Schulter herabfielen, dann schlug sie sich die Brust, daß es hallte, und erhob ein Klagegeschrei, in das die Weiber und Kinder mit einstimmten. Plötzlich zu uns gewendet rief sie die Hand ausstreckend: „Und Ihr Fremdlinge, die Ihr hierher gekommen seid, um neue Sünden zu bezahlen, ziehet fort und häufet nicht neue Schuld auf diese verfluchte Stadt. Kehret zurück und versöhnt Euch mit Euren Feinden, ehe es zu spät ist, damit Ihr nicht mit uns zu Grunde gehet.“

Bei dieser an uns gerichteten Exhorte wurde die Prophetin unterbrochen. Die Menge, die dem Priester in die Sacristei nachgedrungen war, kam jetzt von dort zurück und aus der Kirche heraus auf den Platz. Aus ihrem Benehmen war schwer zu errathen, was in der Sacristei vorgegangen, denn dieser Vorgang hatte augenscheinlich die verschiedensten Wirkungen auf die Gemüther hervorgebracht. Die Einen waren ernst und sprachen demgemäß untereinander, die Anderen schrieen, die Dritten lachten. Auch unser Marinelieutenant, ein Mann, der bei Allem und immer in erster Reihe sein mußte, lachte ganz gewaltig. Er war einer der Ersten gewesen, die sich dem Priester in die Sacristei nachgestürzt hatten, und fing nun an, immer mit Lachen zu erzählen, was er dort gesehen und erlebt, während die Salernitaner ihren Landsleuten Bericht erstatteten.

„Der Priester,“ erzählte der Marinelieutenant, „machte mit dem ersten Schritte in die Sacristei Anstalten sich seiner Kleider zu entledigen und, wie es schien, irgend etwas zu verbergen. Als er sich verfolgt sah, wollte er aus der Sacristei entfliehen, aber einige Männer verstellten ihm den Weg und erklärten ihm, daß sie erfahren müßten, was es mit dem Blute zu bedeuten habe, während andere auf seine Strümpfe aufmerksam wurden, die von oben nach unten mir Blut beträufelt waren. Er wollte keine weiteren Erklärungen geben und zog einen Dolch hervor, mit dem er diejenigen bedrohte, die ihm den Weg aus der Sacristei in’s Freie abschnitten; aber im Augenblick war er von hinten entwaffnet und man sah mit einiger Ueberraschung, daß der Dolch von frischem Blute roth war. Darauf ging es an eine Untersuchung; instinctmäßig oder aus Gewohnheit griff ihm eins seiner Beichtkinder in die Tasche und“ – hier lachte der Marinelieutenant wieder – „und zog – es war sehr überraschend – ein Paar ganz frischer, erst abgeschnittener Menschenohren hervor.“

„Menschenohren?“ riefen wir entsetzt.

„Ein ganz wohl conditionirtes, frisches Paar Menschenohren, die noch bluteten und von denen die Blutstropfen kamen, welche den armen Knaben am Altar mit solchem Einsetzen erfüllten.“

„Waren es seine eigenen Ohren?“ fragten wir weiter.

„Seine eigenen Ohren saßen ihm ganz fest am Kopfe. Ihr seid sehr begriffsstutzig.“ fuhr der Marinelieutenant fort; „die Salernitaner haben die Sache rascher begriffen. Ist es so? riefen sie und schienen sich Vorwürfe zu machen, nicht gleich errathen zu haben. Manche von ihnen lachten laut auf, und Alle waren sofort beruhigt, als sie einsahen, daß hier von keinem blutigen, drohenden Mirakel, sondern von einer gewöhnlichen Geschichte, von einem Morde auf Bestellung die Rede war. Der Priester nämlich gehört mit zu der enggeschlossenen Gesellschaft der hiesigen Bravi; das ist Alles. Heute Morgen hat er einen Auftrag vollzogen und um seinem Auftraggeber die beweisende Probe der Leistung zu überbringen, hat er seinem Opfer die Ohren abgeschnitten und in die Tasche gesteckt. Dann kehrte er eilend in die Stadt zurück, um nicht die Messe zu versäumen, die ihm bezahlt wird. Er kam etwas spät und hatte kaum Zeit, das Meßgewand über das Banditengewand zu werfen; die Ohren blieben in der Tasche und sie tropften während der Messe. Das ist die ganze Geschichte.“

Während der Lieutenant uns, hatten die Andern der Menge Bericht erstattet. Als sie geendet, jubelte das Volk auf. Es war also kein Mirakel! Ein Alp, eine große Angst war ihnen vom Herzen gefallen und sie wandten sich lachend zu der Prophetin, die ihnen die Hölle heiß gemacht hatte, und verhöhnten sie auf alle mögliche Weise. Der und Jener ballte sogar die Faust gegen sie, nannte sie einen Unglücksraben, eine Hexe, ein Mal-occhio, kurz ein schädliches Wesen, das noch Unglück herbeikrächzen könne und das man eigentlich beseitigen müsse. Die Prophetin war beschämt und endlich bestürzt. Sie schlich sich schweigend davon, während die ganze Versammlung sehr heiter wurde, daß es nichts gewesen sei als diese Dummheit.

Wir benutzten die kleine Aufregung, um uns unbemerkt davon zu machen, unsere Pferde und Maulthiere zu satteln und den Staub von Salerno von unseren Füßen zu schütteln.

Und was ist mit dem Priester geschehen?

Mit dem Priester? Nichts!

Er ist nicht bestraft worden?

Ich glaube nicht. Er hat keine Kläger gefunden nur er hätte keine Richter gefunden.

Er ist wenigstens versetzt worden?

Ich glaube nicht. Doch weiß ich über Alles, was aus jenen Tag folgte, nichts Gewisses. Gewiß ist nur die Thatsache, die ich erzählt habe, und die unzählige Neapolitaner und Salernitaner erzählen können.