Ein seltsames Grab

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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Ein seltsames Grab
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1909, Drehzehnter Band, Seite 219–221
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Erscheinungsdatum: 1909
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[219] Ein seltsames Grab hat der Kirchhof von New Orleans aufzuweisen. Dort liegt nämlich in einem schweren Eichensarge nichts anderes als ein Block Gußeisen von etwa zwei Meter Länge und zwei Meter Breite und Höhe bestattet. Auf dem Grabe aber erhebt sich ein dunkler Marmorstein, dessen Inschrift lautet: „Hier ruht Thomas Fington, geboren zu Reverley den 18. Januar 1870, gestorben zu New Orleans am 30. November 1904.“

Das Rätsel dieses merkwürdigen Grabes findet folgende Erklärung. In einer der größten Eisengießereien in New Orleans war besagter Thomas Fington als Arbeiter seit mehreren [220] Jahren beschäftigt. Er hatte die Aufsicht über den großen Sammelbehälter, in dem das geschmolzene Eisen aus den verschiedenen kleineren Schmelztiegeln vereinigt wurde, um sodann in die Formen zur Herstellung größerer Maschinenteile geleitet zu werden. Am 30. November 1904 war der Sammelbehälter, der ungefähr zwei Meter Tiefe hatte, vollkommen mit flüssigem Eisen angefüllt, da die Welle zu einem großen Flußdampfer gegossen werden sollte. Fington stand über dem Behälter auf einer beweglichen Laufbrücke und wollte gerade das Zeichen zum Öffnen des Abflußrohres geben, als er das Gleichgewicht verlor und mit einem furchtbaren Schrei in die glühende Masse hinabstürzte. Wie Augenzeugen gesehen haben, fiel er der Länge nach, und zwar mit dem Gesicht nach unten, in das flüssige Metall, dessen Hitze den Körper des Unglücklichen in wenigen Sekunden so vollständig verzehrte, daß nachher nur noch an einer dunkleren Färbung der Oberfläche die Stelle zu erkennen war, an der Fingtons Körper verschwunden war.

Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, wollte der leitende Ingenieur die flüssige Eisenmasse dennoch zu dem Guß verwenden; jedoch die Arbeiter widersetzten sich dem, und man ließ daher den Inhalt des Sammelbehälters erkalten und erstarren. Schließlich wurde nach langem Beraten ein Ausweg gefunden, der die Gefühle der Arbeiterschaft und der Familie des in der glühenden Eisenmasse spurlos Verschwundenen schonte. Man ließ aus dem erstarrten Gußeisenblock das Stück herausschneiden, welches sich durch die dunklere Schattierung abzeichnete.

Alles schien nunmehr in schönster Ordnung, als plötzlich die Polizei einschritt und noch in letzter Minute das Begräbnis des Eisenstückes als „groben Unfug“ verbot. Lange Protokolle wurden aufgenommen, Verhandlungen mit der Regierung eingeleitet; ein Aktenbündel entstand, dessen Seiten die Gutachten von den berühmtesten Sachverständigen der Eisenindustrie und Chemie füllten. Endlich war auch die heilige Hermandad von New Orleans überzeugt, daß jenes herausgeschnittene längliche Stück Gußeisen tatsächlich die Überreste [221] Thomas Fingtons enthalten müsse, und genau sechs Wochen nach seinem Tode wurden diese Überreste unter Teilnahme einer Unmenge von Neugierigen zur letzten Ruhe bestattet.

W. K.