Ein unterirdischer Riesenbau im Oberharze

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Titel: Ein unterirdischer Riesenbau im Oberharze
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 574–576
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein unterirdischer Riesenbau im Oberharze.

Am Nachmittage des 5. August d. J. umstanden in der Nähe des am Fuße des Harzes gelegenen braunschweigischen Fleckens Gittelde, einige hundert Schritt von der Kunststraße, Tausende das Portal eines sogenannten Stollen-Mundlochs. Bergleute vom Oberharze und Landbewohner, nebst Curgästen aus dem nahen Badeorte Grund, harrten auf den Augenblicks wo eine in Clausthal in der Grube Elisabeth eingefahrene Mannschaft hier zu Tage austreten würde. Die Versammlung galt der Eröffnung eines großartigen Baues, der sich würdig den Aquäducten der Römer und allen Tunnelbauten der Neuzeit an die Seite stellt. Um dem Leser ein Verständniß dieses wichtigen Unternehmens zu vermitteln, muß ich indeß etwas weiter ausholen.

Der Harzer Bergbau war, wie öfter schon, durch die mit den bisherigen Mitteln nicht mehr zu beseitigenden Grundwasser gefährdet. Man hatte letztere bisher theils durch sogenannte Künste, d. H. Pumpenwerke, gehoben, theils in Abzugscanälen, Stollen, abgeleitet. Pumpenwerke heben bekanntlich das Wasser nur 32 Fuß hoch. Die hier angewendeten sind so zusammengesetzt, daß jede tiefer liegende Pumpe das 32 Fuß in die Höhe geförderte Wasser einer höher liegenden übergiebt. Die Pumpen werden durch mächtige Wasserräder, welche auf der Oberfläche von den Gefällen eines wohlgeordneten Teich- und Grabensystems bewegt werden, in Thätigkeit gesetzt. Das Gestänge, welches die Pumpenstangen hebt, dient in manchen Gruben zugleich zum bequemern Aussteigen der Bergleute aus dem Schachte. Es ist begreiflich, daß mit der zunehmenden Tiefe dieser Schächte die Lasten, welche die Gestänge zu halten und zu heben haben, ungeheuer und bei übergroßer Tiefe endlich unmöglich werden, zumal wenn im Frühlinge schmelzende Schneemassen die Grube zu „ersäufen“ drohen. – Weit einfacher ist die Entfernung der Grundwasser durch Stollen, deren Bau aber kostspielig und zeitraubend ist. Schon 1525 wurde der erste (Dreizehnlachter-)Stollen, der in Wildemann etwa 1300 Fuß über dem Spiegel der Nordsee mündet, getrieben, und in demselben Jahrhunderte sah man sich zu noch drei andern Stollenanlagen veranlaßt. Dadurch konnte der Bergbau zweihundert Jahre lang ungestört betrieben werden. Die Tiefe der Gruben unter der Sohle der vorhandenen Stollen nahm aber zu, die unterirdischen Maschinen hoben die Wassermenge nicht mehr bis zu jenen Stollen, und wieder drängte der überhandnehmende Feind den Bergmann, durch tiefere Stollen Abhülfe zu schaffen. Da faßte man nach längeren Untersuchungen und Verhandlungen 1771 den Plan, einen Stollen von der Bergstadt Grund aus zu den Clausthaler Gruben zu führen. Dieser Stollen – nach König Georg III. „Tiefer Georg-Stollen“ genannt – wurde in zweiundzwanzig Jahren (1777–99) mit einem Kostenaufwande von 412,141 Thlr. beendet. Er liegt etwa 970 Fuß unter Tage, ist mit allen Querdurchschlägen gegen 21/2 deutsche Meilen lang und nimmt die Gewässer der Clausthaler, Zellerfelder und Bockswieser Gruben auf.

Da aber bei seiner Beendigung einzelne Schächte schon tief unter seine Sohle niedergebracht und die Gesenke nur mit großer Anstrengung in Fluthzeiten von Wassern frei zu halten waren, so genügte sehr bald auch diese kostspielige Anlage nicht mehr. Vier Jahre nach Vollendung des Georg-Stollens suchte man deshalb die Tiefbaue der Hauptgrubenreviere durch eine 400 Fuß tiefere Wasserstrecke zu sichern, ermöglichte damit auch eine Concentration der Wasserwirthschaft und vermittelst Kähnen den Transport der Erze. Aber einen Ausgang hatten diese Gewässer nicht, sie mußten bis auf den Georg-Stollen gehoben werden, und die angestrengtesten Leistungen der Maschinen waren nicht immer im Stande, die Fluthen zu bewältigen, zumal auch der Georg-Stollen durch die Menge der hindurchdringenden Gewässer oft in Gefahr war, verstopft zu werden. Der Bergbau stand an einer Grenze, über welche hinaus nur der Bau eines tiefsten Tagestollens sichere Hülfe bringen konnte.

Erst 1850 kam indeß das Bergamt auf Grund markscheiderischer Messungen und allseitiger Erwägungen zu dem Beschluß, den jetzt in Gittelde mündenden Stollen in Angriff zu nehmen. Das königl. Hann. Ministerium genehmigte den Plan, die allgemeine Ständeversammlung des Königreichs stimmte dem Kostenanschlage von 419,000 Thalern bei, die herzogl. braunschweigische Regierung kam hinsichtlich des Ansetzpunktes in Gittelde dem Unternehmen entgegen, und so konnte am 21. Juli 1851 der Bau begonnen werden. Das Werk erhielt nach dem verstorbenen Könige den Namen Ernst-August-Stollen. Die Arbeit wurde auf zehn verschiedenen Punkten der Stollenlinie zugleich in Angriff genommen, was die Beendigung sehr beschleunigte. Ueberall in gleichen Dimensionen, nämlich bei einer Höhe von etwa 9 und einer Weite von 6 Fuß, hat der Canal auf der ganzen Länge einen gleichmäßigen Fall von 5,4 Zoll auf je 658 Fuß. Man hatte auf eine Arbeitszeit von 22 Jahren gerechnet, aber schon nach 12 Jahren 11 Monaten erfolgte am 22. Juni dieses Jahres der letzte Durchschlag. Es giebt einen Begriff von der Großartigkeit des Unternehmens, wenn man bedenkt, daß die ganze Länge des Stollens, einschließlich aller Nebenstrecken, 11,819 Lachter oder drei deutsche Meilen beträgt; daß etwa 11/2 Million Bohrlöcher in selbiges Gestein gearbeitet und über 2000 Centner Pulver verschossen wurden. Die Bohrlöcher aneinander gereiht würden eine Gesammtlänge von 60–70 deutschen Meilen ergeben.

Nur der frohe Sinn und die wie der Stein feste Beharrlichkeit des Bergmanns haben, wenn wohl oft auch unter Seufzern [575] nach ungezählten Millionen von Schlägen mit dem schweren Fäustel das große Wert zu Stande gebracht zum bleibenden Zeugniß der Thatkraft des Bergbewohners.

Daß das Ziel, wenn auch mit größeren Kosten, welche die so viel früher möglich gemachte Benutzung des Stollens reichlich ausgeglichen, so bald erreicht wurde, ist zweierlei Umständen zu verdanken: der höchsten Genauigkeit und Sicherheit der markscheiderischen Messungen und der anerkannt vortrefflichen Ausführung der bergmännischen Arbeiten. Daß auf einer so ungeheuren Strecke genau der oben erwähnte Fall der Stollensohle von 5,4 Zoll auf 100 Lachter eingehalten ist, daß bei den neun verschiedenen Durchschlägen Sohle und Wangen fast ohne Differenz aufeinander trafen, daß man in der geraden Linie vor dem Mundloch auf 5925 Fuß Entfernung das Tageslicht erblickt – alles dieses ist Beweis sowohl der wissenschaftlichen Begabung des Markscheiders, wie des kunstfertigen bergmännischen Betriebes. Jenen haben selbsterfundene Instrumente, so auch die Anwendung starker Magnete bei der Durchschlagsrichtung unterstützt; diese ist planmäßig und klug geleitet und unter treuester Benutzung der Arbeitskräfte so rasch zu Ende gebracht. –

Der oberharzische Beamte, der mir diese Angaben machte, sprach eben noch von den Verunglückungen beim Bau und den Erzgangaufschlüssen, welche der Betrieb zu Wege gebracht, da bewegte sich drängend die Volksmasse vor dem mit Thürmen und Zinnen geschmückten, aus Sandstein-Quadern erbauten Portal des Mundlochs, und tief ergreifend erklang ein „Nun danket Alle Gott!“ welches die eigentliche feierliche Einweihung des großen Baues einleitete.

Aus Aller Augen sprach die Freude, und auch die nicht unmittelbar bei dem Stollenbetriebe betheiligten Bergleute und sonstigen Bergbewohner waren, weil sie die Bedeutung des Werkes zu würdigen verstanden, froh bewegt im Hinblick auf eine für den Grubenbetrieb hoffnungsreiche Zukunft. Die frohe Stimmung der Festgenossen, die Vereinigung von frommem Ernst und reiner Freude, wie sie selten so harmonisch gefunden werden, bestimmten mich, der ich eigentlich nur zufälliger Zuschauer der Feier war, schnell dem weitern Verlauf der Festlichkeiten beizuwohnen. Fand ich auch in der Volksmenge keinen Bekannten – am Oberharze fühlt man sich bald heimisch, und wenn irgendwo im lieben deutschen Vaterlande, so kommt man hier offen und treuherzig dem Fremden entgegen.

Wir gingen über die Berge nach Grund, während eine Menge bereitstehender Equipagen auf die Mitglieder der Behörden harrte, die in einem neben dem Mundloche aufgestellten Zelte die während der Stollenfahrt getragene bergmännische Kleidung ab- und den Beamtenrock anlegten. Ein Grubenbursche, der seinem Herrn Geschwornen Grubenlicht und Anzug getragen, mußte mir von der Fahrt erzählen. In einem Zechenhause in der Nähe des Elisabether Schachtes waren Morgens sechs Uhr die Fremden aus Hannover, Braunschweig, Oesterreich und Preußen, das Bergamt und sonstige oberharzische Beamte mit einem Choral empfangen worden. Nachdem die Bedeutung des Stollens und an einem Grubenrisse dessen Richtung und Verbindung mit den weit verzweigten Grubenrevieren erläutert war, wurden die 70 Personen, welche die Fahrt unter Vorauftritt eines Bergmeisters und des Berghauptmanns mitzumachen beabsichtigten, verlesen. Für gefahrlose Einfahrt in den erleuchteten bis zum Stollen über 1200 Fuß tiefen Schacht war möglichst Sorge getragen. Bei dem ungewohnten Niedersteigen an so langen, senkrecht stehenden Leitern wird Mancher an das Loos des alternden Bergmanns gedacht haben, der nach zwölfstündiger saurer Schicht aus der nassen Tiefe und dem Pulverdampfe mit kurzem Athem und zitternden Knieen hinaufsteigt, um am Abend mit den Seinigen eine kärgliche Mahlzeit zu halten, einige Stunden auszuruhen und früh Morgens vielleicht zum letzten Male hinunterzufahren. Doch bei dieser Fahrt am 5. August fehlte es an Erquickung und Stärkung nicht. Auge und Ohr empfingen bleibende Eindrücke. Bemerkenswerthe Stellen waren durch transparente Inschriften bezeichnet. Acht Schiffe, mit Guirlanden und Tannenzweigen geschmückt, nahmen die unterirdischen Reisenden auf. Zuvor aber ward ein Imbiß und ein Glas Portwein gereicht. Im vordersten Schiffe hatte ein Musikchor, im letzten eine Sängerschaar Platz genommen. Auch ein Kanonenboot deckte den Rücken und die donnernden 21 Kanonenschläge am Herzog Wilhelm-Schachte machten gewiß manches Herz erbeben, denn in diesen verschlossenen Tiefen findet die Schallwelle keinen Ausweg und schlägt um so mächtiger in’s Gehör. Drei neuen Durchschlagspunkten war durch gußeiserne Tafeln bleibende Erinnerung gegeben. Man hatte dann die Schiffe verlassen und ging auf dem gedielten Fußboden (Tretwerk) des Stollens fort. In einem weiten schön decorirten Raume unterhalb der Bergstadt Wildemann wurde gefrühstückt. Endlich war das Mundloch erreicht, wo beklommenen Herzen bei dem fröhlichen „Glück auf!“ im Sonnenlichte wieder leicht wurde.

Unter diesen Mittheilungen hatte ich Grund erreicht. Die Angehörigen des Bergfaches fanden dort im größten Speisaale des Curorts eine gute Tafel, und erst nach Mitternacht passirten die Gäste auf ihrem Wege nach Clausthal das Spalier von Hüttenleuten mit Fackeln auf der Frankenscharner Silberhütte.

Der folgende Morgen brachte neue Ansichten. Eine ungeheuere Schaar von Bergleuten aus allen sieben Bergstädten folgte, festlich geschmückt mit grünen Schachthüten und schwarzem Hinterleder, den Bergfahnen und Musikchören, um zur Kirche zu gehen. Ich sage nichts von der Predigt, aber die gewaltigen Tonmassen möchte ich schildern können, die sich aus so vielen sonoren Männerstimmen entwickelten. Trotz der umfangreichen Orgel und der fünfzig Blechinstrumente war der Gesang vorherrschend. Auf den Bergen ist der Gesang zu Hause, und zumal in Kirchenmelodieen ist der Bergmann sicher. Eben so wie die Tonmasse imponirie daher das klangreiche Metall der Stimmen. – Nicht weniger interessant war am Abend die bergmännische Aufwartung, bei welcher wieder in bester Ordnung alle Berg-, Poch- und Hüttenleute, letztere, wie die Fuhrleute, in weißen Kitteln, ferner Turner und Singvereine im Scheine unzähliger Grubenlichter und Fackeln, mit Fahnen und Emblemen vor dem Amtsgebäude des Ortes erschienen. Etwas ganz Originelles bot ein wie Kartätschenfeuer knatterndes Peitschenconcert der Harzer Fuhrherren und ihrer Knechte, die auf ein mit einer Laterne am Dache des Amthauses gegebenes Zeichen präcise einsetzten und eben so gut pausirten, wenn das Licht verschwand. Imposant war auch der Eindruck, welchen die von den Bergleuten bei den Festgesängen emporgehobenen Grubenlichter machten: der große Platz wurde zu einem Lichtmeere. Der Schluß der großartigen Scene zeigte, wie ihr Beginn und Verlauf, die beste Ordnung, und bald waren die letzten Grubenlichter in der dunklen Ferne verschwunden. Man ahnte auf den stillgewordenen Straßen nicht, welche Lebenslust und Munterkeit dem Harzer innewohnt, aber sie kam am folgenden Tage zum Durchbruch. Das Bergamt war bedacht gewesen dem großen Ereigniß schließlich durch ein großartiges Volksfest Erinnerung zu geben. Zu dem Ende war auf dem geräumigen Schützenplatze ein Zelt gebaut, wie es in solchen Dimensionen und solchem Schmuck niemals auf dem Oberharze gestanden. Das Zelt bedeckte einen Raum von 36,000 Quadratfuß und enthielt vier Tanzsäle, und muntere Pochknaben credenzten unablässig Lager- und Süßbier aus nicht versiechender Quelle. Ein unerschöpfliches Büffet lieferte Speisen. Es mögen mehr als 8000 Personen hier Platz gefunden, oder vielmehr sich im buntesten Gemisch gedrängt und geschoben haben. So eng aber auch der große Raum wurde – Tausende standen noch auf dem Schützenplatz, oder hörten in einem andern Zelte auf die vortreffliche Concertmusik der braunschweigschen Regimentsmusiker – nirgend vernahm man doch Zank und Streit. Man hatte weislich den Bergleuten die Aufrechterhaltung der Ordnung selbst überlassen, die nun durch zahlreiche Festordner, an weißen Armbinden kenntlich, trefflich überwacht wurde. Nirgend war in der ungeheuren Menge Polizei zu sehen, und die gute Disciplin, die überall bei dem Bergwesen herrscht, prägte sich unverkennbar auch im Feste aus. An Witz- und Scherzworten, Trinksprüchen und Reden, Gesang und Gelächter suchten die Festgenossen einander zu übertreffen. – Die Scheidewand der Stände war auf zehn Stunden gefallen. Die höchsten Beamten traten einmal dem Untergebenen in einer ihm wohlthuenden Weise nahe, und wie Bürger in seinen „Weibern von Weinsberg“ launig berichtet, so wurde auch hier „durchgetanzt mit Allen“, bis am Morgen dem Feste durch einen „Kehraus“ ein heiteres Ende gegeben ward. So herrschte im Innern des mit Lampions und Kronleuchtern erhellten Zeltes „reine Freude und Glück“; außen aber konnte sich die Menge nicht satt sehen an der feenhaften Erleuchtung des in allen Farben prangenden Portals. In Transparenten brannten die Wappen der sieben Bergstädte und ein weithin leuchtendes „Glück auf!“ –

[576] Dem Beschauer eines solchen Lichterglanzes liegt, wenn droben die ewigen Lichter still darein schauen, der Gedanke nah: wie bald wird diese Gluth erloschen sein! Doch die Veranlassung, welche diesem Feste Bedeutung gab, der Bau in der Tiefe, den die Noth erfand, wird den spätesten Geschlechtern noch Bewunderung abzwingen. Die edelste Festfreude hat ihren Grund in der Hoffnung einer gesegneten Nachwelt.