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Federzeichnungen aus Thüringen

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Textdaten
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Autor: Ludwig Walesrode
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Titel: Federzeichnungen aus Thüringen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36–37, S. 570–574, 586–590
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[570]
Federzeichnungen aus Thüringen.
Erstes Blatt.
Mecklenburg in Thüringen.
Von Ludwig Walesrode.
I.

Den armen Mädchen, welche in dem geographischen Institute von Justus Perthes zu Gotha Landkarten illuminiren, macht gewiß keine Karte mehr Mühe und Noth, als die des kleinen thüringischen Landes. Müssen sie doch, mit dem Aufwande aller Farben des Tuschkastens, eine deutsche Vielherrschaft veranschaulichen, wie sie nirgendwo anders in unserm zerrissenen Vaterlande so buntscheckig zusammengeschweißt ist. – Preußen, Kurhessen, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, die Fürstlich Reußischen Lande älterer und jüngerer Linie, und dazu freundnachbarlichst Sachsen-Altenburg und Baiern, das Alles wälzt und windet sich in mäandrisch verschlungenen Grenzlinien durcheinander, daß es dem Beschauer bunt vor Augen flimmert, wie wenn er lange in das wirr blendende Farbenspiel der Chromatropen hineingeschaut. – Und mit welcher peinlichen Genauigkeit müssen nicht alle diese Linien auf der Karte gezogen werden! Ein einziger unvorsichtiger Zug mit dem Pinsel, ein einziges in die Breite fließendes Farbentüpfelchen könnte einen Heinrich LXVII. von Reuß-Schleiz der Hälfte seines Landes berauben und sonst noch zu den intricatesten Grenzstreitigkeiten führen. Es giebt Stellen in Thüringen, wo auf ein von herzoglich gothaischem Gebiete laut in den Wald hinein gerufenes Wort gleichzeitig ein herzoglich sachsen-meiningisches, ein großherzoglich sachsen-weimar-eisenachisches und ein königlich preußisches Echo antwortet. – Hie und da ist noch dazu ein Bröcklein „fremdländisches“ Gebiet mitten in irgend ein anderes engeres thüringisches Vaterland, wie ein Meteorstein vom Himmel, man weiß nicht wie, hineingefallen. So könnte es einem arglosen Ferienreisenden, der etwa auf einer Fußwanderung nach dem auf gothaischem Grund und Boden romantisch gelegenen Oberhof ein Heft, vielleicht dieses Heft der „Gartenlaube“ aus der Tasche zieht, um lesend sich den Weg zu kürzen, leicht widerfahren, daß er plötzlich von einem Diener königlich preußischer Gerechtigkeit mit sammt seiner Lectüre, „im Namen des Gesetzes!“ confiscirt wird. Warum auch achtete er nicht des Fußpfades, der ihn mit einem einzigen unvorsichtigen Schritte hineintreten ließ in die königlich preußische Enclave Suhl, allwo, wie überall im Großstaate Preußen, die „Gartenlaube“, nach dem Beschlusse der Berliner Rota, auf den Index der verbotenen Schriften gesetzt ist? – Vor Kurzem wurde vor dem Schwurgerichte zu Gotha gegen einen Wilddieb, wegen Attentats auf einen Forstbeamten, ein Proceß verhandelt, der schon einmal, aus internationalen Competenzbedenken, auf mehrere Monate vertagt werden mußte, weil während der Verhandlung gewichtige Zweifel darüber entstanden waren, ob die Kugel, welche in der Nähe eines kurfürstlich hessischen Forsthüters in einen kurhessischen Baum eingeschlagen, von preußischem oder gothaischem Gebiete abgeschossen worden war. Um das herzoglich gothaische forum delicti zu begründen, mußte eine förmliche Grenzregulirung angeordnet und durch eine von einer besondern Commission bewirkte sorgfältige topographische Kartenaufnahme festgestellt werden, daß der Busch, hinter welchem der Wilderer sein Gewehr abgefeuert, kein königlich preußischer, sondern ein herzoglich sächsisch-coburg-gothaischer Busch gewesen, wenn auch die Kugel, bevor sie in’s Kurhessische gelangte, ein Stück königlich preußischer Luft pfeifend durchschnitten hatte. Und doch betrug die Distanz zwischen dem Schützen und seinem Ziel nicht volle 70 Schritte!

[571] Trotz alledem und alledem ist das Thüringer Land so voll neckischen Landschaftszaubers, so waldduftig und bergfrisch, daß der von so viel Herrlichem angemuthete Wanderer darüber leicht und gern jene buntscheckige Zerlapptheit vergißt. Er braucht ja eben vor Wald die – Schlagbäume nicht zu sehen.

Freilich, zu dem vielen Uebrigen jetzt noch gar ein Mecklenburg in Thüringen, das ginge wohl Manchem über den Spaß und über den Ernst! –

Möge sich indeß der Leser durch die Ueberschrift dieser Skizze nicht beunruhigen lasten. Es handelt sich hier nicht um ein mecklenburgisches Paschalik, das etwa plötzlich über Nacht, aus heiler Haut, durch Gebietstausch, Erbschaft, Verzicht, Verkauf oder irgend eine souveraine Laune, mit Mann und Maus an Mecklenburg gefallen wäre. Der Wanderer durch Thüringen hat, nach wie vor, nicht zu fürchten, daß in den aus grüngoldigem Waldesschatten hallenden Wettgesang von Drossel, Amsel, Finke und Nachtigall und was sich sonst aus schwanken Baumwipfeln vernehmen läßt, die Stockschläge einfallen könnten, mit denen im Lande der Obotriten die Nationalhymne auf der Kehrseite der Landeskinder, zur Belebung vaterländischer Gesinnung, taktirt wird.

Ich spreche von einer lieblich grünen Scholle thüringischer Erde, auf welcher ein gar trefflicher mecklenburgischer Poet, der für sein übervolles Dichterherz in seinem engern – ach nur zu engen – Vaterlande „kein Hüsung“ gefunden, sich sein Mecklenburg aufgebaut hat.

Wer von meinen Lesern wüßte jetzt nicht, daß ich von Fritz Reuter spreche? –

Aber die mecklenburgische Dichterenclave in Thüringen ist durch kein Farbenpünktchen auf der Karte markirt; kein Wegweiser streckt zuvorkommend den hölzernen Zeigefinger darauf hin; selbst der rothe Bädeker, der sonst Alles weiß, scheint nichts davon zu wissen, und die polizeilich concessionirten Führer durch den Thüringer Wald würden den Fremden groß ansehen, der sich bei ihnen erkundigte, wo denn Mecklenburgisch-Thüringen läge.

Ich hoffe daher, von den Wanderern durch das Thüringer Land werden gar manche mir Dank dafür wissen, daß ich ihnen mit diesem nicht gerade verstohlenen Fingerzeige den Versteck verrathe, hinter den Fritz Reuter sich zurückgezogen, um ungestört seiner Muse und seiner Muße zu leben. Wir Leute von der Feder sind nun einmal ein indiscretes Volk; was wir auf dem Herzen haben, das müssen wir uns auch vom Herzen herunterschreiben. Ich meine aber außerdem, daß so ein Poet „von Gottes Gnaden“, wie Fritz Reuter einer ist, gar nicht das Recht habe, incognito sich vor dem Volke verleugnen zu lassen, das ihn liebt und verehrt.

So bitte ich denn den Leser, mir und meiner Schilderung zu folgen.

Der vom Bahnhofe quer durch Eisenach wandernde Wartburgzügler gelangt über einen stattlichen Marktplatz, zwischen dem residenzlichen Schlosse und der lindenbeschatteten St. Georgskirche, vorüber an der blumengeschmückten Boutique einer „kohlensauren Jungfrau“ – wie der Berliner mit besonderer Genugthuung bemerken wird – an die „obere Predigergasse“, an deren Ecke ein großer goldener Pfeil im schwarzen Felde, mit der Ueberschrist: Nach der Wartburg“, ihm officiell die Richtung des Weges anzeigt, den er einzuschlagen hat. Doch der Wanderer braucht sich vom Pfeile nicht auch das Symbol der Schnelligkeit, wie es am Kragen der Telegraphenbeamten angedeutet ist, zu Gemüthe zu führen. Umgekehrt rathen wir ihm, sich hübsch Zeit zu lassen, damit er nicht außer Athem gerathe, und des Weges zu achten, der ihm reichlich lohnende Umschau und Rückblicke gewährt. Am Ende des kurzen Gäßchens schlägt er links den eigentlichen Bergpfad nach oben ein, auf den zur besondern Sicherheit noch ein zweiter, blitzgeschlängelter Pfeil hinweist. Hier befindet sich der Wanderer bereits einige 50 Fuß über der Sohle des Wartburgberges, bis zu dessen Kuppe hinauf er etwa noch 550 Fuß zu „klimmen“ hat, wie wir dem des Bergsteigens unkundigen und darum um so mehr auf dieses Abenteuer verpichten norddeutschen Ferienreisenden zu Liebe sagen wollen. Denn im Grunde ist das Steigen hier nicht gar zu schwer. Wenn der Wanderer nicht gerade ein hektisches Mädchen ist, oder ein kurzathmiger Staatshämorrhoidarius, oder ein langbeiniger englischer Tourist, oder ein greinender ungezogener Range wohlgezogener Eltern, der auch einmal reiten will, kann er sehr füglich des langohrigen grauen Saumthieres entrathen, das an der „Eselsstation“ gesattelt und gezäumt seiner Reiter und Reiterinnen wartet. – Dieser Station gegenüber, rechts an der Straße, liegt, am sanft sich abdachenden Berghange hingestreckt, der Eisenacher Friedhof, voll eingegrünter und beblümter Grabeshügel, aber leider auch besäet mit Aschenurnen, abgebrochenen Säulenschaften, Pyramiden und verhüllten Genien, deren schwülstig sentimentaler Zopfstyl an die sogenannten Buchdruckerstöcke auf den Büchertiteln aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erinnert.

Der Fremde wird indeß durch das „memento mori!“ am Wege sich nicht die Berglust verkümmern lassen, die seiner wartet.

„– – – Der Hauch der Grüfte
Steigt nicht empor in die reinen Lüste.“

Etwa 100 Schritte weiter und steiler aufwärts eröffnet sich links, über ein durch die dichtbewachsene hohe Laubhecke führendes Gartenpförtchen hinweg, dem Blicke ein eng gerahmtes landschaftliches Idyllenbild, wohl werth in dem Skizzenbuche oder der Erinnerung des Wanderers mitgenommen zu werden.

Der steilen Bergwand ist ein Garten abgewonnen, dessen saubere Kiespfade zwischen Blumenbeeten, Rasengrün, Sträuchern und Baumgruppen hinaufklettern bis an die tiefer dunkelnden Waldschatten und sich wiederum thalwärts senken zum nachbarlich traulichen Verkehr mit den Dächern, Schornsteinen und kleinen bescheidenen Gärten der unten am Bergsaume liegenden Häuschen. Ein in moosiges Gestein eingelassener Stufenweg führt vom erwähnten Pförtchen hinauf zu dem auf einen terrassirten Abhang keck hingestellten Schweizerhause, das uns mit seinen spiegelhell in’s Weite leuchtenden Fenstern, seinen vorspringenden Giebeln, Altanen und Erkern gar zuthunlich anheimelt. Das ist keine jener abgedroschenen, meist auch abgeschmackten Variationen über ein architektonisches Schweizerthema, wie man deren gegenwärtig, zum Ueberdrusse, und leider unpassend genug, im norddeutschen Flachlande, sogar in der kaum einige Zoll über den Horizont der Wasserlinie hervortauchenden Marschebene sieht oder auch – hört! Architektur ist ja, nach Schlegel, gefrorene Musik. Wir haben hier ein wirkliches leibhaftiges Schweizerhaus vor uns, von vorherrschend luftig leichter Holzconstruction und doch wohnlich warm und sicher an die schützende Bergwand gelehnt, wie es eben zweckmäßig und malerisch in die Berge hineinpaßt, auch wenn diese, wie unsere Thüringer Waldgebirge, keine Gletscherfirnen hinauf in den Himmel strecken. Allein, wie naiv dieser Bau auch das Typische des Schweizer Styles widergiebt, so verräth doch die Anmuth der Gliederung an Façade und Profil, vor Allem die arabeskenfeine, wie mit der Feder gezogene Zeichnung der schwebenden Gallerien, der Balkenknäufe, der hölzernen Träger und Simse an den weit vorspringenden Giebeldächern und die an den Mauern gar zierlich sich markirende Verriegelung des Gebälkes und der Holzständer eine feine künstlerische Hand, wenn nicht schon die aus der Stirnmauer unter dem linken Giebelfelde hervortretende, von einem Consol getragene Statue, einen altdeutschen Meister des Baugewerks im Style Peter Vischer’s darstellend, unverkennbar auf den Künstler hinwiese. Und in der That ist der Erbauer und Besitzer dieses Schweizerhauses derselbe Architekt, welcher die Restauration der Wartburg, nach Ritgen’s Entwürfen, geleitet hat – der Bauinspector Dittmar, ein Schüler Meister Ziebland’s in München.

Und wie gar idyllenfriedlich erscheint dieser Erdenwinkel erst dem Wartburgspilger, wenn derselbe zurückblickend das Auge weithin über die Landschaft schweifen läßt, auf welche die Fenster und Altane des Schweizerhauses hinabschauen; über die von üppig frischem Gartengelände umrankte Stadt Eisenach hinweg, in eine meilenweite, von der Eisenbahn durchschnittene fruchtbare Thalebene, mit Dörfern, Weilern, Waldungen und gleich grünen Landseen wogenden Halmfeldern, bis an die in wellenförmigen Linien übereinander sich thürinenden Höhenzüge. welche den von Erfurt in der Richtung nach Gerstungen und Lichtenfels dampfenden Schienenzug zur rechten Hand begleiten und unter denen kurz vor Eisenach die scharfprofilirte nackte Felswand des aus der Tannhäusersage bekannten Hörselberges auftaucht.

„Hier muß gut wohnen sein!“ dürfte gewiß mancher Wanderer, mit einer Anwandlung menschlich verzeihlichen Neides, ausrufen.

Nun, auch Fritz Reuter war der Meinung, daß das Fleckchen nicht gar übel wäre, sein „Hüsung“ darauf aufzuschlagen, und das hat er denn auch vollführt. Er haus’t mit seiner Gattin [572] im ersten Stock, während sein Wirth, Herr Bauinspector Dittmar, das Erdgeschoß des Schweizerhauses bewohnt.

Von den Tausenden norddeutscher Verehrer Fritz Reuter’s, die allsommerlich von Eisenach aus zur Wartburg aufsteigen, dürften nur wenige wissen, ahnen, wie nahe sie der Weg vorbeiführt an der Wohnung ihres plattdeutschen Lieblingsdichters, aus dessen Schöpfungen ihnen ein nie versiechender Quell herzerfrischenden Humors entgegensprudelt. Ueber das niedrige Gartenpförtchen hinüber könnte der Wanderer dankbar grüßend die Hand des Dichters drücken. Und wie Manchem von den heurigen Sommerreisenden, die seit einem vollen Jahre ohne alle weitere Nachricht geblieben sind über das Schicksal des wackern „Entspeckters Hawermann“, welcher bekanntlich am Ende des zweiten Bandes von „Ut min Stromtid“, durch den unverantwortlichen Leichtsinn des Windhundes Fritz Triddelsitzens in so unverdiente Schmach und Noth geräth, würde es nicht zur tröstlichen Beruhigung gereichen, aus des Dichters eigenem Munde zu erfahren, daß endlich Alles in dem nächstens die Presse verlassenden dritten Bande zu einem glücklichen Ausgange führt und daß auch der engherzige Zamwell Pomuchelskopp seinen Lohn und seine Prügel erhält! –

Ich habe diesen Wohnsitz Fritz Reuter’s als eine mecklenburgische Enclave mitten in der bunten, thüringischen Vielherrschaft bezeichnet, als ein Mecklenburg in Thüringen. Ist das eine poetische Licenz, so hat mich eben der Poet zu dieser Licenz berechtigt.

Fritz Reuter hat in der That sein Vaterland mit nach Thüringen genommen, nicht an seinen Schuhsohlen, aber in seinem volkstreuen Herzen. Er fand eine waldfröhliche Scholle am Fuße der Wartburg und mit dem Rechte des souverainen Dichters, dem die Welt gehört, hat er für Mecklenburg davon Besitz genommen. Freilich nicht für das berüchtigte Stock-Mecklenburg, an dessen Grenzen sich der Wanderer, wenn er nicht etwa Weinreisender ist, scheu vorüber drückt, sondern für jenes Mecklenburg, das in Leid und Lust, in Sitte und Sprache eines gemüthsinnigen Volkslebens, dem Dichter Geburt- und Heimstätte gewesen und ihm eine unwandelbare Seelenheimath geblieben ist.

Und welche Wunder weiß nicht so ein Poet mittels des Zaubers schöpferischen Humors zu vollführen!

Vor den Fenstern seines Arbeitszimmers rauschen und wogen die Baumwipfel aus tiefem Felsengrunde; von seinem Schreibtische aber schaut er sinnenden Blickes, das Herz voll Heimweh und Heimlust, hinein in die weitgestreckten fetten Bodenflächen Mecklenburgs. Gehöfte und Dörfer tauchen auf mit landwirthlich derben Staffagen um Haus und Scheuer, mit Eggen, Pflügen, Rüstwagen, Düngerhaufen, Pfützen, mit Pferden kräftig runden Schlages, breitgehörnten, feisten Rindern, grunzenden Schweinen, mit gänsebrüstigem und sonstigem Federvieh, überhaupt Allem, was zum lebenden und todten Inventarium einer ländlich mecklenburgischen Idylle gehört. Aus den frisch gerissenen Furchen des Sturzackers duftet der Brodem mecklenburgischer Erde. Zwischen Pappeln und geköpften Weiden schleicht eine Landstraße über die weite Ebene dem Horizont zu. Eine Postkutsche arbeitet sich eben durch das tief ausgefahrene Geleise hindurch. Der Schwager wird wohl nichts dagegen haben, daß die Phantasie des Dichters als „blinder Passagier“ aufhockt. Das Fuhrwerk fliegt nur um so rascher dahin. Hat doch der Poet seinen Pegasus mit vorgespannt. Da grüßen schon über enggedrängte Giebel und Dächer hinüber die Thürme von Malchin, Parchim, Dömitz, „Bramburg“, „Stemmhagen“. Das alte Vaterhaus erschließt sich dem Dichter. Er streift durch die Straßen, in denen sich die Erinnerungen seiner Kindheit tummeln; er besucht alte Schulfreunde, Nachbarn und wunderliche Käuze seiner Bekanntschaft. Die Meisten deckt längst das Grab, dem Dichter aber leben sie. Von allen Seiten umtönt ihn das landsmännische Plattdeutsch in voller Treuherzigkeit und Einfalt altväterisch ererbter Ausdrucksweise und doch wiederum so voll natürlichen Humors und lebendigen Volkswitzes. Die patriarchalische Idylle, wie sie in Mecklenburg noch zu Hause ist, der bürgerliche Lebensroman, wie er dort in räumlich und social eng zugeschnittenen Verhältnissen sich abspinnt, die ergötzliche Schnurre etc., das Alles zieht in bunten Erlebnissen und Gestalten an des Dichters geistigem Auge vorüber und doch in der ganzen Frische der Gegenwart, als wär’s noch greiflich, unmittelbar, blutwarmen Hauches. Und was er so schaut und empfindet, schreibt Fritz Reuter aus seinem Herzen und seinem Tintenfasse mittheilsam nieder im ehrlichen Platt, auf daß feine plattdeutschen Mitmenschen sich daran erbauen und ergötzen. Die Hinstorff’sche Hofbuchhandlung in Wismar und Luwigslust aber läßt es in Rostock drucken auf etwas gar „grisem“ Papier, das an die alten deutschen Volksbücher „gedruckt in diesem Jahre“ erinnert, als wollte der Verleger auf diese Weise seines Autors Volksthümlichkeit noch besonders illustriren, was er gar nicht nöthig hat.

Fritz Reuter’s Bücher sind in Tausenden und Abertausenden von Exemplaren, in immer neu sich folgenden Auflagen, über das weite Sprachgebiet des plattdeutschen Idioms und noch weit darüber hinaus gewandert; über die preußischen Marken und Pommern hinauf gen Osten, wo an der Weichsel der in plattdeutscher Volksmundart gebotene Tagesgruß der dankenden Erwiderung in slavischer Zunge begegnet, und höher hinauf über den Pregel hin, wo an einem Tische in der Dorfschenke nicht selten plattdeutsche „Dönchen“ mit litthauischen Dainos wechseln. Dann wieder westwärts, hin über Niederelbe und Weser, über den braunschweigischen und hannoverschen Harz, hinunter bis an den friesischen Küstensaum, dann abwärts über das Münsterland zum Niederrhein, überall allüberall sind Fritz Reuter’s Schriften die Zierde des Familien-Bücherschrankes und die zerlesensten Bücher der Leihbibliotheken. Auch im europäischen Auslande, auch jenseits des atlantischen Oceans, in New-York, am Mississippi, Missouri, in Californien, inmitten der mexikanischen Sierren, in Honolulu, in der Havanna, kurz wohin nur Mecklenburger und Hamburger Kinder, Schleswig-Holsteiner, Hannoveraner, Oldenburger etc. von Geschäftswegen verschlagen Worten sind, wird jede neue Schrift Fritz Reuter’s mit Jubel begrüßt als ein treuer Bote, der gar viel Herziges und Anmuthendes aus der fernen Heimath zu erzählen weiß.

Für seine des Plattdeutschen kundigen Landsleute ist Fritz Reuter ein Dichter am häuslichen Heerde geworden.

Ich nenne ihn einen Dichter, obwohl gerade die dem Leser sylbenweis zuscandirten und in Reime gefaßten Dichtungen – ich nehme die im Einzelnen so wunderliebliche „Bagel- un Minschengeschicht: Hanne Nüte“ nicht aus – nicht das Bessere sind, was Fritz Reuter geschrieben hat; ich nenne ihn einen Volksdichter, wenn auch kein Lied von ihm im Munde des Volkes lebt. Er darf in seiner Weise dem Franzosen Beranger dreist das Wort nachsprechen: „Le peuple c’est ma muse!“ – Hat doch in der That Fritz Reuter bereits seinen tönenden Rhapsoden gefunden! Ich erinnere an den Mecklenburger Schulmeister, der vor Kurzem eine förmliche Kunstreise durch einen Theil von Norddeutschland gemacht hat, um vor einem großen, entzückt lauschenden Publicum, wie z  B. in Hamburg, Erzählungen von Fritz Reuter mit dem echten Accent und in der naiven Tonart des Mecklenburger Platt vorzutragen. In einer Residenz – ich glaube in Schwerin war’s[WS 1] – wurden ihm sogar die Vorlesungen von Polizeiwegen verboten, weil dieselben dem Besuche des Theaters Abbruch thaten.

Man kann aber außerdem sicher sein, fast in jedem geselligen Kreise des nördlichen Deutschland Jemanden zu finden, der sich auf seine Virtuosität im Vorlesen Reuter’scher Dichtungen etwas zu Gute zu thun weiß und der für alle Fälle einen Band derselben in der Tasche mit sich führt. Selbst in vornehmen Cirkeln, wo sonst Musik, Aesthetik und die Phrase des höheren Schliffs herrscht, ist mit Fritz Reuter das Plattdeutsche mehr als blos salonfähig geworden; es ist an der Tagesordnung oder – um mich correct auszudrücken – an der Abendordnung der Salons. – Ich bin in Hamburg auf einer Soirée eines mit Millionen an der Bank bezifferten Hauses gewesen. Die glänzenden und zugleich comfortabel eingerichteten Gesellschaftsräume zeugten von jenem feinfühligen Geschmack, den der prahlende, beutelstolze Parvenu sich nimmer aneignen wird. Der prachtvolle Flügel war geöffnet. Auf dem Notenpulte lag eine Chopin’sche Etüde aufgeschlagen und harrte der kunstfertigen Finger der Dame vom Hause, die, wie mir bekannt, mit einer an Meisterschaft grenzenden Virtuosität ihr Instrument zu beherrschen wußte. Es fehlte auch nicht an einer Sängerin, deren seelenvollem Augenaufschlage man es ansehen konnte, daß sie sich für Mendelssohn’s „Auf Flügeln des Gesanges“ im Voraus stimmte; auch war ein tüchtiger Baryton da, mit dem sie aus classischen und neueren Opern manch reizendes Duett beifallssicher vortragen konnte. Ein Cello lehnte in einer Ecke neben einem Violinkasten. Es war sichtlich Alles auf einen musikalischen Abend eingerichtet.

Da zog einer der Gäste, der als leidenschaftlicher und auch guter Fritz Reuter-Vorleser bekannt war, einen Band der „Olle [573] Kamellen“ aus der Tasche, Einigen aus der Gesellschaft vertraulich mittheilend, er habe das Buch für den Nothfall mitgebracht, um unter Umständen eine Lücke im Repertoir der Unterhaltung damit auszufüllen. Aber der Name „Fritz Reuter“ und „Olle Kamellen“ war von den Nächststehenden gehört, das Buch gesehen worden, und „Fritz Reuter“ und „Olle Kamellen“ ging es von Mund zu Mund durch den Saal. Bald war der erwähnte Herr von der ganzen Gesellschaft umdrängt. „Bitte, bitte, vorlesen!“ klang’s von allen Seiten. Das dringende Ersuchen des Herrn und der Frau vom Hause, welche letztere liebenswürdig auf die eignen Lorbeeren verzichtete, um ihrer Gesellschaft und ihrer selbst willen – denn auch sie gehörte zu den Verehrern Fritz Reuter’s – machte dem höflichen Sträuben, das der Gast der Erfüllung dieses Wunsches entgegensetzte, ein Ende.

So wurde denn aus der projectirten musikalischen Soirée mit Chopin, Mendelssohn, Figaro’s Hochzeit, Casta Diva und was sonst noch – ein plattdeutscher Fritz Reuter-Abend. Wohl an zwei Stunden hing die Gesellschaft am Munde des Vorlesers, in stetem Wechsel von heiterem Lachen und tiefer Rührung, die auf allen Gesichtern lag und in leisen und lauteren Ausrufen sich kund gab. Ein eigenthümliches Phänomen aber war es, wie nachher an der mit fürstlichem Luxus servirten Tafel, in einer der gewähltesten Gesellschaften Hamburgs, wo sonst ein unvorsichtig ausgestoßenes plattdeutsches Wort betrachtet wurde wie etwa eine plebeje Matrosen-Theerjacke, die sich in einen eleganten Cercle gedrängt, hinüber und herüber plattdeutsche Scherzworte gewechselt wurden. Selbst junge Damen, denen man noch die französische Pension anmerken konnte, bewiesen ohne Scheu ihre Geläufigkeit im hamburgschen, dem mecklenburgschen geschwisterkindlich ähnlichen „Pladddütsch“, das sie als Kinder noch mit den altbürgerlichen Großeltern, mit Amme und Dienstboten geplaudert. Und je kleiner und rosiger der Mund, um so allerliebster stand ihm das treuherzig neckische Platt.

So weiß Fritz Reuter mit der Wünschelruthe Poesie das Herz des Volkes auch in jenen Schichten zu finden und zu rühren, die als höhere Gesellschaft ihr Leben von dem Leben des Volkes getrennt haben. Was unser Schiller in seinem Liede „An die Freude“ singt:

„Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt,“

das gilt auch von der wahrhaften, aus freudiger Seele quellenden Volkspoesie.

Fritz Reuter’s Wohnung am Fuße der Wartburg.

Diese allgemeine Volksthümlichkeit verdankt Fritz Reuter lediglich seinem treuen Humor, der den Kern seines ganzen innern Menschen bildet. Er ist ein echter Poet, weil er ein echter Humorist ist. – Es ist unsern Aesthetikern noch nicht gelungen, den Begriff des Humors in faßlicher, erschöpfender Definition festzustellen; der Humor spottet eben humoristisch der haarspaltenden Gelehrsamkeit, die sein ungebundenes Wesen in ein trockenes Schema hineinzwängen will. Und wenn wir Fritz Reuter selbst fragten, wie er denn eigentlich seinen Humor zu Wege bringt, er würde uns kein anderes Recept geben können, als dieses: „Nimm einen Bogen Papier, eine Stahlfeder oder auch nach Belieben einen Gänsekiel, befeuchte diesen von Zeit zu Zeit mit einigen Tröpfchen Tinte und schreibe nieder, was dir Kopf und Herz dictiren. Punctum!“ Aber was bedarf auch die Welt der Definition des Humors! An seinen Werken erkennt sie den Humoristen, der den schlummernden Humor in ihrem eignen Herzen weckt. Das ist genug. –

Fritz Reuter hat nicht, wie Cervantes, die Welt mit einer unsterblichen, tragikomischen Figur des übermüthigen Humors beschenkt; er hat nicht – um lieber von einem gar trefflichen deutschen Humoristen zu reden – wie Carl Immermann in seinem „Münchhausen“, ein amnuthig inniges Liebesleben von duftig poetischem Hauche in eine Arabeske hineingezeichnet, aus deren wilden Ranken, Blüthen und Blättern uns gar märchenhaft närrische Zerrbilder anlachen. Nirgends in seinen Schriften begegnet uns eine Carricatur, die in allegorischer Uebertreibung der menschlichen Thorheit spottet; nirgends führt er uns Verhältnisse und Schicksale vor, die über die Sphäre bürgerlicher Möglichkeit hinaus sich in’s Abenteuerliche verlieren oder für die nur der Dichter den Glauben seiner Leser fordern kann. Die Menschen, wie sie uns aus Fritz Reuter’s Büchern entgegentreten, kommen uns in ihren Physiognomieen, ihrer Haltung, Sprechweise und ihrem Behaben, selbst in ihrer Kleidung so bekannt vor, als müßten wir sie schon irgendwo gesehen haben, oder als könnten wir denselben jeden Tag begegnen. Auf gleiche Weise nimmt das Schicksal dieser Menschen, das Fritz Reuter im bunten Wechsel von heiteren und ernsten Verwicklungen vor unseren Augen sich abspinnen läßt, den Verlauf eines gewöhnlichen Alltagsschicksals an, wie es nun einmal in den enggezogenen [574] Verhältnissen des Kleinlebens „ländlich – sittlich“ zu sein pflegt. – So bin ich vor Kurzem noch in Gotha von einem Verehrer Fritz Reuter’scher Schriften, für dessen Ungeduld der dritte Band von „Ut min Stromtid“ gar zu lange auf sich warten ließ, alles Ernstes, als ob es sich um wirkliche Lebensverhältnisse handelte, gefragt worden, ob ich nicht wüßte, ob der Herr von Rambow auf Pümpelshagen doch am Ende durch seine steigenden Geldverlegenheiten genöthigt sein werde, sein Gut an den gemeinen Kerl, den Zamwell Pomuchelskopf, gegen einen Spottpreis abzutreten, oder ob vielleicht der Jude Moses noch einmal sich herbeilassen werde Geld vorzuschießen. – Ich wußte dem Herrn keine bessere Antwort zu geben, als daß ich ihm achselzuckend bemerkte, ich müßte über diese Angelegenheit noch ein discretes Schweigen beobachten – wobei derselbe sich denn auch beruhigte.

Aber das ist eben das Verdienst Fritz Reuter’s, daß er seine Schöpfungen zu Erlebnissen seiner Leser macht, daß er diese zur Mitleidenschaft, zur Theilnahme an dem Geschicke schlichter Menschen zwingt, an denen sie sonst kalt und theilnahmlos vorübergehen. Die optische Täuschung, daß der Leser selbst zu finden glaubt, was der Dichter für ihn gefunden, ist eben der Triumph des Dichters.

Fritz Reuter nimmt die Menschen wie sie sind, aber wie sie sich nur den humanen Anempfindungen des Humoristen offenbaren. Die Gestalten treten aus des Dichters schöpfungsfreudiger Seele wie aus einem goldig lichten Hintergrunde hervor. Ein mild ironischer Zug umspielt selbst die trüben Ereignisse, die der Dichter ebensowenig wie das Leben seinen Menschen ersparen kann. In Fritz Reuter’s Dichtungen ist nirgends etwas Weinerliches, ungesund Sentimentales. Auch in verzweifelten Lebenslagen erscheinen die komischen und naiven Persönlichkeiten in der vollen Komik und Naivetät ihres Wesens, dessen sie sich nun einmal nicht entäußern können. Es hilft dem Leser nichts – er mag noch so gerührt und erschüttert sein – er muß unter Thränen lächeln, vielleicht auch lachen. –

Hat doch auch der freudig goldige Glorienschein des Humors das Haupt des Dichters umleuchtet in den Kasematten preußischer Festungen, wo er, zu vieljähriger Gefangenschaft anstatt der Todesstrafe begnadigt, das Verbrechen abbüßen sollte als studirender Jüngling nutzlos für die deutsche Einheit geschwärmt zu haben. Man schrieb damals die dreißiger Jahre, in Preußen regierte Friedrich Wilhelm III., und Herr v. Kamptz führte die politischen Untersuchungen.

Die elende Philisterseele, die Fritz Reuter’s von Humor übersprudelndes und doch so rührendes Buch „Ut min Festungstid“ ohne Lachen, ohne Thränen und ohne Ingrimm lesen könnte, verdiente einen besonderen Ehrenplatz unter den Amphibien der vorzüglichsten aller zoologischen Gärten Deutschlands.

[586]
II.

Eins freilich haben wir an Fritz Reuter’s Schöpfungen zu beklagen, den Umstand, daß diese niemals das Eigenthum der ganzen Nation werden können, wie etwa – um von den Schriften eines Zeitgenossen zu sprechen, die einem Vergleiche nahe liegen – die Schwarzwälder Dorfgeschichten Berthold Auerbach’s ganz Deutschland angehören. Wo das plattdeutsche Idiom nicht mehr verstanden wird, da ist auch die Grenze des nationalen Verständnisses für die Bücher Fritz Reuter’s. – Ich will damit nicht behaupten, [587] daß die Reuter’schen Schriften sich überhaupt nicht in’s Hochdeutsche übertragen lassen – es wäre nichts leichter als das – aber mit einer derartigen Uebersetzung würde der Zauber innig naiver und darum so humoristischer Naturwahrheit, vor Allem jene liebenswürdige Ironie verloren gehen, die aus dem Contraste des derb ehrlichen Plattdeutsch gegen die fein abgeschliffene hochdeutsche Sprechweise, wie eine Art kulturhistorischer Neckerei, uns aus jedem Satze der Dichtungen Fritz Reuter’s schalkhaft anlacht. Würde z. B. nicht die dem Leben förmlich gestohlne Figur des „Entspeckters“ Bräsig, der in seiner „gebildeten“, zwischen Hoch- und Plattdeutsch bedenklich schwankenden Conversation, trotz einem Wrangel, die haarsträubendsten Attentate gegen die deutsche Grammatik und die reichlich gebrauchten Fremdwörter begeht, würde in hochdeutscher Uebersetzung diese unnachahmlich köstliche Gestalt nicht ihrer ganzen vis comica, wie der Gelehrte sagt, geradezu entkleidet werden?

Eine Uebertragung der Reuter’schen Schriften in’s Hochdeutsche wäre kaum etwas Anderes, als wollte ein Maler die Meisterwerke der niederländischen Schule derartig copiren, daß er die Composition treu in den Linien nachzeichnete, die derb natürlichen Localfarben aber in ein klassisch italienisches Colorit transponirte. Man denke sich eine Bauernschlägerei von Adrian van Ostade oder eine fröhliche Kneiperei in einer Dorfschenke von David Teniers in dem keuschen Colorite Rafaelischer Madonnen- und Heiligenbilder dargestellt!

Ich meine darum, es wäre gerathen, auf die Kehrseite der Titelblätter zu Fritz Reuter’s Büchern, statt der gegenwärtigen warnenden Affiche: „Die Uebersetzung in’s Hochdeutsche wird Vorbehalten“, in Zukunft, bei allen ersten und allen neuen Auflagen anzuzeigen: „Jedwede Uebersetzung in’s Hochdeutsche wird verbeten!“

Unsern des plattdeutschen Idioms nicht kundigen Landsleuten jedoch, die offene Sinne und Herzen für erquickliche Volkspoesie haben, können wir nur den Rath geben, sich um den Sprachschlüssel zu bemühen, der ihnen Zugang zu den goldenen Schätzen verschafft, die in Fritz Reuter’s Schriften geborgen liegen und die der Dichter auch in seinem thüringischen Mecklenburg mit vollen Händen zu Tage fördert.

Wir aber wollen an Fritz Reuter nicht blos den ihm innewohnenden Humor des Poeten, sondern auch den Humor der weltrichtenden Geschichte verehren, der sich an ihm offenbart. Man nenne den Namen Fritz Reuter’s neben dem Namen eines Grafen Hahn, eines Ritters Nußbaum von Zieseldorf, eines Prügel-Blanck und was unter dem Zeichen des ¾ zölligen und 1½ elligen Stockes wahlverwandt dahin gehört; man vergleiche das Mecklenburg des Junkerthums mit dem Mecklenburg des Volkes, wie es gemüthsinnig und charaktertreu in Fritz Reuter’s Schriften sich darstellt, und man wird mich verstehen. – Diese mecklenburgischen Junker, alten und ältesten Stammbaumes, wie sie immer mit dem Vollblut-Viergespann, das stolze Wappen am Kutschenschlage, begleitet von galonnirten Lakaien in weißen Cravatten und Handschuhen und mit allen andern Schaustellungen einer bornirt hochmüthigen Aristokratie paradiren mögen, sie haben Alles gethan, um aus ihrem Vaterlande ein Pasquill zu machen, das dem deutschen Patrioten das Blut brennender Schamröthe in’s Gesicht treibt, während das Ausland hohnlachend darauf hinweist. Sie haben Mecklenburg so tief erniedrigt, daß selbst der wandernde Handwerksbursche sich schämt auf der Herberge zu bekennen, daß er ein geborener Mecklenburger sei, um nicht dem Spotte und den Hänseleien seiner Mitgesellen zu verfallen. – Da tritt ein schlichter Mann aus dem mecklenburgischen Volke auf, der von seiner Studienzeit her in den schwarzen Büchern der politischen Polizei als Hochverräther notirt ist, der lange Jahre hindurch als politischer Verbrecher die Leiden des Kerkers mit der Aussicht auf ewige Gefangenschaft erduldet hat, und dieser Mann, der seine Heimath liebt, trotz alledem und alledem, zwingt die öffentliche Meinung Deutschlands anzuerkennen, daß es noch ein anderes Mecklenburg als das der Junker giebt, welches der Achtung, der Theilnahme, ja der Liebe des Gesammtvaterlandes werth ist, schon um des Dichters willen. Mecklenburg verdankt seine Ehrenrettung dem Humor Fritz Reuter’s!

Wie hoch über dem erbarmungswürdigen Junkerthume steht der Poet, der keine Ahnung davon hat, daß er mit seiner Feder eine geschichtliche Mission erfüllt!

Fritz Reuter ist kein politischer Schriftsteller wie seine beiden wackeren Landsleute, Moritz und Julius Wiggers; kein Tendenzdichter. Mit menschlich heiterem Seelen- und Federzuge schildert er das Kleinstadtleben, die ländliche Volksidylle der Heimath. Aber gerade dieser harmlos menschliche Humor straft, als spräche er in den zürnenden Flammenworten der Propheten des alten Bundes, diejenigen, die durch den Mißbrauch angemaßter Gewalt ihr Vaterland und ihr Volk schänden und dem Spotte der Welt preisgeben. Aus dem tiefen Grunde der Reuter’schen Dichtungen taucht die Nemesis der Geschichte auf, die nicht blos im antiken ionischen und dorischen Dialekte, sondern auch im mecklenburgischen Platt ihr vernichtendes Urtheil spricht.

Und das ist auch Humor!




Doch, da lasse ich meine Leser wohl eine gute halbe Stunde vor dem Eingangspförtchen zu dem thüringischen Mecklenburg stehen und „klöne“ mit denselben über Fritz Reuter’s Schriften, statt sie zu diesem zu führen und ihnen den Dichter in seiner „Hüsung“ zu zeigen.

„Also, meine Herrschaften, bitte mir zu folgen!“ wie der Führer oben auf der Wartburg sagt, sobald er beim Ueberzählen der auf dem Burghöfe wartenden Fremden das Dutzend voll findet – Kopf für Kopf fünf Silbergroschen.

Gleich der Eintritt in das Schweizerhaus zeigt uns, daß das Innere dem gefälligen Aeußern entspricht. Die gebohnte helle Treppe, die wir Hinansteigen, der heitere Oelfarbenanstrich der Wände, die spiegelnden Fenster, das feste und doch zugleich zierliche Holzwerk an Thüren, Pfosten und Simsen, das Alles erinnert an die behäbige Kajütensauberkeit eines Seedampfers. Weniger nautisch gebildete Besucher pflegen ein solches Haus ein wahres Schmuckkästchen zu nennen.

Wir schellen an der mit dem Namen „Fritz Reuter“ bezeichneten Thür. Sie öffnet sich; eine Magd tritt uns entgegen, die frappant einer weiblichen Figur am Gallion eines Kauffahrteischiffes aus älterer Zeit gleicht – derb, aus Eichenholz mehr gehauen als gemeißelt, das Haar über dem Kopf verknotet, das Gesicht mit gesunder rother Oelfarbe blank bemalt, die Gewandung crinolinlos, von einem Faltenwurfe, an welchem die Axt des Schiffszimmermannes ihr ehrlichstes Stück Arbeit geliefert zu haben scheint. – Aber bei alledem erscheint sie in so fragwürdiger Gestalt; wir reden doch mit ihr.

„Herr Doctor Reuter zu sprechen?“

Mais oui!“ antwortet das Gallion in einem tiefen, rauhen Contra-Alt, „mais oui, Monsieur le Docteur est chez lui“ – oder akustisch genau: „Möh fui! Mussjö lö Tocteur ö schö lui“ – „der Herr Toctor sein zu Hause“ – „ö moa schö swi la canzötsch (la concierge)“ – „in dieser Hinsicht werde ich Ihnen melden.“ „Attendöss uhn pö ssil vous plö!“ – „thun Sie nur etwas warten!“

Wie, hören wir recht? Da lacht uns ja schon an der Schwelle zu des Humoristen Wohnung ein ganzes Mirakel von Humor entgegen! Die Thürhüterin des plattdeutschen Fritz Reuter ein altes Schiffsgallion, das französisch spricht – und welch ein Französisch! und wiederum ein Hochdeutsch, das uns, wie aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammend, gespensterhaft anklingt. Beim Himmel, ist das gleich Tollheit, so ist kaum Methode darin!

Aber wir werden in unserm heitern Anstaunen unterbrochen durch eine milde Frauenstimme, die an der weit sich öffnenden Zimmenhür uns freundlich zum Eintreten nöthigt. Diese Stimme gehört der Frau Doctor Reuter an, die eine fernere Verhandlung mit der wunderlichen Erscheinung abschneidet. Bei Reuter’s wird nicht antichambrirt, wenn auch Mademoiselle la concierge, die wir noch besser kennen lernen werden, etwas gar förmlich die Honneurs an der Hausthüre macht. Eine feste, breite Männerhand streckt sich uns zum herzlichen „Willkommen!“ entgegen. Es ist Fritz Reuter.

Fritz Reuter, geboren zu Stavenhagen im Mecklenburgischen – wann? ja wann post Christum natum?– Zu meiner Schande muß ich gestehen: „Ich weiß nicht mehr das Datum,“ wenn ich’s überhaupt je gewußt habe. Fritz Reuter hat mit mir niemals über seinen Geburtstag gesprochen; ein Conversationslexicon neuester Auflage – es ist noch die Frage, ob Reuter darin steht – habe ich nicht zur Hand und ich erinnere mich auch nicht aus Reuter’s Schriften, daß er irgendwo über Jahr und Tag seiner Geburt spricht. Nach ungefährer Schätzung wird er eben die Mitte der Fünfziger überschritten haben. Aber ich will ja auch dem Leser hier [588] keine Biographie Fritz Reuter’s geben – die bleibe eben dem Conversationslexicon und der Literaturgeschichte vorbehalten – sondern so eine Art photographisches Bild, wie Verehrer und Verehrerinnen eines Schriftstellers es gern in ihr Album einreihen. Und ich meine Fritz Reuter hinlänglich zu kennen, um ein solches Momentbild, ohne alle Retouche, rein nach der Natur zu liefern.

Ob er mir aber, inmitten seiner häuslichen Umgebung, zu dem Bilde sitzen will? – Bah! fragt der Criminalrichter den eingelieferten Inquisiten, ob dieser für den eventuell zu erlassenden Steckbrief dem Photographen sitzen will?

Auch die Popularität hat ihre Steckbriefe. –

Ich glaube nicht, daß die Verehrer Fritz Reuter’s – selbst der phantasiereiche weibliche Theil derselben – beim ersten Begegnen mit diesem sich durch seine Erscheinung überrascht oder enttäuscht fühlen werden. Und doch sieht Fritz Reuter gar nicht aus wie ein Poet oder etwas dergleichen. Weder sein Gesicht, noch seine Kleidung, noch sein Behaben zeigen etwas von „der Sekte prahlerischer Tracht“. Er ist eben ein leibhaftiger Mecklenburger in Lebensgröße. Wenn er uns, eine kurze Pfeife im Munde und Stock in der Hand, auf einem Gutshofe oder einem Feldwege begegnete, würden wir ihn für einen Pächter oder Inspector halten. Die Statur gedrungen, etwas zum Embonpoint neigend; dem vollen, runden, von einem blond und grau gemischten Vollbarte eingefaßten Gesichte ist das Gepräge grundehrlicher Offenheit aufgedrückt. Um den Mund spielt ein Zug, dem man die Neigung zum Lachen ansieht; aber die gutmüthig milden, blauen Augen haften dafür, daß aus Fritz Reuter nur der wahrhaft menschliche Humor lacht.

Darf der Dichter der „Olle Kamellen“ anders aussehen? Tritt er uns nicht in dieser Gestalt aus jeder Zeile seiner Schriften entgegen, im innigen Verkehr mit dem Volke, das er so wahr und warm zu schildern weiß? Ist er uns, auch wenn wir ihm zum ersten Male die Hand drücken, nicht bereits ein alter lieber Bekannter? – Wer sich Fritz Reuter’ anders gedacht hat, der hat ihn auch nicht verstanden und wird ihn nimmer verstehen.

Wie im Aeußern, so ist Fritz Reuter auch in seiner Unterhaltung schlicht und ungezwungen. Er liebt es nicht, viele Complimente zu hören oder zu machen. Aber feinfühlig und taktvoll ist er weit von jener rüden Ungenirtheit entfernt, die der Welt zumuthet, den Mangel an Lebensart, ja geradezu die Flegelei, als Ausdruck biderb germanischer Offenherzigkeit anzuerkennen. – Es verkehrt sich gar bequem mit Fritz Reuter. Eine durchaus gesellige Natur, liebt er es, bei der Flasche, im Kreise von Bekannten und Freunden heiter sich zu ergehen. – Fritz Reuter hat eigentlich nicht die Gabe des Witzes, ebensowenig in seiner Unterhaltung, wie in seinen Schriften. Die Pointe, das Schlagwort, das Aperçu stehen ihm nicht zu Gebote. Ich möchte sagen, er ist zu human, um witzig zu sein. Um so mehr weiß er, wie in seinen Büchern, so auch im Leben, das eigentlich komische Element den Menschen und den Dingen abzusehen und abzufühlen. Statt kurzer scharfer Einfälle giebt er gleich ganze ergötzliche Gestalten und Erzählungen, welche die heitere Aufmerksamkeit seiner Zuhörer zu fesseln wissen.

Fritz Reuter liebt es, aus seinen Schriften vorzulesen; meistens kommt er dem Wunsche der Gesellschaft damit entgegen.

Es ist dieses etwas sehr Bedenkliches. Mich wenigstens überläuft es stets kalt, so oft ich einen Autor – ich nehme selbst berühmte nicht aus – Miene machen sehe, aus einem Manuskripte oder einem seiner gedruckten Werke vorzutragen. Denn abgesehen davon, daß Schriftsteller gewöhnlich schlechte Vorleser sind, spricht sich fast immer bei solcher Gelegenheit eine unerquicklich krankhafte Selbstüberschätzung, jener Unsterblichkeitsrappell aus, an dem selbst Autoren leiden, die bedeutend genug sind, um bescheiden sein zu dürfen. Mit dem viel citirten Worte: „Nur die Lumpe sind bescheiden!“ hat Goethe viel Unheil angerichtet.

Dieses peinlichen Gefühls sind wir bei Fritz Reuter enthoben.

Allerdings liest auch er mit sichtlichem Behagen. Aber es drückt sich nicht darin das eitle Sichgernhören, das Bespiegeln in dem eigenen Machwerke aus, sondern die Lust und Freude an den Gestalten seiner Feder, mit denen der Humorist aufs Innigste verwachsen ist, die ein Stück seines Wesens sind. Wer mißgönnt dem Schöpfer die Freude an seiner Schöpfung? Dazu klingt in dem volltönenden biegsamen Organe Reuter’s das Mecklenburger Original-Platt so gar zuthunlich, daß man mit Freuden länger zuhört, als es sonst ein Vorleser beanspruchen darf.

Es wäre aber auch schlimm, wenn die Gäste, die Fritz Reuter bei sich sieht, sich an seinem Vorlesen satt hören könnten. Niemand würde darüber mehr verstimmt sein, als Frau Luise Reuter, nicht sowohl aus Eifersucht auf den Autorenruhm ihres Gatten, als auf die Leistungen ihrer Küche.

Ich weiß, Frau Reuter wird fraulich schüchtern erröthen, daß auch ihrer hier öffentlich Erwähnung geschieht. Aber als eines „Preisters Döchting“ muß sie wissen, daß die Frau nun einmal berufen ist, Leid und Freud mit dem Manne zu theilen. Eines Poeten Weib vor Allem muß sich’s schon gefallen lassen, daß einige Blätter aus dem Lorbeerkranze ihres Gatten auch auf sie fallen. – Wie Fritz Reuter seine plattdeutschen Penaten, so hat Frau Luise vom häuslichen Heerde in Mecklenburg das gastliche Feuer nach dem Thüringer Walde getragen, um daran die heilige Flamme der fernen Heimath wieder zu entzünden. Prosaisch ausgedrückt heißt das, daß neben der patriarchalischen mecklenburgischen Gastlichkeit bei Reuters auch noch die mecklenburgische Küche zu Hause ist. Und wer diese kennen gelernt, weiß, daß ihre Leistungen nirgend in Deutschland, selbst in Hamburg nicht, übertroffen werden. Das mecklenburgische Volk hat ja bis heute keine andere Magna charta, als sein Kochbuch! Diese Charte ist eine Wahrheit. – Aber auch jeder Winkel der Reuter’schen Wohnung zeugt von dem feinsinnigen Geschmacke der Hausfrau, die mit geistvoller Lebendigkeit sich an dem Gespräche der Männer betheiligt, ohne eine Spur von jener wirthlich geschäftigen Hast zu zeigen, die den Fremden, der sich als Gegenstand der hausfraulichen Sorgen weiß, eher beunruhigt als befriedigt. Das Gesellschaftszimmer, vor dessen Fenstern und Altane sich das bereits geschilderte anmuthige Landschaftspanorama aufrollt, und die daranstoßenden offenen Gemächer sind mit einem Comfort eingerichtet, der bei aller Anspruchslosigkeit doch an die Grenzen des Luxus streift. Das elegante Pianino, die hinter den Spiegelscheiben des Bücherschrankes dichtgereihten Prachtbände der Hausbibliothek, die Kupferstiche und Oelbilder an den Wänden und auch alle die kleinen Ueberflüssigkeiten, mit denen die ordnende weibliche Hand das Haus zu schmücken liebt, Alles deutet auf eine behagliche, wohlhäbige Häuslichkeit hin.

Nicht ohne Grund verweile ich bei diesen anscheinenden Aeußerlichkeiten.

Das deutsche Publicum war bisher gewöhnt, sich das vaterländische Schriftstellerthum als eine Art Proletariat vorzustellen und diesem ein Mitleid zu schenken, das nicht immer frei von Geringschätzung ist. „Hätt’ er was gelernt, braucht’ er nicht zu schreiben Bücher!“ wie der selige Salomon Heine von seinem Neffen Henri sagte. Dem Dichter vor Allem gehört die Dachstube und die Misere eines dürftigen Erdenwallens. Läßt ja auch Schiller seinen Poeten erst erscheinen, nachdem alle Erdengüter bereits vertheilt waren und ihm nichts mehr offen stand, als der Himmel, auf den bekanntlich irdische Manichäer, und sollten sie auch noch so fromm sein, nicht die kleinste Anweisung annehmen. Nein, unsere Zeit ist wahrlich darum nicht prosaischer geworden, daß sie dieses alte Vorurtheil von der prädestinirten Dürftigkeit deutscher Dichter und Schriftsteller zu zerstören beginnt. Es schadet der himmlischen Göttin Poesie nicht an ihrem Rufe, wenn sie ihre Poeten auch mit Butter versorgt. Und ich denke, es gereicht ebenfalls der deutschen Nation zur Ehre, daß sie – was Engländer und Franzosen schon längst gethan – ihre Lieblingsdichter und Schriftsteller nicht nur nach Verdienst ehrt, sondern auch honorirt und zwar dadurch, daß sie Bücher kauft, statt sie, wie bisher, aus Bibliotheken oder sonst wie leihweise, sogar vom Autor selbst, zu entnehmen.

Reuter verdankt seinen Wohlstand lediglich seiner Feder. Er hat in diesem Jahre von den neuen Auflagen seiner Schriften nicht weniger als 7000 Thaler eingenommen; ein Honorar, das sich mit Ehren neben dem populärer englischer Autoren sehen lassen kann, besonders wenn man bedenkt, daß die kleinere Hälfte der deutschen Nation – die plattdeutsche – dasselbe aufgebracht hat. –

Diese sichtlich sorglose Lebenslage läßt den Besucher bei Reuters die herzige Gastlichkeit, die ihm entgegenkommt, besonders wohlthuend empfinden.

Aber zu der Heiterkeit, die im thüringischen Mecklenburg zu Hause ist, trägt Lisette gewiß nicht das Wenigste bei. Wie Fritz Reuter dem französischen Chansondichter das Wort nachsprechen [589] darf: „le peuple c’est ma muse“, so hat er gleich diesem auch eine Lisette, und in der That eine französisch parlirende, nur daß diese weit entfernt ist von der etwas frivolen Anmuth und Koketterie, welche Beranger an seinem echt französischen Mädchen aus dem Volke in lustigen Liedern besingt. Um so mehr können wir über Reuter’s Lisette lachen.

Ich brauche wohl dem Leser kaum noch zu sagen, daß Lisette Niemand anders ist, als das Gallion, das uns die Thüre geöffnet. Es giebt keine glücklichere Figur für einen komischen Roman.

Lisette ist von Geburt ein Dorfmädchen aus dem Großherzogthum Sachsen-Weimar. Sie hütete in ihrer Jugend die Gänse der Dorfgemeinde, wie Johanna die Schafe ihres Vaters hütete in dem Flecken Dom Remi, der in dem Kirchspiele liegt von Toul. Und wie Johanna ward sie berufen zur „Jungfrau von Orleans“. – Nichts Geringeres als die französische Februarrevolution von 1848 griff gestaltend in das Leben Lisettens ein. Der Thron Louis Philipp’s mußte zertrümmert

Fritz Reuter.

werden, um dem thüringischen Bauernkinde eine ungeahnte Laufbahn zu eröffnen. Bekanntlich war in Folge jener politischen Katastrophe die Herzogin von Orleans mit ihren beiden Kindern, dem Grafen von Paris und dem Herzog von Chartres, nach Eisenach geflüchtet, wo sie das oben erwähnte großherzogliche Palais auf dem Marktplatze, der Georgenkirche gegenüber, als Residenz hezog. Monsieur Hubert, der Intendant der Herzogin, der mit seiner Familie seiner Gebieterin nach Deutschland gefolgt war, hatte eine im Hausgesinde entstandene Lücke auszufüllen, und Lisette wurde – ich weiß nicht durch wen empfohlen – als Dienstmagd von ihm engagirt. So kam sie an den Hof der Herzogin von Orleans. Ihre häuslichen Verrichtungen brachten sie täglich mit der hohen Frau und den kindlichen Prinzen, von denen der erstgeborne Prätendent der französischen Königskrone war, in Berührung, die sich durch Lisettens thüringische Unbefangenheit, welche sie auch in der Hofsphäre behauptete, zu einer intimen gestaltete. Tüchtig und brav, wie sie war, verharrte sie in dieser Stellung bis zum Tode der Herzogin. Sie begleitete dieselbe auf ihren Reisen. So hielt sie sich mit den Orleaniden längere Zeit bei dem exilirten greisen Königspaare in Claremont auf, dem englischen Landsitze des Königs der Belgier, den dieser bekanntlich seinem Schwiegervater Louis Philipp eingeräumt hatte. Auch in Paris ist Lisette mit Monsieur Hubert gewesen, der vermutlich in geheimer Mission dort mit den Orleanisten berathschlagt hatte. So hat Lisette in den höchsten Kreisen der Gesellschaft die große Welt gesehen, die dauernde Eindrücke in ihren Erinnerungen zurückließ. Sie schwärmt noch heute für die Herrlichkeiten der Champs Elysees, die sie natürlich „Schamps Elise“ spricht. – Ueberhaupt liebt Lisette es, ihr wohlerworbenes Französisch nicht unter den Scheffel zu stellen, besonders wenn Gäste bei Reuter’s sind. Das Wort „Ja!“ scheint sie sich ganz abgewöhnt zu haben, sie sagt nie anders als: fui, Matam! fui, Mussiö!; sie würde gewiß auch am Traualtar, falls ein etwas verspätetes Liebesglück sie noch einmal dahin stellen sollte, die Frage des Priesters beim Ringwechsel statt mit „Ja!“ mit einem herzhaften fui beantworten. So pflegt sie auch die Anordnungen der Hausfrau bei Tische laut in’s Französische zu übersetzen. „Lisette, ein Teller!“ „Fui Matam, une assiette!“ „Lisette, ein Glas Wasser für den Herrn!“ „Foilà! öng ferr d’o pour Mussiö!“ Beim Präsentiren der Schüssel wird sie selten das „plöt i?“ (plaît-il?) vergessen, sowie sie auch der Unterhaltung bei Tische von Zeit, zu Zeit mit einem für sich gesprochenem c’est ça zu folgen pflegt. – Weit drolliger aber als ihr Französisch ist ihr Deutsch, das gar nichts von thüringischem Dialekt und thüringischer Ausdrucksweise an sich hat. Es scheint, als hätte sie sich dasselbe aus dem gebrochenen Deutsch der französischen Dienerschaft der Herzogin von Orleans angeeignet. Die Komik dieser eigenthümlichen Sprechweise wird noch erhöhet durch die unbegreiflichen Redensarten, welche Lisette mit lakonischer Sicherheit überall anzubringen weiß, wo solches nur möglich und unmöglich erscheint. So z. B. daß sie den Fremden „in dieser Hinsicht“ anmeldet. Ich hörte von ihr den Ausdruck: „in dieser Hinsicht ist das eine Betrachtung!“ „fui, das ist so Gebrauch von die Ordnung!“ etc. – Zu diesen abgelegten Hofredensarten besitzt Lisette noch mehrere abgelegte Hofkleidungsstücke. So erscheint sie an hohen Festtagen in einer Robe, welche weiland die Frau Herzogin von Orleans getragen. Wie viele treue Orleanisten könnte sie mit kleinen, ordensbandgroßen Fetzen dieser Reliquie glücklich machen! Natürlich paßt zu dieser Gewandung keine Crinoline, die Lisette ohnedies als eine Erfindung der neuen französischen Kaiserära verabscheut, wie sie überhaupt Napoleon III. als Feind des Hauses Orleans haßt. Als vor einiger Zeit bei Reuter die Zeitung vorgelesen wurde, in welcher von einer Erkrankung Kaisers Napoleon die Rede war, sagte Lisette, welche während einer Beschäftigung im Zimmer aufmerksam zugehört hatte: „Wenn der schterbt, dann trauer ich roth!“

Daß Lisette durch ihr Leben am Hofe etwas Aristokratin geworden ist, darf uns nicht wundern. Sie weiß es sehr zu schätzen, gegenwärtig wieder in Diensten einer Herrschaft zu stehen, die, nach mancherlei Aufmerksamkeiten zu schließen, deren sich dieselbe erfreut, eine hervorragende Bedeutung haben muß, obwohl Lisette das Ding nicht recht zu begreifen vermag. Aber sie ist gar nicht damit zufrieden, daß die Fremden so ohne alles Ceremoniell Zutritt zu der Herrschaft finden. Nicht selten daher trifft sie im Hause auf eigene Hand Anordnungen, die der Hausordnung am Hofe der Herzogin von Orleans entnommen zu sein scheinen und die zu beseitigen es der ganzen entschiedenen Intervention der Frau Reuter bedarf. –

Ob die Liebe in Lisettens Leben eine Rolle spielt, möchte ich aus Erwägungen, die zu verlautbaren ungalant wäre, bezweifeln. Indeß das Wort „unmöglich“ ist aus dem Lexikon des menschlichen Herzens gestrichen, und so auch wohl aus dem Lisettens.

In der That scheint Fritz Reuter ein besonderer Günstling des Zufalles zu sein, der ihm eine Figur wie diese gerade in den Weg geworfen hat. Für den Humor unseres Dichters dürfte Lisette ein prächtiges Seitenstück zu der unvergleichlichen Mamsell Westphalen sein, wenn erstere auch keine mecklenburgische Faser an sich [590] hat. Denn auch das ist das Eigenthümliche, ich möchte sagen der Humor von Fritz Reuter’s Humor, daß dieser – so unthunlich es ist, ihn selbst aus dem Mecklenburgischen in eine andere Sprache und ein anderes Verständniß zu übersetzen – doch wiederum alles Fremdartige mit großer Leichtigkeit, sprachlich und social in’s Mecklenburgische übersetzt. Die Heimath ist dem Humor Fritz Reuter’s der enge Rahmen zu dem Spiegel, aus dem die Welt in ihren bunten Erscheinungen mikrokosmisch uns entgegenstrahlt. – So bin ich überzeugt, daß die Reise, welche Reuter mit seiner Gattin im vergangenen Frühling, auf einem Dampfer des österreichischen Lloyd, nach Griechenland, Constantinopel und Smyrna gemacht hat, gar wundersam verplattdeutscht und vermecklenburgt den Fritz Reuter-Lesern durch die Hinstorff’sche Hofbuchhandlung vorgeführt werden wird. – Warum sollte z. B. unser guter lieber Entspeckter Bräsig, „bürtig aus Mekelborg-Schwerin“, nicht von irgend einem strebsamen Gutsbesitzer, behufs Ankaufs edler Zuchtböcke, zu einer Reise nach dem Morgenlande engagirt werden, wie er seiner Zeit von Moses Löwenthal aus Wahren zu einer Reise nach dem Berliner Wollmarkte engagirt worden ist, um demselben, nämlich dem Moses Löwenthal, „als kenntnißreicher Mann in Wullsachen, zu helfen beis Geschäft, natürlich gegen ’ne Provision“. Eine Reise, auf welcher der arme Bräsig gar grausame Abenteuer erleben mußte, wie ein Jeder solche in Reuter’s „Schurr-Murr“, von Seite 49 bis Seite 134, nachlesen kann.

Daß der Humor in Mecklenburgisch-Thüringen durch sympathische Heimathsklänge angefrischt werde, dafür sorgt ganz besonders Fritz Reuter’s „olle Fründ de Cannedat“, oder auch „Avkat Rein“. In Wirklichkeit ist das Niemand anders, als der wackere charakterfeste und doch so kindlich weiche Reinhardt, ein Landsmann Reuter’s, früher als Theolog und Pädagog in Mecklenburg fungirend, jetzt, des leidigen Amtes ledig, in Coburg an der Presse beschäftigt, der aus naher Nachbarschaft von Zeit zu Zeit unter Reuter’s Dach einkehrt. Reinhardt, manchem Leser als Mitglied des Frankfurter Parlaments bekannt, ist, wie sein Landsmann, ein geborener Humorist von dem Scheitel bis zur Zehe – wenn er auch seine sprühenden Einfälle mehr der Gesellschaft hingiebt, anstatt sie productiv mit der Feder zu verarbeiten. „’Ne Gschicht von min olle Fründ Rein“, die Reuter in seinen „Läuschen un Rimels“ erzählt, ist in der That eine dem Leben Reinhardt’s entnommene wahre Geschichte. Am treuesten nach dem Original aber lernt der Leser Reinhardt’s trockne humoristische Schelmerei kennen in der Schilderung einer Versammlung des Reform-Vereins zu Rahnstädt, in welcher „Avkat Rein“ als Präsident den Vorsitz führt. Dies wahrhaft classisch zu nennende Meisterstück des Humors findet der Leser im dritten Bande von „Ut min Stromtid“, der soeben die Presse verlassen hat.

Indem ich hier meine Skizze beende, fühle ich, wie das nun einmal immer der leidige Fall ist, zu spät, welche Gefahren ich mit derselben für das Thüringische Mecklenburg heraufbeschworen. Man kann volksthümlichen Persönlichkeiten kaum einen schlimmern Dienst erweisen, als wenn man deren Liebenswürdigkeit und Gastlichkeit öffentlich durch die Presse denuncirt, besonders wenn diese Persönlichkeiten, wie Fritz Reuter, an einem Karawanenwege wohnen. Gar leicht könnte meine Schilderung von Fritz Reuter’s thüringischer Hüsung Tausende seiner Verehrer, die allsommerlich den Weg durch Thüringen nehmen, der Versuchung aussetzen „selbst zu sehen“, wie Yorik Sterne auf seiner sentimentalen Reise. – Brauche ich die Folgen eines solchen Cultus weiter auszuführen?

Mögen daher die geneigten Leser und Leserinnen meine unvorsichtige Denunciation durch ihre eigne discrete Erwägung unschädlich machen und sich mit einem Blick über das Gartenpförtchen, das zu Mecklenburg in Thüringen führt, und meiner Schilderung begnügen. Der Verzicht auf die persönliche Bekanntschaft Fritz Reuter’s wird ihnen weniger schmerzlich fallen in dem Gedanken, daß des Dichters Zeit eine edle sei und daß sein Humor den Tisch für viele Hunderttausende unsres Vaterlandes zu decken habe.

Fritz Reuter aber möge am Fuße der sagenreichen Wartburg, von wannen Heinrich von Ofterdingen einst auszog, um die blaue Blume der Romantik zu suchen, noch recht lange mecklenburgische „Olle Kamellen“ pflücken! –



  1. tatsächlich: Rostock, vergl. Erklärung in Heft Nr. 43