Eine Arbeit hinter Eisengittern

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Textdaten
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Autor: E. K.
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Titel: Eine Arbeit hinter Eisengittern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 167–168
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[167] Eine Arbeit hinter Eisengittern. Es ist für uns Deutsche immerhin noch ein kleiner Kitzel, wenn fremde Nationen in ihren besten Organen auf die Erzeugnisse unserer Presse aufmerksam machen. Es dürfte deshalb unsere Leser in mehr als einer Beziehung interessiren, in welcher Weise eins der besten englischen Blätter „the Examiner“ über das vor kurzem in Leipzig erschienene Buch: „Englische Dichter. Eine Auswahl englischer Dichter mit deutschen Uebersetzungen von O. L. H…r.“ sich ausspricht, zumal das erwähnte Buch die Arbeit einen Mannes ist, dessen Schicksal – ewige Gefangenschaft – überall große Theilnahme erregt. „Von Chaucer, Spenser, Shakspeare, Milton an bis zu Procter und Tennyson herab hat der Herausgeber,“ sagt das Blatt, „eine Auswahl aus den englischen Dichtwerken gegeben, wie sie unter zehn Engländern kaum einer zu treffen vermocht hätte, und er hat diese Dichtungen mit bewundernswerther Treue übertragen in nicht etwa deutsche Verse, sondern deutsche [168] Poesie. Das Meiste ist so gelungen, daß das Buch Tausenden eine höchst willkommene Gabe sein wird, in Deutschland sowohl als in England. Der Verfasser beachtete und übersetzte nichts, was er nicht gefühlt hat, und hat nichts gefühlt, als was schön und edel ist. Ein Grundzug geht hauptsächlich durch die ganze Sammlung; er ist die eigentliche Seele derselben und verleiht der Auswahl ihren eigenthümlichen Ton. Es ist dies die Liebe zum Heimwesen und zur Familie. Mit der warmen Sehnsucht nach Haus und Familie im Herzen arbeitete der einsame Gefangene an diesen Strophen; er fand Trost in Schilderungen der Häuslichkeit und des Familienglücks, und kraft der Innigkeit, mit welcher er fühlte, was er schrieb, hat er bisweilen das deutsche Gedicht besser gemacht, als er es im Englischen gefunden. Welch’ ein besseres Buch,“ schließt die Kritik, „gäbe es, worin der gebildete Deutsche gleich gut die englische Muse kennen lernen könnte?“ So weit der englische Kritiker!

Vielleicht keiner unsrer Leser hat das Unglück gehabt, Gottes schöne Sonne hinter Eisengittern untergehen zu sehen. So schön die Sonne, und so klar und frei und weit der Himmel – der Gefangene hat nur die eine Freude daran, daß er sich glücklich schätzt, wenigstens das Sonnenlicht sehen zu dürfen. Vielen seiner Leidensgenossen ist auch diese Freude versagt. Ihr könnt mir’s schon glauben, es ist ein armes – armes Dasein, das Gefangenenleben, selbst wenn es nur Monate oder wenige Jahre lang währt und durch die Milde der Vorgesetzten in jeder Weise erleichtert wird. Getrennt von Frau und Kind und Allem, was ihm lieb, der gewohnten Beschäftigung entzogen, mit jedem Tage der Einsamkeit und in allen schlaflosen Nächten von den quälenden Gedanken gemartert, daß zu der Herzensnoth der Seinigen auch noch die materielle tritt, so schleichen die Tage des Gefangenen langsam und niederdrückend hin, bis endlich die Hoffnung auf das Ende dieser Leiden wie ein lichter Strahl in die Dunkelheit des Kerkers dringt. Aber ohne Hoffnung täglich die heiße Stirn an die Eisengitter drücken, mit jedem neuen Morgen zu dem Bewußtsein erwachen, daß die Mauern, zwischen denen jetzt ungesehen Thränen der Sehnsucht fließen, ihn umfassen sollen, so lange auf Erden sein müder Leib noch aushält, sein Weib, sein Kind, seine Freunde nie wieder an das Herz zu schließen, das so viele Jahre schon jeder, auch der kleinsten Freude entbehrt – es gehört ein großer eisenfester Charakter dazu, unter der Wucht dieses Unglücks nicht zu brechen und zu sterben.

Der Verfasser dieses Buches – O. L. H…r –, wegen seiner Betheiligung an den sächsischen Maitagen zu ledenslänglichem Zuchthaus verurheilt, büßt diese Strafe nun schon fast acht Jahre. Um seiner nicht mit Reichthümern gesegneten Familie auch im Gefängniß der sorgende Vater zu bleiben, hat er die mild gegebene Erlaubniß der Regierung benutzt und sich mit literarischen Arbeiten beschäftigt. Die obenangeführte schöne Sammlung Gedichte ist das Ergebniß seines Kerkerfleißes. Der Verleger läßt die Hälfte des Gewinns der Familie zukommen und je mehr Exemplare also verkauft werden, je mehr wird die Arbeit des Gefangenen eine lohnende. Es bedarf wohl nur dieser Andeutung, um unsere Freunde zu veranlassen, das gute Buch ihrer Bibliothek einzuverleiben. Der Ertrag kömmt ja einer Gattin und vier Kindern zu. Wohl in mehr als einer Beziehung hat deshalb der englische Kritiker Recht, wenn er sagt: „mit der warmen Sehnsucht nach Haus und Familie im Herzen arbeitete der einsame Gefangene an diesen Strophen.“ – Mögen auch die Leser der Gartenlaube dazu beitragen, daß die Hoffnungen des armen Gefangenen nach dieser Seite bin reichlich erfüllt werden.[1]

Wir aber wollen nicht daran zweifeln, daß auch für ihn die Sonne des Glückes noch nicht untergegangen. Gott erbarme sich seiner und lasse ihn den Tag der Freiheit recht bald sehen, damit die verlassenen Kinder dem Heimkehrenden einst jubelnd mit dem schönen Gruße entgegen stürmen können: der Vater kommt – der Vater kommt!
E. K.
  1. Alle Buchhandlungen, auch die Verlagshandlung der Gartenlaube, nehmen Bestellungen an. Preis 2 Thlr.